Nähe auf Distanz

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Da war ich also nun – in Quarantäne sozusagen: der Radius meines Lebens war von einem Moment auf den anderen praktisch auf das Gebiet des jahrhundertelangen Bischofssitzes nahe Leibnitz beschränkt. Termine, Begegnungen, Reisen wurden sukzessive abgesagt und verschoben. „Wie kann es mir in einer solchen Situation gelingen, meiner Aufgabe als ‚Hirte‘ nachzukommen?“ Dass ich die tägliche Messfeier in der kleinen Gemeinschaft über die modernen Medien übertrage, war sofort klar. Doch: „Wie die Menschen in der Steiermark, die in dieser Zeit auf praktisch alle Möglichkeiten, ihrem Glauben Ausdruck zu verleihen verzichten müssen, nahe sein und ihnen Anregungen oder Hilfen zum Vertiefen ihrer persönlichen Beziehung zu Gott mitgeben?“

Schnell war die Idee geboren, meine „Tages-Gedanken“ nicht bloß als Text, sondern als „virtuelle Andacht“ ins Netz zu stellen. Dadurch sollte den interessierten die Möglichkeit geboten werden, wann immer sie für einige Minuten Zeit hätten, „mit“ mir zu beten und um den Segen für den Tag zu bitten. Wenn nun mit der erneuten Ermöglichung „öffentlich“ Gottesdienst zu feiern, diese Videoclips zwar eingestellt werden, so bleibt der tägliche Impuls – und damit hoffentlich auch die Art und Weise irgendwann am Tag kurz innezuhalten, in der Bibel zu lesen, darüber nachzudenken, sich vor Gott zu stellen und ihn um seinen Segen zu bitten – auch weiterhin auf der Startseite unserer Homepage erreichbar. Die Zugriffe auf diese einfache Andacht und die Reaktionen darauf zeigen, wie wichtig es für den einen oder die andere ist, das tägliche Leben im Glauben zu vertiefen.

Eine „klassische“ Form des Mitseins des Bischofs mit seinen Gläubigen ist die des Hirtenwortes. Stärkendes, Aufmunterndes und zugleich Wege in die Zukunft Eröffnendes habe ich in mehreren Hirtenworten während dieser Wochen den Gläubigen zu schenken versucht. Ob und wie diese Form der Nähe die Zielgruppe erreicht hat – die Versammlungen am Sonntag in unseren Kirchen waren ja ausgesetzt – kann ich nicht beurteilen – so blieb das Intgernet und unser Sonntagsblatt. Da ich aber ohnedies die Jahre als Bischof dieses Instrument spärlich benutzt habe – im Wissen darum, dass die persönliche Begegnung und das Wort dabei viel tiefgreifender sind – scheint es dennoch sinnvoll gewesen zu sein, dieses Instrument zu verwenden. Freilich sollte darüber nachgedacht werden, ob diese traditionelle Form der Kommunikation zwischen dem Bischof und dem Gläubigen eines Bistums nicht generell in neuen Schläuchen gedacht werden sollte.

Bald ist auch die Idee aufgekommen, verschiedenen Gruppen von Mitarbeitenden in der Diözese gleichsam „persönlich“ zu schreiben. So entstanden im Laufe der Wochen Briefe an die Mitarbeitenden der Krankenhaus- und Pflegeheimseelsorge, die Elementarpädagoginnen, die im Religionsunterricht Tätigen, die Priester, Diakone und Ordensleute, die Ehrenamtlichen in unserer Diözese, die in der Telefonseelsorge, die in der Krise weit mehr Anrufe zur Begleitung entgegennehmen mussten als sie es üblicherweise tun, all jene die an einem anderen Platz in der Pastoral oder in unserer Diözese hauptamtlich ihren Dienst ausüben, die Mitarbeitenden in der Caritas usw. Allen wollte ich ganz einfach „Vergelt’s Gott!“ sagen und sie ermuntern, unter den gegebenen Umständen kreativ auch weiterhin allen nahe zu sein, die uns aufgegeben sind. Darüber hinaus habe ich in den vergangenen Wochen auch verschiedenen Verantwortungsträgern in unserer Gesellschaft meiner Nähe und meines Gedenkens versichert und ihnen für ihren Einsatz gedankt. Nach Ostern war es auch klar, dass ich mich in einem Schreiben an jene wende, die in Heimen der Pflege bedürfen und auch jenen meine Zuneigung zeige, die zu Hause der Pflege bedürfen.

Mittels der neuen Medien wurde eine von einer Mitarbeiterin des Ordinariats zusammengestellte „Lebensmeditation“ gestaltet, die auf YouTube nach wie vor in etwas mehr als 30 Minuten einlädt, das persönliche Leben vor und mit Gott zu bedenken. Hierbei war es möglich, einer wohl auch durch die Krise gebeutelten Familie, die professionelle Videos herstellt, ein wenig unter die Arme zu greifen. Und für den Mai wurden dann Marien-Gedanken aufgezeichnet:

Beim Niederschreiben dieser Gedanken ist mir eine Idee eines Religionslehrers eingefallen, der mit seinen Schülern der Neuen Mittelschule Birkenfeld eine „Karwochen-Challenge“ durchgeführt hat. Ich produzierte mit meinem Smartphone einige kurze Videoclips aus dem Schloss Seggau und stellte diese gemeinsam mit den Informationsvideos zu Bräuchen in der Karwoche des Diözesanmuseums auf meine Homepage. Die Schüler und Schülerinnen hatten die Aufgabe, die in diesen Videos verborgenen Fragen zu beantworten. Wie mir berichtet wurde, war es nicht immer leicht.

