Für eine geistvoll erneuerte Normalität

Am heutigen Pfingstsonntag wenden sich die Bischöfe Österreichs mit einem Hirtenwort an die Menschen in Österreich:

Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes, der in jeder Situation alles neu machen kann. Die verängstigten Jünger wurden durch diesen Geist ermutigt, ihre Isolation zu verlassen und freimütig das Evangelium zu verkünden. Dieses pfingstliche Ereignis sowie den fünften Jahrestag des Erscheinens der Enzyklika „Laudato sì“ von Papst Franziskus nehmen wir zum Anlass, uns an alle Menschen in Österreich zu wenden. Zur Eindämmung der Corona-Pandemie mussten wir das öffentliche Leben auf ein Minimum reduzieren.

Selbst die gemeinsamen Gottesdienste, die vielen Menschen geistliche Nahrung bieten, konnten nicht mehr stattfinden. Das war ein schwerer Verzicht, auch wenn dadurch in den Häusern und Wohnungen vielleicht mehr gebetet und damit mitten im Alltag der Glaube stärker wurde. Jetzt stehen wir in der Krisenbewältigung an einer Schwelle. Das öffentliche Leben wird schrittweise normalisiert.

Auf diesem Weg hin zu einer „erneuerten Normalität“ feiern wir Pfingsten, das Fest eines Neuen Geistes. Bereits in den vergangenen Wochen war sein belebender Atem im erfreulichen Zusammenhalt von Politik und Gesellschaft zu spüren. Die rigorosen Einschränkungen der Grundrechte wurden von der Bevölkerung mitgetragen. Jetzt jedoch mehren sich die kritischen Stimmen, die nachträglich die Verhältnismäßigkeit der verordneten Maßnahmen in Frage stellen. In dieser kritischen Phase plädieren wir für eine nüchterne Reflexion des Vergangenen sowie für ein konstruktives Miteinander, das in einer lebendigen Demokratie möglich ist. Das entscheidende Kriterium muss das Gemeinwohl sein, ohne dass damit die Freiheitsrechte des Einzelnen vernachlässigt werden dürften. Ja, für diese heikle, aber notwendige Güterabwägung brauchen wir einen Neuen Geist! Das pfingstliche Ur-Wunder von Verständigung und Aufbruch ist auch heutzutage möglich – und nötig.

Pfingsten ist auch das Geburtsfest der Kirche. Papst Franziskus bittet uns eindringlich, dass wir uns als Gläubige nicht in einer bequemen, selbstverliebten Distanz von der Welt absondern, sondern über die eigenen Grenzen hinausgehen, um bei denen zu sein, die heute physisch, psychisch, sozial und geistlich verwundet sind. Der Heilige Geist ist für diese Weltzuwendung der primäre Herzschrittmacher. Er schenkt uns alle Gaben und Kompetenzen, die wir jetzt in der anstrengenden zweiten Phase der Krisenbewältigung brauchen. Die folgenden sieben Paare von Geistesgaben, die wir als Leitmotiv für dieses Schreiben gewählt haben, empfinden wir als Einladung, Auftrag und Befähigung, eine „erneuerte Normalität“ für unser Land aktiv mitzugestalten. Dankbar und staunend nehmen wir wahr, dass diese Talente und Charismen schon in vielen Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche Großartiges bewirkt haben.

 

Geist der Dankbarkeit und Demut

In den vergangenen Wochen ist es gelungen, die Infektionskurve abzuflachen. Die Maßnahmen haben Wirkung gezeigt. Trotz der Entbehrungen war ein Geist der Dankbarkeit bemerkbar, den wir verstärken und als Qualität für einen neuen Lebensstil mitnehmen wollen. Dankbarkeit gibt ein Gespür für das rechte Maß und befähigt zum Staunen. Zuerst möchten wir Gott danken, dessen Gegenwart Ruhe und Hoffnung verleiht – auch wenn er uns schwierige Situationen und Krisen zumutet. Danach gebührt vielen Menschen ein Blumenstrauß-„Dankeschön“, in erster Linie allen, die in der kritischen Phase die Infrastruktur unseres Landes aufrechterhalten haben und es auch zukünftig tun. Wir danken für die verlässliche Grundversorgung mit Lebensmitteln, mit Sozial-, Gesundheits-, Verkehrs-, Energie- und Finanzdienstleistungen sowie für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit.

Ausdrücklich danken wir den Familien und Hausgemeinschaften, die in der Ausnahmesituation viel Ungewissheit abgefangen und emotionalen Halt gegeben haben. In den Familien geschieht eine wertvolle Basisarbeit für Bildung, Lebensfreude, Soziales und die primäre Vermittlung von Werten, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Ganz selbstverständlich wurde eine hohe Anpassungsleistung an die außergewöhnliche Situation erbracht. Besonders danken wir allen, die den Mehraufwand an unbezahlter Haus-, Betreuungs- und Pflegearbeit übernommen haben. Meistens sind das Frauen, aber auch immer mehr Männer beteiligen sich an einer fairen Aufteilung dieser Arbeiten. Wir möchten ebenso Kindern und Jugendlichen danken, die in ihrer Sehnsucht nach direkten Begegnungen und in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt waren. Der Wert von Freundschaft ist nicht nur ihnen, sondern uns allen wieder bewusst geworden.

