Archiv der Kategorie: Kirchenentwicklung

getrennt und dennoch vereint

Am 70. Jahrestag der sogenannen „Schumann-Erklärung“ vom 9. Mai 1950 – die Geburtsstunde dessen, was später zur Europäischen Union werden sollte und deswegen „Europatag“ – gab es ein virtuelles Treffen der konfessionsübergreifenden Initiative „Miteinander für Europa“. In dieser sind seit nunmehr 20 Jahren verschiedene Erneuerungsbewegungen christlicher Kirchen – aus katholischer, evangelischer, orthodoxer und auch freikirchlicher Tradition – lose zusammengeschlossen, um gemeinsam zu überlegen, was denn nun Auftrag der Jüngerinnen und Jünger Christi auf diesem Kontinent sei. Eigentlich war mit dem steirischen „Ableger“ dieser Bewegung ein Treffen im Grazer Rathaus angesagt. Dies war nicht möglich, so wurden kurzerhand 1 Stunde lang Erfahrungen aus sechs europäischen Ländern miteinander geteilt: Slowakei, Ungarn, Kroatien, Slowenien, Italien und Österreich. Knapp 100 Personen waren der Konferenz zugeschaltet.

Das, was berichtet wurde, waren einfachste Initiativen – nicht nur aus Corona-Zeiten – engagierter Menschen, denen das Miteinander der Völker und Nationen auf unserem europäischen Kontinent – gestaltet aus christlichem Geist – wichtig ist. Die Berichte waren alles andere als schlagzeilenträchtig. Und dennoch! Da hatte ein kleines Ding, ein Virus, Menschheitspläne durcheinander und Grenzen dicht gemacht. Das „Miteinander“ dieser Initiative – es ist für mich nach wie vor interessant, dass dieses Netzwerk von Erneuerungsbewegungen getragen wird, denen üblicher Weise nachgesagt wird, eher mit dem Blick nach innen in den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften präsent zu sein – wurde durchkreuzt, denn leibliches Zusammenkommen war unmöglich. Dennoch war es mit Händen zu greifen: in jeder Erfahrung wurde deutlich, dass Menschen aus christlichem Geist heraus versuchen, nicht achtlos an den Nöten, Sorgen und Notwendigkeiten anderer vorüberzugehen. Das Miteinander wurde in diesem „Treffen“ daher nicht körperlich, sondern durch berichtetes Tun angreifbar. Einfach gerade deswegen nachhaltig, denke ich. Und damit wurde auch etwas deutlich, was uns schmerzlich derzeit auf europäischer Ebene abgeht: das Miteinander für Europa eben – so manches an Selbstisolation der einzelnen Staaten hat ja erneut fröhliche Urständ in dieser Krise gefeiert. Oder wurde darin nur etwas von dem sichtbar, was eigentlich ohnedies „unter der Bettdecke“ auch bislang eher schon gelebt wurde?

Für meine Schlussworte am Ende dieser Stunde ist mir daher der Vergleich eingefallen, der im Bild der durchkreuzten Pläne deutlich wird. Da war also – die Umstände, wieso es dazu gekommen ist, sind nicht relevant in diesem Fall – praktisch alles an Planungen durchkreuzt worden: Statt Miteinander: getrennt sein; statt gemeinsames Bekenntnis: virtuelle Berichte, einer nach dem anderen. Durch das Kreuz also – eine neue Form von – Einheit. Natürlich: die Begegnung, die für einen Tag geplant gewesen ist, kann nicht durch eine Videokonferenz in 1 Stunde ersetzt werden. Das Wesentliche – und das getraue ich mir zu sagen – „Miteinander für Europa“ unterwegs zu sein wurde dennoch gelebt und deutlich – in einer ganz anderen Art und Weise und auf einer anderen Ebene als ursprünglich geplant und gedacht. Menschen aus unterschiedlichen Nationen, mit unterschiedlicher Sprache, aus unterschiedlichen kirchlichen Erfahrungen – „durchkreuztes“ Christsein, das sich in dieser Art Jesus mit seiner Bitte um die Einheit aller, die durch die Jünger an ihn glauben, wohl so auch nicht gedacht hat (vgl. Joh17,20f) – sind dennoch im Leben ihres Bekenntnisses gleichsam geeint. So blieb mir eigentlich nur zu sagen: durch das Kreuz sind wir bei aller Verschiedenheit und Getrenntheit untereinander vereint. Möge diese Initiative in Graz, die durch das „Kreuz Corona“ beinahe Schiffbruch erlitten hätte, mutig vorangetrieben werden. – Ehrlich: ich freue mich jetzt schon auf den hoffentlich dann in realer Begegnung stattfindenden Tag im Mai 2021!

Zur Entwicklung von Kirche bei uns (5)

Viel wird zur „Kirchenentwicklung“ gesagt. Auch in unserer Diözese ist befinden wir uns in dieser Spur des Evangeliums. – In loser Folge weise ich hier auf verschiedene Wortmeldungen von mir – ausschnittsweise – hinw, um mir und uns die Fragestellungen in Erinnerung zu rufen, um die es dabei – umfassend gedacht – geht.
Wir sind als Kirche und Gläubige in dieser Welt mit diesen Herausforderungen unterwegs …

Heute und hier nach der Lektüre der ersten 4 Teile ein neuer Gedankengang, der das dort Gesagte vertiefen möchte.

Als ich in den vergangenen Tagen die großen Linien der Gedanken auf der sogenannten „Pfarrerwoche“ zu Beginn meiner Amtszeit als Bischof 2015 wieder gelesen habe, ist mir deutlich geworden, dass viele Gedanken daraus auch heute gelten. Gerade angesichts neuester Herausforderungen, denen sich unsere Kirche derzeit zu stellen hat – es sei auf die neu aufgeflammte Debatte rund um den „Missbrauchsskandal“ hingewiesen, die sich nunmehr auch auf „spirituellen Missbrauch“ sowie Übergriffe auf Frauen und Ordensleute ausgedehnt hat, oder aber auch auf die mit Verve und dem Zeitgeist entsprechender (zu) einfache Schwarz-Weiß-Malerei veröffentlichter Meinung zu Finanzfragen und anderen Vorgängen in unserer Nachbardiözese Gurk – gilt es, den „Anker der Hoffnung“[1] vertieft auszuwerfen. [Nebenbei: auf einer meiner früheren Segeltörns ist mir bewusst geworden, dass „verankert“ sein alles andere bedeutet als „fix und unbeweglich“ festgemacht zu sein: Wind und Wellen können das verankerte Schiff durchaus in einem gewissen [Um]Kreis bewegen].

Und – das sei ganz besonders erwähnt: es geht um viele Fragen, die sich uns stellen und keineswegs „nur“ um die immer wieder, besonders in unseren Breiten vorgebrachten sogenannten „heißen Eisen“. Ich weiß: sie irritieren – und das gewaltig, auch weil sie keineswegs von allen und allezeit authentisch gelebt werden. Sie irritieren aber auch deswegen, weil sie – wie vieles andere in der Kirche – deutlich machen, dass es eben nicht um eine Botschaft geht bzw. gehen kann und darf, die wir uns „zurecht richten“. – Zugleich ergänze ich hier sofort, dass dies aus meiner Sicht keineswegs heißt, sich diesen Fragen nicht zu stellen. Was ich aber erbitte und in Erinnerung rufe: selbst wenn alle diese „Eisen“ geschmiedet wären, Kirche und damit die Frage jedes und jeder von uns, was denn unsere spezifische Berufung, was denn unser je spezifische Weg in der Nachfolge unseres Herrn ist, würde uns nicht erspart bleiben. Denn: die Form und Gestalt von Kirche, die viele von uns in Erinnerung haben, weil sie Wegbegleiter war und segensreich uns in die Spuren Jesu geführt hat, ist – nehmen wir den Heiligen Geist wirklich ernst – keineswegs die eine und ewige, wie in manchen Debattenbeiträge vorgegaukelt wird. Dies wird mir nicht nur durch mein Eintauchen in kirchliche Situationen der Weltkirche immer und immer wieder deutlich, dies ist auch – und ein kleiner Blick in die Geschichte reicht bei uns durchaus – vor Ort unserer Kirche von Graz-Seckau eingestiftet: Wenn ich etwa auf die mittlerweile 800 Jahre andauernde Geschichte unserer Diözese schaue, wird allein schon durch die unterschiedliche territoriale Ausdehnung der vormals „Seckau“ genannten Diözese deutlich, dass sich so manches verändert hat. Fragen von damals sind eben daher auch nicht Fragen von heute – und: Wenn das Wesentlich erhalten bleiben soll – und das bedeutet eben etwa die Botschaft des Evangeliums – dann braucht es Änderungen. Und: das, was kommt, ist nicht die Wiederholung des Vergangenen, ist nicht die „Wiederauferstehung“ einer Form von Kirche, die uns persönlich irgendwann einmal lieb war und die sicher auch viel Segen gebracht hat.