Schließlich wurde ich noch gebeten – und ich hoffe nicht zu viel vergessen zu haben – Mutworte zum Osterfest unter diesen herausfordernden Bedingungen für die Jugendlichen in einem Videoclip zum Besten zu geben und auch den Firmkandidatinnen und Firmkandidaten des heurigen Jahres, deren Fest verschoben werden musste, mittels eines Videos für Ihr Verständnis zu danken und ihnen gleichzeitig auch zu sagen, dass das Fest der Firmung wohl für sie ein „ganz besonderes“ werden wird. Andere Ideen wurden wieder fallen gelassen, etwa dass ich auch ein Wort an die Erstkommunionkinder versende, wohl auch deswegen, weil die Erstkommunion nicht so sehr am Bischof „hängt“ wie die Firmung …

Natürlich gilt es zu sagen, dass all das die persönliche Begegnung nicht ersetzen kann – zugleich aber rufe ich mir vergangene Jahrhunderte in Erinnerung, in denen das übliche Lebensumfeld auch nicht viel größer war. Also: das, was möglich ist, tun. Ich hoffe, es ist mir ein wenig gelungen.

Schlecht verhandelt?

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Vor einigen Tagen kam eine Bitte zu mir, doch noch einiges „nachzuverhandeln“ mit der Regierung: das letzte Wort sei hoffentlich noch nicht gesprochen, was die Feier der Gottesdienste ab 15. Mai anlange … Kann über bzw. mit gesundheitliche/n Fragestellungen „verhandelt“ werden? Bzw.: eignet sich diese Frage überhaupt für „Verhandlungen“, als ob das Virus sich daran halten würde?

Zur Erinnerung: nachgewiesenermaßen verbreitet sich das Virus über Tröpfeninfektion. Das ist unbestritten, soweit ich es sehe, auch wenn gesagt werden muss, dass trotz allem, was derzeit weltweit geforscht wird, wir noch recht wenig wissen – ich auf alle Fälle. Daraus folgt für mich: alles, was mit Atmen etc. zu tun hat, erst recht niesen oder husten – eigentlich ganz normale menschliche Vorgänge, ist – was die eventuelle Verbreitung des Virus anlangt – „gefährlich“, noch dazu wenn es in geschlossenen Räumen passiert, die dann unter Umständen auch noch schwer quer zu durchlüften sind. Die Atemluft mit kleinsten Tröpfchen, in denen sich halt auch Viren befinden können, bleibt eben – wie dieses Forschungsvideo des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus Japan (leider auf Englisch) zeigt bleibt überdies für längere Zeit gleichsam vor der Person „stehen“, die diese ausstößt. Darüber hinaus wurde – mittlerweile wohl auch allgemein anerkannt – besonders eine Personengruppe zur primären Risikogruppe erklärt: Menschen über 65 mit Vorerkrankungen.

https://www.youtube.com/watch?v=H2azcn7MqOU

Daher die beiden Grundprinzipien: wechselnde physische Kontakte – erst recht länger andauernde – sollen weitgehend vermieden  sowie Abstand zu anderen eingehalten werden, ausgenommen freilich zu jenen, mit denen wir im gemeinsamen Haushalt leben. Und das ist doppelt wichtig in geschlossenen Räumen. Darüber hinaus ist Sprechen etc. auf ein Minimum zu reduzieren – und damit auch singen. Nunmehr ist es so, dass gottesdienstliche Feiern in geschlossenen Räumen wie es eben Kirchen sind – oft auch schlecht quer zu durchlüften – leider alle diese „Gefahrenquellen“ mit ihren Feiern bergen. Noch dazu: da atmet man – weil wenig Bewegung und daher zumeist einen längeren Zeitraum hinter bzw. neben den gleichen Personen – aus und singt und spricht … Wenn man zur Minimierung des Risikos eine Maske trägt ist automatisch klar, dass weniger gesungen und gesprochen werden soll, damit sich eben die Maske nicht durchfeuchtet und mit der Zeit dieser Schutz „wegfällt“.

Und selbst im Freien ergeben sich bei gottesdienstlichen Feiern in anderer Ausgestaltung dieselben Risiken – mal abgesehen davon, dass es durch ein „Lüfterl“ des öfteren die Atemluft „vertreibt“.

