Schluss-„Reflexion“ einer Indienreise

Auf beinahe 1.000 m Seehöhe liegt Peermade. Hier braucht es keine Klimaanlagen, es braucht auch kein Moskitonetz wie unten im Tal. Das ist nur ein Kennzeichen davon, dass es hier in Kerala anders ist als im Nordosten Indiens. Hier sind es etwa 30% Christen, unter ihnen die (katholische) syro-malabarische Kirche als stärkste Gruppe. Wenn ich hier – an diesem Ort – jetzt versuche, meine Eindrücke der vergangenen fast 2 Wochen einzufangen, dann will es mir eigentlich nicht gelingen, so unterschiedlich sind die Erfahrungen.

Dennoch – und damit beginne ich einfach das, was mir gerade in den Sinn kommt, einzufangen und beabsichtige keinesfalls eine komplette Wahrnehmung abzugeben: die Tatsache, dass hier die Zahl etwa der Pfarrangehörigen nicht in Personen, sondern in „Familien“ angegeben wird, ist beiden Erfahrungen gleich – und hat wohl auch eine tiefere Bedeutung. Vielleicht, dass es in der Kirche eben um das Miteinander geht und nicht nur – so sehr wichtig jedes Kind Gottes auch einzeln ist – um jeden Einzelnen. Damit wird aber auch zum Ausdruck gebracht, dass für das „Glauben-teilen“ diese Einheit von Bedeutung ist. Natürlich: es gibt die „Sonntagsschule“, bei der alle von 5 – 17 nach der Messe teilnehmen, in der es auch Prüfungen usw. gibt; ja, es gibt katechetische Unterweisungen und damit eine Einführung ins gemeindliche Leben. Doch wir haben auch überall gehört, dass die Familiengruppen, die sich wöchentlich treffen, der pastorale Schwerpunkt sind: hier wird in der Bibel gemeinsam gelesen, darüber ausgetauscht und gebetet. Das gibt Stärkung – und, so etwa der Pfarrer von Kumily, die Aufgabe besteht dann eher darin, die beinahe 60 Familiengruppen mit zwischen 10-12 Familienangehörigen (die Pfarre hat ca. 700 Familien) zu organisieren. Für die Leitung der Gruppen werden diözesane Kurse angeboten etc.

Kirchlich gleich ist überdies, dass Bildungsarbeit ganz groß geschrieben wird: denn Armut wird am nachhaltigsten durch gute (Aus-)Bildung „bekämpft“ [durch Bildungsmaßnahmen etwa für Frauen hat seinerzeit schon M. Arackal, der heutige Bischof von Kanjirapalli, die Geburtenzahl eingeschränkt, weil sie eben damit auch sich selbst und ihren Körper kennengelernt haben]. Und deswegen investiert Kirche in Schulen und andere Bildungseinrichtungen, auch wenn deren Finanzierung eine große Belastung ist. Kein Wunder also, dass viele Priester schon während ihrer Ausbildung oder auch danach ein zweites Studium „jenseits“ von Theologie abgeschlossen haben, vielfach in Zusammenhang mit sozialen Fragestellungen oder auch Wirtschaft. Ja: Kirche hilft den Menschen im Leben voranzukommen. Selbst die NGOs der Diözese Kajirapalli haben sich als Leitmotiv biblische Worte gegeben, damit sie als nonprofit Organisationen bis hinauf in die „Chefetage“ immer um die rechte Ausrichtung wissen.

