Wie ein Geschenk

Heute morgen habe ich in der „Lesehore“, dem Meditationsgottesdienst des Stundenbuches der Kirche diesen Abschnitt aus der Pastoralenzyklika des Zweiten Vatikanischen Konzils „Gaudium et spes“ betrachtet (Nr. 88):
„Zum Aufbau einer internationalen Ordnung, in der die rechtmäßigen Freiheiten aller wirklich geachtet werden und wahre Brüderlichkeit bei allen herrscht, sollen die Christen gern und von Herzen mitarbeiten, und das um so mehr, als der größere Teil der Welt noch unter solcher Not leidet, dass Christus selbst in den Armen mit lauter Stimme seine Jünger zur Liebe aufruft. Das Ärgernis soll vermieden werden, dass einige Nationen, deren Bürger in überwältigender Mehrheit den Ehrennamen „Christen“ tragen, Güter in Fülle besitzen, während andere nicht genug zum Leben haben und von Hunger, Krankheit und Elend aller Art gepeinigt werden. Denn der Geist der Armut und Liebe ist Ruhm und Zeugnis der Kirche Christi.
Lob und Unterstützung verdienen jene Christen, vor allem jene jungen Menschen, die freiwillig anderen Menschen und Völkern ihre persönliche Hilfe zur Verfügung stellen. Es ist jedoch Sache des ganzen Volkes Gottes, wobei die Bischöfe mit Wort und Beispiel vorangehen müssen, die Nöte unserer Zeit nach Kräften zu lindern, und zwar nach alter Tradition der Kirche nicht nur aus dem Überfluss, sondern auch von der Substanz.
Das Sammeln und Verteilen von Mitteln muss, zwar ohne starre und einförmige Organisation, jedoch ordnungsgemäß, in den Diözesen, den Ländern und in der ganzen Welt durchgeführt werden, und das in Zusammenarbeit der Katholiken mit den übrigen Christen, wo immer es angebracht erscheint. Denn der Geist der Liebe verbietet durchaus nicht die wohlüberlegte und organisierte Durchführung einer sozialen und caritativen Aktion, sondern fordert sie sogar. Darum ist es auch notwendig, dass diejenigen, die sich dem Dienst in Entwicklungsländern widmen wollen, in geeigneten Instituten ausgebildet werden.“

Mir scheint: in diesen Tagen erlebe ich hautnah vieles von dem, was hier beschrieben ist, als Realität von Kirche. Als Realität einer Kirche, die wirklich bereit ist „an die Ränder“ zu gehen, wie es Papst Franziskus immer wieder formuliert – und die daher auch so manches riskiert, sich selbst nämlich auch. Das ist für jemanden, der in einer „alten“ Kirche groß geworden ist, ein großes Geschenk – und ich möchte daher auch meine jährlichen Reisen in Länder, mit denen wir über unsere zahlreichen kirchlichen Hilfswerke verbunden sind, nicht missen. Sie tun auch deswegen gut, weil sie mir versichern, dass auch einer „alten Kirche“ neuer Geist einzuhauchen ist. Es braucht nur den Willen dazu und die innere Einstellung – eben eine Art „Bekehrung“, eine Art „Hinkehr“ zu den wirklichen Quellen des Evangeliums, die mitunter verschüttet scheinen – gerade auch wenn wir etwa auf die Zahl der Berufungen in ein geistliches Amt oder in den Lebensstil der Evangelischen Räte denken. Dies aber fängt mit einem „neuen Blick“ an auf die Menschen und die Situationen, in denen wir leben. Das, was war und bisher getragen und bis hierher gebracht ist keineswegs schlecht, aber es gilt, der Gefahr zu wehren, hinter alledem nicht mehr den Ruf Jesu in die Bekehrung, weil das Reich Gottes nahe ist, zu hören …
Bei der Begegnung mit dem auch schon von seinem Alter gezeichneten vor kurzem emeritierten Kardinal Toppo am Rande der immer größer werdenden Hauptstadt Ranchi wurde von einer Mitreisenden daran erinnert, was er angeblich im Vorkonklave unter anderem über die Situation der indischen Kirche gesagt habe. Er als erster indigener Kardinal und damit ein bedeutsames Zeichen für einen Großteil dieser Stämme meinte dort u.a. in etwa: „Wenn es uns in Indien nicht gelingt, deutlich zu machen, dass Menschen unterschiedlicher Religion miteinander in Frieden leben, wird es uns nirgendwo auf der Welt gelingen“. Ein bedenkenswerter Satz, der im Heute von Indien noch einmal Bedeutung gewinnt. Und der auch deutlich macht, dass wir als Kirche dort „echt“ und damit auch „recht“ sind, wo wir uns hinein „verlieren“ mit dem, was uns ausmacht, in die Herausforderungen dieser unserer Welt – denn: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war wie Gott, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern entäußerte sich, wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich …“ (vgl. Phil 2,5-11). Ich habe bei mir täglich neu mit dieser Bekehrung zu beginnen!