instruiert werden – XXXII

32. Leitung der Pfarre IV

In einigen Abschnitten der Instruktion geht es nun darum, dass es [mehr als] sinnvoll ist, dass der Dienst des Pfarrers ein beständiger ist (68-69), der aber auch zu gegebener Zeit verändert werden kann (69), der – das ist ein gewisser Rechtsschutz (!) nicht der Willkür des Bischofs ausgeliefert sein kann und eines guten Endes (Alter, Krankheit, …) bedarf (71-74) sind meines Erachtens „logische“ Erläuterungen. Dahinter steckt freilich eben der Grundansatz des kirchlichen Rechts und der Instruktion, dass die Pfarren „besetzt“ sein sollen [„Pfarre“ und „Pfarrer“, ich wiederhole mich, gehören einfach zusammen] und andere Situationen nicht dauerhauft eingerichtet sein sollen. Dies ist prinzipiell logisch, aber in der Praxis – zumal in den Zeiten, in denen wir uns befinden – alles andere als leicht. Unter diesem „Licht“ erscheinen die Lösungen eines „Administrators“ (75) wie auch die oftmals praktizierte gem. can. 517§2 als nicht „optimal“ (87-93) zu sehen auch logisch. Andererseits – und damit steht diese Logik – nicht faktisch, wie mir scheint (!) – in gewisser Spannung zur apostolischen Exhortation „Querida Amazonia“ (93-94), in der Papst Franziskus ausdrücklich die Möglichkeit der Beteiligung der Laien anspricht: „Es geht [..] nicht nur darum, eine größere Präsenz der geweihten Amtsträger zu ermöglichen, die die Eucharistie feiern können. Dies wäre ein sehr begrenztes Ziel, wenn wir nicht auch versuchen würden, neues Leben in den Gemeinden zu wecken. Wir müssen die Begegnung mit dem Wort und das Wachstum in der Heiligkeit durch verschiedene Laiendienste fördern, was eine biblische, dogmatische, spirituelle und praktische Ausbildung als auch verschiedene Programme zur Fortbildung voraussetzt.Eine Kirche mit amazonischen Gesichtszügen erfordert die stabile Präsenz reifer und mit entsprechenden Vollmachten ausgestatteter verantwortlicher Laien, die die Sprachen, Kulturen, geistlichen Erfahrungen sowie die Lebensweise der jeweiligen Gegend kennen und zugleich Raum lassen für die Vielfalt der Gaben, die der Heilige Geist in uns sät. Denn dort, wo eine besondere Notwendigkeit besteht, hat der Heilige Geist bereits für die Charismen gesorgt, die darauf antworten können. Dies setzt in der Kirche die Fähigkeit voraus, der Kühnheit des Geistes Raum zu geben sowie vertrauensvoll und konkret die Entwicklung einer eigenen kirchlichen Kultur zu ermöglichen, die von Laien geprägt ist. Die Herausforderungen Amazoniens verlangen von der Kirche eine besondere Anstrengung, um eine Präsenz in der Fläche zu erreichen, was nur zu verwirklichen ist, wenn die Laien eine wirksame zentrale Rolle innehaben.“ In der Anmerkung 136 hierzu heißt es deutlich: „Der Bischof kann wegen Priestermangels »einen Diakon oder eine andere Person, die nicht die Priesterweihe empfangen hat, oder eine Gemeinschaft von Personen an der Wahrnehmung der Seelsorgsaufgaben einer Pfarrei beteiligen« (Codex des kanonischen Rechts, 517 § 2).“[1] Die „Auflösung“ dieser Spannung hängt m.E. erneut mit den Bildern zusammen, die wir mit „Leitung“ vor unserem geistigen Auge aufsteigen lassen: Beteiligung an den Seelsorgeaufgaben bedeutet eben Übertragung von Handlungsvollmachten, bedeutet eben auch „Miteinander“, ja sogar – wie wir es in unserer Diözese nunmehr bezeichnen: „Führungsteam“[2]. Und damit wird m.E. indirekt erneut und zum wiederholten Mal deutlich, dass es nicht um Ausspielen von „Macht“ geht, sondern um die für eine gewisse Gemeinschaft von Gläubigen, die eine Pfarre bilden, entsprechende Struktur ihrer missionarischen Sendung.

Erneut wird auch sichtbar und deutlich, dass die „pastorale Umkehr“ nicht nur eine „nach außen“ ist – also wie wir unsere Sendung als Kirche verstehen, sondern auch eine ist, die das Verständnis der einzelnen Funktionen und (!) die Ausübung derselben betrifft. Dies kann nicht oft genug betont werden: rechtliche Bestimmungen können nie und nimmer die Fülle des – kirchlichen – Lebens einfangen und in Normen gießen. Grundvoraussetzung ist, dass alle gewillt sind, wirklich Kirche zu leben, leben also mit einem, der lebt. Normierungen sind Grenzziehungen, die eben „schützen“ wollen vor einem Abgleiten ins Ungewisse etc.; auch sind deswegen m.E. Statuten eher allgemein zu formulieren um nicht den Verdacht zu erwecken, dass alle, auch die kleinsten Aspekte, des Lebens geregelt sind.

[1] Die Spannung kann nicht ganz aufgelöst werden, das ist auch zuzugestehen, da eben – m.E. gegen „Querida Amazonia“ (93-94) in der Instruktion (88) schon auch davon die Rede ist: „Diejenigen, denen auf diese Weise [i.e. gemäß can. 517§2] eine Beteiligung an der Ausübung der Hirtensorge der Gemeinde anvertraut wird, werden durch einen Priester, der mit den entsprechenden Befugnissen ausgestattet und „Moderator der Hirtensorge“ ist, koordiniert und geleitet. Ausschließlich ihm kommen die Vollmacht und die Funktionen des Pfarrers mit den entsprechenden Pflichten und Rechten zu, obwohl er dieses Amt nicht innehat. Es ist daran zu erinnern, dass es sich um eine außerordentliche Form der Übertragung der Hirtensorge handelt, die der Unmöglichkeit geschuldet ist, einen Pfarrer oder einen Pfarradministrator zu ernennen. Sie darf nicht mit der gewöhnlichen aktiven Mitwirkung und mit der Übernahme von Verantwortung durch alle Gläubige verwechselt werden.“

[2] vgl. Rahmenstatut für die Seelsorgeräume in der Diözese Graz-Seckau (https://www.katholische-kirche-steiermark.at/dl/rmOrJmoJKKNmJqx4KJKJKJKMoL/KVBL_2020_8.pdf).

instruiert werden – XXXI

31. Leitung der Pfarre III

Wie jede soziale Größe, soll sie „funktionieren“ auch Abläufe und Zuständigkeiten braucht, so ist dies auch in der Pfarre so, so ist dies auch in der Liturgie: „Bei den liturgischen Feiern soll jeder, sei er Liturge oder Gläubiger, in der Ausübung seiner Aufgabe nur das und all das tun, was ihm aus der Natur der Sache und gemäß den liturgischen Regeln zukommt.“[1] Es geht eben – auch in der „Übertragung der Hirtensorge für die Pfarrgemeinde“ – um eine Klärung der Ordnung im Miteinander und damit in der Sendung der Kirche vor Ort. Die Instruktion listet mehrere Möglichkeiten auf, die hierbei vom Recht her gegeben sind und beschreibt diese (VIIIa – VIIIc, VIIIh), wobei sie – wieder einmal – an Logik vermissen lässt, da eben auch der Dienst der Diakone wie der Laien unter dem Blickwinkel der „Hirtensorge“ beschrieben werden und nicht in einem entsprechenden und eigenen Kapitel. Dies kann freilich als Vorwurf der verengten und auf den Pfarrer/Priester fixierten Sichtweise de Instruktion gewertet werden; ein anderes Ordnungsprinzip in der Schilderung des „Lebens der Pfarre und ihre Dienste“ wäre m.E. weit besser gewesen; dies sage ich auch deshalb, weil eben unter Kapitel VIII eben auch Diakone und Pfarrvikare, Gottgeweihte [Ordensleute] und eben die Laien subsumiert werden (VIIId – VIIIg).

Nun denn: Pfarre ist ohne „Pfarrer“, also damit Priester in der Leitung nicht denkbar. Das hat zur Folge, logisch-konsequent, dass dieser Dienst – im Sinn der Kirche – nur von einem Priester ausgeübt werden kann. Und das bedeutet eben auch „1“ Priester[2] ist für die Grundverantwortung zuständig. Dass hierbei – wie auch in der einen oder anderen Kritik beschrieben wird[3] – von einem „Idealbild“ ausgegangen wird, kann und darf de Instruktion wie auch dem Kirchenrecht nicht übel genommen werden[4]: ich konnte von meiner ersten priesterlichen Arbeitsstelle an bis heute als Bischof so manches nicht in diesem Idealbild leben. Ich musste lernen, damit umzugehen. Um es an einem Beispiel zu erläutern: wenn dem Bischof die jährliche Visitation seiner Pfarren, wenigstens aber innerhalb eines Zeitraums von 5 Jahren vorgeschrieben wird, so mag dies in einer Diözese wie Frascati mit 24 möglich sein: wie gestalte ich diese Forderung bei 386 Pfarren, auf diesem großen Territorium etc. Es gibt die Möglichkeit der Veränderung der Diözesangrenzen – also mehrere Diözesen auf demselben Gebiet; auch Pfarrzusammenlegungen im rechtlichen Sinn wären eine Möglichkeit oder aber ein „kreativer Umgang“ mit dem kirchlichen Vorgaben [etwa mit der Visitation durch Beauftragte, mit einer Adaptierung an die modernen Techniken, sodass manches auch über die IT einer Revision unterzogen werden kann etc.], weil eben die vorgegebene Größe der Diözese auch eine stimmige Einheit ist. Als ich Pfarrer wurde, gab es eben diesen Gedanken bei mir: „Der Bischof schickt mich zu diesen 20.000 Menschen, die rechtlich in 2 bzw. 3 Pfarren leben, wir haben insgesamt 11 Kirchen etc. etc. – Ich habe den Auftrag als Pfarrer, meinen Dienst hier den Vorgaben entsprechend zu ordnen.“ Ob dies Sinn macht oder die Zulassungskriterien für das Weiheamt geändert werden müssten entbindet mich nicht meiner „Hirtensorge“ im Jetzt, sondern fordert mich heraus, gemeinsam dies gut „auf die Füße zu stellen“ und daher auch Verantwortung anderen zu übertragen, die mit mir gemeinsam gesendet sind. So etwa wird in der Pfarrkanzlei viel an Verwalterischem (im herkömmlichen Sinn) erledigt, so etwa gibt es auch noch Kapläne, so etwa gehen viele in Arbeitskreisen und Gremien gestalterisch mit, so etwa gibt es Pastoralassistenten[5]. Ich muss mir, Gott sei Dank (!), nicht einbilden, dass ich „Hansdampf in allen Gassen“ sein muss: wir können unser Handeln gemeinsam gestalten und auch verantworten.