Die Liste der Danksagung wäre nicht vollständig, ohne die Caritas mit ihren unterschiedlichen Diensten sowie das Rote Kreuz und alle weiteren Hilfsorganisationen, Beratungsstellen und Sozialeinrichtungen, die vielen Freiwilligeninitiativen, wie auch die Seelsorgerinnen und Seelsorger zu würdigen. Mit Professionalität und einem hohen Maß an ehrenamtlichem Engagement waren sie in der Akutphase präsent und leisten auch weiterhin einen enormen Beitrag zur Bewältigung der Krise. In den letzten Wochen ist vielen bewusst geworden, dass wir aufeinander angewiesen sind. Niemand kann für sich allein das Leben meistern. Diese Erkenntnis macht uns menschlicher und vielleicht auch demütiger – nicht zuletzt im Blick auf Bedürftige und Notleidende, die meist weniger Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Manchmal brauchen wir eine Krise, um das zu begreifen.

Die Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte lehrt uns alle das Geschenk eines freien Lebens neu zu schätzen. Wie verletzlich das hohe Gut der Gesundheit und der Gesamtorganismus Gesellschaft insgesamt sind, wurde uns deutlich vor Augen geführt. Nichts ist selbstverständlich! Davon überzeugt, laden wir bewusst zu einer „Spiritualität der Dankbarkeit“ ein. Mit dem Danken bekommt das Leben eine neue Qualität. Wie viele haben in den plötzlich ruhigen Morgenstimmungen über die Konzerte der Vögel staunen gelernt? Sind wir nicht Teil einer großartigen Schöpfung – auch wenn das Schicksal oft sehr hart sein kann? Unser Leben ist trotz allem ein überraschendes Geschenk, eine freie Gabe Gottes – von seinem Anfang bis zu seinem natürlichen Ende. Wer zu danken beginnt, befreit sich und andere aus dem Teufelskreis von Neid und Gier. Dankbare Menschen sind befreit von der Angst, zu kurz zu kommen. Dankbarkeit ist der Königsweg zu Gott, die Not höchstens der Fluchtweg.

 

Geist der Versöhnung und Verbundenheit

Durch das verordnete Physical Distancing, also „Mindestabstand zum Nächsten“, ist nicht nur der Wunsch nach körperlicher Nähe, sondern auch eine neue soziale Verbundenheit der Menschen gewachsen. Balkonkonzerte, Telefonate, intensive Kommunikation in den Sozialen Medien, wohlwollende Signale in die Nachbarschaft, Kerzen in Fenstern, spontanes Applaudieren, virtuelle Chöre und Orchester – all das waren kreative Zeichen von Verbundenheit und Zugehörigkeit zu einem größeren Wir. Menschsein gibt es in erfüllender Form nur im Miteinander. Wir möchten ermutigen, diese wertvolle Erfahrung der entbehrungsreichen Corona-Zeit weder im Dickicht der herandrängenden Sorgen untergehen zu lassen, noch dem Ärger und Frust zu opfern, der immer wieder durchbricht. Der Heilige Geist begründet eine Verbundenheit, die Belastungen aushält und auch einen wahrhaftigen Blick auf die schmerzlichen Folgen der Krise ermöglicht.

Viele Eltern sind an die Grenzen ihrer Belastungen gekommen und einige fast verzweifelt. Digitales Lernen und Home-Schooling waren nicht nur aufregend neu, sondern für nicht wenige eine zu große Hürde. Familien mit schwerbehinderten Kindern hatten damit zu kämpfen, dass die spezifischen Betreuungseinrichtungen großteils geschlossen waren. Zu wirklich dramatischen Situationen kam es, wenn ältere und schwer kranke Menschen ihre Angehörigen aus Sicherheitsgründen lange nicht besuchen konnten oder diese in den Spitälern und Heimen alleine sterben mussten. Bewährte Trauerrituale waren nur eingeschränkt möglich. Die medial kolportierten Bedrohungsbilder und die rigorosen Ausgangsbeschränkungen erhöhten das Risiko von emotionaler Isolation, Abhängigkeitserkrankungen, Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen. Anteilnahme ist gefordert. Jetzt vermehrt Gespräche, Seelsorge, Beratungs- und Therapiemöglichkeiten anzubieten, ist eine pfingstliche Aufgabe. Der Heilige Geist stellt sich mit Vorliebe als Anwalt und Tröster an die Seite der Verängstigten und Geschwächten.

Wirkliche Verbundenheit kann nur wachsen, wenn wir alle immer wieder Schritte der Versöhnung versuchen. Teilweise haben zu enge Wohnsituationen zu häuslichen Spannungen geführt. Die ohnehin besorgniserregende Bereitschaft zu Aggression und häuslicher Gewalt hat zugenommen und muss mit weiteren sofortigen Maßnahmen zum Schutz gewaltbetroffener Personen abgefangen werden. Auch in vielen „normalen“ Beziehungen verschärften sich die Konflikte. Wie viel Freude, Lebenskraft und Kreativität geht doch verloren, wenn die Altlasten von Schuld, Kränkung und Verbitterung nicht abgebaut werden? Nur Versöhnung schafft neue Lebensqualität, weil sie Beziehungen gesunden lässt. Ein versöhnter Mensch lebt gelassener und fröhlicher. Er kann Schwächen eingestehen und unterbricht damit den gefährlichen Teufelskreis des Beschuldigens. Der pfingstliche Geist ist ein Motor und Beschleuniger von Schritten zur Versöhnung. Täglich brauchen wir Güte und Barmherzigkeit für uns selbst und füreinander. Täglich ein paar Schritte – in Richtung „erneuerte Normalität“.