Wenn wir nun ernst nehmen, dass wir Gott und die Nächsten gleich lieben sollen wie uns selbst – immerhin das erste uns von Jesus nahegelegte Gebot – haben wir für die Feier von Gottesdiensten sehr hohe Maßstäbe anzulegen, weshalb auch die Kirchenmusikkommission in Österreich ein Merkblatt herausgegeben hat, in dem Fragestellungen rund um Musik und Gesang für diese Zeit der Corona-Krise festgehalten werden. Dass Gottesdienste in geschlossenen Räumen mit 15. Mai unter Auflagen – es ist eben ein 1. Schritt und keineswegs noch die Rückkehr zum „alten Normalzustand“ – „freigegeben“ wurden, ist daher nur verständlich, aber eigentlich ein Zugeständnis, da die Grundprinzipien und das allgemein zu Beachtende hier mit Ausnahmen versehen werden, weil „es eben nicht anders geht“. Natürlich kann sofort dagegen eingewendet werden: in Restaurants gibt es andere Abstandsregeln und auch das mit der Maskenpflicht ist anders … Das stimmt, aber auch diese „Freigaben“ sind „Ausnahmen“ und eben diese Ausnahmeregelung ist dem spezifischen Ort angepasst: wenn ich Essen zu mir nehme oder immer wieder was trinke, tue ich mir mit einer Maske eben schwer, ganz abgesehen davon, dass beim dauernden „rauf“ und „runter“ aus virologischer Sicht Fehler gemacht werden könnten. Daher ist eben – auch zum Leidwesen von Gastronomen Schankausgabe nach der für 15.5. zu erwarteten Verordnung verboten. In der Kirche aber ist das mit der Maske anders, da es da einen einmaligen Akt gibt, wo ich sie leicht wegschieben muss: die Kommunion. Da auch dort unter Umständen was „passieren“ kann, soll die Messe nach der Kommunion ohne Dankgesang und Verlautbarungen zu Ende gefeiert werden … Auch das mit den Abstandsregeln im Gasthaus kann als Ausnahme von der Regel „erklärt“ werden: am selben Tisch dürfen max. 4 Personen (+ Kinder, also Menschen aus demselben Haushalt) sitzen – allein zu essen ist dem, wofür Restaurants stehen eben auch nicht entsprechend. Daher wird hier von der Regel eine Ausnahme gemacht, die lebbar ist. Die lebbare Ausnahme von der Regel in den Kirchen als geschlossenen Räumen ist eben für diese Räume angepasst, damit es überhaupt die Möglichkeit gibt, Gottesdienste zu feiern. Trefflich lässt sich dann sofort noch streiten über „1 m“, „1,5 m“ oder „2 m“ … Was dient wirklich? Und da denke ich nicht nur an die physische Gesundheit derer, die mit uns feiern – und das wiederum sind eben oft auch Personen aus der Risikogruppe, wenn ich es recht sehe …

Regeln sollen eigentlich helfen, den zu schützenden Wert in Erinnerung zu rufen: Kasuistische Fragestellungen [wie etwa: „Wenn es eine Taufe bei der Sonntagsmesse gibt, dürfen dann nur 10 Personen feiern?“ Ganz abgesehen von der Fragestellung, wenn ein Gottesdienst im Freien geplant ist, mehr Personen mitfeiern wollen und dann aufgrund der Wetterlage dieser nicht gefeiert werden kann: wen schicke ich weg?] führen zu nichts. Hausverstand und vor allem Verständnis der Prinzipien ist notwendig, dann ist manches an Entscheidungen vielleicht eher nachzuvollziehen, die diese auf konkrete Handlungen „herunterbrechen“. Ach ja: auch an die Eigenveranwortung kann erinnert werden, die den Nächsten und sein Wohlergehen in die Beurteilung mit einbezieht …

Fokussiert

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Ich kann mich noch gut erinnern: in meiner damaligen Aufgabe als Regens des Bischöflichen Seminars, heute des Bischöflichen Internats, berichtete der pädagogische Leiter von einem Sicherheitstraining an dem er – von der Polizei veranstaltet – teilgenommen hat. Die Übungsannahme für die Pädagogen, die diesen Kurs belegt hatten, war: ein Vater kommt in die Schule, um sich beim Lehrer über eine für ihn falsche Benotung seines Kindes zu beschweren. Die Szene vor dem vermeintlichen Konferenzzimmer wurde gefilmt. Keiner der Probanden – es waren einige – habe im Streit, der gespielt wurde, wahrgenommen, dass der „Vater“ längere Zeit hindurch mit einem Messer vor dem Gesicht der Lehrperson herumfuchtelte. Die Moral von der Geschichte: in Stresssituationen verengt sich dein Blick, bist du auf eine Sache ganz fokussiert und bist nicht mehr fähig, das Umfeld der rechten Art und Weise wahrzunehmen.