Das Pfarrer-Amt dient der „umfassenden Hirtensorge“ – Leitung wird eben so (!) verstanden[6] – und muss daher einer „natürlichen Person“, die Priester und auch entsprechend vorbereitet und ausgebildet ist, übertragen werden. Von der Logik her ist es daher einleuchtend, dass es nicht von einer Gemeinschaft übernommen werden kann [wie es früher etwa bei inkorporierten Pfarren der Fall war, wo die Ordensgemeinschaft „Pfarrer“ war]. Das aber bedeutet eigentlich nicht, jedenfalls glaube ich, dass dies logisch ist, dass für die Ausführung der Dienste, damit Seelsorge gewährleistet werden kann, damit die Sendung vollbracht werden kann, alles dieser 1 Person „umgehängt“ werden kann – wichtig ist „nur“, den im Kirchenrecht anders verstandenen Begriff von „Leitung“ richtig zu verwenden als er im organisationstheoretischen Rahmen/Kontext verwendet wird.[7] Wir sprechen daher – und das ist eben aufgrund der unterschiedlichen Bilder und frames, die jeder Begriff automatisch mit sich bringt, alles andere als „Wortklauberei“ – um der Klarheit der Unterscheidung willen eben von „Grund-“ bzw. „Handlungsverantwortung“ und damit von „Leitung“ (beim Pfarrer oder einem Priester-Team [can. 517§1]) bzw. „Führung“.

[1] Liturgiekonstitution „Sacrosanctum concilium“ 28.

[2] Wer genau hinsieht, wird auch entdecken, dass bei der „solidarischen Übertragung“ der Hirtensorge an mehrere Priester nicht vom „Pfarrer“ gesprochen wird (Instruktion 6 bzw. can. 517§1), sondern von der „solidarischen Übertragung der Hirtensorge“. In unserer Diözese haben wir daher für diesen Fall „mit dem Titel ‚Pfarrer‘ gem. can. 517§1 vorgesehen.

[3] vgl. etwa die von Rainer Bucher: https://www.feinschwarz.net/der-widerstreit/.
Wie das gehen soll, dass der Pfarrer (vgl. Instruktion 70), dem mehrere Pfarren anvertraut sind, alle kennen soll, um seiner Hirtensorge entsprechen zu können – und dies auch noch vom Bischof klug abgewogen werden soll, ist – etwa angesichts der vorhandenen Zahl an Priestern und deren Alter und damit auch Einsatzfähigkeit – leicht hingeschrieben, doch angesichts unserer Geschichte und unserer Art, Seelsorge und Pastoral zu sehen und professionell zu gestalten – im Unterschied etwa zu ‚jungen Kirchen‘ – nicht unbedingt einfach möglich. Dass daher manche Diözesen ihre Entwicklungsprozesse, um eine rechte „Ordnung im System“ zu halten, auch an der Priesterzahl festmachen und ihr entsprechend Pfarren rechtlich zusammenlegen verwundert mich nicht. Dass damit dann aber auch erst Recht der Vorwurf der „Klerikalisierung“ einhergeht, wundert mich auch nicht. Es ist wohl ein Dilemma, in dem wir – gut steirisch gesagt – auf alle Fälle auf der einen oder anderen Seite die „Arschkarte“ ziehen – ganz abgesehen davon, dass es immer wieder auch Priester gibt, die als Seelsorger sehr gut geeignet sind, aber eben nicht als Hirte für die umfassende Seelsorge.

[4] Ich hege freilich den Verdacht, dass wir mit unserer Mentalität uns da sehr schwer tun, dies „flexibel“ und „situationselastisch“ zu lesen und zu verstehen.

[5] unsere Reform sieht den neuen Begriff „PastoralreferentInnen“ vor.

[6] vgl. auch oben: https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xix/.

[7] Ob diese Begriffsverwirrung gut ist, sei dahingestellt. Ich meine auch, dass es sinnvoller wäre, für ein- und dieselbe Sache einheitliche Begrifflichkeiten zu verwenden. Dies ist aber weder in den vatikanischen Dokumenten, noch im Kirchenrecht der Fall, soweit ich es überblicke (Hirtendienst, Leitung, ….). Die Differenzierung in der Begrifflichkeit müsste aber wohl auch in der deutschen Übersetzung römischer Dokumente daher m.E. deutlicher zum Ausdruck kommen oder aber, wie ich andernorts schon gebeten habe, durch ein „Glossar“ vielleicht erklärt werden.

instruiert werden – XXX

30. Leitung der Pfarre II

Nach diesem für – mich jedenfalls notwendigen – Exkurs kehre ich nun erneut zur Frage zurück, was denn nun die „Leitung der Pfarre“ ausmacht. Ich „musste“ ganz einfach und das relativ ausführlich schildern, wie ich persönlich zu einem lebbaren Verständnis von „Leitung in der Kirche“ gekommen bin. Wenn ich den hermeneutischen Schlüssel, den ich für die Lektüre der Instruktion von Anfang an empfehle und anlege[1], dann lesen sich die nun folgenden kirchenrechtlichen Erinnerungen „anders“[2].

  1. Alle Ämter und Dienste in der Pfarre stehen unter dem Anspruch der „pastoralen Umkehr“. Sie haben dem missionarischen Auftrag der Kirche zu dienen.
  2. Die Amtsträger selbst sind unter die Anforderung der (persönlichen) Umkehr gestellt[3].
  3. Kirche verstanden als „Leib“ mit unterschiedlichen Gliedern muss als Kirche ihrem Namen entsprechend leben – leben also mit einem, der lebt. Nur unter diesem Vorzeichen können Dienste und Ämter in ihr recht verstanden werden.
  4. Jeder Dienst, jedes Amt ist nicht einer/eines „gegen“ etwas Anderes, sondern dazu da, den anderen Gliedern des Leibes dazu zu verhelfen, ihre Gaben zum Aufbau des Ganzen entsprechend leben zu können. – In der Nachfolge – und damit auf der Ebene der Heiligkeit – gibt es kein „oben“ und „unten“, kein „Mann oder Frau“.
  5. Das Miteinander aller in der Sendung der Kirche, die immer wieder – nicht nur im „1.“, „prinzipiellen“ Teil der Instruktion Erwähnung findet, muss (!) eben auch für den „besonderen Teil“ der „kirchenrechtlichen Leitplanken“ als Lese- und Verstehenshilfe angewendet werden.[4]

Dass in der Instruktion recht ausführlich über Möglichkeiten gesprochen wird, wie der Dienst der Leitung im kirchlichen Sinn recht „übertragen“ werden kann, hat wohl auch seinen Sinn darin, das Unverzichtbare des Miteinanders ans Licht zu heben [eben sakramental auf den eigentlichen Leiter und Herrn der Kirche zu verweisen] und damit auch den, das Engagement derer, die üblicher Weise „Laien“ genannt werden, aber alles andere als „Nicht-Fachleute“ im Glauben sind, zu schützen vor unangebracht gelebtem „Macho-Dasein“ derer, die leiten. Zum anderen freilich gibt es eben unterschiedliche Möglichkeiten, ein solches – auch soziologisches – Gebilde wie es die Pfarre eben ist, zu leiten, also jene Grundverantwortung zu leben, die beständig die Orientierung an IHM in Erinnerung ruft. Dass in der Handlungsverantwortung dies von unterschiedlichen Personen mit ihrer je eigenen Fachexpertise etc. zu leben ist, ist ohnedies klar: in unserer Diözese nennen wir dies dann „führen“, um nicht den eigentlich theologisch gefüllten Begriff von „leiten“ mehrdeutig zu verwenden[5]. Ich vermute, dass sich ein Gutteil der Kritik und der „Abwehr“ gegenüber der Instruktion sich aufgrund dieser sprachlichen Verwirrung ergibt, die aber meines Erachtens in den vergangenen blog-Beiträgen immer wieder und hoffentlich deutlich genug als eine solche entlarvt wurde. Vereinfacht gesagt: die üblichen Bilder, die wir mit „leiten“ verbinden sind wohl nicht die, die in der Kirche damit verbunden werden (Stichwort: Frage nach der Bereitschaft zur Leitung bei der Priesterweihe, die im lateinischen eben mit „Hirte sein“ gestellt wird und im italienischen überhaupt „dem Volk Gottes dienen“ gestellt wird). Dass wiederum die Einbettung der Leitung in das Gesamt des Volkes Gottes nicht wie in Lumen gentium erfolgt, habe ich schon an anderer Stelle erläutert und ist zweifellos ein schweres Manko der Instruktion[6]. Durch die Betonung aber der Leitungsfrage entsteht – berechtigter Weise – tatsächlich darüber hinaus der Eindruck einer einseitigen Betonung des priesterlichen Dienstes gegenüber der immer wieder gemeinsamen Sendung aller Getauften – und damit auch der Geweihten – zum Aufbau der Kirche und der Sendung hinein in die Welt.

