Kirche im Lockdown (?) – XVI

Die Tage werden nach wie vor kürzer, Nacht und Dunkelheit noch eine geraume Zeit länger. Diese existentielle Erfahrung drückt mitunter aufs Gemüt. Gerade auch, weil so vieles, was uns eigentlich gerade in diesen Wochen bedeutsam ist, derzeit unmöglich erscheint bzw. auch verboten ist. Die Vorbereitungszeit auf Weihnachten, der Advent, fällt auf der Nordhalbkugel unseres Planeten in genau diese Zeit der Bedrücktheit. Die Pandemie und so manche damit in Zusammenhang stehende Frage hat uns – so gesehen – eine „neue“ Möglichkeit geschenkt, den Advent zu leben. Lockdown sozusagen als den Menschen zuinnerst treffendes Erleben von Dunkelheit und damit verbunden auch Orientierungslosigkeit.

Am Ende dieser Wochen steht eine interessante Erfahrung. Sie wird in einem Buch des Alten Bundes beschrieben: „Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht in ihrem Lauf bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab“ (Weish 18,14f.). Dieses weisheitliche Wort ist mit ein Grund, wieso es zur Mette mitten in der Nacht gekommen ist. Am Ende dieser Wochen steht eben nicht das „Aus“, sondern ein Lichtstrahl, neue Orientierung: dann, wenn es existentiell dunkel ist und dies immer bedrückender zu werden scheint – Weihnachten ist im Jahreslauf bei uns in jenen Tagen terminisiert, an denen die Wintersonnenwende begangen wird. In Jesus Christus – so gleichsam für uns ein kosmisches Schauspiel – leuchtet jenes Licht auf, das Menschen ermöglicht, das Dunkel auszuhalten und sich nicht um es herumzudrücken.

Wie sehr doch so manche in unserer Gesellschaft meinen, „besser“ unterwegs zu sein, wenn sie Dunkelheit nicht aushalten wollen – das „Glöckeln“ in so manchen Teilen unserer Heimat bringt auch die Sehnsucht zum Ausdruck, dem Dunkeln entfliehen zu wollen. So manches an Zeitvertreib der heutigen säkularen Welt könnte wohl auch darin eine Begründung haben. – Wir als Christen aber sagen: wir müssen alledem nicht entfliehen, wir wissen um einen, der auch im größten Dunkel an unserer Seite geht, der sich als Gott sprichwörtlich mit Haut und Haaren auf alles, was uns Menschen widerfahren kann, eingelassen hat. Wir können „Ja“ sagen und „aushalten“ – mitunter machen manche dann sogar die Entdeckung, dass „jenseits“ des Dunkels eine Wirklichkeit wartet, die jetzt und hier stehen bleiben lässt. Nach wie vor bin ich angetan von einem Lied der italienischen Gruppe „Genrosso“, das mir in den vergangenen Jahren so manches Dunkel zu akzeptieren geholfen hat: „Oltre l’Invisibile“. Ich übersetze hier den italienischen Text:

Wenn dem Leben die Würde genommen wird
und ein stummer Schrei in mir aufsteigt,
wenn die Stadt grau ist, draußen
und in mir Regen fällt,
frage ich mich,
ob es denn nur Dunkel gibt.

Wenn mir das Leben wie eine Lüge und Durchhalten zwecklos erscheint,
wenn mich ein Gefühl der Beklemmung überkommt,
denke ich mir: Alles ist krank,
ein finsterer Tunnel ohne Ausgang. 

Doch: Gerade in der Nacht reicht mein Blick weiter.
Ich sehe Sterne und Galaxien,
das sonst Unsichtbare.
Und gerade dann spricht dein Schweigen,
erzählt mir von dir.
Ich bringe kein Wort hervor, aber ich will dich suchen. 

Vielleicht bleibt mir die Kraft zu stammeln,
vielleicht gibt es doch noch einen kleinen Lichtblick.
Jedenfalls weiß ich:
Hinter den Schatten, die mich erzittern lassen,
wenn ich keine Sicherheiten mehr habe,
dahinter bist du. 

Gerade in der Nacht reicht mein Blick weiter.
Ich sehe Sterne und Galaxien,
das sonst Unsichtbare.
Und gerade dann spricht dein Schweigen,
erzählt mir von dir.
Ich bringe kein Wort hervor, aber ich will dich suchen. 

Jenseits der Nacht,
jenseits des Sichtbaren und des Unsichtbaren
gibt es eine Quelle, die nie versiegt:
der Unendliche, der uns neu beflügelt. 

Jenseits der Nacht,
jenseits des Sichtbaren und des Unsichtbaren
gibt es eine Quelle, die nie versiegt:
der Unendliche, der uns Kraft gibt, auszuhalten, zu bleiben:
jetzt,
hier.