Ähnliches glaube ich in den vergangenen Wochen längere Zeit hindurch angesichts der „Corona- Krise“ wahrgenommen zu haben. Praktisch alle Medien waren voll von Berichten über ein „unsichtbares Etwas“, das praktisch die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzt. Die täglichen Informationssendungen im Fernsehen wurden nicht nur verlängert, sondern auch auf alle Kanäle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durchgeschaltet. Auch die durch den sogenannten „lockdown“ bedingten großen Herausforderungen in unserem Land – genannt seien hier etwa die Zunahme an Arbeitslosen, die mehr als 1 Million Menschen in Kurzarbeit, die vielerorts und oft nicht bedachten Menschen in den sogenannten „systemrelevanten Berufen“, die großen wirtschaftlichen Verwerfungen usw. – wurden unter dem Blickwinkel von Covid-19 thematisiert. Pressekonferenzen, neue Verordnungen und Entscheidungen, in großer und notwendiger Schnelligkeit beschlossene Gesetze – wir alle wissen um die Entwicklungen der vergangenen Wochen. Die ganze Welt und damit auch viele in Österreich waren fokussiert, waren fixiert auf das Virus. So als ob auf dem ganzen Planeten während dieser Zeit niemand an Hunger leiden würde, niemand durch Waffengewalt, durch Krieg, durch Flucht und Vertreibung, durch Armut usw. geplagt wäre: aufrechter Blick und damit Orientierung in die Zukunft ist angesichts des langsamen und dennoch entschiedenen Vorantastens in einer Krise nicht recht möglich. Und dennoch: die Welt mit ihren schon fast zur Normalität gewordenen Problemen dreht sich dennoch weiter: zwischendurch gab es einmal einen Bericht über die Unsummen, die nach wie vor in der Welt für die Produktion von Waffen ausgegeben werden.

Für mich und uns bleibt die Frage: „Wie können wir es schaffen, wieder mehr und stärker uns im Ganzen wahrzunehmen?“

Bei diesen Überlegungen hilft mir die zeitliche Einordnung der Krise im Jahreslauf von 2020: Sie ereignet sich im sogenannten Osterfestkreis unserer Kirche, der mit dem Aschermittwoch und der Fastenzeit beginnt und über die Karwoche und Ostern bis zum hohen Pfingstfest dauert. Interessant dabei ist zweifellos ein mehrfaches:

  • Während der Fastenzeit wurde uns Quarantäne auferlegt – wie stimmig: „Quarantäne“ und „quaresima“, die italienische Bezeichnung für Fastenzeit, haben dieselbe Wortwurzel. Wurden früher Seefahrer, die erkrankt waren, zur Sicherheit 40 Tage lang auf dem Schiff im Hafen festgehalten, so dient auch die 40-tägige Fastenzeit der Selbstbesinnung und damit der Klärung und Besinnung auf das Wesentliche unseres persönlichen Daseins.[1] Gesund zu sein ist eben mehr als bloß keine Krankheit haben. Die uns auferlegte Fastenzeit wurde somit zur Möglichkeit der Neuorientierung.
  • Unmittelbar nach der Auferstehung unseres Herrn zu Ostern wussten die Jünger nicht recht, wie sie mit dieser Erfahrung umgehen sollten: Sie schlossen sich in Selbstisolation im Obergemach ein. Erst mit dem Heiligen Geist ausgestattet war es ihnen möglich, von dem, was sie erlebt hatten, Zeugnis zu geben: erst danach schafften sie es, die Botschaft des Lebens bis an die Grenzen der damals bekannten Erde zu bringen. Das leere Grab allein vermochte nicht, sie zum Gehen zu bringen. Es brauchte die Begegnung mit ihm in Galiläa und die Stärkung durch den Heiligen Geist.[2]

Vielleicht gelingt es auch uns im Jahr 2020 rund um Pfingsten aufs Neue die Berufung der Kirche, ihre Sendung hinein in diese unsere Welt mit all ihren Fragestellungen und Herausforderungen an Solidarität und Nachhaltigkeit usw. zu formulieren?

[1] Ich verdanke diese Erkenntnis dem Büchlein von Anselm Grün: Quarantäne, Freiburg 2020.

[2] Dankbar für diese Überlegungen bin ich zum Einen dem früheren Dogmatiker in Innsbruck Jozef Niewiadomski (https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/1299.html 1.5.2020) bzw. Tomáš Halík (http://www.venio-osb.org/fileadmin/content/halik-theologie-pandemie.pdf 1.5.2020).

Umgang mit Regelungen

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Da gibt es also „Grundprinzipien“ in dieser Krise, denn es geht ja darum, die Verbreitung des Virus einzudämmen:

  • möglichst wenige physische Kontakte mit anderen Personen
    Und daher eben nicht zu viele unterschiedliche Personen, die nicht im selben Haushalt leben, in einem Raum, keine – zu großen – Veranstaltungen bzw. Treffen etc. (zum heutigen Tag daher Beschränkung auf 10 Personen, außer in Ausnahmefällen wie bei Begräbnissen), vor allem was mit länger andauernden Kontakten mit immer denselben Personen in der Umgebung anlangt (also für Singen, gemeinsames Sprechen, längere Treffen und Sitzungen von Bedeutung)
  • Abstand halten
    Rektor Müller von der MedUni in Wien hat uns Bischöfe auf ein Video aufmerksam gemacht, in dem japanische Forscher die Atemluft und die in ihr zirkulierenden Aerosole sichtbar gemacht hat, aus dem deutlich hervorgeht, wie lange sich kleinste Tröpfchen aus der Atemluft unmittelbar vor der sprechenden bzw. singenden Person halten
  • (Hände-)Hygiene
  • Schutz der Risikogruppe: ältere und vor allem ältere Menschen mit schweren Vorerkrankungen

Aus diesen Prinzipien heraus erwachsen dann Regelungen etc., die freilich auch noch von anderen Kriterien geleitet sind:

  • es gibt eben nicht nur die „physische Gesundheit“, sondern viele leiden auch unter Einsamkeit und Isolation
  • wie geht „distance learning“, wenn wir nur unzureichend darauf vorbereitet sind – und welche Konsequenzen für das Bildungswesen hat das „Einfrieren gesellschaftlichen Lebens“
  • es gibt wirtschaftliche Fragestellungen, die enorm sind – manche Fragestellungen können wir derzeit erahnen: Arbeitslose, Kurzarbeit, zahlungsunfähige Betriebe usw.
  • da das Virus unbekannt ist, gibt es darüber erst erste Forschungen etc. – wie also sind Entscheidungen zu treffen: welche Fakten werden herangezogen, sind die gesetzten Maßnahmen wirklich der Situation und der Not entsprechende?