Ein besonderes Anliegen ist uns die europäische Dimension von Verbundenheit. Anstatt 25 Jahre Mitgliedschaft in der EU zu feiern und damit auch eine größer gewordene Begegnungsfreiheit im Schengen-Raum, blickten wir auf geschlossene Grenzen. Der Kampf gegen die Pandemie zeigt einmal mehr, wie wichtig unser gemeinsames Europa ist und auch wie zerbrechlich. Nach dem unentschlossen wirkenden Agieren der Union in der Akutphase der Krise klingen die Vorhaben jetzt zukunftsweisend. Wichtig ist es, die ursprüngliche Gründungsidee zur Sicherung des Friedens auf einem durch Nationalismus und Krieg zerrütteten Kontinent in eine „erneuerte Normalität“ mitzunehmen. Auch das Bekenntnis zu gemeinsamen ambitionierten Maßnahmen gegen den Klimawandel soll forciert umgesetzt werden. Die Europäische Union ist eine einzigartige Friedens- und Zivilisationsleistung.

Der pfingstliche Geist ist immer parteiisch für den Einzelnen und für das Ganze, er ist der Impulsgeber für eine leidenschaftliche Zusammenarbeit und immunisiert gegen das Virus nationalistischer Kleinstaaterei. Obsolet ist der Wettbewerb geworden, wer als bester aus der Krise hervorgeht, denn letztlich sind wir alle voneinander abhängig. Hoffentlich ein Lernertrag aus der Krise: Wenn es unseren europäischen Nachbarn gut geht, geht es auch uns gut. Dasselbe gilt über unseren Kontinent hinaus für die große Menschheitsfamilie.

 

Geist der Aufmerksamkeit und Solidarität

In den vergangenen Wochen haben wir ein Comeback von Solidarität erlebt. Die Nachbarschaftshilfe blühte auf. Mit unzähligen spontanen Initiativen wurde besonders gefährdeten Personen geholfen. Viele digitale Plattformen, die soziale Interaktionen ermöglichen, sind entstanden. Auch wenn die beachtlich bejubelte Solidarität der Corona-Anfangszeit schwächer geworden ist, sollte uns das Wissen um dieses große solidarische Potenzial für die Bewältigung der aktuellen Wirtschafts- und Sozialkrise beflügeln. Sorgenvoll blicken wir auf bisher armutsgefährdete Personen, deren Situation die Krise noch zu verschärfen droht – vor allem Arbeitslose, Frauen, Alleinerziehende und Mindestpensionisten. Auch die Folgen der unheilvollen Verbindung zwischen Armut, Scham und sozialer Ausgrenzung werden unsere Gesellschaft langfristig schwächen, wenn wir nicht entschiedene Gegenmaßnahmen setzen.

Vor 75 Jahren haben unsere Eltern und Großeltern aus dem Trümmerfeld des Krieges heraus mit dem Aufbau der Zweiten Republik begonnen. Unter größter Bedrängnis legten sie den Grundstein für eine österreichische Erfolgsstory, in der sich Wohlstand, soziale Sicherheit und Ausgleich als wichtige gesellschaftstragende Komponenten herausbildeten. Damit haben sie auch die Basis für ein Solidaritätsbewusstsein geschaffen, das bis heute durch ein hohes Engagement in freiwilligen Organisationen zum Ausdruck kommt. Der Corona-Lockdown zeigte, wie wichtig ein funktionierender Sozialstaat, ein leistungsfähiges Gesundheitssystem und eine gute Zusammenarbeit zwischen Politik und Sozialpartnerschaft sind. Wir plädieren angesichts der neuen Herausforderungen für einen nationalen Solidaritätspakt, um für alle in Österreich lebenden Menschen eine gute Zukunft zu ermöglichen. Er lässt sich nicht verordnen, kann aber auf der Basis eines guten Dialogs, mit kreativen Beteiligungsprozessen und mit der aktiven Einbindung der Zivilgesellschaft gelingen.

Eine schmerzliche Folge der Corona-Maßnahmen ist die enorm gestiegene Arbeitslosigkeit. Für die Betroffenen ist der Verlust eines Beschäftigungsverhältnisses oft dramatisch, weil damit auch Wohnung und Lebensunterhalt gefährdet sind. Die Arbeit zu verlieren, beeinträchtigt das Selbstwertgefühl, auch wenn der Wert des Menschen natürlich nicht von seiner Leistung abhängt. Die Botschaft der Regierung, dass geholfen werden muss, „koste es was es wolle“, hat starke Hoffnungsanker in hoffnungswidriger Zeit ausgeworfen. Auch wenn dies nicht unbegrenzt umsetzbar ist, so wurde doch damit die soziale Absicherung aller Menschen als ein zukunftswichtiges Prinzip bestärkt. Begrüßenswert sind alle bedarfsorientierten Sozialleistungen sowie die Verlängerung der Kurzarbeit. Für den Weiterbau des Sozialfundamentes unseres Landes ist zu überlegen, welche neuen Formen sozialer Sicherung in Notzeiten Einzelunternehmer oder auch Kunst- und Kulturschaffende brauchen. Ob ein erwerbsunabhängiges Grundeinkommen ein sinnvoller Weg ist, muss diskutiert werden. Die voranschreitende Digitalisierung macht ein neues Ausverhandeln der Verteilung von vorhandener Arbeit und die Sicherung von Lebensunterhalt ohnehin schon längst notwendig.