[1] Ich glaube mittlerweile immer mehr, dass dies eine berechtigte Möglichkeit ist, die Instruktion zu lesen und zu verstehen, selbst dann, wenn man – wie etwa die Exegetin Juliane Eckstein (https://eulemagazin.de/von-v-und-h-eine-exegetin-liest-die-instruktion-aus-dem-vatikan/) – feststellen muss, dass sie alles andere als „aus einem Guss“ gefertigt ist.

[2] Der Münchener Kirchenrechtler Stephan Haering nimmt in seinem Kommentar, bezogen auf die Prozesse in München m.E. in großer Differenziertheit Stellung und macht damit auch deutlich, wie sich die Instruktion selbst versteht: https://mk-online.de/meldung/richtschnur-fuer-geltendes-kirchenrecht.html.

[3] In der Instruktion wird in Kapitel VI von der rechten Reihenfolge der Umkehr gesprochen: „Von der Umkehr der Personen zur Umkehr der Strukturen“ (34-41).

[4] Ich bin überzeugt, dass hier noch weitere Punkte angeführt werden müssten, will es aber – dem Charakter meiner Überlegungen in diesem blog entsprechend aber bei diesen ersten Überzeugungen, die mir gekommen sind, belassen.

[5] Ich gebe zu: diese Unterscheidung haben auch wir in unserem Prozess erst mit der Zeit „gelernt“ und sind nach wie vor wohl nicht am Ende, diese wirklich zu Ende gedacht zu haben.

[6] Auch wenn mir vorgeworfen werden kann, dass ich der Instruktion gegenüber zu „positiv“ eingestellt sei, so erlaube ich mir bewusst diesen anderen Zugang – negativ Kritisches ist ohnedies zuhauf bekanntgemacht worden. – Darüber hinaus verhehle ich nicht, dass auch für meinen Geschmack die kirchenrechtlichen Erinnerungen zum Eingang der Instruktion in einem gewissen Sinn inhaltlich „abfallen“, muss aber auch daran erinnern, dass eben die literarische Gattung einer Instruktion ohnedies nicht gut getroffen wurde, sodass eben auch durch den Einstieg Erwartungen geweckt wurden, die kirchenrechtliche Änderungen erwarten ließen. Den hermeneutischen Schlüssel der „Umkehr“ anzuwenden und ihn dann auch konsequent zu leben ist alles andere als leicht aus dem geschriebenen Wort zu entnehmen.

instruiert werden – XXIX

29. Exkurs: leiten lernen V

2015: ich werde zum Bischof ernannt. Eine weitere, wiederum neue und ganz andere Erfahrung in dem, was „leiten in der Kirche“ heißt. Ich weiß, dass viele es nicht entsprechend auffassen, weil eben der „frame“ von „leiten“ im deutschen ein anderes Bild „erzeugt“: es ist mehr noch ein Dienst als vorher[1]. Interessant ist freilich, dass es hierzu – im Unterschied zur Priesterweihe[2] – keine Frage unter den Weiheversprechen gibt:

  • Bist du bereit, in dem Amt, das von den Aposteln auf uns gekommen ist und das wir dir heute durch Handauflegung übertragen, mit der Gnade des Heiligen Geistes bis zum Tod zu dienen?
  • Bist du bereit, das Evangelium Christi treu und unermüdlich zu verkünden?
  • Bist du bereit, das von den Aposteln überlieferte Glaubensgut, das immer und überall in der Kirche bewahrt wurde, rein und unverkürzt weiterzugeben?
  • Bist du bereit, am Aufbau der Kirche, des Leibes Christi, mitzuwirken und zusammen mit dem Bischofskollegium unter dem Nachfolger des heiligen Petrus stets ihre Einheit zu wahren?
  • Bist du bereit, dem Nachfolger des Apostels Petrus treuen Gehorsam zu erweisen?
  • Bist du bereit, zusammen mit deinen Mitarbeitern, den Presbytern und Diakonen, für das Volk Gottes wie ein guter Vater zu sorgen und es auf dem Weg des Heiles zu führen?
  • Bist du bereit, um des Herrn willen den Armen und den Heimatlosen und allen Notleidenden gütig zu begegnen und zu ihnen barmherzig zu sein?
  • Bist du bereit, den Verirrten als guter Hirte nachzugehen und sie zur Herde Christi zurückzuführen?
  • Bist du bereit, für das Heil des Volkes unablässig zum allmächtigen Gott zu beten und das hohepriesterliche Amt untadelig auszuüben?

Ich könnte davon ausgehen, dass hiermit das umschrieben wird, was „Leitung“ im Vollsinn meint, wenn in der Kirche davon die Rede ist[3]. Und gerade deshalb gilt: „leiten“ bedeutet „ermöglichen“, „befähigen“, „freilassen“ und nicht „herrschen“. Wenn ich die Diözese Graz-Seckau anschaue: 386 Pfarren, beinahe 800.000 Katholiken, rd. 16.500 km2, knapp 400 Priester [mit hohem Altersdurchschnitt] einige hundert Angestellte in Seelsorge und Verwaltung, direkt in der Diözese, ca. 1.500 in der diözesan Caritas, ca. 900 Religionslehrerinnen und und und … Das ist wohl für einen, der Theologie studiert hat, allein „nicht zu schaffen“. Weil wir Kirche sind und daher gerufen, den „Leib Christi“ im Heute darzustellen, weiß ich aber, dass wir an diesem Körper unterschiedliche Glieder haben und dann ein entsprechendes Zeugnis vor der Welt abgeben, wenn wir das Miteinander, das Gott in sich ist, hier möglichst gut untereinander leben. Meine Aufgabe ist es, dies zu ermöglichen, den Raum hierfür zu eröffnen und – als lebendiger Verweis auf den Auferstandenen – alles daran zu setzen, dass niemand von uns IHN aus dem Blick verliert. Das ist anspruchsvoll, zumal in einer Zeit wie der unsrigen, in der die Welt und damit auch die Kirche immer „komplexer“ werden.

„Herr Bischof, jetzt hauen Sie mal auf den Tisch“ – ein verfängliches Wort, das schön klingen mag, aber eigentlich in die Irre führt – so jedenfalls meine Erfahrung der ersten Jahre in meinem Dienst. Es geht vielmehr darum, immer neu jede und jeden darauf aufmerksam zu machen, was ihre bzw. seine ureigenste Berufung ist, nicht loszulassen von IHM. Gerade die COVID-Pandemie[4] hat mich hierfür so manches gelehrt: es wäre wirklich „teuflisch“[5], den eigenen Weg, die eigene Spiritualität als den Weg vorzugeben und genauso „teuflisch“, zu meinen immer der „erste“ sein zu müssen[6]. – Nebenbei: die Erfahrung hat mich mittlerweile schon auch gelehrt, dass diese Art sich selbst zu verstehen, mitunter nicht verstanden wird. Auch muss hier – kurz jedenfalls erwähnt werden – dass so manche sich vom „Hirten“ nichts sagen lassen – egal auf welchem Pol des „kirchlichen Verfassungsbogens“ sie angesiedelt werden. Wenn ich etwas für mich erneut und vertieft erkannt habe als Bischof, dann ist dies sicher: „Wir sind trotz jahrhundertelanger ‚Einwurzelung‘ des Christseins in unseren Breiten nach wie vor weit weg, von einem solchen Miteinander, von dem wie mir scheint Jesus ‚geträumt‘ hat, wenn er auf dem Weg zum Ölberg den Vater um die Einheit der Jünger und all derer, die durch sie an IHN glauben, gebeten hat: ‚Ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast‘.“ (Joh 17,20f.).

[1] Bischof Klaus Hemmerle nahm 1978 bei einem internationalen Bischofstreffen dazu ausführlich Stellung. In dem mir als Manuskript vorliegenden Text unter dem Abschnitt „Das Motiv Gottes für die Gegenwart Jesu in der Hierarchie“ heißt es u.a.: „Die Einwände, die gegen die konstitutive Bedeutung der Hierarchie für die Kirche, gegen eine göttliche Vollmacht in ihren Amtsträgern erhoben werden, kulminieren in der einen Frage: Wenn Menschen durch ihre besondere Sendung und Vollmacht Jesus Christus an die anderen vermitteln, schieben sie sich dann nicht zwischen Jesus und die anderen, bleibt dann Jesus noch der einzige Mittler? Ich habe bei Chiara Lubich einen Satz gefunden, der die Antwort knapp zusammenfaßt: „Jesus ist der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen. Die Hierarchie ist nicht Mittlerin, sondern ist das Sakrament (d.h. das sichtbare Zeichen) der einzigen Mittlerschaft Jesu. Die Bischöfe manifestieren Jesus den Mittler.“ Sinn der Sendung von Menschen durch Jesus, damit sie seine Sendung weitertragen zu den Menschen, ist es also, daß sie gerade den sichtbar machen, welcher der einzige Mittler ist. Er, der einzige, bedient sich der Menschen, um den Menschen nur um so näher zu sein. Die Konsequenz heißt freilich: Nur dann, wenn wir durchsichtig sind für Jesus als den einzigen Mittler, wird er von den anderen als dieser einzige Mittler gesehen und verstanden. Es hängt also von unserer Weise, wie·wir die Mittlerschaft Jesu repräsentieren, entscheidend ab, ob und wie diese Mittlerschaft bei den Menschen „ankommt“. Freilich ist diese Abhängigkeit von unserem Verhalten nur die eine Seite. Entscheidender ist noch die andere. Er selber will uns nahe sein, und gerade weil er der einzige Mittler ist, vollbringt er diese Nähe unabhängig von uns, über unsere Kräfte und unser Wollen hinaus. Er, sein Geist, den er im Sakrament des ordo uns verleiht, konstituiert die Gültigkeit       des Zeichens, das wir sind. Er ist stärker in uns als wir.“

[2] Beachte Anm. 7 unter https://krautwaschl.info/instruiert-werden-i/, die ich hier großteils wiederhole: Die „erste Frage, die Kandidaten bei der Priesterweihe vom Bischof gestellt wird, [lautet] im deutschen Ritus [..]: „Bist du bereit, das Priesteramt als zuverlässiger Mitarbeiter des Bischofs auszuüben und so unter der Führung des Heiligen Geistes die Gemeinde des Herrn umsichtig zu leiten?“ Im Italienischen wiederum heißt es: „Vuoi esercitare per tutta la vita il ministero sacerdotale nel grado di presbitero, come fedele cooperatore dell’ordine dei vescovi nel servizio del popolo di Dio, sotto la guida dello Spirito Santo?“ Im lateinischen Urtext wird diese Frage aber so gestellt: „Vultis munus sacerdotii in gradu presbyterorum ut probi Episcoporum Ordinis cooperatores, in pascendo grege dominico, duce Spiritu Sancto, indesinenter explere?“ – Welch unterschiedliche Bilder doch hier entstehen, oder?