Wenn ich auf unsere kirchlichen Entscheidungen der letzten Wochen blicke, die – auch deswegen weil es eben die sichtbarste und mit dem Begriff „Kirche“ am ehesten in Verbindung gebrachte Form des Lebens ist – hauptsächlich gottesdienstliche Fragestellungen betreffen, dann könnte alles auf diesem Hintergrund, vor allem ausgehend von den Grund-Prinzipien durchbuchstabiert werden und bedeutet dann eben unter anderem:

  • in Kirchen – weil sie geschlossene Räume sind und weil dort bei Gottesdiensten längere Zeit mit denselben Personen, meist nicht aus demselben Haushalt, gemeinsam gesprochen und gesungen wird: größere Sicherheitsmaßstäbe – und daher 2 m Abstand voneinander, insgesamt 1 Person auf 10 m2 – und das wiederum ist ein Unterschied zu Geschäften, wo die Kontakte mit anderen Personen eher kurzzeitig und wechselnd sind;
    und – wo es möglich ist – von vorneherein Vermeidung von Situationen, in denen Menschen aus verschiedensten Gegenden zusammenkommen, damit ggf. die Virusausbreitung nicht vorangetrieben wird: daher eben für „besondere Feste“ wie Trauungen [übrigens auch staatlich] und Taufen Beschränkung der Zahl der Feiernden.
    Anders ausgedrückt: dass Gottesdienste unter den eben genannten prinzipiellen Möglichkeiten derzeit überhaupt erlaubt werden – mit mehr als 10 Personen – ist die Ausnahme und nicht die Regel, von der andere abgeleitet werden könnten. Dies zu kommunizieren ist sehr schwer, auch deswegen, weil jeder von uns von den Bildern geprägt ist, die er im Kopf und über viele Jahre „abgespeichert“ hat. Das geht auch mir so – und ich musste auch in den vergangenen Wochen so manches „lernen“ …
  • im Freien gelten daher derzeit die „üblichen Regeln“
    Prinzipiell gilt es dort mit den Aerosolen ähnlich, da aber durch den Luftzug (Wind) mitunter zu rechnen ist, ist es nicht so
    Dass wir Bischöfe hier für die Feier von Gottesdiensten in Austausch mit den Verantwortlichen sind, darf uns geglaubt werden. Dass wir als Institution, die Menschen „zusammenbringt“ aus verschiedenen Generationen und verschiedenen „Weltgegenden“ eben da nicht von vornherein auf Ausnahmen pochen können, muss uns auch bewusst sein, denn: jede Organisation hat ihre eigenen Notwendigkeiten. – Dass freilich bei uns auch die Religionsfreiheit als Menschenrecht ins Treffen geführt werden kann, stimmt; zugleich ist auch zu ergänzen, dass dennoch die Verantwortung einzukalkulieren ist, dass eben ein Virus, was Ansteckungsgefährdungen anlangt, wohl nicht unterscheiden wird, aus welchem Grund Menschen zusammenkommen.
  • Dass dann so manches eben – scheinbar oder doch real (?) – widersprüchlich ist, ist nicht zu vermeiden, wie etwa:
    * die Öffnung von Gaststätten mit 15. Mai ist eben auch die Ausnahme von der Regel und kann daher nicht als Vergleich herangezogen werden*
    * Demonstrationen unterliegen dem Versammlungsrecht und sind im Freien unter besonderen Auflagen erlaubt; vom Versammlungsrecht aber sind gottesdienstliche Formen explizit ausgenommen und daher wieder analog zu Veranstaltungen zu sehen etc.

Wie also sollen nun Regelungen aussehen, die wir herausgeben? –

  • Im Grunde wäre es das Sinnvollste, wenn die Grundprinzipien klar sind. Sind sie es? Und: ist jeder fähig, die entsprechenden Schlüsse daraus zu ziehen?
    Andererseits steckt der „Teufel“ im Detail und man denkt einfach nicht – ohne Vorwurf gesagt- dass in eingespielten Abläufen, wie etwa bei der Bereitung der Gaben für die Feier der Eucharistie – unter Umständen -zig Hände und damit unterschiedliche Personen im Spiel sind, die eine Verbreitung des Virus begünstigen könnten – in Kroatien etwa hat ein zum damaligen Zeitpunkt symptomfreier Priester Sonntagsmessen gefeiert und Kommunion gespendet, war aber bereits ansteckend – rund 1.000 Personen mussten danach in Quarantäne gehen …
  • Daher wurden wir – auch von den Priestern – aufgefordert, ziemlich detaillierte Regelungen herauszugeben. Letztere haben wieder den Nachteil, dass man die Grundprinzipien aus dem Auge zu verlieren und in unselige Kasuistik abzugleiten droht, etwa in die Frage: „Wieso bei Trauungen nur 10, bei Jubelhochzeiten aber die ’normale‘ Anzahl?“ Nur weil manches erlaubt ist bzw. scheint, muss es noch nicht sinnvoll sein [Stichwort etwa Schutz der Risikogruppe bei Goldenen Hochzeiten] und nur weil es nicht kontrolliert wird ist es auch nicht automatisch erlaubt …
  • Auch die Idee bei „Richtlinien“ zu ergänzen, dass „kreativ“ mit diesen umzugehen ist, löst die Fragestellungen nicht aus: können Richtlinien wirklich alle nur denkbaren Fälle abdecken? Und: die einen brauchen klare Geländer, an denen sie sich entlanghanteln können, um gut und frei zu sein. Für andere wiederum ist jede Regelung schon Einschränkung der persönlichen Freiheit …
    Der langen Rede kurzer Sinn: wie man es auch macht, es ist „sicher“ falsch, aber wehe, du machst gar nichts …

Auch hier wird etwas deutlich, dass eigentlich gerade dann wichtig wäre, wenn – so wie wir jetzt in dieser Krisenzeit – angesichts herausfordernder Situationen eigentlich wenig Zeit bleibt, nämlich dass Kommunikation und damit Zeit, Zeit, Zeit und Geduld, Geduld, Geduld nötig ist … Und auch Vertrauen, dass man/frau sich dabei etwas gedacht hat …

stellvertretend

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

„Wie als Bischof den Menschen nahe sein, wenn man ihnen nicht persönlich nahe sein darf und kann?“ Diese drängende Frage beschäftigte mich von Anfang an, seit ich mich entschlossen hatte, mit Sack und Pack für eine gewisse Zeit nach Seggau zu ziehen. Eine Möglichkeit hat sich schnell angeboten: die „Kleine Zeitung“ teilte mit, dass sie bereit wäre, für die Zeit, in der es keine „öffentlichen“ Gottesdienste geben darf, Gottesdienste, denen ich vorstehe, ins Netz zu übertragen. Ohne viel nachzudenken bejahte ich. Und wieder eine Änderung in meinem gewohnten Tagesablauf: War ich es in Graz gewohnt, jeden Tag mit einer anderen Gemeinde zu feiern – einmal pro Woche im Bischofshof, die anderen Tage bei meinen Verpflichtungen auswärts oder aber in Ordensgemeinschaften bzw. Pfarren und immer auf einfache Weise – so war für mich schnell klar, dass ich mich nunmehr täglich herausgefordert wissen darf, ein deutendes Wort den Menschen mitzugeben, die gleichsam „als Kranke“ teilnehmen und für die es schon seit Jahrzehnten Gottesdienstübertragungen in den Medien gibt. Ich meinte, damit den Fernen nahe sein zu können.

Denn „social distancing“ meint lediglich anderen nicht physisch nahe sein zu können, niemals aber die sozialen Kontakte abbrechen zu lassen. Natürlich: eine Übertragung – sei sie auch noch so professionell gemacht – kann die persönliche Anwesenheit vor Ort der feiernden Gemeinde nicht ersetzen. Da ich aber ohnedies an einem Ort war, von dem ich wusste, dass es in den kommenden Wochen „mein Kloster“ sein würde, wurde stärker als bislang die Dimension der „Stellvertretung“ für mich erfahrbar. Auch wenn die Gestaltung der Messe im kleinsten, „familiären“ Kreis von einer der in Seggau lebenden Ordensfrauen mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln einfachst war: Wir feierten „mit“ unsichtbaren Menschen, die allein, krank, ein Stück weit ohne Hoffnung, zu Hause in der Familie, oder wo auch immer die Gelegenheit nutzten um über verschiedene Kanäle im Internet mit uns verbunden zu sein. Klar war für mich – etwas, was ich bislang in dieser Art nicht gemacht hatte – meine deutenden Worte der Predigt auch täglich ins Internet zu stellen.[1] Mehr Arbeit als bislang. Einige Tage später – diese Überlegung wurde an mich herangetragen – war die Idee geboren, mit den „Unbekannten“ in gewisser Weise in Dialog zu treten. Wir richteten die E-Mail-Adresse gebetsanliegen(at)graz-seckau.at ein und baten um Anliegen, die wir in der heiligen Messe oder auch in der Anbetung vor Gott hinlegen könnten. Dieser Einladung folgten beinahe täglich einige. Einmal kamen per Audio-file Bitten von Ministranten aus Leoben, die wir abschrieben und laut vortrugen – die uns zur Verfügung gestellte Technik war fix vorhanden, wir vor Ort aber waren wirklich nur jene, die dort gelebt haben. Dass wir mit und für andere feierten wurde auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass ich bei jeder Messe besondere Gebetsanliegen benannt habe: Berufs- und andere Gruppen wurde gedacht, die in der Krise der besonderen „Nähe“ bedürfen; samstags wurde bewusst der Verstorbenen der letzten Tage gedacht, von denen sich Menschen nur im „kleinsten Kreis“ verabschieden konnten.

