neue Ordnung: ein Segen

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Der Tag in Seggau hatte seine eigene Ordnung. Durch den Wegfall vieler Verpflichtungen, die ich als Bischof aus meinem Kalender streichen musste, ergab sich die Gelegenheit, den Tagesablauf neu zu regeln. Wir trafen uns in der kleinen Gemeinschaft regelmäßig: das gemeinsame Stundengebet, die Feier der heiligen Messe und auch die Anbetung – wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten an den verschiedenen Wochentagen – ließen mich das geistliche Leben in anderer Weise vertiefen als es mir mit den Verpflichtungen des Alltags sonst gewährt worden wäre. Ordnung trägt. Eine Erfahrung, die auch in dem einzigen Büchlein geschildert wird, dass sich während meiner Tage nach Leibniz zu lesen imstande war. Der Benediktinerpater Anselm Grün hat innerhalb kürzester Zeit versucht, aus der Regel des heiligen Benedikt und der Erfahrung mönchischen Lebens in der Klausur Weisheiten für das Leben der Allgemeinheit in „Quarantäne“ zu formulieren. Es liest sich leicht und gibt Erfahrungen weiter, die Ordensleute schon seit 1500 Jahre machen – eben hinter Klostermauern. Ein Moment, das Grün beschreibt, ist ein „geordnetes“ Leben. Immer wieder war in verschiedensten Berichten dieser Tage, die ich gelesen oder gehört habe, davon die Rede, wie wichtig angesichts der verschiedenen Herausforderungen – Home Office verbunden mit Haushalt verbunden mit Homeschooling usw. – eine Struktur ist, die man sich selbst oder eben in einer Familie gibt. Verbunden mit den regelmäßigen Essenszeiten und auch einer verbesserten Klarheit des Schlafens – alles eben auch Teil einer klösterlichen Selbstverständlichkeit – waren diese Wochen der Herausforderung auch solche der „geistlichen Vertiefung“.

Freilich: der erste Schritt zu dieser Ordnung (nebenbei: Nicht umsonst ist die Wortwurzel von „Orden“ und „Ordnung“ dieselbe) war derjenige, dass ich die auferlegte Situation angenommen habe. Nicht die Sehnsucht nach alledem, was mir verloren geht, stand im Vordergrund, sondern die Frage, wie es den jetzt möglich ist, meinen Dienst auszuüben. Ob alle Entscheidungen, die im Laufe dieser Tage getroffen wurden, die richtigen waren, wage ich zu bezweifeln – das ist aber durchaus eine Situation, die auch sonst gilt. Für diese „besondere Zeit“, die ich in den Wochen in der kleinen – klösterlichen – Gemeinschaft leben durfte, und die besonderen wie auch teilweise neuen Anforderungen, denen ich mich gegenüber wusste, war jedenfalls die klare Struktur und die vorgegebene Ordnung – ich getraue es mir zu sagen – ein Segen.