Zur Entwicklung von Kirche bei uns (3)

Viel wird zur „Kirchenentwicklung“ gesagt. Auch in unserer Diözese ist befinden wir uns in dieser Spur des Evangeliums. – In loser Folge will ich hier auf verschiedene Wortmeldungen von mir – ausschnittsweise – hinweisen, um mir und uns die Fragestellungen in Erinnerung zu rufen, um die es dabei – umfassend gedacht – geht.
Wir sind als Kirche und Gläubige in dieser Welt mit diesen Herausforderungen unterwegs …

Aus dem Referat auf den verschiedenen Herbstwochen 2015

Glauben – persönliche Vertiefung der Christusbeziehung
Zuallererst muss hier jene unaufgebbare Beziehung in Erinnerung gerufen werden, die uns alle leben und in unserem Dienst arbeiten lässt. Es gilt zu glauben. „No na net“, höre ich einige sagen. „Wagen wir aber wirklich den Sprung, der Glauben bedeutet?“ Haben wir es uns nicht in so manchem sehr zurechtgerichtet? „Paroichia“, wovon sich der Begriff „Pfarre“ herleitet, bedeutet wörtlich übersetzt ‚Beisasse‘ und meint in seiner Bedeutung ‚Nachbarschaft‘. Eine Alternative für die Etymologie von Paroichia ist ‚das Wohnen eines Fremden in einem Ort ohne Bürgerrecht‘. In dieser Bedeutung (fremd, Fremde, Fremder) kommt der Begriff mehrfach im Neuen Testament vor (z. B. Lk 24,18; Apg 13,17; Eph 2,19; 1 Petr 1,17).Wie leben wir das? Was heißt in diesem Umfeld „sich selbst verlassen“, also „fremd sein“ und Gott alles anvertrauen? Was heißt „Glauben leben“? Es geht um mehr als Gottesdienste zu ordnen und entsprechend zu gestalten. Mitunter laufen wir meines Erachtens Gefahr, Leben der Kirche auf die Feier von Gottesdiensten zu reduzieren: Zum „Kerngeschäft“ gehören wesentlich auch noch andere Standbeine dazu. Glauben bedeutet auch die Wachsamkeit, die Aufmerksamkeit für das Evangelium, ein ständiges „Auf dem Sprung sein“. Ich hege den Verdacht, dass wir versucht sind, es uns „einzurichten“: wir arbeiten professionell, haben Geld, wir haben großartige Strukturen und viele, die hauptamtlich für uns arbeiten. Und genau damit habe ich selbst schon einen großen Fehler gemacht: nicht „für uns“, sondern „für die Menschen“ muss es heißen – es geht nicht um uns, um unseren Selbsterhalt, es geht um Gott und darum, dass Seine Herrschaft durch unser Zutun deutlicher Konturen annimmt inmitten der Menschheit, die uns umgibt. Also ist unser Dienst, uns selbst und unser Leben – ich nehme Anleihe an der Weiheliturgie – „unter das Geheimnis des Kreuzes“ zu stellen. Und daraus folgt, es anderen zu ermöglichen, ihr Leben in der Nachfolge Jesu Christi dem entsprechend persönlich und als Kirche gemeinsam zu gestalten.

Glauben im Leben – Gesellschaft gestalten
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Haben wir keine Angst zu sagen, dass etwas neu wird! Haben wir auch keine Angst davor, dass Versuche scheitern können. So etwa wird mit der Neuordnung der Grazer Stadtkirche ein für mich mutiges Experiment gewagt; ebenso sei nochmals an die vorgestellte Initiative in Richtung „missionarische Pfarren“ erinnert. Immerhin hat mir genau das auch der Vertreter des Papstes in Österreich bei meiner Weihe mitgegeben.
[…]

Die Freude, heute Kirche zu sein[1]
Nun: Was heißt es, in den vielen Erfahrungsräumen von Kirche „die Freude des Evangeliums“ zu leben? Was heißt „Kirche im Kindergarten“, was bedeutet „der Auferstandene unter uns im Pfarrgemeinderat“, was heißt es, mit dem, der lebt, die Straßen und Dörfer anzuschauen, die in unserer Gegend sind? Wie gehen wir miteinander um, wenn wir von uns sagen, dass wir unterschiedliche Stärken, Charaktere und theologische Sichtweisen haben? Setzen wir unsere Lebens-Karte auf den, der das Haupt der Kirche ist, oder sind uns unsere eigenen Überlegungen und spirituellen Wege Maß, die wir als DienerInnen in der Kirche jede und jeder für sich leben? Leben wir „im“ anderen, „in“ der anderen, mit der wir von Gott in dieselbe Sendung geschickt sind, und was bedeutet dieses Leben für die Konkretionen in der Pfarre? Nicht der Pfarrer, nicht der Kaplan, auch nicht jemand anderer in der Seelsorge ist der Herr der Pfarre, so wie der Bischof nicht der Herr der Kirche ist … Sind wir wirklich dankbar dafür, dass wir in der Seelsorge der Steiermark beinahe 900 Religionslehrende, 1.800 Mitarbeitende in der Caritas, 460 Priester, 80 Ständige Diakone, 160 Pastoralassistenten, 185 PfarrsekretärInnen haben? So dicht war das Netz eigentlich selten in der Geschichte zuvor. Wenn ich dann noch die Ordens- und andere Gemeinschaften hinzunehme […]: da gibt es und da gilt es sehen zu lernen, wie viel Segen von diesen Gemeinschaften und Orten ausgeht – auch wenn es, was den Nachwuchs anlangt, nicht nur Freude gibt.

Brüder und Schwestern in Glauben! Gehen wir gemeinsam, gehen wir mit IHM voran in der Freude des Evangeliums! Und bitten wir jetzt um Seinen Geist für den Weg, den wir miteinander zurücklegen werden.

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[1] Vgl. u. a. auch die beiden Veröffentlichungen von Martin Werlen, dem früheren Abt von Einsiedeln, der als Gewissenserforschung wie so manch andere Schrift gut tut:

  • Martin Werlen: Heute im Blick: Provokationen für eine Kirche, die mit den Menschen geht. Ein geistlicher Weg in 100 Schritten, Freibrug: Herder 2014.
  • Martin Werlen: Miteinander die Glut unter der Asche entdecken, Einsiedeln 2012 (6. Aufl.).