Mitunter scheint es mir so, dass die üblicherweise als „progressiv“ und (!) die üblicherweise als „traditionell“ apostrophierten kirchlichen Meinungsträger genau darin demselben Irrtum verfallen und „vergangene Zeiten“ festhalten wollen. Mehr noch: ein innerkirchlicher Kampf wird da mitunter ausgefochten, um nur ja die eigene Sicht als die einzig wahre und rechte darzustellen und andere, die sich auch redlich auf dem Weg der Nachfolge verstehen, in schiefes Licht zu tauchen oder – was noch schlimmer ist – abfällig zu behandeln, so als ob sie nicht „zu mir“ gehörten, weniger fromm seien oder gar auf dem Weg ins Verderben stünden [und damit erinnere ich an die großartigen Stellen beim Apostel Paulus im 1. Brief an die Gemeinde in Korinth wie auch im Brief an die Römer, wo Kirche als „ein Leib“ gezeichnet wird, der aus unterschiedlichen Gliedern mit unterschiedlichen Verantwortungen und damit auch Aufgaben gebildet ist, vgl. 1Kor 12,26: „Wenn [..] ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder mit“]. Die Bereitschaft, sich demütig unter das Wort Gottes zu stellen und damit der Glaube, dass ER uns führt, ist mehr denn je von jedem gefordert. „Alles andere wird dazugegeben“ (vgl. Mt 6,33). Ein solches Denken entbindet uns nicht davon, zu suchen, zu fragen, immer wieder neu aufzubrechen usw., verleitet aber nicht dazu, zu meinen: „Wenn sich einmal dieses und jenes so wie ich es mir vorstelle geändert hätte, wäre alles wieder in Ordnung …“. Eine solche sich selbst ehrlich wahrnehmende Haltung ist es, die innerkirchlich nottut – alles andere, und vieles was derzeit „abgeht“ lässt mich eher das wahrnehmen, verstärkt in mir das „ungute Gefühl“, dass es jenen, die solche Argumente nicht müde werden vorzubringen und als „die Rettung“ zu titulieren, um Macht und ihren persönlichen Machterhalt geht.

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[1] Eines der mir sehr ans Herz gewachsenen Tagesgebete im römischen Messbuch wird am 21. Sonntag im Jahreskreis gebetet: „Gott, unser Herr, du verbindest alle, die an dich glauben, zum gemeinsamen Streben. Gib, dass wir lieben, was du befiehlst, und ersehnen, was du uns verheißen hast, damit in der Unbeständigkeit dieses Lebens unsere Herzen dort verankert seien, wo die wahren Freuden sind.“

Zur Entwicklung von Kirche bei uns (4)

Viel wird zur „Kirchenentwicklung“ gesagt. Auch in unserer Diözese ist befinden wir uns in dieser Spur des Evangeliums. – In loser Folge will ich hier auf verschiedene Wortmeldungen von mir – ausschnittsweise – hinweisen, um mir und uns die Fragestellungen in Erinnerung zu rufen, um die es dabei – umfassend gedacht – geht.
Wir sind als Kirche und Gläubige in dieser Welt mit diesen Herausforderungen unterwegs …

Aus dem Referat auf den verschiedenen Herbstwochen 2015

Der Bischof ist mit auf dem Weg …
Natürlich werde auch ich den Weg offensiv mitgehen. Da wird wohl einiges versucht werden, einiges wird sich – so denke ich – auch nach langem Nachdenken vielleicht als Irrweg herausstellen. Aber: das „heilige Experiment“, das Gott mit der Kirche von Graz-Seckau gewagt hat und wagt, kann auch – vielleicht verstärkt? – von uns genutzt werden. Letzte Sicherheit werden wir in einer zutiefst durch das Vergehen dieser Welt verunsicherten Situation nie erreichen, auch deswegen, weil Gott selbst Lebendigkeit und damit wirkvoller Geist ist.

[…]

 … in der Diözese
Gemeinsam mit […] Generalvikar, Dr. Erich Linhardt […] gilt es, die Erfahrungsräume von Kirche in Pfarren, Gruppen, Gemeinden und Gemeinschaften, in kategorialen Seelsorgebereichen und Orden entsprechend den heutigen Anforderungen anzupassen.

Haben wir keine Angst zu sagen, dass etwas neu wird! Haben wir auch keine Angst davor, dass Versuche scheitern können. So etwa wird mit der Neuordnung der Grazer Stadtkirche ein für mich mutiges Experiment gewagt; ebenso sei nochmals an die vorgestellte Initiative in Richtung „missionarische Pfarren“ erinnert. Immerhin hat mir genau das auch der Vertreter des Papstes in Österreich bei meiner Weihe mitgegeben.

Wenn ich in den kommenden Monaten mit den Verantwortungsträgern der Regionen in Kontakt trete, dann soll aus diesem Hinhören noch stärker der Weg in die Zukunft geschärft werden. Ich werde mich dabei den Priestern und Diakonen sowie den anderen in der Seelsorge Angestellten besonders zuwenden. Zugleich werden die in unserer Diözese Verantwortung tragenden Gremien mit zugewiesenen Fragestellungen beauftragt werden, den benannten Inhalten entsprechend „Raum“ zu geben. Unter anderem stellen sich da folgende Fragen:

  • Zusammen in der Kirche leben: Dienste und Vollmachten der Getauften und der Amtsträger
  • Mitverantwortung auf den unterschiedlichen pastoralen Ebenen und in Bereichen der Kirche – vor Ort, in diözesanen Entscheidungen (vgl. Vorschläge der Dechantenkonferenz bei der Fortbildung in Brixen 2013, die unter anderem neue Aufgabenstellungen für die sog. „mittlere Ebene“ bedeuten, die bislang die 25 Dekanate darstellten)
  • gemeinsames Vorangehen im Suchen nach dem Willen Gottes unter Zusammenarbeit der Gremien
  • Arbeiten, die in den letzten Jahren unter Pastoralamtsleiter Mag. Johannes Freitag vorangetrieben wurden, gilt es zum Abschluss zu bringen, und zwar: „Was sind wesentliche Konkretisierungen, wenn wir von einer ‚Pfarre‘ reden, was gehört unbedingt dazu?“ Und: „Von welchen Werten und Grundhaltungen lassen wir uns in der Kirche von Graz-Seckau auf allen Ebenen leiten?“ […}
  • Die Frage nach der rechten und notwendigen Kommunikation untereinander und mit dem Ordinariat wird auch in den kommenden Jahren eine immer neu zu bedenkende wichtige Fragestellung sein.
  • Wenn der Pfarrer der erste Diener für das Leben derer ist, die in der Nachfolge Jesu Christi stehen: was ist wirklich der Dienst der Priester hierfür? Er ist sicher nicht „Guru“ und auch nicht einer, nach dessen spiritueller Pfeife getanzt werden muss …

… mit dem Ordinariat und den Verantwortungsträgern
Das Ordinariat mit seinen Dienststellen ist nicht die „Firmenzentrale“ der Diözese, es ist – wie es im Leitbild heißt – u. a. „Inspirations-, Service- und Kompetenzzentrum zum Nutzen der ganzen Diözese“, was natürlich mitunter auch heißen kann, an gesetzliche Grundlagen u. ä. m. erinnern zu müssen. Daher gilt es, wie überhaupt im Leben, auch hier inne zu halten, um Nachschau zu halten, wo dieses Ziel, als Amt des Ordinarius für die ganze Diözese zu arbeiten, noch weiter verbessert werden kann. Daher wird es wohl eine der vornehmsten Aufgaben unseres […] Generalvikars sein, die bereits benannten Fragestellungen für die Diözese auch im Ordinariat entsprechend zu stellen und voranzutreiben, etwa:

  • Zusammenspiel zwischen Ordinariat und Erfahrungsräumen von Kirche etwa in puncto
    – Kommunikation,
    – Subsidiarität usw.
  • Anpassung und Weiterentwicklung der Strukturen im Bischöflichen Ordinariat an die Anforderungen der Seelsorge in den nächsten Jahren.

… mit den Pfarrern und Priestern
Als die ersten Mitarbeiter des Bischofs hoffe ich, dass die „Freude am Evangelium“ durch Euch auch nach vielleicht entbehrungsreichen Jahren in der Seelsorge erhalten ist. Ich weiß: in der Gesellschaft tut sich so viel, dass es mehr als nur verständlich ist, wenn Priester glauben, wahrnehmen zu müssen, die Botschaft des Evangeliums „greife“ nicht mehr. Meine Erfahrung lehrte mich zunehmend, auf das zu blicken, was ist, und gemeinsam ernsthaft nach dem zu suchen, was in dieser Situation, mit diesen Menschen in diesem Sendungsauftrag von Gott gewollt wird. Diese Aufmerksamkeit ist notwendig. Ich weiß auch, dass durch viele Veränderungen im Leben unseres Dienstes, durch die sehr geringe Zahl nachwachsender Berufungen und anderes mehr, die Herausforderungen für die Priester andere geworden sind und vielfach als Be-, wenn nicht Überlastung empfunden werden. Ich bin versucht zu sagen, dass manches in der bislang gewohnten Form, Kirche zu leben und zu gestalten nicht mehr geht. Ich sage sogleich aber auch dazu und bitte darum, eine Umkehr in den Argumenten mitzuvollziehen, damit wir nicht vom Priester her Kirche denken, gestalten und bauen, sondern von Christus her und daher von jenen, die seinen Namen tragen. Ich möchte daher für jeden von uns einige persönliche Überlegungen mitgeben:

  • Wie lebe ich die Berufung ins Priestersein, in diese Lebensform? Mit wem tausche ich mich wirklich darüber aus – der Beichtvater scheint mir da zu wenig zu sein. Anders ausgedrückt: wen habe ich, mit dem ich über das, wie es mir persönlich geht, wirklich ins Gespräch komme und nicht bloß darüber, wie es mir in meinem Dienst geht?!
  • Wo sind jene, die an meiner Art, Evangelium zu leben, Feuer fangen? Jesus nachzufolgen, führt wohl alle zum erfüllten Dasein, auch zölibatär lebende Priester sind von dieser Verheißung nicht ausgenommen. Das Evangelium ist trotz allem, was an Kreuz zu benennen ist – Frohe Botschaft. Nehmen wir also auch an und ernst, dass Berufungspastoral die Grundmelodie allen kirchlichen Tuns ist und sind wir aufmerksam für jene, die nach einem entsprechenden Leben suchen? […] [Die] Botschaft Christi vermag gerade heute auch junge Leute zu begeistern. Wer begleitet sie weiter, wo werden ihre Fragen ernst- und angenommen?
  • Was lässt mich „brennen“? – Wir brauchen keine Angst haben, dass Gott geizig ist, Menschen zu rufen. Wir sind Arbeiter, die ernten! Wir müssen auch nicht ängstlich um unsere Kirche sein, denn ER ist ihr Herr und ER baut Kirche. Wir sind Diener dabei.
  • Wir wissen um die unterschiedlichsten „Typen“, die ER in diesen Dienst gerufen hat. Wir Priester geben damit ein sichtbares Zeichen für die Breite unserer katholischen Kirche ab, die ich nicht missen möchte. Wir sind aber als Seismographen für die Vorgänge in der Welt nicht davor gefeit, eng zu werden. Bewahren wir es uns oder lernen wir es, vielleicht neu, den Weg, den ein anderer in seiner Nachfolge als Priester geht und wählt, als den ihm entsprechenden Weg zu sehen. Lassen wir nicht voneinander! Gehen wir aufeinander zu, öffnen wir uns dem Bruder im selben Dienst neben mir und seien wir dankbar dafür, dass es so viele Wege gibt, Priester-Sein zu leben wie es eben Männer gibt, die ihr „Ja“ dazu gesagt haben. „Links“ und „rechts“, „progressiv“ und „konservativ“, „papsttreu“ oder „fortschrittlich“ sind keine Kategorien, in die wir uns einpassen lassen dürften bzw. dürfen. Wir brauchen auch keine Angst um uns zu haben, denn ER ist mit uns! – Es gibt freilich auch Grenzüberschreitungen in diesem sehr weiten Rahmen, die Korrekturen notwendig machen.

An dieser Stelle daher aus vollstem Herzen Danke und „Vergelt’s Gott!“ für Euren authentisch gelebten Weg der Nachfolge und Euren Dienst, mit dem und durch den in unserer Welt ein deutliches Signal gesetzt wird, dass der Auferstandene unter uns gegenwärtig ist und lebt.

… mit den anderen, die in der Seelsorge tätig sind
[…]

Ich weiß: in diesem Abschnitt wurden viele Fragen angerissen. Sie alle stehen unter dem großen Rahmen, im Heute unserer Zeit freudig Zeuge für das Evangelium zu sein. Deswegen sind diese zu stellen. Im Vertrauen darauf, dass ER die Kirche von Graz-Seckau leitet, können wir uns allen Anfragen stellen und aussetzen und müssen keine Angst haben. Denn: ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Botschaft des Evangeliums, die Botschaft der Kirche auch und gerade heute Brot für das Leben ist.[1]

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[1] Alle Frage- tlw. auch Infragestellungen bedeuten keineswegs zu behaupten, dass das Frühere schlecht war, dass jenes, was uns Jahrhunderte herauf, ausgehend von der Freiheit des Christenstums nach Konstantin, segensreich unterstützt hat, null und nichtig ist. Das kann und darf als solches stehen bleiben. Weil Gott immer einer ist, der „heute“ ist, gilt es dennoch, trotz allem, was uns wertvoll war und ist, nach dem zu fragen, welche Form Kirche heute bei uns braucht, um ihrer Sendung zu den Menschen, in der einen Welt, in ihrer Suche nach Identität und Einheit, in ihrem Suchen nach Lebensmöglichkeiten im Miteinander und in Frieden und Freiheit im gemeinsamen Haus einigermaßen gerecht zu werden. Ich bin mir sicher: Er baut auch heute an Seiner Kirche. Schön ist’s und wäre es, wenn wir unsere Berufung darin sehen, mit Ihm zu bauen.

Zur Entwicklung von Kirche bei uns (3)

Viel wird zur „Kirchenentwicklung“ gesagt. Auch in unserer Diözese ist befinden wir uns in dieser Spur des Evangeliums. – In loser Folge will ich hier auf verschiedene Wortmeldungen von mir – ausschnittsweise – hinweisen, um mir und uns die Fragestellungen in Erinnerung zu rufen, um die es dabei – umfassend gedacht – geht.
Wir sind als Kirche und Gläubige in dieser Welt mit diesen Herausforderungen unterwegs …

Aus dem Referat auf den verschiedenen Herbstwochen 2015

Glauben – persönliche Vertiefung der Christusbeziehung
Zuallererst muss hier jene unaufgebbare Beziehung in Erinnerung gerufen werden, die uns alle leben und in unserem Dienst arbeiten lässt. Es gilt zu glauben. „No na net“, höre ich einige sagen. „Wagen wir aber wirklich den Sprung, der Glauben bedeutet?“ Haben wir es uns nicht in so manchem sehr zurechtgerichtet? „Paroichia“, wovon sich der Begriff „Pfarre“ herleitet, bedeutet wörtlich übersetzt ‚Beisasse‘ und meint in seiner Bedeutung ‚Nachbarschaft‘. Eine Alternative für die Etymologie von Paroichia ist ‚das Wohnen eines Fremden in einem Ort ohne Bürgerrecht‘. In dieser Bedeutung (fremd, Fremde, Fremder) kommt der Begriff mehrfach im Neuen Testament vor (z. B. Lk 24,18; Apg 13,17; Eph 2,19; 1 Petr 1,17).Wie leben wir das? Was heißt in diesem Umfeld „sich selbst verlassen“, also „fremd sein“ und Gott alles anvertrauen? Was heißt „Glauben leben“? Es geht um mehr als Gottesdienste zu ordnen und entsprechend zu gestalten. Mitunter laufen wir meines Erachtens Gefahr, Leben der Kirche auf die Feier von Gottesdiensten zu reduzieren: Zum „Kerngeschäft“ gehören wesentlich auch noch andere Standbeine dazu. Glauben bedeutet auch die Wachsamkeit, die Aufmerksamkeit für das Evangelium, ein ständiges „Auf dem Sprung sein“. Ich hege den Verdacht, dass wir versucht sind, es uns „einzurichten“: wir arbeiten professionell, haben Geld, wir haben großartige Strukturen und viele, die hauptamtlich für uns arbeiten. Und genau damit habe ich selbst schon einen großen Fehler gemacht: nicht „für uns“, sondern „für die Menschen“ muss es heißen – es geht nicht um uns, um unseren Selbsterhalt, es geht um Gott und darum, dass Seine Herrschaft durch unser Zutun deutlicher Konturen annimmt inmitten der Menschheit, die uns umgibt. Also ist unser Dienst, uns selbst und unser Leben – ich nehme Anleihe an der Weiheliturgie – „unter das Geheimnis des Kreuzes“ zu stellen. Und daraus folgt, es anderen zu ermöglichen, ihr Leben in der Nachfolge Jesu Christi dem entsprechend persönlich und als Kirche gemeinsam zu gestalten.

Glauben im Leben – Gesellschaft gestalten
[…]
Haben wir keine Angst zu sagen, dass etwas neu wird! Haben wir auch keine Angst davor, dass Versuche scheitern können. So etwa wird mit der Neuordnung der Grazer Stadtkirche ein für mich mutiges Experiment gewagt; ebenso sei nochmals an die vorgestellte Initiative in Richtung „missionarische Pfarren“ erinnert. Immerhin hat mir genau das auch der Vertreter des Papstes in Österreich bei meiner Weihe mitgegeben.
[…]

Die Freude, heute Kirche zu sein[1]
Nun: Was heißt es, in den vielen Erfahrungsräumen von Kirche „die Freude des Evangeliums“ zu leben? Was heißt „Kirche im Kindergarten“, was bedeutet „der Auferstandene unter uns im Pfarrgemeinderat“, was heißt es, mit dem, der lebt, die Straßen und Dörfer anzuschauen, die in unserer Gegend sind? Wie gehen wir miteinander um, wenn wir von uns sagen, dass wir unterschiedliche Stärken, Charaktere und theologische Sichtweisen haben? Setzen wir unsere Lebens-Karte auf den, der das Haupt der Kirche ist, oder sind uns unsere eigenen Überlegungen und spirituellen Wege Maß, die wir als DienerInnen in der Kirche jede und jeder für sich leben? Leben wir „im“ anderen, „in“ der anderen, mit der wir von Gott in dieselbe Sendung geschickt sind, und was bedeutet dieses Leben für die Konkretionen in der Pfarre? Nicht der Pfarrer, nicht der Kaplan, auch nicht jemand anderer in der Seelsorge ist der Herr der Pfarre, so wie der Bischof nicht der Herr der Kirche ist … Sind wir wirklich dankbar dafür, dass wir in der Seelsorge der Steiermark beinahe 900 Religionslehrende, 1.800 Mitarbeitende in der Caritas, 460 Priester, 80 Ständige Diakone, 160 Pastoralassistenten, 185 PfarrsekretärInnen haben? So dicht war das Netz eigentlich selten in der Geschichte zuvor. Wenn ich dann noch die Ordens- und andere Gemeinschaften hinzunehme […]: da gibt es und da gilt es sehen zu lernen, wie viel Segen von diesen Gemeinschaften und Orten ausgeht – auch wenn es, was den Nachwuchs anlangt, nicht nur Freude gibt.

Brüder und Schwestern in Glauben! Gehen wir gemeinsam, gehen wir mit IHM voran in der Freude des Evangeliums! Und bitten wir jetzt um Seinen Geist für den Weg, den wir miteinander zurücklegen werden.