[3] vgl. hierzu den 19. Abschnitt: https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xix/.

[4] vgl. hierzu meine in diesem blog gegebenen „Tagebuch-Einträge“ https://krautwaschl.info/category/covid19.

[5] im Wortsinn von diabolos: „durcheinander bringen“.

[6] Franziskus an die italienischen Bischöfe am 23.5.2013: “Ja, Hirt sein bedeutet jeden Tag an die Gnade und die Kraft zu glauben, die vom Herrn kommt, trotz all unserer Schwäche, und die Verantwortung zu übernehmen, der Herde voran zu gehen, frei von Lasten die das gesunde apostolische Vorangehen behindern, und es bedeutet in der Leitung ohne Zögern unsere Stimme hörbar zu machen, sei es für die, die den Glauben angenommen haben, sei es für die, die „nicht aus diesem Stall“ sind (Joh 10:16). Wir sind gerufen, den Traum Gottes zu unserem zu machen, dessen Haus keine Ausschlüsse von Menschen oder Völkern kennt, wie es Jesaja prophetisch in der ersten Lesung angekündigt hat (Jes 2:2-5). Hirte sein bedeutet aber auch, sich darauf einzustellen inmitten der Herde und auch hinter ihr zu gehen: Fähig zu sein, die stille Geschichte dessen zu hören, der leidet und die Schritte derer zu stützen, die sich fürchten, sie zu machen; bereit, aufzurichten, zu ermutigen und neu Hoffnung zu schenken. Aus dem Teilen mit den Armen geht unser Glauben immer gestärkt hervor: Lassen wir also jede Form von Vermessenheit beiseite und knien wir vor denen nieder, die der Herr unserem Dienst anvertraut hat.” (http://w2.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2013/documents/papa-francesco_20130523_omelia-professio-fidei-cei.html)

instruiert werden – XXVIII

28. Exkurs: leiten lernen IV

Nach alledem, was sich da in Graz in dem vergangenen Tagen ereignet hat, konnte ich nicht einfach zur „innerkirchlichen Tagesordnung“ zurückkehren – es galt in mir selbst jene Bekehrung zu leben, die eben heißt, bei den Menschen zu sein, die bedrängt werden … Dennoch möchte ich heute meine unfertigen Gedanken weierspinnen…

Mit 2006 wurde ich gebeten, nach Graz zu wechseln. Es galt die Leitung des damaligen Bischöflichen Seminars zu übernehmen – Einrichtung und Rechtskörperschaft. Erneut eine ganz andere Herausforderung, hatte ich doch bislang wenig mit einer Bildungseinrichtung, erst recht mit einem Internat zu tun. Galt es in den bisherigen Wirkungsstätten der Pfarren unterschiedliche Menschen in verschiedensten Lebensphasen zu begleiten und auf IHN hin zu orientieren, musste dies nun mit Heranwachsenden und Lehr- bzw. Erziehungspersonal gelebt werden. Eine ganz andere Erfahrung von Kirche, keineswegs so liturgisch geprägt wie sich eben der Dienst von Priestern vielfach „abspielt“. Hinzu kam, dass angedacht war, dieses Haus zu einem Zentrum für die „formale Bildung“ unserer Diözese aus- und umzugestalten: die größte Baumaßnahme in der Geschichte der Diözese war zu managen. Darüber hinaus gab es für das, was an Seelsorge zu „leisten“ war ohnedies einen weiteren Priester, den Spiritual. Was heißt hier jene Art von „Leitung“ zu leben, die den Dienst am Volk Gottes durch den Priester deutlich macht?

Auch wenn so manches von mir zu unterzeichnen war, damit es Rechtskraft erlangt/e: Gott sei Dank gab es den vom Ordinariat für dieses große Vorhaben abgestellten Architekten, der alles im Blick hatte; Gott sei Dank gab es die Steuergruppe, die gemeinsam alles voran- und in rechte Ordnung gebracht hat. In vielen Bereichen bestand mein Dienst darin, die Orientierung nicht zu verlieren: „Was wollen wir eigentlich?“ Ob das nun jene Phase war, die zur Entscheidung geführt hat, das Seminar zum „Augustinum“ zu entwickeln oder auch die vielen „ups“ and „downs“ in der Phase der Realisierung des großen Projekts, das nunmehr – vom Kindergarten bis zur pädagogischen Hochschule, von einer Großküche bis hin zum Internat praktisch alle diözesan verwalteten formalen Bildungseinrichtungen beherbergt – und das Ganze eingebettet in einem Umfeld weiterer öffentlicher wie kirchlicher Bildungseinrichtungen: mehr als 5.000 Kinder und Jugendliche in einem Umkreis von weniger als 300 m tagaus, tagein: hier kann unser Sendungsauftrag gelebt werden!

Orientierung an IHM: dies steht auch am Beginn jener Institution, die der Kern dieses großen Hauses war: das Bischöfliche Kleine Seminar, bei uns „Knabenseminar“ genannt. Auch die Erzieherausbildung konnte ich nicht mein Eigen nennen: Gott sei Dank aber war ich als Regens eingebettet in ein Team, in dem wir miteinander Pädagogisches beratschlagten und auch Wege suchten, Neues zu wagen. Und dann kam die Missbrauchskrise – 2 Monate nachdem unser „Campus“ eröffnet wurde, schlug diese wie eine Bombe ein. Erneut war Orientierung gefordert – an IHM, damit uns die Anforderungen und die auch innerkirchlich mitunter geäußerten Verdächtigungen nicht aus der Bahn warfen und wir uns mehr und mehr als Einrichtung präsentieren lernten, in denen wir wirkliche und gute Wegbegleiter für Burschen – und nunmehr auch Mädchen – sein konnten und können.

Hätte ich in einem solchen Umfeld, in dem ich mich eigentlich nirgends wirklich auskannte, „Leitung“ falsch gelebt, wäre ich kläglich gescheitert, was nicht heißt, dass ich auch alles richtig gemacht habe. Indem ich mich aber gezwungen sah – um es am Beispiel der Leitung der umfangreichen Sanierungsmaßnahmen deutlich zu machen und an der Leitung des Internats im speziellen – mein spezifisches Sein als Priester einzubringen in das Miteinander der Profis, der „Laien“ war es mir möglich, Priester zu leben in einer ganz anderen als üblichen Gestalt von „Kirche“. Ja: es geht darum, im gemeinsam gelebten Kirche-Sein auf IHN transparent („Sakrament“ – „Zeichen“) zu werden, der in unserer Mitte uns den Weg weist. Dies für sich selbst ernst zu nehmen und je neu sich zu dieser Art des Lebens zu bekehren ist alles andere als einfach. Weit simpler wäre es, den „Chef“ im üblichen Sinn herauszukehren und so zu leben, was vielfach hinter negativer Kritik gegenüber Erfahrungen von „Leitung“ in Form von Vormundschaft, „Klassenunterschied“ u.ä.m. zu stecken scheint. Miteinander Kirche sein und dennoch – welch Zumutung eigentlich! – IHN, den Mittler schlechthin sakramental zu repräsentieren, an dem wir alle, mich eingeschlossen, uns auszurichten haben: Jede und jeder Getaufte ist bekanntlich in Seine Nachfolge gerufen. Auch als Priester kann und darf ich mich davon nicht ausnehmen.

Im Übrigen: wenn – das ist mir jedenfalls als Erfahrung zugewachsen in diesen fast 9 Jahren meines priesterlichen Dienstes – tatsächlich miteinander gelebt wird, dann ist die Frage nach „Wer darf jetzt wo unterschreiben?“ eigentlich keine und schon gar nicht die erste – ganz abgesehen davon, dass für die meisten alltäglichen Dinge die Profis der Laien in Buchhaltung und Geschäftsführung zuständig waren.

Schock

Der Schock sitzt. Tief. Ich kann nicht schlafen. Einer – um die Begrifflichkeit von Papst Johannes Paul II. aufzugreifen – meiner ‚älteren Brüder‘ wurde angegriffen, attackiert. In einer Woche, in der zunächst in Anschlägen Ziegelsteine der alten Grazer Synagoge, die in den Neubau eingearbeitet wurden, beschmiert worden waren und zwei Tage danach durch Ziegelsteine Fenster zu Bruch gingen – zu Beginn des Sabbat. Und dann am Abend dieses Tages zunächst die online-Meldung über den tätlichen Angriff und danach der Bericht in der Sonntagszeitung, die ich online eben kurz gelesen habe …

Schon vor alledem hat das Welthaus unserer Diözese angesichts des heurigen „Tages des Gedenkens an die Opfer von religiös motivierter Gewalt“, der von den Vereinten Nationen 2019 ins Leben gerufen wurde, an die weltweite Situation erinnert. Am 22. August – genau an diesem Gedenktag – dann Scherben und Prügel.