Eine anzustrebende „erneuerte Normalität“ wird insgesamt neue soziale Kontrakte brauchen: zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten, Verarmten und Vermögenden, Eingebundenen und Vereinsamten, Gesunden und Kranken, Heimatlosen und Beheimateten. Dies wird vermutlich nicht ohne anstrengende Debatten und hoffentlich konstruktiven Streit vonstattengehen. Scheinbar erworbene Rechte und Privilegien aufzugeben, fällt niemandem leicht. Das kennen wir auch in der Kirche. Unser soziales Zusammenwirken in einem neuen Geist zu gestalten, möchten wir auch als Auftrag des Evangeliums benennen. Wie im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter dürfen wir nicht unbeteiligt an der Not der Bedürftigen und Verwundeten vorbeigehen. Nächstenliebe ist ein Dauerauftrag für jeden von uns und zugleich ein politischer Akt. Es braucht Regulierungen und Strukturen, die verhindern, dass immer mehr Bedürftige an den Wegrändern einer wohlhabenden Gesellschaft ums Überleben kämpfen müssen.

Als kleine solidarische Übung in diese wünschenswerte Richtung schlagen wir vor, eine Großzügigkeit des Teilens und der mitfühlenden Anteilnahme jetzt schon einzuüben. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass dem Ungeist des Anschwärzens, Vernaderns und Denunzierens kein Raum gegeben werden darf. Diese Fehlverhalten haben leider in der Zeit der Einschränkungen auch wieder „fröhliche Urstände“ gefeiert. Was auch immer diese kleingeistigen Verhaltensmuster befeuert, ob es der Neid ist, dass der Nachbar sich etwas „leistet“, was ich auch gerne hätte oder täte, oder anderes, diese Form von einem negativen „Social Distancing“ brauchen wir sicher nicht.

Faktum ist, dass die Pandemie auch die ohnehin schon existierenden globalen Bedrohungen verschärfen wird. Wir denken besonders an die Elendsquartiere in den Slums der großen Metropolen sowie an weltweite Ernährungs- und Flüchtlingskrisen. Wir danken allen kirchlichen und zivilen NGOs, die trotz des finanziellen Einbruchs im Spendenaufkommen ihre Projekte der Entwicklungszusammenarbeit fortsetzen. Sie arbeiten weiterhin für eine Globalisierung der Nächstenliebe. Ein pfingstlicher Geist verstärkt auch unsere Sorge um die Schutzsuchenden in den Flüchtlingsquartieren an den Grenzen Europas. Als einen Ausdruck gelebter Solidarität im Sinne „erneuerter Normalität“ erachten wir es als dringend notwendig, ein faires Kontingent an Asylsuchenden und Vertriebenen in absehbarer Zeit aufzunehmen und zu versorgen.

 

Geist der Wertschätzung und Lernbereitschaft

Im Ausnahmezustand ist eine neue Form der Wertschätzung entstanden. Krisenbedingt entdeckten wir viele unterbewertete und minderbezahlte Berufsgruppen und Dienste, die jedoch systemrelevant sind. Speziell erwähnt wurden die Frauen und Männer an den Kassen der Supermärkte, in den Reinigungsfirmen, Sicherheitsdiensten sowie Pflegeeinrichtungen und Spitälern unseres Landes. Viele dieser systemrelevanten Berufe werden von Frauen geprägt. Erschwerend kommt die Mehrfachbelastung hinzu, da neben der Voll- oder Teilzeitbeschäftigung auch noch unbezahlte Sorgearbeit daheim zu leisten ist. Wir plädieren dafür, den Einsatz dieser Frauen für das Gemeinwohl entsprechend zu würdigen – sonst verliert jede ehrlich gemeinte Wertschätzung ihre Glaubwürdigkeit. Wir rufen auch alle Männer auf, zu einer fairen Aufteilung unbezahlter Arbeit beizutragen.

Wertschätzung hat ein genaues Hinhören zur Voraussetzung. Das berechtigte Anliegen in der Position des anderen wahrzunehmen, ist eine Kunst, die wir immer neu lernen müssen. Auch wenn die erste Phase des Krisenmanagements in unserem Land gut gelungen zu sein scheint, hat sich in die öffentliche Debatte in letzter Zeit ein hohes Maß an Aggression und eine verbissene Suche nach Fehlern und Anklagepunkten eingeschlichen. Selbstverständlich muss es die Bereitschaft geben, berechtigte Kritik und alternative Vorschläge aufzugreifen. Angesichts der vielen Herausforderungen können wir uns jedoch den Ungeist der Gehässigkeit und des Hochmuts schlichtweg nicht leisten. Das Ringen um gemeinsame Lösungen sollte nicht voreilig abgebrochen werden. All das wäre Ausdruck einer lebendigen, auf das Gemeinwohl hin fokussierten Demokratie. Der Versuchung zur Polarisierung sollten wir nicht nachgeben, sondern um aller Menschen in Österreich willen „erneuerte Normalität“ anstreben. An einem Wettlauf der konstruktiven Ideen können sich alle beteiligen – mit Wertschätzung und Entschiedenheit. Wir wünschen uns eine neue, pfingstliche Debattenkultur in Politik, Gesellschaft und Kirche. Niemand ist unwichtig, jeder kann etwas beitragen, damit wir den bestmöglichen Weg in die Zukunft wählen.

