Nach Seinem Wort leben

Homilie bei der Messe mit Weinsegnung am Fest der Heiligen Familie (27.12.2020) in Frauenberg bei Leibnitz

  1. Weihnachten ist ein besonderes Fest. Es dauert mehrere Tage, weil es so viel zu feiern gibt. Am Sonntag nach Weihnachten denken wir vor allem an die Familie, in der Jesus groß geworden ist. Dieser Sonntag fällt heuer auf den Tag des hl. Johannes, der wie kein anderer der 4 Evangelisten Jesu Leben auch theologisch durchdrungen und mit poetischer Sprache für den Glauben gleichsam „übersetzt“ hat.
  2. Was ist der Kern der „Hl. Familie“?
    Einfach gesagt geht es darum, im Alltag mit Jesus zu leben. Nur ganz wenig aus dem Leben Jesu seiner ersten 3 Lebensjahrzehnte ist uns bekannt, aber es kann so umschrieben werden. – Und das ist eigentlich auch heute jene Wirklichkeit, die uns als Christen des 21. Jahrhunderts auszeichnen sollte, so in dieser Welt zu leben, dass ER im Alltag mitten unter uns sein kann. Sein bekanntes Wort von den zwei oder drei, die in Seinem Namen versammelt sind und er daher mitten unter ihnen, ist eben nicht nur auf die Feier der Gottesdienste hin zu verstehen, sondern auf den Alltag hin.
  3. Das, was Johannes „hymnisch“ im ersten großen Kapitel seines Evangeliums besingt, dass er „Fleisch“ geworden ist und „unter uns gewohnt“ hat (Joh 1,14), haben wir erzählend heute vernommen: in seiner Familie ist er herangewachsen – und Gnade ruhte auf ihm (Lk 2,40). – Genau um diesen Alltag soll und muss es uns eigentlich gehen, wenn wir uns in der Nachfolge Jesu Christi wissen. Die gemeinsamen Feiern – sie sind uns ohnedies in den vergangenen Monaten immer wieder genommen gewesen und werden wohl noch eine Zeitlang unter besonderen Umständen begangen werden können – sollen uns ja eigentlich nur daran erinnern, worum es 24 Stunden auf 24 Stunden in unserem Leben geht: mit IHM zu leben.
  4. Das religiöse Brauchtum, das sich rund um die großen Feste der Christenheit angesiedelt hat, so auch um das Weihnachtsfest, versucht gleichsam auf seine Art und Weise, dies deutlich zu machen: der Alltag des Lebens als Weinbauer bringt es mit sich, dass nach der Ernte der junge Wein zu genießen ist. Wie alles im Leben eigentlich „Frucht des Segens“ ist, mit Gottes „Ja“ zu seiner Schöpfung in Verbindung gebracht werden kann, so wird im Brauch des Weinsegens am 27. Dezember deutlich: auch im einfachen Leben, im Mahl halten ist ER nicht fern, sondern teilt das Leben mit uns. So wie er in Not mit uns ist, so begleitet er uns auch in allen Krisen, so ruft ER uns heraus, nicht vor den Nächsten die Augen zu verschließen und das Unsrige dazu beizutragen, dass Elend hier bei und uns und rund um uns herum, ja weltweit gelindert werden soll. Er ist aber auch der „Gott mit uns“ in der Freude. Und da Johannes der Legende nach nicht an einem vergifteten Getränk gestorben ist, weil er darüber das Kreuzzeichen gemacht hat, so hat sich eben der Brauch herausgebildet, an seinem Fest Wein zu segnen. Er selbst wird ja auch als einer der Patrone für die Winzer verehrt.
  5. So möge der heutige Tag – das Gedenken an die Heilige Familie wie auch das des Evangelisten Johannes uns Ansporn und Wegweisung sein, unser Leben nach Seinem Wort auszurichten und es als Maß für unseren Alltag werden zu lassen.