Angesichts der Schmierereien vom Donnerstag: Unsere diözesane Kommission für den interreligiösen Dialog meldet sich mit deutlichen Worten, genauso wie das Grazer Komitee für christlich-jüdische Zusammenarbeit in der kathpress. Viele aus Gesellschaft, den Kirchen und Religionsgesellschaften haben sich im Laufe des gestrigen Tages zu Wort gemeldet, ihre Solidarität mit den Gläubigen der jüdischen Gemeinde und speziell mit ihrem Präsidenten in Graz bekundet; auch ich – noch vor Bekanntwerden des persönlichen Angriffs auf Präsident Elie Rosen. Das Ökumenische Forum christlicher Kirchen wird sich zu Wort melden …

Ich ringe nach wie vor nach Worten – der Schock aber sitzt tief. Auch diese Zeilen sind letztlich nichts anderes als ein „Hinhalten“ vor Gott all meiner Traurigkeit und Bestürzung über das, was sich ereignet hat. Fragen. Ein Suchen, wo mein Beitrag noch intensiviert werden muss, dass solche Tiefpunkte nicht vorkommen – denn wenn mein Bruder geschlagen wird, kann es mich nicht kalt lassen. „Wer es auch war, er hat jedenfalls eine Grenze überschritten: Attacken gegen Gotteshäuser aller Religionen – und dann noch gegen Menschen! – gehören zum Allerletzten.“ schreibt im „Denkzettel“ der gerade druckfrischen „Kleine Zeitung“ Nina Müller. Ja: ich bete – und ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, dass diese Welt unterschiedlicher Menschen mit ihren verschiedenen Religionen eine friedlichere wird, versuche deutlich zu machen, dass Zusammenleben Verschiedener möglich ist. Dann aber – wie ein Faustschlag ins eigene Gesicht – das, was sich in meiner Wohnstadt ereignet, gleichsam „direkt vor meiner Haustür“. „So etwas kann und darf in meiner Heimat keinen Platz haben!“ Ich schäme mich angesichts dessen, was gegen eine Stätte des Gebets und der Gottesverehrung, gegen einen Mitbürger jüdischen Glaubens sich ereignet hat. Ich hoffe, dass ich selbst aufmerksam bleibe und dem, was „Liebe“ heißt, entsprechend lebe, mich immer neu hineinrufen lasse in die Bekehrung hin zu einem Leben, in dem alle Platz haben: Wir haben eben keinen zweiten Planeten.

Ich finde auch nach einer weiteren schlaflosen Stunde eigentlich keine Worte außer denen, die ich hier mühsam notiert habe und die, die viele gefunden haben und denen ich mich anschließe …

instruiert werden – XXVII

27. Exkurs: „leiten lernen“ III

Nach 8 Jahren als „Kaplan“[1] wechselte ich erneut, war ein weiteres Jahr Kaplan und danach Pfarrer für den Pfarrverband[2] Bruck/Mur – St.Dionysen-Oberaich. Es galt nunmehr ab 1999 mehr Verantwortung zu übernehmen. Da ich in meinen bisherigen Tätigkeitsfeldern – und die Gegend rund um den Zusammenfluss von Mur und Mürz ist erneut von anderen Menschen und Lebenssituationen geprägt als meine ersten beiden längeren seelsorglichen Erfahrungen[3]. Auch hier der einfache Gedanke: „Hierher bin ich nun gesendet. Die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, sind für IHN einzusetzen.“ Also erneut: das hehre Ziel der Evangelisierung und die Wirklichkeit, die sich durch Menschen und vorhandene Ressourcen ergeben. Dass dann im letzten Jahr auch eine dritte Pfarre hinzugekommen ist, die in den Pfarrverband integriert werden wollte, tat dieser Spannung, die wohl nicht nur in der Kirche zu leben ist, sondern in vielen Bereichen, keinen Abbruch: „Was vermögen wir – gemeinsam?“

Klar ist – und sollte dies nicht gut genug in den bisherigen kurzen Erfahrungen aus meinen seelsorglichen Einsatzorten[4] zum Ausdruck gekommen sein sei es hier erneut ergänzt: Kirche sind alle Getauften und daher haben alle ihren entsprechenden Anteil an der Sendung[5] – und derjenige, der den Dienst der „Leitung“ innehat, übt diese aus, indem er ermöglicht und befähigt, indem er freigibt und alles auf IHN hin zusammenhält und orientiert[6]. Es geht uns allen in der Kirche ja nicht um uns selbst und „Selbstdarstellung“, sondern darum, die innerste Einheit zwischen Gott und den Menschen und untereinander darzustellen (vgl. LG1). In allen meinen Einsatzorten wurde mir deutlich: „Ich kann und darf (!) nicht meinen, für alles zuständig zu sein – ich habe und muss (!) meinen Dienst für die anderen und mit den anderen leben!“ – „Vergelt’s Gott!“ daher.

Wenn wir als jene, die in die Seelsorge gesendet waren, Laien und Priester, uns immer zu Beginn des Arbeitsjahres zusammengetan haben um die Vielfalt des kirchlichen Lebens in den Pfarren zusammen zu schauen, waren wir immer davon geleitet, worin wir nun wirklich unsere Aufgabe sehen, um unserer Sendung als Kirche zu entsprechen, also: „Wie können wir unseren Beitrag dazu leisten, dass wir deutlich machen, was unser Auftrag als Kirche in dieser Umgebung ist? Und mit wem versuchen wir diesen Auftrag zu leben?“ Ich jedenfalls habe diesen Dienst der Leitung nicht als Bevormundung empfunden, war er doch eingebettet in das Leben, das dann auch heißen konnte, dass manches, was wir sahen, eben nicht umgesetzt werden konnte. Kirche als „Leib“ zu erfahren und zu erleben – nicht etwas, was uns tatsächlich noch zuwachsen muss? Und dabei gilt: nicht nur von den anderen zu fordern, sondern selbst leben; auch das, was Not heißt ist in das Miteinander einzubringen und so weiter … Das Leben und damit auch der Glaube ist zu teilen – in Freud und Leid – und dies inmitten unserer Welt.

Eine der wichtigsten Aufgaben für mich als Pfarrer war es, das „Nebeneinander“ der verschiedenen Wirklichkeiten von Kirche – ob Pfarren, Filialgemeinden oder auch andere Erfahrungsräume – zueinander zu bringen, denn „Deine Freude ist meine, Dein Leid ist meines“. Dieses Leben ist zu fördern – Strukturen hin oder her oder besser, wie auch immer diese aussehen. Sie sind ja Hilfe bzw. Rahmen und nicht das Leben von Kirche. Wie also können wir das Leben von Kirche fördern? – mein Zugang dazu wurde mir in den Aufgabenfeldern vorher schon deutlich; einige beispielhafte Punkte seien benannt:

  • Pfarre ist nicht gleich „Pfarre“. Auch wenn die Rechtsfolgen einer Pfarrgründung dieselben sind: das Leben ist ein je anderes, da ja Menschen die Gemeinschaft der Pfarre bilden. – Dennoch wage ich zu behaupten, dass die Bilder, die wir mit „Pfarrleben“ verbinden und damit auch das Programm, das dort „ablaufen“ soll dies zu wenig realisieren.
  • Als Priester und erst recht als Pfarrer bin ich zu einer gewissen Anzahl von Menschen gesendet. Diese ist zu sehen – systemische Unterteilungen in rechtliche Konstrukte und damit Strukturen sind dem gegenüber sekundär, auch wenn „Pfarren“ gewisse Rechtsfolgen (z.B. die Errichtung von Wirtschaftsräten; Pfarrgemeinderäte konnten schon lange in unserer Diözese auch gemeinsam gebildet werden) nach sich ziehen.
  • Da Kirche aus den Getauften gebildet ist, hat derjenige, der auf Christus als den einzigen Mittler zu verweisen hat, dies als seinen ersten Dienst zu leben – und ins „Miteinander“ und die Art der Gestaltung desselben einzubringen. Dabei hat er die Kompetenz und auch Professionalität der Mitarbeitenden ernst zu nehmen, denn es gilt „wo 2 oder 3 in meinem Namen versammelt sind“. Einwände, die er aufgrund seines Amts im Gefüge des Ganzen hat, sind daher in geeigneter Weise rasch in dieses Miteinander einzubringen.[7]
  • Die Sendung hat im Blick zu stehen, nicht wir selbst.[8] Die Frage nach dem, was „Gott von uns im Heute will“ ist eine beständige und alles andere als banal oder auch keineswegs klar, weil ja die Kirche „immer und ewig“ sei.

[1] Auch in den Berufsbezeichnungen, die für Priester in unserer Diözese üblich sind, kann es sein, dass sich die allgemeinen rechtlichen Begriffe der Weltkirche nicht widerspiegeln. Was bei uns als „Kaplan“ bezeichnet wird ist ein Priester, der in nach wie vor für seinen priesterlichen Dienst in Ausbildung steht und keine „Pfarrerprüfung“ hat. Im Kirchenrecht hingegen ist ein Kaplan „ein Priester, dem auf Dauer die Seelsorge für irgendeine Gemeinschaft oder für einen besonderen Kreis von Gläubigen wenigstens zum Teil anvertraut wird, die er nach Maßgabe des allgemeinen und des partikularen Rechts wahrzunehmen hat“ (can. 564). Erneut wird deutlich, wie sehr das allgemeine Recht in den Ortskirchen zu adaptieren ist bzw. adaptiert wird.

[2] In der Instruktion ist dies am ehesten mit dem Pfarreienverbund zu vergleichen. Wir machten freilich auch die Erfahrung, dass die Bezeichnung „Pfarrverband“ nicht so sehr das Miteinander aller in einer gewissen Region deutlich macht, sondern eher, dass es den „Pfarrer“ gibt, der unterschiedliche Pfarren „verbindet“. – Ganz abgesehen davon, dass manche mit „Verband“ etwas verbinden, das zur Linderung von Schmerzen angelegt wird.

[3] Vor der Priesterweihe lebte ich ein Jahr lang als Pastoralpraktikant und teilweise Diakon in der Grazer Dompfarre und absolvierte dort den von der UNI begleiteten letzten Ausbildungsschritt des Seminars.

[4] https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xxv/ bzw. https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xxvi/.

[5] Dies wird immer wieder auch in der Instruktion betont.

[6] vgl. auch unser Zukunftsbild.

[7] Dies ist ein anspruchsvolles Leben – kein Zweifel, auch deswegen, weil diese Art vielfach nicht gewohnt ist, zu sehr sind wir von einem anderen Bild von Kirche geprägt, das den Amtsträger „oben“ sieht.