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[1] Vgl. u. a. auch die beiden Veröffentlichungen von Martin Werlen, dem früheren Abt von Einsiedeln, der als Gewissenserforschung wie so manch andere Schrift gut tut:

  • Martin Werlen: Heute im Blick: Provokationen für eine Kirche, die mit den Menschen geht. Ein geistlicher Weg in 100 Schritten, Freibrug: Herder 2014.
  • Martin Werlen: Miteinander die Glut unter der Asche entdecken, Einsiedeln 2012 (6. Aufl.).

Zur Entwicklung von Kirche bei uns (2)

Viel wird zur „Kirchenentwicklung“ gesagt. Auch in unserer Diözese ist befinden wir uns in dieser Spur des Evangeliums. – In loser Folge will ich hier auf verschiedene Wortmeldungen von mir – ausschnittsweise – hinweisen, um mir und uns die Fragestellungen in Erinnerung zu rufen, um die es dabei – umfassend gedacht – geht.
Wir sind als Kirche und Gläubige in dieser Welt mit diesen Herausforderungen unterwegs …

Aus dem Referat auf den verschiedenen Herbstwochen 2015

Ich
Wir leben aus dem, was uns auch geistesgeschichtlich über Jahrhunderte begleitet. Dankbar atmen wir die Luft der Freiheit des Individuums, die uns schon in der Heiligen Schrift begegnet. Jeder und jede ist persönlich angesprochen von Gott, wir sind einander geschenkt und dazu berufen, dies den Menschen um uns erfahrbar zu machen.[1] Derzeit erfahren wir aber auch – wohl auch aufgrund der sich immer komplexer gestaltenden Welt – einen Schub mitunter krankhaften Individualismus‘, der das Heil und die Welt nur mehr bei und in sich sucht, und daher sich von den anderen abschottet[2]. Die Frage nach dem „Ich“, eingebettet in das Wir, stellt sich mit Vehemenz neu.[3] Der Rückzug auf sich selbst – und davon sind nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Institutionen betroffen – scheint der einzige Ausweg zu sein.[4] Auch wenn ich nicht weiß, wer ich wirklich bin: mich abzugrenzen ist zunächst einmal das Logischste. Durch das Internet und die neuen Kommunikationsmittel und -techniken sowie die sogenannten „sozialen Medien“ verstärkt sich dieses Fragen. Ich behaupte sogar, dass Unverständnis anderen gegenüber wächst – sichtbar unter anderem in den härter werdenden Tönen im Miteinander, und da meine ich nicht nur Fremdenfeindlichkeit, sondern auch den normalen Umgangston etwa unter uns. All das sage ich im Wissen um die vielen, vor allem junge Menschen, die sich engagieren und Hand anlegen, die nicht fragen, sondern einfach helfen wollen.

An dieser Stelle sage ich all jenen ein Danke, die sich in unserer Steiermark aufmachen, um Sinn und Wert zu verbreiten, um damit jenes „Du bist mein geliebter Sohn, meine geliebte Tochter, unendlich viel wert!“ hautnah erfahrbar werden zu lassen inmitten einer Welt, die im Kleinen der Familien etc. oft schon mehr als zerrissen und uneins erscheint.

Zugleich gilt es, dem Evangelium der Liebe, die Gott ist, noch deutlicher zum Durchbruch in unserer Gesellschaft zu verhelfen, damit Identität nicht weiterhin aus Abgrenzung, sondern aus der vorangehenden Bejahung durch Gott als Hingabe erfahren wird. Was heißt dies für uns als Amtsträger in der Kirche, geweiht oder nicht, was für uns als Pfarre und Gemeinschaft, für uns als Kirche in der Steiermark?

Familie
Ein weiterer Grundton, den ich höre, ist jener der Familie. Dieser ist freilich nicht neu – in ganzheitlicher Blick auf die Botschaft der Bibel macht auch – heilsam für die heutige Debatte – deutlich, dass im Zusammenleben der Menschen in Familien Gott Heil in unterschiedlichsten Konstellationen geschaffen hat, allein der Blick auf den Stammbaum Jesu sei dazu in Erinnerung gerufen. Gelingen, Brüchigkeit und Scheitern der Keimzelle von Gesellschaft und Kirche begleiten uns die Jahrhunderte herauf.[5] An der Schwelle zur kommenden Bischofssynode, die vor allem in unseren Breiten mit vielen Erwartungen zu einigen wenigen Fragestellungen verbunden ist, wird das gesamte Feld von Ehe und Familie neu vor uns aufgebreitet.

Ein Danke hier an jene, die sich in unserer Diözese über Jahrzehnte herauf mühen, Gelingen und auch Herausforderungen in diesem sensiblen Bereich menschlichen Daseins zu begleiten; und mitunter auch feststellen (müssen): „Vielfach werden wir mit der frohmachenden Botschaft, die uns anvertraut ist, nicht gehört.“ Daher erwachsen mir auch hier aus dem Hinhören einige Fragen: „Ist die Rede von ‚Ehe‘ und ‚Familie‘ für uns als Diener und Dienerinnen der Kirche Evangelium? Oder sind wir Menschen, die nur das Scheitern im Blick haben und sich in der Meinung förmlich mitreißen lassen, sodass zunächst mal scheinbar ‚alles den Bach hinuntergegangen‘ zu sein scheint?“ Diese Frage zu stellen bedeutet für mich nicht, all den Herausforderungen auszuweichen, die sich auf dem Gebiet des Miteinanders stellen; wer meine Familie kennt und meinen Dienst, den ich die Jahre herauf so gut es geht auszuüben versuchte, der weiß auch darum, dass diese Dauerthemen für mich waren. Und gerade deswegen: Lassen wir uns wirklich auf die Vielfalt ein, die uns in den Fragen des Miteinanders von Menschen begegnet, oder meinen wir, dass Regeln, egal ob lax oder rigoristisch, angewendet und verkündet, ausreichend für ein tragfähiges Lebensfundament sind? Nehmen wir als positive Herausforderung für unser Denken und unsere Seelsorge wahr, wie viele Menschen sich nach einer stabilen Beziehung in Familie und Werten wie Treue etc. sehnen? Was bieten wir all jenen an, die das Miteinander in Liebe wagen – trotz allem, was im Umfeld des eigenen Daseins auch danebengegangen sein mag? Wo – um es provokant zu formulieren – schätzen wir, dass jene, die etwa auch bewusst „ja“ sagen zu Kindern, eigentlich uns evangelisieren?

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[1] Paulus etwa redet von den Charismen als Gaben, die wir haben, damit sie anderen nützen, nicht um uns selber zu befriedigen. Christliche Existenz ist immer Pro-Existenz, Dasein für, so wie JHWH sich im Dornbusch offenbart: „Ich bin da für euch“ und wie es auch Jesus gelebt und durchlitten hat. Am deutlichsten wird diese „Grundhaltung“ christlichen Lebens wohl in Phil 2 mit dem Christushymnus besungen.

[2] Papst Franziskus, Evangelii gaudium 2: „Die große Gefahr der Welt von heute mit ihrem vielfältigen und erdrückenden Konsumangebot ist eine individualistische Traurigkeit, die aus einem bequemen, begehrlichen Herzen hervorgeht, aus der krankhaften Suche nach oberflächlichen Vergnügungen, aus einer abgeschotteten Geisteshaltung. Wenn das innere Leben sich in den eigenen Interessen verschließt, gibt es keinen Raum mehr für die anderen, finden die Armen keinen Einlass mehr, hört man nicht mehr die Stimme Gottes, genießt man nicht mehr die innige Freude über seine Liebe, regt sich nicht die Begeisterung, das Gute zu tun. Auch die Gläubigen laufen nachweislich und fortwährend diese Gefahr. Viele erliegen ihr und werden zu gereizten, unzufriedenen, empfindungslosen Menschen. Das ist nicht die Wahl eines würdigen und erfüllten Lebens, das ist nicht Gottes Wille für uns, das ist nicht das Leben im Geist, das aus dem Herzen des auferstandenen Christus hervorsprudelt.“

[3] Schon Anfang der 90iger Jahre fragte Klaus Hemmerle bei den St. Georgener Gesprächen (in: Leben aus der Einheit. Eine theologische Herausforderung, 20): „Gelingt heute noch so etwas wie Identität mit sich selbst? Schaue ich nicht in ein fremdes Gesicht, wenn ich in den Spiegel schaue? Leben von Menschen ist heute oft in so ungezählte Funktionen und Rollen zergliedert, daß ein verbindender roter Faden fehlt. Ich komme von einer Rolle in die andere, ich stürze von einer Erfahrung in die andere, und ich bin mir selber wie ein Silbenrätsel, das ich nicht mehr zu einem Wort zusammengesetzt bekomme. Was geschieht in einer Welt, in der wir uns nicht nur voneinander entfremden, sondern uns selbst fremd bleiben? Ich komme mir selbst nur auf die Spur, wenn ich nach der Einheit meines Lebens suche, wenn ich suche, die Einheit meines Lebens zu leben.“
Später (60-62) führt er ausführlicher aus:“Wir sind täglich so vielen Informationen ausgesetzt, in so viele unterschiedliche Welten hineinversetzt, von so vielen verschiedenen Ansprüchen in Beschlag genommen, daß wir, überwältigt von alledem, kaum mehr eine glaubwürdige und tragfähige Einheit des Ganzen in unserer Person, in unserem Leben vorfinden. Es gibt da zumindest drei Strategien, in denen wir spontan versuchen, mit dieser Ohnmacht fertig zu werden, die indessen alle nicht bis zur Einheit des Lebens und des Selbstseins durchdringen.