Es geht um’s Eingemachte

Predigt am Fest des hl. Stephanus in Frauenberg bei Leibnitz 2020

  1. Am heutigen 2. Weihnachtstag geht es – auch wenn das Fest angesichts der weit verbreiteten Lieblichkeit, die ein Kind verbreitet, ums „Eingemachte“, wie man umgangssprachlich oft so sagt. Ja: es geht um die DNA des Evangeliums. Was genau geschieht hier, bei der Tötung des Heiligen Stephanus? Und was macht die Provokation aus, die zur Tötung des Stephanus führt. Und warum provoziert Stephanus ohne Unterlass? Worum geht es ihm?
  2. Stephanus war einer der sieben, die das Volk Gottes auswählte, als es zum ersten Mal zu einer Wachstumskrise der jungen Gemeinde kam. Er war, so sagt die Schrift, ein Mann des Wortes, der Begeisterung – „voll Gnade und Kraft“. Das erregt und erzürnt die Leute. Er selbst ist aber auch nicht gerade sanft: „Ihr Halsstarrigen“ faucht er ihnen entgegen. Er provoziert also: Kein Wunder, dass die Reaktion dann nicht auf sich warten lässt: „Als sie seine Rede hörten, waren sie aufs Äußerte über ihn empört und knirschten mit den Zähnen …“ Spätestens jetzt, hätte er aufhören können. Es wäre die Gelegenheit, sich zurückzuziehen. Aber er tut es nicht. Er redet weiter, er provoziert unerträglich. Warum tut er das?
  3. Wir hören im Evangelium: „Wenn sie euch aber ausliefern, macht euch keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt; denn es wird euch in jener Stunde eingegeben, was ihr sagen sollt“. Genau das passiert hier: Stephanus wählt nicht eine bestimmte Taktik, er „muss“ reden, er ist nicht politisch unterwegs, sondern erzählt, was er sieht. „Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen und rief: Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“. Das reicht, und auf einmal beschleunigt sich die Geschichte: „Da erhoben sie ein lautes Geschrei, hielten sich die Ohren zu, stürmten einmütig auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn.“ – Aber was ist es, dass darin so provoziert? Warum regt das die Juden so auf? Und kann das noch uns erreichen, ja, vielleicht sogar provozieren? Oder ist es so selbstverständlich normal für uns?
  4. Was sieht Stephanus? Er sieht Jesus, den Menschensohn, zur Rechten Gottes. Er sieht nicht einen Gott, der von oben sich um die Menschen kümmert, er sieht nicht einen einzigartigen, allmächtigen und herrlichen Gott, der sich der Menschen erbarmt – er sieht Gott, der den Menschen ihm ebenbürtig macht, der mit dem Menschen in derselben Wirklichkeit steht, der in eine gleichwürdige Beziehung tritt – und wo jetzt die Herrlichkeit im Zwischen liegt, eben in der Beziehung.

Herrlichkeit ist nicht mehr Gottes Größe, die den Menschen zum Sterben bringt, weil sie so hell leuchtet, dass der Mensch es nicht mehr aushält. Herrlichkeit – das ist jetzt die Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Nicht mehr ein Oben Gottes und ein Unten der Menschen, sondern eine Miteinander in derselben Herrlichkeit, auf Augenhöhe.

  1. Von daher ist Stephanus‘ Tod eine Spätkonsequenz von Weihnachten, denn: da wird Gott Mensch, und seitdem ist Mensch und Gott auf Augenhöhe, in Beziehung. Und seitdem geht es um die gleichwürdige Beziehung. Der Himmel ist offen, weil wir alle in diesem Himmel leben können: Mensch und Gott, Mensch und Mensch.
    Und das provoziert. Denn wenn in den Beziehungen in der Kirche, in den Gemeinden, in den Beziehungen ein Oben-Unten ist, dann steckt darin eine tiefe Fehlinterpretation des Gottesverhältnisses, dann ist damit jene Grundprägung völlig unterboten und verfälscht, für die Stephanus gestorben ist. Sie entspricht in keiner Weise dem Evangelium vom Kind, von Weihnachten, von der Liebe, die den Menschen zur Rechten Gottes erhöht.
  2. Die innere Gestalt der Kirche, die innere Prägung all dessen, was wir Kirche nennen, ist nur in dieser Provokation authentisch: in unserem Ursprung, in unserem Werden steht diese neue gleichwürdige partizipative Beziehung zu Gott. Und „Herrlichkeit“ meint genau jene Erfahrung des Zueinander, des Miteinander, der Gegenwart des Geistes zwischen uns.
    Das ist unsere frohe Botschaft – das ist die Hoffnung auf Herrlichkeit zwischen uns, wie Paulus es formuliert: „Christus ist unter uns, die Hoffnung auf Herrlichkeit“ (Kol 1,27).
  3. An dies zu erinnern und zu leben ist gerade angesichts so vieler Grenzen, die uns derzeit durch die Pandemie und damit ein kleines unscheinbares Ding gesetzt werden, mehr als nötig. Dies ist auch ernst zu nehmen angesichts des 3. Lockdowns in Österreich, der auch unser feierndes kirchliches Leben ab übermorgen erneut auf ein Mindestmaß reduzieren wird: denn in den kommenden Wochen gilt es erneut ernst zu machen mit dem „Wir sind auf du und du mit Gott!“ – und das fällt mitunter schwer, das wollen wir eher anderen zumuten, eventuell jenen, die ein Amt in der Kirche innehaben. Aber ER ist eben Gott. Und ER ist ein Gott mit uns.