Gemeinsam ist kirchlichen Erfahrungen wohl auch das beständige Suchen nach dem Willen Gottes im Hier und Jetzt. Bei einem der vielen Gespräche meinte ich einmal launisch, dass unsere Mentalität es mitunter von uns „verlangen würde“, wenn eine Idee am Horizont auftaucht, diese mal bis ins Letzte, das abschätzbar ist, durchzudenken und zu planen um danach abzuwägen, ob sie umgesetzt wird. Hier ist beständiges Suchen angelangt: ob es Sr. Rose mit ihrer Schule ist, die ursprünglich für von Polio betroffene Schülerinnen gegründet wurde und nach deren praktischen Ausrottung in Indien in eine weiterentwickelt und verändert wurde, in der Mädchen aus den tribals – andere „Randgruppen“ also – Ausbildung ermöglicht wird; oder ob es der damalige Pfarrer Mathew war, der sich in die Baumhäuser seiner Pfarre begab um mitzuleben und mit den tribals hier dann sich überlegte, was sie für ihre gedeihliche Entwicklung nötig haben. Schließlich ist daraus die „Peermade development society“ geworden mit derzeit 18 verschiedenen Departments, die über den Weg des engagierten und professionellen wirtschaftlichen Engagements -zig tausenden Familien auf dem Weg der Entwicklung hilft. Auf diesem Weg geschieht Evangelisierung: Leben des Evangeliums unter den eben vorfindbaren Umständen. Allein die „spices“-Fabrik hat einen Umsatz, der knapp 40% unseres Diözesanbudgets beträgt, wenn ich es recht in Erinnerung habe …

Was ich auch „spannend“ und gemeinsam vorfinde: Kirche lebt ihren Sendungsauftrag und versteht sich von dorther – auch wenn die Formen, dies umzusetzen, vielfältige sind, haben wir doch im Norden eine „andere“ Art als in Kerala wahrgenommen, wie Priester gesehen werden. Irgendwie kommt mir da immer Papst Franziskus in Erinnerung, der davon spricht, dass wir mehr und mehr an die (existentiellen) Peripherien zu gehen haben, weil wir dort – am Rand – auch das, was Zentrum heißt anders sehen und verstehen: „Kirche“ wird anders wahr- und angenommen. Auch diese Erfahrung nehme ich mir mit nach Hause. Diese ist, so meine ich, ganz schwer einer erfahrungsgeschwängerten „Großkirche“ einzupflanzen, die – um wiederum unseren Papst in Erinnerung zu rufen – sich davon mehr als herausgefordert weiß, weil sie bedroht ist, mit sich selbst und ihrem Erhalt sich zufrieden zu geben – selbstreferentiell.

Und schließlich noch eine Ähnlichkeit: pfarrliche Arbeit wird vielfach von weiblichen Ordensgemeinschaften begleitet. Wir waren, wenn ich es recht sehe, in keiner Pfarre, in der es nicht zumindest eine Ordensniederlassung gegeben hat. Sie sind einfach nicht wegzudenken aus der pastoralen Arbeit, auch wenn die Art und Weise Kirche zu leben ob der Diaspora-Situation im Nordosten und der „ganz anderen“ im Südwesten sehr unterschiedlich sind.

Alles in allem bin ich hier erneut auf eine Kirche gestoßen, die deutlich macht: wir sind mit den Menschen unterwegs, so unterschiedlich die Voraussetzungen auch sein mögen – wie es sich etwa allein schon in der Kleidung der Priester gezeigt hat. Das Evangelium, Jesus Christus, lädt uns in unserer Situation ein, den Weg der Nachfolge zu gehen – und darin nicht nachzulassen. Ideenreichtum ist hierbei gefragt und – was natürlich auch v.a. im Norden die junge Geschichte der Kirche anlangt – Offenheit für Neues. Es wird so manches versucht und, wenn es nicht gelingt, auch wieder fallen gelassen. Dass hierbei auch das geschwisterliche Zusammenstehen der Jüngerinnen und Jünger Christi weltweit sinnvoll und notwendig ist, versteht sich von selbst. Auf einem „Landstrich“, der eben von 1,3 Mrd. Menschen bevölkert ist, ist dies darüber hinaus auch notwendig, denn nicht in alle entfernt gelegenen Dörfer und Gegenden dringt alles an Verbesserung sofort durch. Ja: ich habe Hoffnung und Auftrag aus Indien mitgenommen.