Die Reaktionen waren großteils dankbare. Auch wenn es durch die einfache Gestaltung – 1 Kamera, damit auch 1 Kameraeinstellung, weil ohne Kameramann – nicht möglich war, einen „vollen Eindruck“ der Feier zu übertragen: wir feierten. Und wir blieben weitestgehend bei der Regelmäßigkeit dieser Übertragung.
Nebenbei: bei der realen mit Feier eines Gottesdienstes erlebe ich den Raum üblicherweise auch nicht aus verschiedensten Perspektiven. Und wir feierten für viele. Vor allem waren auch jene präsent, denen die reale Mitfeier von Gottesdiensten und damit Sakramenten während dieser Wochen schmerzlich unmöglich war. Gerade deswegen kann ich so manche kritische Kommentare von Wissenschaftern oder kirchlichen Mitarbeitern wirklich nur schwer nachvollziehen, die darin eine „Klerikalisierung“, eine „Priester-“ oder gar „Bischofs-Fixiertheit“ zu konstatieren meinen. Dass sich Kirche eben auch (!) liturgisch „äußert“ und wohl in der Öffentlichkeit hierüber am ehesten wahrgenommen wird [die organisierte Caritas wird eher als solche und nicht {nur} als Kirche wahrgenommen, kirchliche Bildungseinrichtungen und Krankenhäuser sowie Pflegeheime etc. sind im Bewusstsein so mancher auch nicht automatisch unter dem Bild „Kirche“  abgespeichert …].
Natürlich: jene, die gezwungen waren, vor einem Bildschirm zu sitzen und nicht real mitfeiern konnten, waren nicht „greifbar“. Und dennoch: in unseren Feiern waren sie stets präsent.
Freilich: das Zu- und Miteinander der feiernden Gemeinde, also von jenen, die in der Liturgie einen Dienst ausüben und jenen, die im Volk Gottes sitzen, knien, stehen, beten und singen, war vor Ort auf ein Minimum reduziert. Aber wir fünf beteten für alle – und so manche Nachricht, die mich erreicht hat, machte mir deutlich, wie sehr es Menschen gestärkt hat. Zumindest haben wir durch das einfache „response-Element“ der einzubringenden Bitten versucht, unter den gegebenen Umständen das Miteinander zu leben.
Schließlich: der auch des Öfteren herangetragene Einwand, dass ein Gutteil der „Zielgruppe“, also ältere Menschen, mit einer Übertragung im Internet nicht zurechtkämen, ist nicht zu entkräften. Wir jedenfalls haben versucht – auch ob der durch andere Umstände mir nunmehr aufgelegten zeitlichen Ordnung – durch unterschiedliche und doch regelmäßige Feierzeiten verschiedene Menschen zu erreichen. Die Vielfalt an Übertragungen aus anderen Gegenden der Steiermark und Österreichs – wenn ich es recht sehe auch andere Feiern, die sich alsbald auftat, erleichterten es uns, auf so manche Anfrage, ob es nicht zu einer anderen Zeit möglich wäre, positiv zu antworten: wir verwiesen auf andere uns bekannte Angebote. Darüber hinaus war es auf dem einen oder anderen übermittelten Foto berührend zu sehen, wie Kinder oder Enkel ihren älteren Familienbewohnern dabei halfen, mitzufeiern.

[1] Die Predigten sind auf der Homepage der Diözese abrufbar.

neue Ordnung: ein Segen

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Der Tag in Seggau hatte seine eigene Ordnung. Durch den Wegfall vieler Verpflichtungen, die ich als Bischof aus meinem Kalender streichen musste, ergab sich die Gelegenheit, den Tagesablauf neu zu regeln. Wir trafen uns in der kleinen Gemeinschaft regelmäßig: das gemeinsame Stundengebet, die Feier der heiligen Messe und auch die Anbetung – wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten an den verschiedenen Wochentagen – ließen mich das geistliche Leben in anderer Weise vertiefen als es mir mit den Verpflichtungen des Alltags sonst gewährt worden wäre. Ordnung trägt. Eine Erfahrung, die auch in dem einzigen Büchlein geschildert wird, dass sich während meiner Tage nach Leibniz zu lesen imstande war. Der Benediktinerpater Anselm Grün hat innerhalb kürzester Zeit versucht, aus der Regel des heiligen Benedikt und der Erfahrung mönchischen Lebens in der Klausur Weisheiten für das Leben der Allgemeinheit in „Quarantäne“ zu formulieren. Es liest sich leicht und gibt Erfahrungen weiter, die Ordensleute schon seit 1500 Jahre machen – eben hinter Klostermauern. Ein Moment, das Grün beschreibt, ist ein „geordnetes“ Leben. Immer wieder war in verschiedensten Berichten dieser Tage, die ich gelesen oder gehört habe, davon die Rede, wie wichtig angesichts der verschiedenen Herausforderungen – Home Office verbunden mit Haushalt verbunden mit Homeschooling usw. – eine Struktur ist, die man sich selbst oder eben in einer Familie gibt. Verbunden mit den regelmäßigen Essenszeiten und auch einer verbesserten Klarheit des Schlafens – alles eben auch Teil einer klösterlichen Selbstverständlichkeit – waren diese Wochen der Herausforderung auch solche der „geistlichen Vertiefung“.