Wage zu träumen – XVI

Weihnachten rettet uns

In den vergangenen Tagen war immer wieder davon die Rede, wie wir „Weihnachten 2020“ retten könnten. Ich weiß nicht, wer diese Redewendung aufgebracht hat – sie war irgendwann einmal da, wohl von Verantwortungsträgern in der Gesellschaft, die „auf Sicht fahrend“ in dieser Pandemie zwischen verschiedenen Fragestellungen Entscheidungen zu treffen hatten, die nicht „auf gleich“ zu bringen sind: Auslastung der Krankenhäuser und Intensivstationen, Fragestellungen rund um die Pflege älterer Menschen, Schule und Bildung, Arbeit und Wirtschaft, Wohlergehen der Menschen im umfassenden Sinn etc.

Als Bischöfe haben wir festgestellt: „Wir müssen Weihnachten nicht retten in Zeiten von Corona. Weihnachten rettet uns.“ Auch wenn die Entscheidungen, die getroffen wurden, was die Feier von Gottesdiensten anlangt, dem zu widersprechen scheinen – ich sehe schon heute wieder eine Menge Post mit Vorwürfen an mich und an uns: wir sind gerade deswegen, weil „Christus, der Retter da ist“ geleitet, in dieser Krise[1], die nun schon Monate dauert, die Wirklichkeit des Herrn mitten unter uns in Erinnerung zu rufen. In für mich nach wie vor „toller“ Weise hat dazu der heutige Kardinal Grech Anfang Oktober in einer italienischen Zeitschrift ein Interview gegeben, das ich zu Beginn meiner blog-Einträge zum 2. Lockdown[2]. Vielen – auch „katholischen Insidern“ – gilt diese Glaubenstatsache meine ich in Erinnerung zu rufen: „ER IST DA!“ heißt er doch Immanuel – und Seine Gegenwart ist eine der Nähe in vielfältiger Weise, nicht nur in der Feier der Liturgie oder anderer Gottesdienste.

Ja – gerade heuer angesichts der vielen Infragestellungen unseres „üblichen Lebens“ fast das ganze Jahr über[3]: heuer hat Weihnachten einen ganz besonderen „Klang“, eine ganz und gar einmalige „Kennung“: „Glaube ich wirklich, dass der Retter Welt, Gott selbst, einer von uns geworden ist?“ – „Bekenne ich mit dem Leben, nicht nur mit den Lippen, dass ich mir Seiner Nähe und Liebe bewusst sein darf – und gerade deswegen mein Leben in Seiner Nachfolge ausrichte, etwa indem ich wirklich zu zweit, zu dritt, also im Miteinander in Seiner Liebe zu leben versuche, weil wir dadurch in Seinem Namen zusammen sind?“[4]

Ein solches Leben mit IHM, lebendig und kraftvoll: das ist Weihnachten – auch und gerade 2020.


[1] In seiner heurigen Weihnachtsansprache an die Kurie hat Papst Franziskus Bedenkenswertes zu „Krise“ gesagt – freilich im Blick auf die Hörerschaft, doch kann dies auch betrachtet werden um Schlüsse für unsere Situation zu ziehen: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2020-12/wortlaut-papst-franziskus-weihnachtsempfang-roemische-kurie-2020.html

[2] http://www.krautwaschl.info/category/lockdown – zu beachten, dass ich das Interview zu Beginn dieser Einträge ausführlich behandle, unter dieser Adresse aber die Beiträge in umgekehrter Reihenfolge gelistet sind.