Die erste Strategie: Ich lasse nur noch selektive Wahrnehmung bei mir selber zu. Ich ignoriere vieles von dem, was mir begegnet, schotte mich ab gegen bestimmte Erfahrungen und Bereiche der Wirklichkeit und entwickle gleichzeitig Reaktionsmuster, die ich nicht mehr an der Begegnung mit der Sache oder der Person ausweise, sondern als unabänderliche Vorwegnahmen und Vor-Urteile in mein Leben einbringe. Im gar nicht so weit entfernt liegenden Extremfall führt das zur Entwicklung von Ideologien. Nicht mehr aus der Öffnung für die Sache, nicht mehr aus der nie abgeschlossenen Begegnung mit der Wirklichkeit, sondern aus „Not-wehr“ gegen das „Zuviel“ und „Zu-Kompliziert“ bestimme ich meine Weise, mit dem Nächsten, mit der Geschichte, mit der Welt, mit den Werten und Wirklichkeiten umzugehen. Ein Stück weit geht es nicht anders, wird der Einwand nicht weniger lauten. Aber die Resignation, daß es so sei, schläfert die Gegenkräfte gegen gefährliche Ideologiebildungen bedrohlich ein.

Die zweite Strategie möchte ich mit dem Wort „Reaktionsspaltung“ beschreiben: Ich lebe auf verschiedenen Bühnen und spiele auf ihnen nicht nur verschiedene Rollen, sondern lebe auf ihnen auch unterschiedliche Einstellungen und Grundentscheidungen. Ich bin im Gottesdienst der frömmste Mensch – aber in meinem politischen Verhalten entdeckt niemand etwas von meinem Glauben. Ich bin Protagonist der Familienpolitik – aber wehe, wenn jemand zuhause hinter die Kulissen schaut. Die Welt wird aufgespalten in verschiedene Lebenswelten, in ihnen entwickle ich verschiedene Verhaltensweisen, aber eine gegenseitige „Aussetzung“ meiner Einstellungen aneinander, ein Suchen nach einer umgreifenden Einheit unterbleiben.

Verwandt damit und im Ansatz doch verschieden davon ist eine dritte Strategie: Spaltung meiner Lebenszeit. Die Intensität der Erfahrungen, die Macht der Bedürfnisse und die Überforderung meiner Kräfte des Durchhaltens und Bestehens sind zu stark, um einen durchgehenden und durchtragenden Lebenssinn zu gewährleisten. Das Alles wird aufgelöst in den beliebigen Ausschnitt, die Zeit garantiert nicht mehr die gefügte Einheit des Ganzen, sondern erschöpft sich in der pragmatischen Bewältigung des Jeweils. Lebensformen, Lebensbeziehungen, Lebensentscheidungen wird der Anspruch und Sinn von Endgültigkeit nicht mehr zuerkannt. Die Einheit und Beständigkeit des Ich, des Charakters, der Biographie werden grundsätzlich in Frage gestellt. Genügt es nicht, im Jeweils innerlich plausible Erfahrungen zu machen, sich ihnen anzuvertrauen und sie gelassen wieder aufzugeben, wenn sich Neues und anderes zeigt? Erscheint nicht alles andere als Ideologie, als künstlicher Überbau? „Alles“ heißt immer wieder „etwas Neues“; so werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht in eine Konsequenz und Kohärenz hinein zusammengebunden, sondern sie flottieren im Wellenspiel der je neuen Kombinationen.

Dies alles ist nicht aufgeführt, um über die Gewissenlosigkeit, die Schlechtigkeit und Dekadenz unserer Zeit zu lamentieren. Tatsächliche Überforderungen und Ratlosigkeiten treiben in die genannten Richtungen, und es gilt durchaus, die Anfragen an klassische und überlieferte Seh- und Lebensweisen zuzulassen. Dennoch bleiben die Fragen: Wer bin ich? und: Was ist die Welt? Selbstverlust, Weltverlust, Verlust jener Solidarität, die Leben und Zukunft ermöglicht, können in der Tat nicht die Lösung sein.“

[4] Vgl. Franziskus, Evangelii gaudium, 78-80:“78. Heute kann man bei vielen in der Seelsorge Tätigen, einschließlich der gottgeweihten Personen, eine übertriebene Sorge um die persönlichen Räume der Selbständigkeit und der Entspannung feststellen, die dazu führt, die eigenen Aufgaben wie ein bloßes Anhängsel des Lebens zu erleben, als gehörten sie nicht zur eigenen Identität. Zugleich wird das geistliche Leben mit einigen religiösen Momenten verwechselt, die einen gewissen Trost spenden, aber nicht die Begegnung mit den anderen, den Einsatz in der Welt und die Leidenschaft für die Evangelisierung nähren. So kann man bei vielen in der Verkündigung Tätigen, obwohl sie beten, eine Betonung des Individualismus, eine Identitätskrise und einen Rückgang des Eifers feststellen. Das sind drei Übel, die sich gegenseitig fördern.

  1. Die Medienkultur und manche intellektuelle Kreise vermitteln gelegentlich ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber der Botschaft der Kirche und eine gewisse Ernüchterung. Daraufhin entwickeln viele in der Seelsorge Tätige, obwohl sie beten, eine Art Minderwertigkeitskomplex, der sie dazu führt, ihre christliche Identität und ihre Überzeugungen zu relativieren oder zu verbergen. Dann entsteht ein Teufelskreis, denn so sind sie nicht glücklich über das, was sie sind und was sie tun, identifizieren sich nicht mit dem Verkündigungsauftrag, und das schwächt ihren Einsatz. Schließlich ersticken sie die Missionsfreude in einer Art Besessenheit, so zu sein wie alle anderen und das zu haben, was alle anderen besitzen. Auf diese Weise wird die Aufgabe der Evangelisierung als Zwang empfunden, man widmet ihr wenig Mühe und eine sehr begrenzte Zeit.
  2. Es entwickelt sich bei den in der Seelsorge Tätigen jenseits des geistlichen Stils oder der gedanklichen Linie, die sie haben mögen, ein Relativismus, der noch gefährlicher ist als der, welcher die Lehre betrifft. Es hat etwas mit den tiefsten und aufrichtigsten Entscheidungen zu tun, die eine Lebensform bestimmen. Dieser praktische Relativismus besteht darin, so zu handeln, als gäbe es Gott nicht, so zu entscheiden, als gäbe es die Armen nicht, so zu träumen, als gäbe es die anderen nicht, so zu arbeiten, als gäbe es die nicht, die die Verkündigung noch nicht empfangen haben. Es ist erwähnenswert, dass sogar, wer dem Anschein nach solide doktrinelle und spirituelle Überzeugungen hat, häufig in einen Lebensstil fällt, der dazu führt, sich an wirtschaftliche Sicherheiten oder an Räume der Macht und des menschlichen Ruhms zu klammern, die man sich auf jede beliebige Weise verschafft, anstatt das Leben für die anderen in der Mission hinzugeben. Lassen wir uns die missionarische Begeisterung nicht nehmen!“

[5] Hemmerle, Klaus, ebd. 18f.: „Wir leben in einer Zeit, in der es kaum noch Institutionen gibt, die den Menschen und auch die Institution Ehe und Familie stützen und schützen können. Ehe und Familie hat nicht mehr ihren Ort – wie einst einmal – in größeren Lebenszusammenhängen, die in konzentrischen Kreisen das Familienleben entlasteten. Heute kommt oft die ganze Wucht personaler Beziehung auf zwei alleine zu, ohne daß wirklich Dritte oder Vierte da sind. Die Welt hat sich so verändert, daß darin die Lebensbedingungen für Ehe und Familie überaus schwierig sind. Aber wie problematisch ist es für eine Gesellschaft, wenn die kleinste Zelle menschlichen Zusammenlebens nicht eine neue Einheit findet.“

Zur Entwicklung von Kirche bei uns (1)

Viel wird zur „Kirchenentwicklung“ gesagt. Auch in unserer Diözese ist immer wieder davon die Rede. – In loser Folge will ich hier auf verschiedene Wortmeldungen von mir – ausschnittsweise – hinweisen, um mir und uns die Fragestellungen in Erinnerung zu rufen, um die es dabei – umfassend gedacht – geht.
Wir sind als Kirche in dieser Welt mit diesen Herausforderungen unterwegs …

Aus dem Referat auf den verschiedenen Herbstwochen 2015

Ich will „zu einem Dreischritt anregen, der hier [i.e.: Pfarrerwoche] nicht zur Gänze geleistet werden kann. „Zuhören – Austauschen – Vorschlagen“ nennt Matthias Sellmann, Pastoraltheologe in Bochum, seine 2012 erschienene Monographie, die mir einen ans Herz gewachsenen Satz des verstorbenen Bischofs von Aachen, Klaus Hemmerle, auszudeuten scheint: „Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe.“ Der Dreischritt erinnert an den von Kardinal Cardijn geprägten von Sehen – Urteilen – Handeln, geht aber, auch angesichts der geänderten gesellschaftlichen und kirchlichen Rahmenbedingungen einen Schritt weiter und nimmt die heutige plurale Situation ernst, in der es alles andere als leicht ist, eine bestimmte Handlung als den richtigen Weg zu bestimmen. Darüber hinaus macht der von Sellmann eingeführte Dreischritt auch deutlich, dass in komplexer werdenden Situationen das Sehen wohl nicht immer so eindeutig ist, wie angenommen, weswegen ein intensives Zuhören Motivationen „dahinter“ aufdecken hilft, über die es sich auszutauschen gilt, um für den nächsten zu setzenden Schritt etwas vorzuschlagen. Heute und hier werden wohl nur die ersten beiden Schritte angegangen werden können, den dritten, etwas konkret vorzuschlagen, lade ich ein, dort zu setzen, wohin wir gesendet sind.