[8] Wenn etwa zu früheren Zeiten in Visitationen der Pfarrer für die Zahl der Kirchenbesucher verantwortlich gemacht wurde, ist dies als Beispiel dafür zu sehen, wie sehr wir versucht sind, uns selbst in den Blick zu nehmen.

instruiert werden – XXVI

26. Exkurs: „leiten lernen“ II

Mit all den positiven Erfahrungen, die ich gestern geschildert habe[1] wechselte ich danach in das Aichfeld – eine auch in der Struktur ganz andere Situation von Kirche in derselben Diözese: Zunächst waren es 3, dann 5 Pfarren, die 2 bzw. 3 Priestern zur Sorge anvertraut waren. Ich trat dort an die Stelle von 2 Kaplänen; wenige Monate danach stirbt überraschend ein zwar pensionierter Priester in den Pfarren, der aber vieles an Seelsorge bis zuletzt lebte. Die positiven Hintergründe aus einer bei weitem mehr durch Landwirtschaft geprägten und dörflich organisierten Pfarre galt es in diese Situation zu übertragen, nicht „copy & paste“, sondern „Was will Gott von uns hier?“ Mein erstes Taufgespräch endete in einem Fiasko: nach etwa 20 Minuten stand der Vater des Täuflings auf und bat mich, das Taufgespräch zu beenden, das er für nicht sinnvoll erachte, wolle er doch nur, dass sein Kind getauft werde. Punkt. Die Erfahrung von Kirche eine ganz andere: mehr als 20% der Getauften waren ausgetreten; gab es in Hartberg praktisch nur Tauftermine, die festlich gestaltet waren und die Kirche daher auch voll – Erfahrung von Gemeinschaft (!), wurde hier eine andere Tradition gepflogen. Und: durch den Wegfall von Priestern – gegen Ende meiner Tätigkeit verließen dann auch die Kapuziner die Stadt – galt es die neuen Herausforderungen gemeinsam anzupacken. Alles andere als einfach, weil eben im Arbeitermilieu auch die Einstellung vermehrt anzutreffen war: „Wir zahlen ja für die Kirche, also hat die dann auch das zu machen, wenn wir was brauchen.“

Heute würde man modern wohl „Kirchenentwicklung“ sagen, was plötzlich angesagt war. Uns schien es daher wichtig, dass sich die Engagierten in den Pfarren mal kennenlernten, damit sie das Gefühl füreinander bekommen. – Interessant war schon: da gibt es zwar das Gebot der Nächstenliebe, doch wird dies unter Nachbarpfarren wirklich gelebt? Und es galt auch die Gottesdienste so zu ordnen, dass die kleineren und größeren Einheiten, die Pfarren und ihre Filialkirchen, entsprechend[2] gewürdigt werden. Die Debatten in den Liturgiekreisen und Pfarrgemeinderäten waren große, etwa: „8:30-Uhr-Messe am Sonntag ist zu früh für die Bauern, 09:00-Uhr-Messe ist zu spät für die Hausfrauen, 08:45 merkt sich niemand.“ Klar war uns: in jeder Gemeinde gilt es von Samstag Abend bis Sonntag Abend nach Möglichkeit wenigstens 1 Mal Eucharistie zu feiern … Mit der Bemerkung, dass auch der Priester eigentlich nur zu 1 Sonntagsmesse verpflichtet sei und es ihm egal sei, wohin er zunächst feiern geht, wurde das „Problem“ weg vom Priester hin zu den Gemeinden gelegt, die lernen mussten, einander zu lieben und nicht bloß auf sich selbst zu schauen[3]. In den Debatten wurde auch darauf geachtet, dass die großen weltkirchlichen Fragestellungen, die sofort auftauchen, hintengehalten werden, denn diese bringen uns in der konkreten Situation im Jetzt unserer Notwendigkeiten zunächst gar nichts. Es galt – und hier ist es gleich wie in Hartberg gewesen: Hierher hat uns Gott gestellt – wie leben wir mit den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, Pfarre und damit Kirche?

Mit der Zeit haben wir auf dem gemeinsamen Weg gelernt: als etwa zu den Pfarren Knittelfeld, Lind-Maßweg und Schönberg absehbar war – durch den Tod des nächsten Nachbarpfarrers – dass der Pfarrverband um St. Margarethen und Rachau erweitert wird, gab es eine Zusammenkunft aller Pfarrgemeinderäte. Das Zusammenleben der dann 3 Priester an 1 Ort in einer auch überschaubaren Entfernung zu den einzelnen Pfarrkirchen[4] und die Organisation des liturgischen Lebens verlangten zwar einiges von uns ab, doch das Miteinander derer zu stärken, die sich zu Christus bekennen, war alles andere als vergeblich. Ein Beispiel: Mittlerweile hatten wir auf gemeinsame Sitzungen aller Liturgiekreise umgestellt – das Pfarrheim in Knittelfeld war ideal ob seiner Größe für solche Anlässe: gemeinsam wurden liturgische Themen vertieft, in den einzelnen Pfarrgruppen wurden danach – auch ohne Priester – die spezifischen Fragen behandelt. Es galt die Messfeierordnung für einen bestimmten Sonntag zu finden, an dem nur der Pfarrer zu Hause war: „Soll ich nach Rachau gehen – eine der kleineren Pfarren mit durchschnittlich rund 20 Messbesuchern – oder soll ich die Messe am Vormittag in Knittelfeld mit durchschnittlich wohl 200 Personen feiern?“ Ein Knittelfelder Liturgiekreismitglied meinte schlicht: „Herr Pfarrer, bitte fahre in die Rachau – wir in Knittelfeld haben auch andere Möglichkeiten am Sonntag die Messe mitzufeiern, die in der Rachau aber nur 1“. – Als Priester haben wir uns die Zuständigkeiten territorial aufgeteilt: wenn es Pfarrgemeinderatssitzungen gab, um ein Beispiel zu nennen, war dann meist nur einer von uns dabei. Klar war uns: am nächsten Morgen musste das Frühstück nach den gemeinsam gebeteten Laudes genutzt werden, um einander gut zu informieren, was so los war. So konnte jeder auch von uns Anteil nehmen an dem, was die anderen gelebt haben. Auch wir als Priester „wuchsen“ zusammen – trotz der Herausforderungen, die nicht zu verachten waren.

Da keiner von uns sich gut auf wirtschaftliche Angelegenheiten verstand, hat der Pfarrer etwa einen Architekten gesucht und gefunden, der bereit war, ehrenamtlich alle kirchlichen Gebäude regelmäßig zu begutachten und den zuständigen Wirtschaftsräten seine Expertise zukommen zu lassen, sodass sie wussten, was in nächster Zeit anzugehen war[5]. Laien sind eben nicht „Laien“ im herkömmlichen Sinn, sondern als Glieder des Volkes Gottes tragen sie mit ihrer Expertise zum Aufbau der Gemeinden bei. Dass wir nach vielen Möglichkeiten gesucht haben, füreinander zu leben war klar, einige Beispiele:

  • Das Bildungswerk wurde von Knittelfels aus – auch ob der Ressourcen – für alle „gemanagt“ – nicht in jeder Pfarre musste es daher diesen Arbeitskreis geben.
  • Die kleinste Pfarre, Schönberg, hatte eine Zeitlang den größten Kirchenchor: hier waren praktisch alle beisammen, die sich engagierten. Wir ermunterten sie ihr Können auch in anderen Pfarren zur Mitgestaltung von Feiern zur Verfügung zu stellen, damit auch dort Chormusik – das war nicht allen möglich – erklingen kann.
  • Fronleichnam und andere größere Feste wurden kreativ untereinander und miteinander gefeiert – freilich mussten auch Abstriche an die „liturgische Höchstform“ da und dort gemacht werden, etwa wenn zwischen St. Margarethen und Rachau zunächst die Eucharistische Prozession gehalten und danach auf dem genau dazwischen liegenden Sportplatz abschließend Eucharistie gefeiert wurde.
  • Der Caritas-Kleiderladen wurde immer mehr zur Anlaufstelle für alle rundum liegenden Pfarren: er wurde professionell von Laien geführt.
  • Da wir zwischendurch mal erkannten, dass die pfarrlich Mitarbeitenden oft jene waren, die „zu kurz“ kamen, haben wir ein „Schöpferfest“[6] eingeführt und eine Werktagsmesse mit der Gelegenheit danach zusammenzusitzen, zu der wir ganz besonders die ehrenamtlich Engagierten eingeladen haben …

Erneut – und doch ganz anders: Pfarren sind zu leiten – der Dienst des/der Priester wurde durch die Notwendigkeiten, die sich ergeben haben, deutlicher zu dem, was er wirklich ist, nämlich zu dem, der auf Christus – sakramental – verweist, während das gesamte Volk Gottes in ihren je eigenen Aufgaben zum Aufbau des Leibes Christi beiträgt.

Ich bin unendlich dankbar für diese zweite priesterliche Erfahrung meines Wirkens – und finde genau das (!) auch hinter der sperrig-rechtlichen Sprache des Kirchenrechts wie auch der Instruktion wieder[7].

[1] https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xxv/

[2] Auch die Zahl der regelmäßigen Kirchgänger galt es freilich hier einzubeziehen und Kriterien wie „Mindest-Zeitabstand zwischen zwei Sonntagsmesse“, Anzahl der Messfeiern für einen Priester etc.

[3] Auch wenn die Hingabe im Opfer Jesu Christi gefeiert wird, bedeutet dies keineswegs automatisch dass die KatholikInnen dies auch ins Leben automatisch umsetzen.

[4] Vereinfacht gesagt war die vom Wohnort in Knittelfeld weitest entfernte Pfarrkirche des dann 5er-Pfarrverbandes näher als die in der 1 Pfarre weitest entfernte Filialkirche der 1 Pfarre Hartberg.