[3] Dass dies bei weitem nicht nur Corona ist, mache ich unter anderem in der heutigen Festpredigt zu Weihnachten deutlich, die auf der Homepage der Diözese abzurufen sein wird: https://www.katholische-kirche-steiermark.at/.

[4] Natürlich: für diese Ausrichtung braucht es Orientierung und Stärkung – die Sakramente etc. – Aber erneut gilt es Klaus Hemmerle in Erinnerung zu rufen (Vorwort, in: Lubich, Chiara: Mitten unter ihnen. Der auferstandene Christus in der Gemeinschaft, München-Zürich-Wien: Neue Stadt 4. Aufl. 1989, 5-7 ): „In unserer Welt der Theorien und Funktionen erwacht ein neuer Hunger nach Ursprünglichkeit, Echtheit, Erfahrung. In vielfältigen, oft ungeklärten Formen bricht gerade in der jungen Generation eine religiöse Sehnsucht auf. Nicht selten gerät solche Sehnsucht aber in Engführungen. Entweder man konzentriert sich nur auf die Tiefe der eigenen Existenz, sucht gegen alle Entfremdung das bessere, tiefere Selbst, oder aber man schließt sich Jesus an, einem Jesus freilich, der nur Vorbild, nur Ideal ist und so letztlich bloß zu einer ethischen Anstrengung, zu einem neuen Humanismus herausfordert. [6] Jesus in der Mitte, das ist die Alternative. Hier stößt der Mensch durch zur Freiheit von sich, hier durchbricht er die Konzentration auf sich selbst. Es geht um ein lebendiges Du, und es geht um dieses Du in menschlicher Gemeinschaft. Dieses Du aber ist nicht ein Jesus, der gewesen ist, sondern der Gekreuzigte und Auferstandene, der hier und jetzt in seiner Kirche lebt. So oft führen religiöse Impulse und Aufbrüche weg von der Institution Kirche. Hier aber gewinnt eine Erfahrung Gestalt, die schon ungezählte Menschen wieder in die Kirche hineinführte und die ein neues Verhältnis auch zum Amt, zum Dogma, zu den Sakramenten eröffnet. Allerdings ist Jesus in der Mitte derer, die in seinem Namen versammelt sind, nicht nur eine Vorform von Kirche, sondern das Bleibende von Kirche. Wir können und dürfen, solange diese Geschichte währt, nicht auf Amt und Dogma und Sakrament verzichten. In der Vollendung aber werden diese Formen zurücktreten hinter dem, was sie vermitteln. Und dies wird bleiben: der Herr selbst, unmittelbar angeschaut, unmittel­bar lebendig inmitten der Gemeinschaft der Heiligen. Das Endgültige, die absolute Zukunft bricht dort schon jetzt in die Schatten, ins Vergehen, in die Zeit hinein, wo Glaubende so miteinander eins sind, daß der Herr in ihrer Mitte ist. Und nur wo das Ziel anschaubar ist, wird auch plausibel, warum es der Wege und Mittel zu diesem Ziel bedarf. Und [7] umgekehrt: Umbrüche in der Gesellschaft können die Wirkmöglichkeit der Kirche aufs äußerste gefährden und verkürzen: Gemeinschaft aber der zwei oder drei mit dem Herrn in ihrer Mitte bleibt die unzerstörbare, lebendige Zelle von Kirche.“

Wage zu träumen XV

Herberge suchen

In vielen Kirchen rund um den Erdball wird in der Weihnacht ein uns allen bekanntes Evangelium verkündet[1] – und wohl auch in unterschiedlichen Sprachen dem Geheimnis dieser „Heiligen Nacht“ mit „Stille Nacht“ nachgespürt (werden). Dass die damaligen Ereignisse alles andere als „lieblich“ und sicher „ohne Schnee“ abgelaufen sind, steht außer Zweifel: zu schwierig waren die Zeiten damals am Rand des großen Römischen Reiches. Selbst aufrüttelnde Teile des Weihnachtsevangelium der Heiligen Nacht werden und wurden – zumindest in „normalen Zeiten“ – durch Brauchtum in einer Art und Weise vergegenwärtigt, die beinahe schon das Gegenteil von dem ausdrückt, was sich da abgespielt. Mit dem Satz des Lukasevangeliums „So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; […] und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war“ (Lk 2,4.7) verhält es sich, meine ich so.