Was also nehme ich wahr? Was „höre“ ich derzeit in der Welt an Vorgängen? Und was „höre“ ich angesichts auch all dessen, was wir uns hin auf das Diözesanjubiläum vorgenommen haben? Einiges möchte ich in Übereinstimmung mit den Leitzielen des „Weg2018“ unserer Diözese benennen. Ich meine, dass in diesen Vorgängen Gott selbst zu uns spricht und mahnt, uns aufeinander einzulassen und seinem Willen für diese Situationen auf die Spur zu kommen, indem wir uns darüber austauschen und danach Wege zu deren Umsetzung andenken.

2.1. Welt und Schöpfung
Kurz nach meiner Weihe hat Papst Franziskus mit seiner Enzyklika „Laudato si“ einen flammenden Appell für das „gemeinsame Haus Welt“ an alle Menschen gerichtet. Wir sind als Menschen in diese unsere Welt hinein gestellt und daher auch gerufen, sie nach seinem Bild und Willen zu gestalten. Wir merken auch im Eigenen unserer Erfahrungen, wie notwendig das Wahrnehmen, ja das „Hören“ auf die vielen Stimmen in diesem unserem gemeinsamen Haus ist (oikos). Wir können uns nicht abschotten und bloß sezierend die eine oder andere Fragestellung analytisch behandeln: Es geht um die Welt und in ihr, um das Zueinander und Miteinander der Geschöpfe, zu denen auch wir als Menschen und Christen gehören. Vielfach macht Papst Franziskus deutlich: wenn uns die Freude des Evangeliums antreibt, dann gilt es die Menschheit im Blick zu haben und damit die Welt. Für mich äußerst interessant war bei der Lektüre der Enzyklika auch die Tatsache, dass sie nicht nur eine „Öko-Enzyklika“ ist, sondern durch die Zusammenschau der verschiedenen Ebenen deutlich macht, dass ökologische Fragen direkt mit sozialen und anthropologischen (Humanökologie) Fragen zusammenhängen. Diese genuine Weltsicht aus dem Evangelium heraus tut not; mehr noch: Welche Fragen kommen in uns hoch angesichts der dort zahlreich angerissenen Themenstellungen? Welche Fragen sind bei uns vordringlich und dem entsprechend in die Debatte unter uns und mit den Verantwortungsträgern vor Ort einzubringen?
„Vergelt’s Gott!“ all jenen in unserer Diözese, die sich in Pfarren, Gemeinschaften und auf der diözesanen Ebene mitunter auch lästig deutlich machen, was unsere Verantwortung für diese unsere Welt bedeutet. Zugleich ermuntere ich, die Zumutung unseres Papstes ernst zu nehmen und ins Bedenken für unser Kirche-Sein auf allen Ebenen deutlich mit hinein zu nehmen.

2.2. „eine“ – sich verändernde – Welt
In den letzten Monaten wird uns unter anderem durch das, was Papst Franziskus „3. Weltkrieg auf Raten“ nennt, von schmerzlicher Seite deutlich, dass wir uns nicht von dieser unserer Welt dispensieren können. […] Ich weiß um die Emotionen, die in unserer Gesellschaft diesbezüglich hochgehen, auch weil die nötigen Differenzierungen zwischen den Frage- und Problemstellungen „Asyl“ – „Zuwanderung“ – „Ermöglichung von Lebensmöglichkeiten vor Ort“ nur selten artikuliert werden. Auf alle Fälle aber danke ich allen, die sich hier engagieren – ob in Gesellschaft oder in unserer Kirche, weil es zunächst Menschen sind, die hilfesuchend anklopfen. Zugleich bitte ich mit aller Ernsthaftigkeit darum, sich all den damit in Zusammenhang stehenden Fragen des Miteinanders und des Aufeinander-Zugehens zu widmen. Immer wieder.
Gott hat seine eigene Sprache und mit ihr schafft er es immer wieder, unsere Planungen und wohldurchdachten Überlegungen gehörig durcheinander zu bringen. Dies kann auch durch Herausforderungen wie der Flüchtlingsproblematik der Fall sein. Gerade hier aber braucht es Antworten, die Leid und Elend hintanhalten können.
• Wo also laden wir als Verantwortungsträger der Kirche ein, die Herausforderungen der zusammenwachsenden Welt ins Gespräch einzubringen?
• Wo initiieren wir Überlegungen, sich diesen zu stellen?
[…]
• Wie versuchen wir, jeder und jede von uns, den Misstönen und Untergriffen Einhalt zu gebieten?
[…]  Es ist hier aber auch Meinungsbildung zu betreiben – es geht um Menschen! – mit den Verantwortlichen in den Gemeinden, mit unseren Engagierten, mit der Bevölkerung. Denk-, Sprach- und Meinungszäune sind niederzureißen. Wir sind als jene gefordert, für die jeder Mensch eine unteilbare Würde hat, wenn wir uns selbst und erst recht den zu uns Menschen „heruntergekommenen Gott“ ernst nehmen, und dieser ging hierfür bekanntlich bis zum Kreuz.
Ich glaube, dass wir uns den Herausforderungen, Kirche inmitten einer sich immer wieder ändernden Gesellschaft zu leben und zu erfahren wohl die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zu stellen haben. Das, was sich vor unseren Augen derzeit abspielt, ist eine Wegweisung, die es ernst zu nehmen gilt, um unsere Glaubwürdigkeit zu leben. Und das sei deutlich gemacht auch und gerade angesichts aller nur Angst benennenden und ihr entsprechend zu handelnden einladenden Appelle, die mitunter auch aus unseren eigenen Reihen kommen. Da werden wir zuweilen erneut von Menschen in anderen Verantwortungen „evangelisiert“, wenn ich etwa an eine der jüngsten Stellungnahmen der deutschen Bundeskanzlerin denke.
„Habt Mut!“ ruft der Prophet Jesaja (35,4), „Sagt es den Verzagten – hier ist euer Gott!“
Fürchten wir uns also nicht vor der Herausforderung, die uns zu überfordern scheint. Seien wir mutige Christen, gerufen vom Herrn, hier und jetzt das kommende Reich zeichenhaft in uns und um uns zu verwirklichen. Fürchten wir uns nicht, sondern legen wir Hand an. Legen wir den Finger in die Wunde. Christus ruft uns.“

Schluss-„Reflexion“ einer Indienreise

Auf beinahe 1.000 m Seehöhe liegt Peermade. Hier braucht es keine Klimaanlagen, es braucht auch kein Moskitonetz wie unten im Tal. Das ist nur ein Kennzeichen davon, dass es hier in Kerala anders ist als im Nordosten Indiens. Hier sind es etwa 30% Christen, unter ihnen die (katholische) syro-malabarische Kirche als stärkste Gruppe. Wenn ich hier – an diesem Ort – jetzt versuche, meine Eindrücke der vergangenen fast 2 Wochen einzufangen, dann will es mir eigentlich nicht gelingen, so unterschiedlich sind die Erfahrungen.

Dennoch – und damit beginne ich einfach das, was mir gerade in den Sinn kommt, einzufangen und beabsichtige keinesfalls eine komplette Wahrnehmung abzugeben: die Tatsache, dass hier die Zahl etwa der Pfarrangehörigen nicht in Personen, sondern in „Familien“ angegeben wird, ist beiden Erfahrungen gleich – und hat wohl auch eine tiefere Bedeutung. Vielleicht, dass es in der Kirche eben um das Miteinander geht und nicht nur – so sehr wichtig jedes Kind Gottes auch einzeln ist – um jeden Einzelnen. Damit wird aber auch zum Ausdruck gebracht, dass für das „Glauben-teilen“ diese Einheit von Bedeutung ist. Natürlich: es gibt die „Sonntagsschule“, bei der alle von 5 – 17 nach der Messe teilnehmen, in der es auch Prüfungen usw. gibt; ja, es gibt katechetische Unterweisungen und damit eine Einführung ins gemeindliche Leben. Doch wir haben auch überall gehört, dass die Familiengruppen, die sich wöchentlich treffen, der pastorale Schwerpunkt sind: hier wird in der Bibel gemeinsam gelesen, darüber ausgetauscht und gebetet. Das gibt Stärkung – und, so etwa der Pfarrer von Kumily, die Aufgabe besteht dann eher darin, die beinahe 60 Familiengruppen mit zwischen 10-12 Familienangehörigen (die Pfarre hat ca. 700 Familien) zu organisieren. Für die Leitung der Gruppen werden diözesane Kurse angeboten etc.

Kirchlich gleich ist überdies, dass Bildungsarbeit ganz groß geschrieben wird: denn Armut wird am nachhaltigsten durch gute (Aus-)Bildung „bekämpft“ [durch Bildungsmaßnahmen etwa für Frauen hat seinerzeit schon M. Arackal, der heutige Bischof von Kanjirapalli, die Geburtenzahl eingeschränkt, weil sie eben damit auch sich selbst und ihren Körper kennengelernt haben]. Und deswegen investiert Kirche in Schulen und andere Bildungseinrichtungen, auch wenn deren Finanzierung eine große Belastung ist. Kein Wunder also, dass viele Priester schon während ihrer Ausbildung oder auch danach ein zweites Studium „jenseits“ von Theologie abgeschlossen haben, vielfach in Zusammenhang mit sozialen Fragestellungen oder auch Wirtschaft. Ja: Kirche hilft den Menschen im Leben voranzukommen. Selbst die NGOs der Diözese Kajirapalli haben sich als Leitmotiv biblische Worte gegeben, damit sie als nonprofit Organisationen bis hinauf in die „Chefetage“ immer um die rechte Ausrichtung wissen.