Freilich: der erste Schritt zu dieser Ordnung (nebenbei: Nicht umsonst ist die Wortwurzel von „Orden“ und „Ordnung“ dieselbe) war derjenige, dass ich die auferlegte Situation angenommen habe. Nicht die Sehnsucht nach alledem, was mir verloren geht, stand im Vordergrund, sondern die Frage, wie es den jetzt möglich ist, meinen Dienst auszuüben. Ob alle Entscheidungen, die im Laufe dieser Tage getroffen wurden, die richtigen waren, wage ich zu bezweifeln – das ist aber durchaus eine Situation, die auch sonst gilt. Für diese „besondere Zeit“, die ich in den Wochen in der kleinen – klösterlichen – Gemeinschaft leben durfte, und die besonderen wie auch teilweise neuen Anforderungen, denen ich mich gegenüber wusste, war jedenfalls die klare Struktur und die vorgegebene Ordnung – ich getraue es mir zu sagen – ein Segen.

vor dem 15. März

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen  …

Da war also kurz vor dem 15. März klar, dass dieser Sonntag wohl der letzte sein wird, an dem – die Größe von Versammlungen in Räumen bzw. im Freien war ja schon beschränkt worden – öffentliche Gottesdienste gefeiert werden durften. Es war auch verlautbart worden, dass ab 16. März der „lockdown“ Österreichs erfolgen wird: Betretungsverbote, Ausgangsbeschränkungen, Home Office, Homeschooling usw.

Eigentlich gab es keine Zeit dafür, über Fragen wie „Religionsfreiheit“, Sinn oder Unsinn der Begrifflichkeit „öffentlicher Gottesdienst“, „social distancing“ – und damit verbunden die Frage der richtigen Übersetzung und des rechten Verständnisses – und vieles andere mehr nachzudenken. Klar war: Abstand halten, so wenige wie nur möglich physische Kontakte, Händewaschen (und was ist mit duschen? :-)) und Desinfizierung – wie aber, wenn es davon nichts zu kaufen gibt? Und dann freilich so manche, die all das infrage gestellt haben: „Wieso? Warum? Ist es wirklich so schlimm?“

Für mich jedenfalls war klar: das gilt es jetzt zu leben. Klar war daher auch – nach einer kurzen Beratung im kleinsten Kreis: in Seggau gibt es eine kleine Gemeinschaft, in der ich mitleben könnte, und wo es möglich sein würde, die persönlichen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Darüber hinaus wurde ich vom Krisenstab unterstützt in der Meinung, dass Generalvikar und Bischof „getrennt“ leben sollten – würde sich einer von uns infizieren, könnten viele Arbeiten vom jeweils anderen mit erledigt werden. So also hieß es für mich von einem Moment auf den anderen, meine „sieben Zwetschgen“ zu packen und gen Süden aufzubrechen. Ich glaube, es war noch an diesem Donnerstag Abend, dass ich die Mitteilung erhalten habe, dass ich gebeten bin, an Stelle des vorgesehenen Zelebranten beim „letzten öffentlichen Sonntagsgottesdienst“ in den Regionalradios des ORF zu feiern. Predigt schreiben. Für diese herausfordernde Situation, von der eigentlich niemand genaueres wusste, wie lange und wie intensiv sie dauern würde, was alles noch auf uns zukommen würde, wie genau ein „zugesperrtes Österreich“ funktionieren würde etc.

„Klar, das muss ich machen, denn wann wenn nicht zu einer solchen Zeit ist ein ‚Hirte‘ vonnöten?“ Über so manche andere Fragestellungen, die ich mir zu früheren Zeiten bei anstehenden Rundfunk- oder Fernsehübertragungen gemacht habe, hatte ich keine Zeit, mir Gedanken zu machen. „Das ist jetzt dein Dienst.“ Gemeinsam mit dem liturgischen Berater- Danke, Bruno Almer! – galt es, binnen kürzester Zeit ein neues Musik- und Gesangsprogramm gleichsam „auf die Beine“ zu stellen und mit dem ORF abzuklären, sodass die Übertragungszeit nicht überschritten und dennoch – in und mit diesen Herausforderungen – schön gefeiert werden kann. Wir wussten nicht, wie viele Personen vor Ort mit feiern werden und dennoch: „Hunderttausende hören zu und feiern am Krankenbett, zu Hause allein oder in der Familie, in Pflegeheimen, und wo auch immer mit. – und sie erwarten sich, mit Recht (!), ein Wort, das uns in diesen Herausforderungen voranbringt. Darüber hinaus stellten sich noch weitere mediale Anfragen angesichts der sich anbahnenden völlig neuen Situation: Streaming der Messfeier, Interview mit dem Fernsehen, „wie geht es den Menschen, den Seelsorgern vor Ort?“ usw. Keine Zeit, sich lange Gedanken zu machen – irgendwie galt es „zu funktionieren“, also zu dienen.