Wen wundert’s, dass in den letzten Wochen und Monaten viele nicht müde waren, auf so manches Elend an den Toren Europas hinzuweisen: Moria oder – nach dessen Abfackelung – Kara Tepe sind auf Lesbos mittlerweile zu signifikanten Bildern des humanitären Versagens Europas angesichts flüchtender Menschen geworden.[2] Die Argumente die „dagegen“, auch wenn diese differenziert gebracht werden, verstummen auch nicht.

Jedenfalls: da ist Not! „Österreich hat dankenswerterweise Hilfsmaterial geliefert, das freilich nur langsam ankommt. Bürgermeister, Gemeinden, Pfarren haben ihre Bereitschaft erklärt, Familien bei uns aufzunehmen. Ich bitte darum!“ mein daher Kardinal Schönborn in einer Kolumne Ende vergangener Woche.[3] Not sieht Not! Und: gerade weil wir Weihnachten feiern in außergewöhnlichen Umständen könnten uns auch diese Zeilen der Frohen Botschaft von Weihnachten neu bewusst, nicht nur gehört, sondern auch gelebt werden.


[1] Lk 2,1-20: https://www.katholische-kirche-steiermark.at/section/das-weihnachtsevangelium

[2] Christoph Kardinal Schönborn in „Heute“ am 18.12.2020: https://www.heute.at/s/tausende-fluechtlinge-suchen-eine-herberge-100118503
Hermann Glettler nach einem Faktencheck vor Ort: https://www.dibk.at/Meldungen/Glettler-bei-Fluechtlingen-auf-Lesbos-Nicht-mehr-wegschauen!
Auch Caritas-Präsident Landau hat diese Frage im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau Österreichs nach der Pandemie deutlich ins Wort gebracht: https://www.kleinezeitung.at/oesterreich/5913919/Mit-ImpfBeginn_Landau-fordert-Wiederaufbauplan-fuer-Oesterreich
Die österreichischen Bischöfe haben sich schon in ihrem Hirtenwort zu Pfingsten und danach auch in Presseerklärungen zu Wort gemeldet. Steirische Wortmeldungen von unterschiedlichen Personen in Verantwortung .- natürlich auch von mir – könnten genauso benannt werden wie etwa die Aktion der steirischen Katholischen Aktion #wirhabenplatz auf facebook (https://www.facebook.com/hashtag/wirhabenplatz). Auch Medien wie der ORF (vgl. etwa „Orientierung“ am vergangenen Sonntag) und diverse Tageszeitungen haben zumal in den letzten Tagen immer wieder vom himmelschreienden Unrecht berichtet.

[3] Christoph Kardinal Schönborn in „Heute“ am 18.12.2020: https://www.heute.at/s/tausende-fluechtlinge-suchen-eine-herberge-100118503

Wage zu träumen XIV

„Globalisierung neu“

Ein kleines unscheinbares Ding, unsichtbar für uns Menschen, hält seit einem knappen fast die ganze Welt in Atem, lässt Gesellschaften und Staaten mehr oder weniger oft „stillstehen“ in „Lockdowns“, damit Ansteckungsketten des zumeist über die Atemluft übertragenen Virus unterbrochen werden; die ganze Welt und viele Menschen in ihr ächzen und stöhnen – aus verschiedensten Gründen, Planbarkeit ist hintanzustellen etc. – Die ganze Welt steht „zusammen“, um möglichst rasch wirksame Medikamente und Impfungen auf den Markt zu bringen, damit der Schutz des Lebens wieder gewährleistet werden kann und die – weltweit betrachtet – unterschiedlichen Gesundheitssysteme nicht zu sehr überlastet sind.