Gemeinsam ist kirchlichen Erfahrungen wohl auch das beständige Suchen nach dem Willen Gottes im Hier und Jetzt. Bei einem der vielen Gespräche meinte ich einmal launisch, dass unsere Mentalität es mitunter von uns „verlangen würde“, wenn eine Idee am Horizont auftaucht, diese mal bis ins Letzte, das abschätzbar ist, durchzudenken und zu planen um danach abzuwägen, ob sie umgesetzt wird. Hier ist beständiges Suchen angelangt: ob es Sr. Rose mit ihrer Schule ist, die ursprünglich für von Polio betroffene Schülerinnen gegründet wurde und nach deren praktischen Ausrottung in Indien in eine weiterentwickelt und verändert wurde, in der Mädchen aus den tribals – andere „Randgruppen“ also – Ausbildung ermöglicht wird; oder ob es der damalige Pfarrer Mathew war, der sich in die Baumhäuser seiner Pfarre begab um mitzuleben und mit den tribals hier dann sich überlegte, was sie für ihre gedeihliche Entwicklung nötig haben. Schließlich ist daraus die „Peermade development society“ geworden mit derzeit 18 verschiedenen Departments, die über den Weg des engagierten und professionellen wirtschaftlichen Engagements -zig tausenden Familien auf dem Weg der Entwicklung hilft. Auf diesem Weg geschieht Evangelisierung: Leben des Evangeliums unter den eben vorfindbaren Umständen. Allein die „spices“-Fabrik hat einen Umsatz, der knapp 40% unseres Diözesanbudgets beträgt, wenn ich es recht in Erinnerung habe …

Was ich auch „spannend“ und gemeinsam vorfinde: Kirche lebt ihren Sendungsauftrag und versteht sich von dorther – auch wenn die Formen, dies umzusetzen, vielfältige sind, haben wir doch im Norden eine „andere“ Art als in Kerala wahrgenommen, wie Priester gesehen werden. Irgendwie kommt mir da immer Papst Franziskus in Erinnerung, der davon spricht, dass wir mehr und mehr an die (existentiellen) Peripherien zu gehen haben, weil wir dort – am Rand – auch das, was Zentrum heißt anders sehen und verstehen: „Kirche“ wird anders wahr- und angenommen. Auch diese Erfahrung nehme ich mir mit nach Hause. Diese ist, so meine ich, ganz schwer einer erfahrungsgeschwängerten „Großkirche“ einzupflanzen, die – um wiederum unseren Papst in Erinnerung zu rufen – sich davon mehr als herausgefordert weiß, weil sie bedroht ist, mit sich selbst und ihrem Erhalt sich zufrieden zu geben – selbstreferentiell.

Und schließlich noch eine Ähnlichkeit: pfarrliche Arbeit wird vielfach von weiblichen Ordensgemeinschaften begleitet. Wir waren, wenn ich es recht sehe, in keiner Pfarre, in der es nicht zumindest eine Ordensniederlassung gegeben hat. Sie sind einfach nicht wegzudenken aus der pastoralen Arbeit, auch wenn die Art und Weise Kirche zu leben ob der Diaspora-Situation im Nordosten und der „ganz anderen“ im Südwesten sehr unterschiedlich sind.

Alles in allem bin ich hier erneut auf eine Kirche gestoßen, die deutlich macht: wir sind mit den Menschen unterwegs, so unterschiedlich die Voraussetzungen auch sein mögen – wie es sich etwa allein schon in der Kleidung der Priester gezeigt hat. Das Evangelium, Jesus Christus, lädt uns in unserer Situation ein, den Weg der Nachfolge zu gehen – und darin nicht nachzulassen. Ideenreichtum ist hierbei gefragt und – was natürlich auch v.a. im Norden die junge Geschichte der Kirche anlangt – Offenheit für Neues. Es wird so manches versucht und, wenn es nicht gelingt, auch wieder fallen gelassen. Dass hierbei auch das geschwisterliche Zusammenstehen der Jüngerinnen und Jünger Christi weltweit sinnvoll und notwendig ist, versteht sich von selbst. Auf einem „Landstrich“, der eben von 1,3 Mrd. Menschen bevölkert ist, ist dies darüber hinaus auch notwendig, denn nicht in alle entfernt gelegenen Dörfer und Gegenden dringt alles an Verbesserung sofort durch. Ja: ich habe Hoffnung und Auftrag aus Indien mitgenommen.

Indien ≠ Indien

Es ist einfach so: jeder hat so seine Vorstellungen, mit denen er jemandem begegnet. Ähnlich ist das mit Ländern. Etwa: „In Indien leben die Inder.“ Dass es hier mehrere Stämme gibt, dass es hier -zig Sprachen gibt, dass es hier unterschiedlichste Religionen gibt usw. usf. ist schwer in das einzupacken, was wir so an Vor-Stellungen mit uns herumtragen. Begegnung hilft. Und: Begegnung wirkt. – Ich erlebe das in diesen Tagen selbst: vom Nordosten ging es in den Südwesten, von einer Gegend, in der es „Spurenelemente“ katholischen Lebens gibt, mitten hinein nach Kerala, in eine Situation in der ca. 30% [Thomas-]Christen leben. Von so manchen Fragen und Schwierigkeiten hinein in eine Gegend, in der anlässlich einer großen Wallfahrt der Hindus diese in einem Ort nahe Kanjirapalli diese zunächst mal an einer Mosche Halt machen um dort vor ihrem Weiterziehen zu beten, in der bei der großen Sebastiani-Prozession hin zur Kathedrale der syro-malabarischen Katholiken mit etwa 40.000 Teilnehmern am Eingang zum Viertel, in dem mehrheitlich Muslime wohnen diese um den Segen der Katholiken bitten, ehe diese durch dieses auf ihrem Weg weiterziehen.

Und damit werden so manche Vor-Urteile über den Haufen geworfen. Und Neu-Orientierung ist angesagt. Auch im Hinblick auf die allgemeine Bewertung dessen, was wir üblicherweise mit dem G20-Mitglied und „Tigerstaat“ verbinden: aufstrebende Wirtschaft, mehr Wohlstand usw. usf. Ja. Und zugleich gibt es nach wie vor Armut. Ja. Und zugleich sind nach wie vor in manchen Gegenden viele ausgeschlossen von dem, was Prosperität genannt wird. Als Bischof Mathew Arackal in Peermade als Pfarrer für 4 christliche Familien begonnen hat, hat er noch eine Zeitlang mit „tribals“ auf Baumhäusern gelebt. Nach mehr als 20 Jahren und der Gründung der „Peermade development society“ mit ihren mittlerweile 18 verschiedenen Initiativen, die als NGO sich verpflichtet, das erwirtschaftete Geld zu 85% in Entwicklung zu stecken [für nötige Investitionen darf max. 50% davon verwendet werden] „profitieren“ davon ca. 42.000 Familien – egal welcher Religion, egal welcher Herkunft. „Wir sind da um das Evangelium zu verkünden – und ich habe damit halt einfach begonnen, indem ich mit ihnen das Leben geteilt habe“ meint der mittlerweile fast 74jähringe mittlerweile seit 18 Jahren Bischof seiende Mar Mathew. Ja: es geht was weiter in Indien. Und: es ist alles ein wenig komplexer als man vordergründig annimmt, ist doch auch Indien etwas großer und vielfältiger als wir üblicher Weise denken …

Ach ja: wer glaubt, dass ich mit diesen Gedanken ganz Indien getroffen habe, irrt.

Armut

Auf dem Flug von Delhi nach Kochi gestern – in dieser heute begonnenen Woche besucht unsere steirische Gruppe im Bundesstaat Kerala die Diözese von Matthew Arackel Kanjirapalli – habe ich in einer indischen Zeitung vom „Paradox der indischen Armut“ gelesen. In den vergangenen Tagen haben wir uns im Nordosten – in den Bundesstasten Bihar und Jharkand – durch das, was wir gesehen haben, auch mit dieser Erfahrung konfrontiert gesehen. Und tatsächlich fragten wir uns: wir hören zwar immer und wieder vom aufstrebenden Staat, von Wachstumsraten und Zunahmen am BIP und wie die verschiedenen Indices auch heißen mögen, machen aber auch die Entdeckung, ob das wirklich „bei den Menschen ankommt“. Gleichzeitig: Es habe sich viel in den vergangenen Jahren zum Positiven verändert meinte eine aus unserer Reisegruppe, die sich schon seit längerem mit den Entwicklungen am indischen Subkontinent beschäftigt – und das mit einem rasanten Tempo. Dies kann ich, der ich zum ersten Mal hier bin, nicht sagen, da ich ja keine Vergleichsmöglichkeit habe – ich glaube es einfach und sah mich in Gedanken auf der Fahrt zum Flughafen in Ranchi plötzlich einem Bild in den Straßen von Masan gegenüber, das sich eingeprägt hat: die dortige Kathedrale steht in einer alles andere als „reichen Straße“, aber unmittelbar hinter den einfachsten Läden und Häuschen erheben sich modernste Hochhäuser, die einen Kontrast deutlich machen, der sich – auf gut steirisch gesagt – „g’waschen“ hat. Wieder jemand anderer aus unserer Gruppe hat seine eigenen Erfahrungen aus seiner Kindheit erzählt: hier sei so manches ihm bekannt vorgekommen, er selbst stammt aus einem dem früher so genannten Osteuropa angehörenden Land. –
Es gibt wohl keine Antworten auf die Frage, aber einen Weg zu leben: zu lieben – und dazu ist jede und jeder von uns aufgerufen.

