instruiert werden – V

5. Pfarre

Es geht der Instruktion um die „pastorale Umkehr“ in jener Einheit kirchlichen Lebens, die uns vor Ort am ehesten bekannt ist: in der Pfarre.[1] Diese Institution hat eine lange, traditionsreiche Geschichte, auch wenn eingestanden werden muss, dass sie nicht das einzige der Kirche Struktur gebende Moment war und ist. Es gab Missionsstationen, es gab Eigenkirchen des Adels und viele andere Momente wie sich kirchliches Leben „vor Ort“ organisierte, ehe die Pfarre „ihren Siegeszug“ angetreten hat. Und heute gibt es seelsorgliche Begegnungen in zahlreichen „nicht-pfarrlichen“ Erfahrungsräumen von Kirche: in und an Bildungseinrichtungen, Stadtseelsorge, Pflegeheim- und Krankenseelsorge, Gefängnisseelsorge und andere sogenannte „kategoriale Bereiche“, in denen sich „Leben mit einem, der lebt“[2] manifestiert. Ganz zu schweigen von vielen „Hotspots“ kirchlichen Lebens an und in Ordensniederlassungen bzw. (neuen) Gemeinschaften, die – ob ihrer charismatischen Ordnungsstruktur – der uns üblicher Weise weit stärker präsenten hierarchische Struktur „quer“ liegt[3], diese aber zugleich inspiriert. Dieses Moment aktueller Entwicklungen wird in Abschnitt 16 der Instruktion leise angesprochen, leider aber nicht ausgefaltet, ist doch dort „nur“ von der größer gewordenen Mobilität wie auch den mittlerweile „mannigfaltigen Gemeinschaftsformen“ die Rede. „Daher erscheint ein pastorales Handeln überholt, das den Handlungsraum ausschließlich auf den Bereich innerhalb der territorialen Grenzen der Pfarrei beschränkt.“ Dort wird dann auch dem in unseren Breiten geläufigen „Es war schon immer so“ der Abgesang erteilt. Trotz dieser Einsicht wird das Territorialprinzip nicht aufgehoben, wohl auch deswegen, weil mit ihm tatsächlich der Sendungsauftrag Jesu „gesichert“ bleibt: „Geht in die ganze Welt …“ (Mt 28,20).

„Daher erscheint ein pastorales Handeln überholt, das den Handlungsraum ausschließlich auf den Bereich innerhalb der territorialen Grenzen der Pfarrei beschränkt“ (18), weit mehr als die territoriale zählt heute die „exstentiale“ Zugehörigkeit: die Pfarre ist eben eine alte, aber auch „formbare“ Einrichtung unserer Kirche[4], in der alle, die sich auf dem Weg der Nachfolge wissen, in ihren unterschiedlichen Spiritualitätswegen und auch Fragestellungen des Glaubens aufgenommen und angenommen fühlen können bzw. sollen. Ich fragte mich schon als Pfarrer und erst recht jetzt als Bischof immer wieder: „Leben wir das?“ Und: „Glauben wir, dass wir das so leben können?“ Hand aufs Herz: inwieweit leben wir wirklich in diesem Sinn missionarisch in der Pfarre? Gleichen nicht viele unsere Tätigkeiten eher einer „dinner-for-one-Pastoral“ wie es schon vor Jahren Christian Hennecke[5] ausgedrückt und beschrieben hat: jedes Jahr dasselbe „Programm“, auch wenn uns jedes Jahr mehr und mehr „abhanden“ kommen? Oder – um es erneut mit der Instruktion auszudrücken – und das ist Aufgabe aller in der Kirche: verstehen sich unsere Pfarren wirklich inklusiv, missionarisch und auf die Armen bedacht (vgl. Kapitel V. der Instruktion, Abschnitte 27-33)?

Klar ist – und das wird relativ zu Beginn schon gesagt – dass sich angesichts einer solchen Neu-Besinnung, wie sich Pfarre versteht und wie sie dann auch dem entsprechend zu leben versucht, auch die Berufsbilder für jene in den Pfarren ändern, die ihrem Leben dienen – und unter all diesen ehren- wie hauptamtlichen eben auch das Bild der Priester (13)[6]: Umkehr gilt eben allen! – Wenn in den vielfältigen Reaktionen auf die Instruktion vielfach auf diese Sicht vergessen wird und „nur“ der 2. Teil und damit die Strukturen bedacht werden, dann wird der Instruktion als ganzer nicht entsprochen und eigentlich läuft dann die Person, die darüber schreibt, genau in die Falle dessen, was zu vermeiden ist, die einseitige, bloß vom Priester her denkende Sichtweise von Kirche.[7]

[1] Was daher eher nicht zu verstehen ist, ist die Tatsache, dass im Folgenden viele kirchenrechtliche Normen in Erinnerung gerufen werden, die eigentlich nichts mit der Pfarre zu tun haben, sondern mit diözesanen Strukturreformen. – Worin liegt also wirklich die Intention der Kleruskongregation?