[5] Interessant für mich in dieser Beziehung ist freilich ein anderes Detail: der Architekt war noch voll berufstätig. Die Kontakte zum Ordinariat waren daher erst in eine Form zu kleiden, die seine Dienstzeiten und die Dienstzeiten unserer kirchlichen Abteilungen abglichen. Ehrenamtliche zu fördern bedeutet eben auch für die Hauptamtlichen, ihren Dienst entsprechend anzupassen!

[6] „Schöpfer“ bedeutet im Dialekt auch: (schwer) arbeiten.

[7] Noch einmal: dass es eben in jeder Gemeinschaft um deren Organisation willen unterschiedliche Verantwortlichkeiten gibt und braucht, ist klar. Das erste und bedeutende aber ist das Miteinander derer, die diese Gemeinschaft bilden und nicht die einzelnen Zuständigkeiten. Leider wird dieser Blick allein schon aufgrund der literarischen Gattung einer Instruktion in den Hintergrund gerückt.

instruiert werden – XXV

25. Exkurs: „leiten lernen“ I

Um das, wie ich persönlich mit „leiten“ umgehe leichter zu verstehen, scheint mir an dieser Stelle ein Exkurs vonnöten, der Erfahrungen sammelt, die mir zuteil wurden auf meinem persönlichen Weg des Verständnisses in der Kirche zu „leiten“.

Als Kaplan war ich zunächst in Hartberg eingesetzt. Der damalige Pfarrer August Janisch meinte in diesen Jahren dort einmal: „Weißt Du, ich glaube, dass ich von den ca. 10.000 Personen in der Pfarre 6.000 nach nunmehr 10 Jahren kenne. Und: mehr wird wohl nie möglich sein, weil es Zu- und Wegzüge gibt, weil Menschen sterben und geboren werden und weil es auch welche gibt, die sich einfach mit mir schwertun.“ So war es klar, dass wir gemeinsam nach Möglichkeiten suchten, Kirche vor Ort zu gestalten, was vor allem hieß, viele zum gemeinsamen Dienst anzuleiten und sie darin zu stärken[1]:

  • dies schien in den Dörfern am besten durch die Vorbeter zu geschehen, die praktisch Ansprechpartner waren für alles, was mit „Kirche“ zu tun hatte – die Aufgabe der Priester bestand darin, diese [wenn ich mich recht erinnere waren es mehr als 100 Personen] für ihren Dienst gut zu befähigen und darin zu stärken.
  • Pfarrgemeinde- und Wirtschaftsräte: auch in diese Gremien wurde ich gut eingeführt. Deren Bedeutung, unter jeweils anderen Aspekten das pfarrliche Leben im Blick zu haben mochte ich schon damals nicht missen.
  • LektorInnen und KommunionspenderInnen: unverzichtbar – nicht nur in der Liturgie, sondern auch wenn es darum ging, die Eucharistie Kranken und Alten nach Hause zu bringen. Geistliche Einkehr und Schulungen standen für diese Personengruppen auf der Priester Arbeitspapier.
  • Jene, die Religion unterrichteten: mit diesen – wohl an die 20 – gab es regelmäßige Treffen, hatten sie doch in der Schule praktisch zu allen Kindern und Jugendlichen der Pfarre und im Höheren Schulbereich auch darüber hinaus Kontakt. Ihre pädagogische Kompetenz – ich habe selbst auch die Jahre über unterrichtet war unbestritten.
  • In Bibel- und Dorfrunden sowie anderen Gesprächskreise und den sogenannten „Christenlehren“[2] wurde durch die Hauptamtlichen in der Seelsorge der Glaube vertieft und das Gespräch darüber mit den Menschen vor Ort gesucht.
  • Mit dem Vinzenzverein und denen, die sich bei ihm ehrenamtlich Engagierten wurde eine kleine und doch große helfende Anlaufstelle für alle in Not geschaffen. Sie zu bestärken und ihnen aufbauend zur Seite zu stehen: eine lohne Aufgabe für einen Seelsorger.
  • Das Engagement vieler in der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einsetzenden Fluchtbewegung war unter dem Pfarrer als „Hirte, der vorausging“, weit über die Grenzen hinaus bekannt.
  • Regelmäßige Dienstbesprechungen unter denen, die in der Kirche angestellt waren, standen auf meinem Spickzettel für den Dienst: wir versicherten uns gegenseitig uns in unseren je eigenen Stärken zu ergänzen.

Wenn ich es recht in Erinnerung habe: einige hundert Personen gab es in der Liste der „pfarrlich Engagierten“ – PfarrblattausträgerInnen genauso wie SchaukastengestalterInnen oder Caritas-HaussammlerInnen, Drittwelt-Engagement gab es genauso wie jene, die sich beim Kirchenputz beteiligten oder ihren Beitrag in der Firmvorbereitung bzw. beim Pfarrfest leisteten: Kirche zu leben geht nur im Miteinander – und ich bin sicher, ich habe jetzt in dieser Aufzählung vieles vergessen, wo wir als Kirche bei den Menschen präsent waren: die regelmäßigen gottesdienstlichen Feiern auch in den Dorfkapellen und Filialkirchen – bei weitem nicht nur Messen (!) wie etwa das Felder- und Maibeten usw. – vertieften in der Pfarre mit ihren rund 30 Dörfern das, was uns im Glauben zusammenhielt.

Nebenbemerkung: in manchen Passagen der Instruktion wie auch dem Kirchenrecht[3] klingt ein für mich nie erfahrenes Pfarrer-Bild durch: das „Kennen aller in der Herde“ war schon damals keine Erfahrung von mir – schlicht weil es nicht ging. Und die Situation anders zu gestalten, sprich kleinere Pfarren oder so[4], hielt ich nicht für sinnvoll, weil der Bezug zur „Pfarrkirche“ ein großer und gewichtiger war und auch – man soll das nicht unterschätzen – durch den großen „Pfarrfriedhof“ über den Tod (und darüber hinaus) diese Einheit, die irgendwann einmal gewachsen ist, erfahrbar gemacht hat. Das, was in can. 528 des Kirchenrechts[5] vom Pfarrer allgemein gesagt wird, muss eben auf die konkrete Situation adaptiert werden und in dem, was „seelsorglicher Eifer“ genannt wird, mit den persönlichen Fähigkeiten angereichert gemeinsam gelebt werden.[6] Ach ja: hier ist immer vom Dienst an den Anderen die Rede, weil Kirche eben das Miteinander derer ist, die sich zu Jesus Christus bekennen. Nicht zu vergessen war für mich schon damals, dass mein Dienst eben auch und vor allem darin bestand, etwa durch Vorbereitung und Feier der Sakramente sowie die oben schon angeführten Dienste die Einzelnen auf ihrem je eigenen Weg des Glaubens zu begleiten, dass auch sie immer mehr „Geschmack an Gott“ finden – auch wenn ich selbst die eine oder andere Form von Spiritualität selbst nicht teilte und lebte, ich hatte einen Dienst auszuüben: es geht ja nicht um mich, sondern um IHN.

[1] So heißt es etwa auch im Kirchenrecht can. 529 §2: „Der Pfarrer hat den eigenen Anteil der Laien an der Sendung der Kirche anzuerkennen und zu fördern und ihre Vereine, die für die Ziele der Religion eintreten, zu unterstützen. Er hat mit dem eigenen Bischof und mit dem Presbyterium der Diözese zusammenzuarbeiten und sich auch darum zu bemühen, daß die Gläubigen für die pfarrliche Gemeinschaft Sorge tragen, sich in gleicher Weise als Glieder sowohl der Diözese wie der Gesamtkirche fühlen und an Werken zur Förderung dieser Gemeinschaft teilhaben oder sie mittragen.“

[2] Früher waren darunter Katechismus-Lehrstunden in den Pfarren zu verstehen. Sie wurden auf andere Art in den Dörfern, wo sich Jugendliche projekthaft für ein Jahresthema zusammenfanden gleichsam zu einem „Dorffest“ umgebildet, bei dem die Ergebnisse der jungen Menschen den BewohnerInnen vorgestellt wurden.

[3] vgl. can 529 §1: „Um die Hirtenaufgabe sorgfältig wahrzunehmen, hat der Pfarrer darum bemüht zu sein, die seiner Sorge anvertrauten Gläubigen zu kennen; deshalb soll er die Familien besuchen, an den Sorgen, den Ängsten und vor allem an der Trauer der Gläubigen Anteil nehmen und sie im Herrn stärken, und wenn sie es in irgendwelchen Dingen fehlen lassen, soll er sie in kluger Weise wieder auf den rechten Weg bringen; mit hingebungsvoller Liebe soll er den Kranken, vor allem den Sterbenden zur Seite stehen, indem er sie sorgsam durch die Sakramente stärkt und ihre Seelen Gott anempfiehlt; er soll sich mit besonderer Aufmerksamkeit den Armen, Bedrängten, Einsamen, den aus ihrer Heimat Verbannten und ebenso denen zuwenden, die in besondere Schwierigkeiten geraten sind; auch soll er seine Aufgabe darin sehen, die Ehegatten und Eltern bei der Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten zu stützen und die Vertiefung eines christlichen Lebens in der Familie zu fördern.“

[4] Woher dann die zuständigen Priester kommen sollten, bleibt ja auch noch zu fragen.

[5] can. 528 §1: „Der Pfarrer ist verpflichtet, dafür zu sorgen, daß denen, die sich in der Pfarrei aufhalten, das Wort Gottes unverfälscht verkündigt wird; er hat deshalb dafür zu sorgen, daß die Laien in den Glaubenswahrheiten unterrichtet werden, besonders durch die Homilie an den Sonntagen und den gebotenen Feiertagen und durch die katechetische Unterweisung; er hat die Werke zu unterstützen, die den Geist des Evangeliums fördern, auch in bezug auf die soziale Gerechtigkeit; seine besondere Sorge hat der katholischen Erziehung der Kinder und Jugendlichen zu gelten; er hat sich mit aller Kraft, auch unter Beiziehung der Hilfe von Gläubigen, darum zu bemühen, daß die Botschaft des Evangeliums auch zu jenen gelangt, die religiös abständig geworden sind oder sich nicht zum wahren Glauben bekennen.“

can. 538 §2: „Der Pfarrer hat Sorge dafür zu tragen, daß die heiligste Eucharistie zum Mittelpunkt der pfarrlichen Gemeinschaft der Gläubigen wird; er hat sich darum zu bemühen, die Gläubigen durch eine ehrfürchtige Feier der Sakramente zu weiden, in besonderer Weise aber darum, daß sie häufig die Sakramente der heiligsten Eucharistie und der Buße empfangen; ebenso hat er darauf bedacht zu sein, daß sie auch in den Familien zur Verrichtung des Gebetes geführt werden sowie bewußt und tätig an der heiligen Liturgie teilnehmen, die der Pfarrer unter der Autorität des Diözesanbischofs in seiner Pfarrei leiten und überwachen muß, damit sich kein Mißbrauch einschleicht.“

[6] Das Kirchenrecht ist ja nicht das „Evangelium“, sondern macht deutlich, worum es prinzipiell zu gehen hat – weltweit und auch in der Steiermark sind die Situationen aber so unterschiedlich, dass es also darum geht – wie immer – den inneren Sinn der Bestimmungen zu erfassen und diese den Möglichkeiten entsprechend an die Situationen anzupassen.

instruiert werden – XXIV

24. Leitung der Pfarre I

Da – wie schon mehrfach in diesem blog geschrieben – zur Pfarre eben auch der „Pfarrer“ hinzuzudenken ist, widmet sich die Instruktion ausführlich dem Thema, wie diese „Gemeinschaft der Gläubigen“, die üblicherweise eine Pfarre bilden [vgl. can. 515§1]. Daraus – wie es oft geschehen ist – eine Überbetonung des priesterlichen Dienstes herauszulesen wird meines Erachtens dem Anliegen nicht gerecht, soll doch eben abgegrenzt werden, wie denn nun dieses (auch) soziologische Gebilde, das nebenbei auch staatlicherseits Rechtspersönlichkeit genießt, verantwortet bzw. „nach außen vertreten“ wird. Dass es im Gebilde „Pfarre“ unterschiedliche Berufungen, damit auch Funktionen und Rollen gibt, ist klar[1]; dass die Reihenfolge der Beschreibung derselben eine zumindest „unglückliche“ ist[2] und damit der negativ kritisierte Einwand der einseitigen Betonung oder gar der Klerikalismus-Vorwurf an die Instruktion entstehen kann, wurde schon andernorts benannt.

Ich möchte – wie auch schon des öfteren betont – den hermeneutischen Schlüssel der „pastoralen Umkehr“ auch hier anwenden. „Das Amt des Pfarrers dient der umfassenden Seelsorge“ heißt es eingangs zu 66 und in 69: „Es ist daran zu erinnern, dass der Pfarrer der Pfarrei dient und nicht umgekehrt sie ihm“ rechtfertigen diesen Blickwinkel meines Erachtens auch im Text. Ich möchte dies hier mit einigen Überlegungen bzw. Gedanken zum Begriff „Hirtendienst“ (vgl. Einleitung zum Kapitel VIII, 62) tun, der wohl das Bild abgibt für das, was im deutschen Horizont vielfach mit „Leitung“ widergeben.

  1. unterschiedliche Bilder
    Wie schon andernorts deutlich gemacht[3] läuft unser Begriff „Leitung“[4] Gefahr, nicht so sehr den „Dienst“ oder die „Hirtensorge“ in den Vordergrund zu rücken. Im blog habe ich auch schon dargestellt, was „Leitung“ im kirchlichen Kontext meint[5]: sakramentaler, also zeichenhafter Verweis auf den eigentlichen Herrn und das Haupt schlechthin der Kirche, Jesus Christus.
    Mit anderen Worten: ist der Pfarrer derjenige, der „den Hirten“ schlechthin repräsentiert, dann hat er ihm entsprechend diesen Dienst zu leben, der ein Dienst des Sklaven ist[6], ein Dienst der Erniedrigung bis zum Kreuz[7]. Anders ausgedrückt: Fußwaschung ist nicht nur rituell während der Feier vom Letzten Abendmahl zu vollziehen, sondern ist lebensbestimmend für den, der ein geweihtes Amt in der Kirche ausübt, zumal den Pfarrer.
    Dass sich dieser „Verweis-Charakter“ auf den eigentlichen Herrn dann eben in der „Grundverantwortung“ der Hirtensorge widerspiegelt, eben weil es Christus ist, der der Eucharistie vorsteht usw., ist zumindest in der Argumentation stringent. Dass die Geschichte herauf und wohl auch heute diese „innere Logik“ anders gelebt wird und sich oft andere Erfahrungen ergeben (haben) ist – leider – zu attestieren. Welche systemischen Mechanismen es im Gefüge von Kirche braucht, um in Hinkunft Pervertierungen und „Machtausübung“ zu vermeiden, wird derzeit heftig debattiert. Dass es welche braucht, eben weil auch Pfarrer/Priester Menschen sind, ist unumstritten[8]; dass dies aber nur unter „Macht-Kategorien“ debattiert wird, als die solche Erfahrungen erlebt werden, ist aber m.E. zu wenig, weil dies lediglich das „alte Denken“ und „Leben“ von Kirche fortsetzt. Solange wir nicht wirklich Phil 2 leben und Gestalt werden lassen, werden – so denke ich – die Debatten um die „Macht-Verteilung“ in der eben auch soziologischen Größe „Kirche“ nicht verstummen.
  2. Bezogenheit
    Das Bild von der Liturgie als „Höhepunkt und Quelle allen kirchlichen Lebens“[9] ist uns bekannt. Eine Quelle wird zum Tümpel, wenn das Wasser sich nicht ergießt in Bäche und Flüsse; um zu einem Höhepunkt zu gelangen braucht es einen Anweg. Mit anderen Worten: diese Bilder, die gebraucht werden, sind gedanklich zu vervollständigen. – Mir fällt dieser Vergleich ein, wenn von „Hirtensorge“ die Rede ist und damit auch „Leitung“ bei uns gemeint wird: einen Hirten gibt es nur, insofern es auch eine Herde gibt; es braucht eine Gemeinschaft, um „Leitung“ auszuüben. Nicht der Hirt, nicht die Leiterin ist das erste, sondern eben die Herde bzw. die Gemeinschaft. Das „Wie“ der Ausübung ist hier zunächst nicht im Blick. – Anders ausgedrückt: zunächst gilt es die Gemeinschaft entsprechend aufzubauen, damit in ihr sich die unterschiedlichen Aufgaben in rechter Weise entfalten können.
    Worum es mir jetzt und hier geht ist lediglich die Beschreibung dessen, dass ein – funktionierendes und gelebtes – Miteinander Voraussetzung ist für das, was Pfarre und in ihr dann eben auch der Hirtendienst ist. Oder noch einmal anders: dort, wo Pfarre – auch in ihrer missionarischen Dimension, wie es die Instruktion in Erinnerung ruft – gelebt wird, wird der Dienst an der umfassenden Seelsorge durch den Pfarrer recht verstanden und auch gelebt.

c.  missionarische Dimension
Das „Licht“ bzw. „Salz“, das die Christen sind, um so der Welt Orientierung und Geschmack zu verleihen, wird bekanntlich in den ersten Kapiteln der Instruktion ausführlich beschrieben. Die „pastorale Umkehr“ hin zu einer evangelisierenden Kirche auch auf der Ebene der Pfarren, die sich wirklich an alle wendet und niemanden „außen vor“ lässt, ist Angelegenheit der ganzen Gemeinde und wohl auch in die „umfassende Seelsorge“ einzurechnen, der der Dienst des Pfarrers gilt. Gemeinsam wäre demnach wohl im Namen Jesu Christi als dem Haupt der Kirche dieses Momentum unser aller Berufung vertieft anzupacken. – Hand aufs Herz – und auch darüber habe ich in den vergangenen Einträgen immer wieder gesprochen: „Denken wir beim Begriff ‚lebendige Pfarre‘ an Lebensäußerungen von Kirche, die diesem Aspekt gewidmet sind? Denken wir nicht viel eher an Liturgie oder Veranstaltungen in den ‚Pfarrzentren‘?“ Wenn nun der Pfarrer im Dienst an der Pfarre dieser Art von umfassender Seelsorge dienen soll, dann ist wohl in so manchen unserer Pfarren eine Umkehr notwendig, scheint mir und in so manchen Lebensäußerungen eine Neubesinnung.

[1] Dass darüber hinaus es mehrere Arten gibt, Priestersein in einer Pfarre zu leben und auch kirchenrechtlich mehrere Möglichkeiten die Verantwortlichkeiten zu klären muss angeführt werden: VIIIa – VIIId und VIIIh, danach (VIIIe) die Diakone, VIIIf die Gottgeweihten, VIIIg die Laien.

[2] vgl. oben https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xvii

[3] vgl. oben https://krautwaschl.info/instruiert-werden-i Anm. 5.

[4] Und die Bilder, die in unserem Kontext hier mitschwingen, sind für das, was gemeint ist, „fatal“: „Chef“, „jemand, der ‚auf den Tisch haut'“ usw. usf. – wohl auch aufgrund so mancher Erfahrungen mit Vertretern dieser Zunft.

[5] vgl. oben https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xix

[6] vgl. Mt 20,25-28 (parr.): Jesus sagte zu seinen Jüngern: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Großen ihre Vollmacht gegen sie gebrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Wie der Menschensohn nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“

[7] vgl. Phil 2,1-11.

[8] Dass etwa der Dienst des Bischofs, wie ich ihn ausübe, „systemisch“ schon Funktionsträger kennt, die eine Art Korrektiv zu sein haben, sei am Rand erwähnt: ich denke in meinem Fall etwa an die Pressesprecher, den Ombudsmann und den – der Tradition der Jesuiten entnommenen – Dienst des „admonitus“.

[9] Zweites Vatikanisches Konzil, Instruktion über die Liturgie „Sacrosanctum concilium“ 10: “ die Liturgie [ist] der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt“.