Der weitreichende Einbruch der Wirtschaft hat eine Unzahl von Unternehmern in eine veritable Krise getrieben. Viele stehen vor den Scherben ihrer wirtschaftlichen Existenz – trotz der staatlichen Auffangnetze, Rettungsfonds und anderer Unterstützungen. Schon vor der Krise sahen sich viele Klein-, Mittel- und Großunternehmer unseres Landes in einem Spannungsverhältnis: einerseits der betriebswirtschaftliche Auftrag, unter Vorgabe vieler gesetzlicher Auflagen erfolgreich zu sein, andererseits die Verpflichtung gegenüber sozialen und ökologischen Werten. Außerdem ist es keineswegs selbstverständlich, dass Menschen ihr Vermögen, ihre Lebensenergie und ihre Zeit einsetzen, um unternehmerisch tätig zu werden. Sie schaffen damit die dringend benötigten Arbeitsplätze und erhalten sie. Diese grundsätzliche Wertschätzung gilt auch für den Tourismus und die Gastronomie in Österreich. Sie tragen wesentlich zum Wohlstand unserer Bevölkerung bei, aber auch zur Attraktivität unseres Landes als beliebte Urlaubsdestination. Diese krisenbedingt extrem in Mitleidenschaft gezogenen Branchen müssen in einen fairen, umsichtigen und an Nachhaltigkeitskriterien ausgerichteten Zukunftsdialog eingebunden werden.

Der pfingstliche Geist entlastet von überzogenen Ansprüchen und befreit vom Ungeist der Neidgesellschaft. Ein wertschätzendes Miteinander lebt von einer möglichst gewaltfreien Kommunikation und positiven Fehlerkultur. Sie ermutigt, eigenes und fremdes Fehlverhalten zu erkennen und Fehlereingeständnisse zu respektieren. Daraus kann ein Lernertrag für sich und alle Beteiligten gewonnen werden. Permanentes Empören, Verdächtigen und Anklagen bewirkt das Gegenteil davon. Es führt zu Stress, Unaufrichtigkeit und dem irrealen Anspruch von Perfektion. Fehler und Versagen zuzugeben ist erlaubt, weder eine Schande noch ein Autoritätsverlust. Allerdings lauert im Hintergrund immer die Haftungsfrage, die nicht selten zu Intransparenz und Unaufrichtigkeit verleitet. In jedem Fall wird uns allen zukünftig ein hohes Maß an Lernbereitschaft abverlangt werden. Nicht zuletzt werden eine voranschreitende Digitalisierung und Globalisierung dies erforderlich machen. Ob in direkter Begegnung, in interdisziplinären Foren und anderen Formaten – wir müssen zum Wohl aller Menschen dem Teilen und Anteilgeben an Entwicklungen und Erkenntnissen einen neuen Stellenwert einräumen, weit über den eigenen Tellerrand hinaus.

 

Geist der Achtsamkeit und Entschlossenheit

Die Folgen des mit den Corona-Maßnahmen einhergehenden globalen Einbruchs von Wirtschaft, Industrie und Verkehr sind zweifelsohne dramatisch. Aber: Der Umwelt wurde eine Atempause geschenkt. Sofort waren die wohltuenden Auswirkungen bemerkbar – erstmals seit Jahrzehnten konnten die Menschen in Peking den Himmel sehen, Flüsse erholten sich und Tiere eroberten einige ihrer ursprünglichen Lebensräume zurück. Beeindruckend, welche Regenerationskraft die Schöpfung in sich trägt, wenn wir sie aus unserem ausbeuterischen Zugriff entlassen. Papst Franziskus hat vor fünf Jahren in seiner programmatischen Schrift zur globalen sozioökologischen Krise „Laudato si“ darauf hingewiesen, dass wir für eine achtsame, nachhaltige Lebensweise unser Verhalten radikal ändern müssen. Der Geist der Achtsamkeit ist zuerst ein Geist der Umkehr. Auch in der Amazonien-Synode 2019, die ein globaler Notruf war, hatte der Begriff „conversión“ eine zentrale Bedeutung. Eindringlich wurde der Kirche und der Weltgemeinschaft eine ökologische, ökonomische, kulturelle und pastorale Konversion als einzig mögliches Überlebensprinzip aufgezeigt. Ist diese Mahnung verhallt?

Tatsächlich ist es jetzt an der Zeit, ein Umdenken und Gegensteuern in sozio-ökologischen Fragestellungen einzuleiten. Die Virusbekämpfung hat uns gezeigt, was unter Dringlichkeit zu verstehen ist. Wahrscheinlich würde nur ein Teil der globalen Anstrengung, die wir zur Eindämmung des Corona-Virus aufgebracht haben, genügen, um eine finale Erschöpfung unseres Planeten zu verhindern. Bei Nicht-Handeln muss uns wohl bewusst sein: Die Folgen des Klimawandels werden längerfristig weitaus verheerender ausfallen als jene der aktuellen Pandemie. Wir appellieren deshalb an die Bevölkerung und an alle Führungskräfte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, sich mit der gleichen Intensität wie im Kampf gegen Covid-19 in der Rettung des Planeten zu engagieren. Mit dem Wiederaufbau der Wirtschaft ergeben sich Möglichkeiten, emissionsarme und klimasensible Wirtschaftskreisläufe zu schaffen – mit einer radikalen Reduktion fossiler Brennstoffe. Bitten wir gemeinsam um den Geist der Achtsamkeit und Entschlossenheit für die Bewahrung der Schöpfung.

Klar ist, dass es eine Fülle von wirtschaftsbelebenden Maßnahmen braucht, um einen Aufschwung der Wirtschaft zu erreichen. In der Debatte wird immer wieder eingemahnt, dass dafür das Kauf- und Konsumverhalten zu befeuern sei. Aber kann tatsächlich ein bloß entfesselter Konsum das beglückende Konzept der Zukunft sein? Erstens definiert sich der Mensch nicht allein über sein Konsumverhalten. Und zweitens ist zu hinterfragen, ob damit nicht genau jene Produktions- und Kaufmentalität glorifiziert wird, die uns und die Natur schon vor der Krise krank gemacht hat. Konsum ja, aber mit Maß und Ziel. Das heillose Immer-Mehr zerstört das Leben. Ganz entschieden ist zu fragen, mit welchen Investitionsimpulsen jetzt eine sozialverträgliche, menschlich und ökologisch verantwortbare Wirtschaft angekurbelt werden könnte. Dabei kann jeder Einzelne einen Beitrag leisten, beispielsweise durch den Austausch alter Ölheizsysteme, thermische Sanierungen, den Einbau von Solaranlagen und einem umweltfreundlicheren Mobilitätsverhalten. Eine lebendige, florierende Wirtschaft muss keine maßlos wachsende Wirtschaft sein.

Die Corona-Krise hat uns deutlich die Bedeutung lokaler Wirtschaftskreisläufe vor Augen geführt. Die Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs durch heimische Gewerbe- und Industriebetriebe, durch eine kleinstrukturierte Landwirtschaft und den Nahversorger um die Ecke wurden in den vergangenen Wochen notwendig, damit die Versorgungskette in unserem Land aufrechterhalten werden konnte. Lokal erwirtschaftete Güter hinterlassen außerdem einen kleineren ökologischen Fußabdruck, da lange Transportwege entfallen. Produzenten, Händler und Konsumenten sind eine Schicksalsgemeinschaft. Die Sorge um das „gemeinsame Haus“, unsere Welt, verbindet Menschen miteinander und mit ihrem Lebensraum, mit der Natur, die sich wie ein schützender Mantel um alles legt. Deswegen ist es wichtig, das Verhältnis von lokaler Erwirtschaftung und internationalen Kooperationen neu zu gewichten.

 

Geist der Lebensfreude und Geduld

Trotz der bedrückenden Momente in der ersten Corona-Zeit war in der Kommunikation der Menschen eine erfrischende Herzlichkeit und Freude spürbar. Wir dürfen uns diese Freude nicht in der Härte der notwendigen Auseinandersetzungen zertrampeln und auch nicht im Gestrüpp der alltäglichen Sorgen ersticken lassen. Am Vorhandensein von Freude erkennt man bereits das Wirken des pfingstlichen Geistes, der von einer falschen Traurigkeit und Verzagtheit befreit. Sie wurzelt tiefer als Spaß, der leicht zum Beiwerk oberflächlicher Unterhaltung verkommt. Freude stellt sich in erster Linie dann ein, wenn Menschen nicht in der Sorge um ihre eigenen Befindlichkeiten steckenbleiben, sondern ihren Blick und ihr Herz für die berechtigten Bedürfnisse ihrer Nächsten weiten. Freude ist ein unersetzbares Frischwasser für alle entbehrungsreichen Zeiten. Sie inspiriert zu kreativen Lösungsansätzen und trägt wesentlich zur Resilienz, also zur inneren Belastbarkeit des Menschen bei. Sie bewahrt vor Verbitterung und Ungeduld.

Zusammen mit Papst Franziskus möchten wir die „Freude des Evangeliums“ mit allen teilen. Jesus Christus ist die immer junge Quelle von Freude und der Impulsgeber für vielfältige Innovationen, die es zur Bewältigung der aktuellen Krise und deren Folgen braucht. „Er kann mit seiner Neuheit immer unser Leben und unsere Gemeinschaft erneuern, und selbst dann, wenn die christliche Botschaft dunkle Zeiten und kirchliche Schwachheiten durchläuft, altert sie nie. Jesus Christus kann auch die langweiligen Schablonen durchbrechen, in denen wir uns anmaßen, ihn gefangen zu halten, und überrascht uns mit seiner beständigen göttlichen Kreativität. Jedes Mal, wenn wir versuchen, zur Quelle zurückzukehren und die ursprüngliche Frische des Evangeliums wiederzugewinnen, tauchen neue Wege, kreative Methoden, andere Ausdrucksformen, aussagekräftigere Zeichen und Worte reich an neuer Bedeutung für die Welt von heute auf.“ (Evangelii gaudium, Nr. 11)

Eine „neue“ Freude wird sich auch mit einem bewussteren, dankbareren Umgang mit Zeit einstellen. Zeit ist ein Geschenk, das wir nicht als Beutestück missbrauchen sollen. Sie ist uns geschenkt, um Beziehungen aufzubauen, um zu lernen, zu arbeiten und Leistungen zu erbringen. Aber sie ist uns auch geschenkt für die Ruhe, für die Kontemplation und heilsame Unterbrechung inmitten aller Aktivitäten. Die oftmals erwähnte Entschleunigung muss ein verlässlicher Bestandteil unseres Lebens werden, damit wir nicht als Getriebene und Gehetzte zugrunde gehen. In diesem Zusammenhang möchten wir auch den freien Sonntag nennen, der eine Errungenschaft unserer Gesellschaft ist, einen sinnvollen wöchentlichen Rhythmus gewährleistet und eine „Sonntags-Kultur“ ermöglicht. Befremdlich erscheinen Bestrebungen, die gesetzlich geregelte Sonntagsruhe in Frage zu stellen und damit insbesondere den Handelsangestellten den freien Sonntag wegzunehmen. Die Corona-Krise sollte nicht zur Umsetzung einer alten Forderung durch die Hintertür missbraucht werden. Den freien Sonntag zu verlieren, wäre in jedem Fall für die Gesellschaft im Ganzen ein Desaster.