[2] Als „Grundlage“ von Kirche könnten wir ja von der Präsenz des Auferstandenen sprechen, der nach seiner Zusage dort gegenwärtig ist, „wo zwei oder drei“ sich in seinem Namen versammeln (vgl. Mt 18,20).

[3] In seinem bekannten Vortrag 1998 bei einem Kongress faltete der damalige Präfekt der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger diese unterschiedlichen Profile, die gleichermaßen Kirche aufbauen, aus und nannte sie „ko-essentiell“ [vgl. Benedikt XVI. – Joseph Ratzinger: Kirchliche Bewegungen und neue Gemeinschaften: Unterscheidungen und Kriterien, München 2007].

[4] vgl. Papst Franziskus, Evangelii gaudium 28.

[5] In vielen seiner Bücher, die mittlerweile schon eine kleine Bibliothek füllen, geht er eigentlich immer wieder aufs Neue gegen eine althergebrachte Sichtweise von kirchlichem Leben und damit auch Pfarre an, die sich in diesen einleitenden Texten der Instruktion wiederfinden. Hier eine Auswahl der nach wie vor leicht lesbaren Überlegungen des heutigen Hauptabteilungsleiters Pastoral der Diözese Hildesheim:

  • Lust auf morgen!: Christsein und Kirche in die Zukunft denken, Münster 2020
  • Gottes Design entdecken – was der Geist den Gemeinden sagt: Theologie und Praxis einer gabenorientierten Pastoral, Würzburg 2017
  • „Seht, ich schaffe Neues – schon sprosst es auf „: Lokale Kirchenentwicklung gestalten, Würzburg 2014
  • Kirche, die über den Jordan geht, Münster 52013
  • Glänzende Aussichten: Wie Kirche über sich hinauswächst, Münster 2015
  • Von Missverständnissen und Fallstricken: Kirchenentwicklungen – Eine neue Sichtweise, Würzburg 2019
  • Kirche steht Kopf: Unterwegs zur nächsten Reformation, Münster 2016
  • Ist es möglich?: Vom Wunder des kirchlichen Aufbruchs, Münster 2013
  • Sieben fette Jahre: Gemeinde und Pfarrer im Umbruch, Münster 2002

[6] Daher ist auch jenen deutlich entgegen zu treten, die m.E. auch einseitig nicht in den großen Chor der Kritiker einstimmen, sondern in der Instruktion betont Amt und Stellung des Priesters in der Kirche bedeutsam in Erinnerung gebracht sehen. Natürlich: das „geweihte Dienstamt“ in der Kirche kann durch so manche Erneuerungsbestrebungen zumindest scheinbar „ins Hintertreffen“ geraten: Umkehr ist nötig. Genauso aber gilt, dass ein auf ein Bild des 19. Jahrhunderts reduziertes ausgeübtes Weiheamt in der Art zu leben der Umkehr bedarf. Weder mit der einen noch mit der anderen einseitigen Betonung „begeistern“ sich heute Menschen, um in den Dienst genommen zu werden. – Was mir in den Debatten aber sehr wohl abgeht ist die Bereitschaft, aufeinander hören zu wollen, denn – und davon bin ich mir sicher: das Ziel ist uns allen, die wir Kirche leben und daher mitgestalten wollen, dasselbe: Gottes Gegenwart soll mitten unter uns auf dem Weg zum ewigen Ziel angreifbar und erfahrbar sein.

[7] Seit meinem ersten blog-Eintrag vor einigen Tagen ist eine Reihe weiterer Kommentare erschienen, die sich sowohl was die negative wie auch die positive Kritik an der Instruktion anlangt, hier einreiht. Selten wird m.E. das Ganze gesehen und zusammenzuhalten versucht; das Bild, dass man eben mit (Eigen-)“Interesse“ liest und kommentiert, hat sich für mich verstärkt – und gilt wohl auch für das, was ich niederschreibe.

Auf diese Kommentare bin ich in den letzten Tagen aufmerksam geworden: