Schock

Der Schock sitzt. Tief. Ich kann nicht schlafen. Einer – um die Begrifflichkeit von Papst Johannes Paul II. aufzugreifen – meiner ‚älteren Brüder‘ wurde angegriffen, attackiert. In einer Woche, in der zunächst in Anschlägen Ziegelsteine der alten Grazer Synagoge, die in den Neubau eingearbeitet wurden, beschmiert worden waren und zwei Tage danach durch Ziegelsteine Fenster zu Bruch gingen – zu Beginn des Sabbat. Und dann am Abend dieses Tages zunächst die online-Meldung über den tätlichen Angriff und danach der Bericht in der Sonntagszeitung, die ich online eben kurz gelesen habe …

Schon vor alledem hat das Welthaus unserer Diözese angesichts des heurigen „Tages des Gedenkens an die Opfer von religiös motivierter Gewalt“, der von den Vereinten Nationen 2019 ins Leben gerufen wurde, an die weltweite Situation erinnert. Am 22. August – genau an diesem Gedenktag – dann Scherben und Prügel.

Angesichts der Schmierereien vom Donnerstag: Unsere diözesane Kommission für den interreligiösen Dialog meldet sich mit deutlichen Worten, genauso wie das Grazer Komitee für christlich-jüdische Zusammenarbeit in der kathpress. Viele aus Gesellschaft, den Kirchen und Religionsgesellschaften haben sich im Laufe des gestrigen Tages zu Wort gemeldet, ihre Solidarität mit den Gläubigen der jüdischen Gemeinde und speziell mit ihrem Präsidenten in Graz bekundet; auch ich – noch vor Bekanntwerden des persönlichen Angriffs auf Präsident Elie Rosen. Das Ökumenische Forum christlicher Kirchen wird sich zu Wort melden …

Ich ringe nach wie vor nach Worten – der Schock aber sitzt tief. Auch diese Zeilen sind letztlich nichts anderes als ein „Hinhalten“ vor Gott all meiner Traurigkeit und Bestürzung über das, was sich ereignet hat. Fragen. Ein Suchen, wo mein Beitrag noch intensiviert werden muss, dass solche Tiefpunkte nicht vorkommen – denn wenn mein Bruder geschlagen wird, kann es mich nicht kalt lassen. „Wer es auch war, er hat jedenfalls eine Grenze überschritten: Attacken gegen Gotteshäuser aller Religionen – und dann noch gegen Menschen! – gehören zum Allerletzten.“ schreibt im „Denkzettel“ der gerade druckfrischen „Kleine Zeitung“ Nina Müller. Ja: ich bete – und ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, dass diese Welt unterschiedlicher Menschen mit ihren verschiedenen Religionen eine friedlichere wird, versuche deutlich zu machen, dass Zusammenleben Verschiedener möglich ist. Dann aber – wie ein Faustschlag ins eigene Gesicht – das, was sich in meiner Wohnstadt ereignet, gleichsam „direkt vor meiner Haustür“. „So etwas kann und darf in meiner Heimat keinen Platz haben!“ Ich schäme mich angesichts dessen, was gegen eine Stätte des Gebets und der Gottesverehrung, gegen einen Mitbürger jüdischen Glaubens sich ereignet hat. Ich hoffe, dass ich selbst aufmerksam bleibe und dem, was „Liebe“ heißt, entsprechend lebe, mich immer neu hineinrufen lasse in die Bekehrung hin zu einem Leben, in dem alle Platz haben: Wir haben eben keinen zweiten Planeten.

Ich finde auch nach einer weiteren schlaflosen Stunde eigentlich keine Worte außer denen, die ich hier mühsam notiert habe und die, die viele gefunden haben und denen ich mich anschließe …