Die Schlagzeilen haben sich in den letzten Monaten überschlagen, wenn es darum ging, über die Ausbreitung des SARS-CoV2 – Virus zu berichten, von dem nunmehr auch schon Mutationen mehr und mehr gefunden werden. – Ohne auf all die damit zusammenhängenden Fragestellungen und die wissenschaftlich unterschiedlich vorgetragenen Meinungen jenseits der „schwarz-weiß-Malerei“, der Angst- oder Panikmache bzw. der lautstark vorgetragenen Leugnung all dessen einzugehen: Mir ist in den letzten Tagen immer wieder der Gedanke gekommen, ob mit diesem Phänomen der letzten Monate nicht auch das, was „Globalisierung“ genannt wird, mit neuem Inhalt gefüllt werden könnte oder gar schon wurde – jenseits der Schreckgespenste, die mit diesem Begriff mitunter auch in die Welt getragen wurden?

Ich meine, dass Papst Franziskus – wohl einer der letzten großen „Erzähler“ unserer Welt – mit seiner Enzyklika „fratelli tutti“[1] und auch in seinem jüngst erschienen Buch „Wage zu träumen“[2] eine großartige Vision vorgelegt hat, die der weltweiten Geschwisterlichkeit. So wie die Menschheit zusammensteht mit ihren besten Wissenschaftlern um der Pandemie einigermaßen Herr zu werden, so könnte doch ein Miteinander der Menschheit auch in anderen Bereichen sinnvoll sein. Ja: es scheint sogar geboten und notwendig. Denn: wir sind eben unterwegs im „gemeinsamen Haus“[3] – und sind auf „Gedeih und Verderb“ aufeinander verwiesen. Wie schnell freilich das gemeinsame Interesse „was weiterzubringen“ für alle und damit die ganze Menschheit da und dort relativ rasch brüchig wird, etwa wenn es darum geht, die Impfungen gerecht auf die ganze Welt zu verteilen … Es hat mich schon in gewisser Weise erschreckt zu hören, dass sich westliche Länder, die EU eingeschlossen, mit den Vorbestellungen mehrfach zu 100% eingedeckt haben und dass viele Länder „des globalen Südens“ wohl noch eine längere Zeit „in der Armut der Erwartung“ einen Impfstoff zu erhalten verharren werden müssen. Die Appelle – von der UNO und vom Papst angefangen verhallen scheinbar ungehört.

Ja: wir gehören zusammen – und gerade deswegen ist meines Erachtens auf allen Ebenen des Miteinanders von Menschen, von den kleinsten Einheiten in der Familie bis hin zur Feststellung, dass wir alle eine Menschheit bilden, es angesagt und verwirklichbar, immer auch mitzudenken: „Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt – das ist es, was das Gesetz und die Propheten fordern.“[4] Diese „Goldene Regel“ ist im übrigen in vielen Religionen der Welt in irgendeiner Art und Weise überliefert …


[1] http://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20201003_enciclica-fratelli-tutti.html

[2] Papst Franziskus: Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise, München: Kösel 2020, 192 Seiten;
ISBN: 978-3466372720, auch als E-Book in mehreren Ausgaben erhältlich. Hier ist eine erste „Rezension“ von mir einzusehen: https://www.katholische-kirche-steiermark.at/portal/glaubenfeiern/unserenglaubenerleben/buecherboard/buecherbordartikel/article/23071.html

[3] In seiner Sozial- und Umweltenzyklika „Laudato si“ wird Papst Franziskus nicht müde, diese Wirklichkeit anzusprechen: https://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html

[4] Mt 7,12.

Wage zu träumen XIII

Wir werden sterben müssen[1]

Der Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Schäuble will dem Schutz des Lebens nicht alles unterordnen[2]: seine im ersten Lockdown geäußerten Worte schlugen wie eine „Bombe“ ein habe ich mir „sagen“ lassen. Dass der Mensch sterben müsse, weil er eben hier in dieser Welt ein endliches Leben hat, sei beinahe eine „Neuigkeit“ gewesen, hat man mir gesagt. Deutlich wurde damit, dass es mit dem Ernstnehmen der Wirklichkeit des Todes als Teil unseres Lebens alles andere als gut bestellt ist.