Im Zusammenhang einer geistvoll zu erneuernden Alltags- und Feierkultur möchten wir unbedingt auf den unersetzlichen Wert von Kultur und Kunst hinweisen. Leider wurde dieser Bereich, bzw. dieses Feld einer fundamentalen Lebensäußerung von uns Menschen unter dem fragwürdigen Kriterium der Systemrelevanz in den Hintergrund gedrängt. Für eine anstrebenswerte Normalisierung spielen nicht nur offiziell wertgeschätzte, sondern auch fair entlohnte Kulturleistungen eine wesentliche Rolle.

Mit der Lebensfreude geht die Geduld einher. Sie ist in der gefährlichen Forderung nach raschen Lösungen und Befriedigungen aller möglichen Ansprüche ein äußerst gefährdetes Gut. Auch in der öffentlichen Kommunikation brauchen wir ein Mindestmaß an Geduld. Sie lässt Erkenntnisse reifen, gibt die Chance, Korrekturen vornehmen zu können und wirkt entlastend. Gerade im Umgang mit Kindern, heranwachsenden Jugendlichen, Menschen mit Behinderungen und älteren Menschen ist Geduld ein Gottesgeschenk. Gespräche und Begegnungen, die nicht unter dem Druck stehen, Leistung zu erbringen und nützlich sein zu müssen, machen das Leben wertvoll. Das ist ein extrem wichtiger Lernertrag aus der Krise.

Für umso gefährlicher halten wir es, dass gerade jetzt eine Debatte über die Freigabe selbstbestimmten Sterbens neu aufbricht. Alte und kranke Menschen sind Teil unserer Gesellschaft, die für sie hoffentlich auch in Zukunft zu sorgen bereit ist. Geben wir eine neue Antwort auf die soziale Vereinsamung und das Gefühl, nicht mehr gewollt und gebraucht zu werden und den Wunsch, nicht mehr leben zu wollen. Diese Antwort heißt Beistand und Fürsorge. Auch unter starken Einschränkungen und Belastungen können wir einander helfen, ein Grundmaß an Lebensfreude wiederzugewinnen. Vergessen wir nicht, dass es die ältere Generation war, die unseren Wohlstand über Jahrzehnte mitaufgebaut hat.

 

Geist des Vertrauens und der Zuversicht

„Mit Gott geht das Leben nie zugrunde!“ Dieses hoffnungsvolle Wort von Papst Franziskus war Teil einer beeindruckenden abendlichen Meditation mit dem Segen urbi et orbi am menschenleeren Petersplatz Ende März 2020. Wir alle brauchen Worte und Zusagen, die Trost spenden und aufrichten. Die Corona-Pandemie hat das Vertrauen in die Politik, das Gesundheitssystem sowie das Leben insgesamt hart auf die Probe gestellt. Der Papst verwendete das biblische Bild vom Sturm auf dem See, um von der Pandemie zu sprechen: „Der Sturm legt unsere Verwundbarkeit bloß und deckt jene falschen und unnötigen Gewissheiten auf, auf die wir bei unseren Plänen, Projekten, Gewohnheiten und Prioritäten gebaut haben. Er macht sichtbar, wie wir die Dinge vernachlässigt und aufgegeben haben, die unser Leben und unsere Gemeinschaft nähren, erhalten und stark machen.“ Die Krise hat uns viel Souveränität genommen. Vermeintliche Sicherheiten wurden zertrümmert. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich.

Den meisten Menschen fällt es schwer, eine Zeit der Ungewissheit und der vielen offenen Fragen auszuhalten. Vor allem das Gefühl, nichts tun zu können, ist belastend. Einige flüchten in esoterische Praktiken oder werden anfällig für teils krude Verschwörungstheorien. Online-Kommunikationsplattformen machen diese zudem noch leicht verfügbar und bedienen damit die Geschäftsinteressen der dahinterstehenden Krisenprofiteure. Die Verunsicherung treibt aber auch absurde Blüten des übertriebenen Aktivismus, um sich abzulenken und das schleichende Gefühl von Ohnmacht zu verdrängen. Ängste und Perspektivenlosigkeit können beherrschen und lähmen, was zur Überwindung der Situation notwendig wäre: Besonnenheit, Klugheit und eine entschlossene Tatkraft. Aus der negativen Dynamik der Resignation befreit der pfingstliche Geist zu neuem Vertrauen. Er schenkt Mut in und trotz aller Enttäuschungen. Nur Vertrauen ermöglicht neues Leben! Das bezeugen uns viele Menschen, die schon vor uns große Krisen gemeistert haben.