Die Liebe, caritas, wird uns schon deswegen immer abverlangt werden, weil wir, wenn wir von der Einzigartigkeit jedes Menschen sprechen, ernst machen damit, dass wir unterschiedlich sind. Nur weil wir nicht gleich sind, können wir lieben. Und zur Liebe fühle ich mich hier in Indien auf -zigfache Weise herausgefordert. Am Freitag Abend saßen wir mit den Seminaristen des Priesterseminars von Ranchi zusammen – etwa 180 aus ca. 35 Diözesen, fast 95% von ihnen stammen von den „tribals“ ab wie uns der Rektor mitteilte. Sie erzählten uns von ihren „ministries“, die sie unter anderem in den Slums von Ranchi leben: sie lernen mit Kindern, denen der Schulbesuch alles andere als schmackhaft gemacht wird, sie proben mit ihnen Theaterstücke und führen diese auf, sie laden sie immer wieder ein um mit ihnen auf dem Campus des Seminars zu spielen und Freude zu haben, sie musizieren mit ihnen usw. Die Seminaristen sprachen unter anderem davon, dass sie mit dieser Arbeit sich „anders“, wenn nicht gar „intensiver“ – wer kann dies schon bewerten? – auf ihre Berufung vorbereiten, als Priester in dieser Kirche zu wirken. Denn sie machen damit ernst, dass das Reich Gottes nicht erst kommt, sondern in Christus schon mitten in der Welt angebrochen ist. Wir dürfen uns daher „aufgefordert“ wissen, dies wirklich bis in die letzten Phasern unseres Mensch- und Christseins ernst zu nehmen. Ja: Es gilt, in allem, was uns begegnet, damit zu rechnen. Denn – dieses Sprichwort sei hier in Indien bekannt: „Wenn ein Gast kommt, kommt Gott.“ Gut, dass diese jungen Männer hier buchstäblich vor ihrer Haustür auf diese Möglichkeit stoßen, „an die {existentiellen] Peripherien zu gehen“, um von dort aus – um einen Gedanken unseres Papstes aufzugreifen – alles mit einem neuen Blick zu sehen, also auch „unser gemeinsames Haus Erde“ und die Kirche in ihr.

Gerade auf diesem Hintergrund ist es alles andere als „Nebensache“ für Christen, sich zu engagieren und zur Weltverbesserung beizutragen [gerade hier in Indien wird auch deutlich, wie sehr sich das Klima wandelt: nicht selten sind wir in den vergangenen Tagen über große Brücken und beinahe leere Flussbette darunter gefahren, weil hier im Nordosten die Regenzeit alles andere als ausgiebig war] – auch wenn das, was wir in der Welt leisten, nach menschlichem Ermessen die Frage hochkommen lässt: „Was ist das für so viele“? Es ist schlicht Ernstfall des Glaubens, weil es Ernstfall des Lebens und damit der Menschen ist. Wir können nicht anders, als das, was uns möglich ist, zu geben. Mitunter wird dies als nicht dem „Kern des Christseins“ angehörend abgetan. Meines Erachtens ist eine solche Einstellung schlicht und einfach falsch. Mitunter verlangen ja dieselben „Kritiker“, dass sich die Kirche ja nicht auf die Sakristeien zurückziehen soll. Wie sie es also macht: es ist für manche sicher falsch … Da aber immer und überall Menschen glauben, ist Glaube immer auch mit Leben verbunden – schließlich ist ja der Sohn Gottes nicht nur in Synagogen zu finden gewesen, er hat geheilt, er hat zu essen gegeben usw. Mehr noch: „Er, der wie Gott war“, ist einer von uns Menschen geworden, also ein „ganz anderer“ geworden, an die Peripherien gegangen! Dies zu leben ist „politisch“, weil es der „Stadt“ [„polis“ heißt „Stadt“] und damit dem „Ganzen“ dient und alles andere als „partei – politisch“ ist. Letzteres nimmt – wie es der Begriff allein schon deutlich macht [„Partei“ kommt ja von „pars“, also „Teil“] – eben nur einzelne Teil-Aspekte gewissen Interesses in den Blick. Kirche kann und darf nicht schweigen, wenn es darum geht, das Wohl der Menschen im Ganzen in Erinnerung zu rufen – wie dies genau umzusetzen ist in einer Gesellschaft, in der es eben nicht nur Christen gibt, ist den Verantwortungsträgern in unserer Gesellschaft und in den Gemeinwesen auf den verschiedenen Ebenen anvertraut. Sie bieten zwar aus ihrer persönlichen Sicht- und Zugehensweise Lösungen an, diese dann aber eben eigentlich nicht nur mehr für ihr Klientel, ihren Teil also, sondern für das Ganze. In diesem Sinn sind sie dann eben nicht bloß „Parteigänger“. Deswegen irritiert es mich auch schon seit längerem – in so manchen Predigten der vergangenen Jahre habe ich es immer wieder erwähnt – dass etwa von den „Gutmenschen“ geredet wird, dass „Asyl“ diskreditiert wird, dass zu helfen mehr und mehr scheel und als unvernünftig betrachtet wird, dass es scheinbar schick wird, sich auf Kosten anderer zu profilieren, dass es oft eher heißt „ich und meine Interessen“ zuerst – auch auf Gemeinwesen wird dies ja schon angewendet – und damit durch Worte und Taten, virtuell und real, manches aufgerissen wird und nicht verbunden wie in einem Feldlazarett. Wenn ich diesen Begriff eben verwendet habe, dann soll damit auch deutlich werden, dass ich mich selbst und damit auch Vorgänge in der Kirche keineswegs ausnehme. Aber eben: „nur die Liebe zählt“!

In einem Dorf …

Ich sei der erste Bischof aus einem anderen Land in ihrem Dorf gewesen hat sich Sr. Gemma in einem Dorf nahe Hazaribag von mir verabschiedet. Das habe den Menschen hier, die einem gewissen Stamm angehören und in ihren Lehmhäusern nach der Regenzeit wieder alles ausgebessert und blitzblank gemacht haben , sehr viel Freude bereitet. Sie seien ganz aufgeregt gewesen: „Was, der schläft in unserem Dorf?“ und ähnliches mehr habe sie gehört.

Ich muss mich selbst immer wieder neu einfinden in der Wirklichkeit, dass ich Bischof bin und man einem solchen eben nicht „tagtäglich“ begegnet. Aber – wie sagt schon der hl. Augustinus: „Mit euch bin ich Christ, für euch Bischof“ oder eben auch: „Mit euch bin ich Mensch …“. Auf der von vielen Erfahrungen reichen Reise auf dem indischen Subkontinent konnte ich mich als Mensch und als Bischof „neu“ entdecken. Indien ist eben nicht von „den“ Indern bewohnt, sondern mit einer langen Geschichte behaftet – und da gibt es eben auch die „tribals“ in einfachsten Dörfern – auf der Fahrt nach Bodgaya sind wir bewusst eine Straße entlanggefahren, auf der die verschiedenen Typen an „villages“ sichtbar und belebt waren – und unwillkürlich sah ich mich wieder in Uganda und in Tansania, mit dem Unterschied, dass wir hier meist asphaltierte Straßen entlanggefahren sind und die Dörfer um einiges bequemer zu erreichen waren. Da hat sich also was getan in Indien. Ich habe mir erst meine Bilder, die unwillkürlich vorhanden sind, angesichts des kurzen geschichtlichen Abrisses des Werdens der heutigen Nation zurechtrücken müssen, um den Menschen hier entsprechend und recht zu begegnen. Ich durfte als „Mensch“ einige Herausforderungen gleichsam jeweils einen Tag lang erspüren, denen sich die Millionen hier stellen müssen – in Indien sind ja 1% der Bevölkerung etwa 13.000.000 (!) Personen [weit mehr als ganz Österreich Einwohner hat]. Gerade das wird ja auch an der Zahl der Motor- und Fahrräder sowie Rikshas sowie Autos deutlich, die sich laut hupend und eigentlich links fahrend irgendwie ihren Weg bahnen. Und dazwischen gibt es dann teilweise „weite“ Landstriche in denen es ruhig, wirklich ruhig ist. Ich konnte vielen Frauen und Männern in die Augen schauen, Kindern begegnen, ihr Lachen wahrnehmen, musste aber mitunter auch das fehlende hoffnungsgeschwängerte Glitzern in den Augen vermissen. Ich konnte dankbar das wahrnehmen, was Kinder und auch Erwachsene in der Dreikönigsaktion auf ihren mitunter schweren Wegen für andere zuwege bringen, bin den vielen dankbar die mit Fastensuppen und Kirchensammlungen sowie anderen Initiativen bei uns zu Hause den „Familienfasttag der Katholischen Frauenbewegung“ unterstützen, durfte erfahren, was an Missio gespendete Euro bewirken und weiß nunmehr erneut wieder, was wir – wenn wir teilen – an Gutem bewirken. All das habe ich als „Mensch unter Menschen“ erfahren.

Und zugleich wusste ich mich schon in der ersten Woche meiner 14-tägigen Indien-Reise auch in meinem bischöflichen Dienst gestärkt, der ja in der Nachfolge der Apostel einer ist, das Evangelium „bis an die Ränder der Erde zu bringen“. Ich konnte sehen, was bewirkt wird und kann dies in mein eigenes Denken und die Erfahrung der Ortskirche, der ich diene, einbringen. Frischluft – oder sollte ich nicht besser sagen – „Geist“ wird mir und denen aufs Neue eingehaucht, die sich mit mir auf den Weg gemacht haben. Denn: damit wird das Eigene, das uns in der Steiermark unverwechselbar ausmacht, aufs Neue gestärkt und vertieft angegangen, weil wir eben auch als „alte Ortskirche“ mit 800 Jahren auf dem Buckel wohl uns eingestehen dürfen, mitunter auf die Tatkraft und Agilität derer angewiesen zu sein, die unsere kirchlichen Enkel genannt werden könnten, wie zugleich diese froh sein können darüber, dass wir ihnen mit unserem Erfahrungsschatz an Positivem und bei weiten nicht so Vollkommenen zur Seite stehen …