Auch Sterbehilfe, die in den letzten Tagen auch aufgrund des Erkenntnisses des österreichischen Verfassungsgerichtshofes wieder debattiert wird, ist eigentlich ein sich um die Fragen rund um das Sterben und das Leiden herumdrücken[3]. Es soll möglichst aus unserem Blickfeld verschwinden. Wir wollen uns dieser Realität unseres irdischen Daseins nicht stellen. Hatte der Mensch früher eine Lebenserwartung von 60 Jahren plus das Ewige Leben, so sind es heute 80 und damit aus. So ähnlich hat es der österreichische Theologe Paul M. Zulehner einmal formuliert und dabei eine dem heutigen Menschen beinahe innewohnende Sehnsucht der „Vertröstung auf das Diesseits“ attestiert[4]: alles soll, ja „muss“ hier erlebt und erfahren und in die Zeit „hinein gepresst“ werden, die mir – voraussichtlich – zur Verfügung steht.

Wie wohl doch da unser Glaube tut. Er geht von einigen Grundannahmen aus. Mein Leben habe ich nicht aus mir selbst: es ist mir geschenkt, weil ich eben auch nicht aus mir selbst bin[5]. Mein Leben ist daher ein auf Dialog hin angelegtes[6]; so sehr ich auch selbstständig und damit mit einer Würde von Anfang bis zum Ende ausgestattet bin, so sehr bin ich auch eingebettet ins Miteinander, eben ein soziales Wesen. Meine persönliche Freiheit und Selbstbestimmung sind daher eingeborgen in die meiner Nächsten und werden durch diese freilich auch begrenzt. So erfahre ich als ein wesentliches Moment des Menschseins eben auch die Begrenztheit und damit Endlichkeit. Der Tod ist Teil des Lebens. Dies ist zu erleben und nicht nur zu erleiden, wenn ich die Grundbestimmung des Dialoges – mein Leben ist letztlich eingeborgen in der Ewigkeit Gottes – ernstnehme. Freilich: auch in dieser grundlegenden Sicht des Menschseins bleibt die Frage nach dem Grund des „Leids“ eine unbeantwortete. Diese ist aber eine in die Vergangenheit gerichtete; könnte nicht ein Ausweg gefunden werden, wenn dieselbe Frage als eine des „Wozu?“ gestellt wird und damit den Dialog, die Zuneigung, die Liebe als Momentum gerade in herausfordernden Zeiten des Leides und des Abschiednehmens als „zu mir gehörig“ interpretiert wird?

Ja: die Pandemie fordert uns heraus in unserem Umgehen mit uns selber und damit auch der Tatsache des endlichen und alles andere als hier vollkommenen Lebens umgehen zu lernen, dies ins Wort zu fassen und dieser Realität der Begrenztheit/en nicht auszuweichen. Es lohnt sich.


[1] Präsident des deutschen Bundestages Wolfgang Schäuble Ende April 2020, vgl. u.a. https://www.zeit.de/kultur/2020-04/umgang-coronavirus-wolfgang-schaeuble-diskussionskultur

[2] Seine Aussage tätigte er in einem Interview: https://www.tagesspiegel.de/politik/bundestagspraesident-zur-corona-krise-schaeuble-will-dem-schutz-des-lebens-nicht-alles-unterordnen/25770466.html

[3] vgl. Benno Elbs: https://www.kathpress.at/goto/meldung/1966777/elbs-suizid-urteil-wie-ein-schlag-ins-gesicht-der-menschlichkeit

[4] Vgl. u.a. Paul Zulehner „Gedanken zum Tag“ 18.4.2015 [https://religion.orf.at/v3/radio/stories/2704983/]

[5] In der erneut aufgeflammte Debatte rund um das „Selbstbestimmungsrecht“ angesichts des Suizids und der ab 2022 in Österreich aufgrund des Erkenntnisses des Verfassungerichtshofes neu zu fassenden Strafklausel der „Beihilfe zum Selbstmord“ wird meines Erachtens genau dieses Argument vergessen, da ich ja nicht einmal über mein Sein bzw. meinen „Eintritt“ in diese Welt selbst bestimmen kann …

[6] In der Sprache des Glaubens ist dann meist von „Berufung“ die Rede: Berufung zum Menschsein, zum Christsein und zum Zeuge sein (Josef Maureder).