Genau zum Pfingstfest gedenken wir heuer des seligen Pfarrers Otto Neururer. Er war der erste österreichische Priester, der von den Nationalsozialisten ermordet wurde – im KZ Buchenwald, am 30. Mai 1940, auf eine Weise, die an Bestialität kaum zu überbieten ist. Der Pfarrer von Götzens in Tirol war eine mutige und widerständige Lichtgestalt des Glaubens, der Hoffnung und des Mutes in einer der dunkelsten Zeiten unserer Geschichte. Er steht hier stellvertretend für all jene Männer und Frauen, die sich der Perversion der totalitären Ideologie im bedingungslosen Vertrauen auf Gott entgegengestellt haben. Auch unsere Großelterngeneration, die vor 75 Jahren den Bombenschutt aus den Straßen geräumt hat, begann den Wiederaufbau unseres Landes mit einem unermesslichen Vertrauen – mit Gottvertrauen! Und in heutiger Zeit sind es oft die „Heiligen von nebenan“ (Papst Franziskus), einfache Leute, die sich mit einer erstaunlichen Portion Zuversicht den Widrigkeiten des Lebens stellen und sich nicht im Selbstmitleid verschanzen. Diese vielen Zeugen des Vertrauens geben uns Mut und helfen uns, der Fixierung auf vermeintliche Sicherheiten zu entfliehen.

Dennoch bleibt als wohl entscheidende Frage: Wo sind die Quellen der Kreativität, der Innovation und der Hoffnung, die es jetzt braucht? Als Antwortversuch auf diese Fragen möchten wir den Schatz unseres christlichen Glaubens gerne mit allen teilen. Christlicher Glaube wischt keine Probleme weg, verleiht aber eine unerwartete Trotzdem-Kraft in aller Not und gibt den langen Atem sowie Ausdauer für den vor uns liegenden Weg. Glaube stärkt Freiheit und Herzenskraft. Wer glaubt, lebt von Gottes Zusage, immer neu beginnen zu dürfen und die dafür notwendigen Anschubhilfen des Heiligen Geistes zu erhalten. Das Herzstück des Glaubens, die tragende Mitte, ist eine lebendige Beziehung zu Gott, der sich durch den pfingstlichen Geist in unserem Alltag erfahrbar macht. Jesus Christus fordert uns deutlich auf: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ (Joh 14,1) Lassen wir uns also nicht wirr machen im gefährlichen Sog der Ängste und pessimistischen Prognosen und auch nicht „verviren“, weder vom Virus des Misstrauens noch von jenem der Verzweiflung!

Die Corona-Krise hat uns auch als Kirche überrascht und überfordert. Wie alle anderen Institutionen, mussten wir im Krisenbewältigungsbetrieb schrittweise lernen, was zu tun ist. Manche hatten den Eindruck, dass wir vorrangig mit unseren eigenen Angelegenheiten beschäftigt gewesen wären. Wir bitten um Entschuldigung, wo dies der Fall war und dadurch die Sorge für die konkreten Anliegen der Menschen zu kurz gekommen ist. Die Regulierungen der liturgischen Praxis waren jedoch notwendig, um ein Mittragen der behördlichen Maßnahmen zu signalisieren. Es ist in jedem Fall ermutigend, wie groß dennoch das kirchliche Engagement an den zahlreichen Knotenpunkten des öffentlichen Lebens war: bei der Telefonseelsorge, in der Caritas, bei den vielen Initiativen zur seelsorglichen Kommunikation auf Pfarrebene und in den Einrichtungen der verschiedenen Ordensgemeinschaften.

Viele Priester, Männer und Frauen in der Seelsorge und zahlreiche Ehrenamtliche haben trotz der Beschränkungen sehr kreative Wege beschritten. Wer hätte sich vor Corona gedacht, dass Pfarren und kirchliche Einrichtungen so schnell und intensiv die digitalen Medien nutzen? Wir arbeiten weiterhin an einer lern- und erneuerungsbereiten Kirche, die ebenso gefordert ist, sich geistvoll auf eine „erneuerte Normalität“ einzustellen. Rufen wir uns nochmals das Pfingstereignis in Erinnerung: Der Heilige Geist wurde allen geschenkt – nicht nur den Gebildeten, Gesetzeskonformen und Frommen.

Der pfingstliche Geist ermutigt uns zu einer neuen Geschwisterlichkeit, die jenseits aller träumerischen Bilder eine reale Verbundenheit der Menschen bewirkt. Als Bischöfe bekennen wir uns zu einer lebensdienlichen Kirche, die mitten in der Welt steht, für die ganze Gesellschaft Wertvolles leistet und so von immer mehr Menschen auch als „systemrelevant“ erlebt wird.

 

Abschluss

Wir wissen um die Notwendigkeit, die Herausforderungen, die wir in diesem Schreiben benennen, als Gestaltungsauftrag anzunehmen. Eine „erneuerte Normalität“ kann entstehen, wenn wir mit dem Vertrauen kraftvoller Zuversicht gemeinsam aufbrechen. Unsere Stellungnahme will ein konstruktiver und einladender Gesprächsbeitrag sein, keine Lehrmeinung und keine abschließende Deutung der benannten Themen. Bereiten wir in unserer Gesellschaft und in unserer Kirche viele Lern-, Denk- und auch Gebetsorte vor, wo diese geistvolle Normalität jetzt schon gelebt wird.

Für alle Menschen, die in unserem Land wohnen und mit denen wir auch über die Grenzen hinaus verbunden sind, erbitten wir in der Erwartung des Heiligen Geistes zum Pfingstfest 2020 den Segen des Dreifaltigen Gottes.

Mit einem herzlichen Grüß Gott!

Die katholischen Bischöfe Österreichs