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Miteinander geht es weiter

Wieder ein „Rückblick“ auf die Tagung „Miteinander für Europa“ vor mehr als 1 Monat.
Hier möchte ich – alle Referate sind mittlerweile auf der Homepage der Initiative einzusehen – die Worte dokumentieren, die Walter Kard. Kasper am Beginn des Treffens uns mitgegeben hat.

„Liebe Freunde, wunderschön wieder bei euch zu sein und noch wunderschöner zu sehen, was seit Stuttgart 2004 aus euch geworden ist. Der Traum von damals beginnt Wirklichkeit zu werden. Es gibt nicht nur Niedergang. Gottes Geist ist auch in unserer Zeit mächtig. Wir haben Grund zu danken.

1. Angefangen hat es am 31. Oktober 1999 in Augsburg. Evangelische und die katholische Christen haben amtlich gemeinsam festgestellt: Gemeinsam bekennen wir, Jesus Christus ist unser Heil. Viele haben Vorbehalte angemeldet und gesagt: Diese Erklärung bedeutet nichts; sie ist folgenlos geblieben. Nein, nicht folgenlos ist sie geblieben. Ihr seid die Folge, eure Bewegung ist die Frucht. Papst Johannes Paul II. hatte Recht. Sie war ein Meilenstein.
Ein Meilenstein ist eine Etappe auf dem Weg, nicht das Ziel selbst. Die nächste Etappe steht schon vor uns: der Herbst 2016 in Lund, der Oktober 2017 in Wittenberg. Wieder gibt es Zweifler. Wir sagen: 500 Jahre Trennung, das reicht. Das kann nicht so bleiben. Es wäre Verrat an Jesus Christus und eine Schande vor der Welt, wenn wir es nur bei schönen aber fruchtlosen Worten beließen.
Wir haben einen Traum, aber wir sind keine Tagträumer. Wir sehen die Probleme. Aber wir wissen auch: Die Ökumene ist ein Durchgang des Hl. Geistes durch die Kirche. Auf ihn ist Verlass. Er hat die ökumenische Bewegung angestiftet; er wird sie auch zu Ende führen. Einheit in versöhnter Verschiedenheit ist möglich. Sagt den Experten der Trennung, die Vorbehalte haben: Wir sind Experten der Einheit. Wir haben erfahren: Es ist schon heute mehr möglich als ihr denkt!

2. Es geht in dieser sehr kritischen Situation Europas und der Welt nicht um uns. Das wichtigste Wort in eurem Programm lautet „für“. Gemeinsam „für“ Europa.
Europa war nach der Katastrophe des II. Weltkriegs ein Friedensprojekt, auf der Grundlage gemeinsamer Werte. Aus Feinden sollten Freunde werden. Das hat uns 70 Jahre Frieden geschenkt, länger als jemals zuvor in der Geschichte Europas. Doch nun steigen die längst tot geglaubten Gespenster eines nationalistischen Egoismus wieder aus ihren Gräbern und verbreiten Angst und Schrecken.
Jeder von uns liebt sein Vaterland, seine Sprache und seine Kultur. Wir wollen keine Gleichmacherei. Die Vielfalt Europas ist der Reichtum Europas. Aber Vaterlandsliebe hat nichts zu tun mit Nationalismus, der ausschließt und ausgrenzt, der Mauern und Zäune baut. Vaterlandsliebe ist offen, lässt sich bereichern und will andere bereichern. Wer dagegen Zugbrücken hochzieht, der wird bald selbst verhungern.
Der europäische Friedensprozess geht weiter. Papst Franziskus hat Europa als „Work in progress“ bezeichnet. Europa war nie einfach fertig; es war schon immer „in progress.“ Es war schon immer seine Stärke, andere Kulturen zu integrieren: die Kelten, die Germanen, die Normannen, die Slawen, und den Muslimen begegnen wir heute auch nicht das erste Mal.
Nach dem Fall der Berliner Mauer haben wir uns gefreut: grenzenlose Kommunikation, überall hin reisen, überall hin telefonieren, universale Demokratie, universale Menschenrechte. In meiner Jugend vor und während des Krieges konnte ich davon nicht einmal träumen. Nun aber ist es zu einem anderen Rendezvous mit der Globalisierung gekommen. Die Probleme der Welt kommen zu uns. Es sind nicht abstrakte Zahlen, es Menschen mit konkreten Gesichtern. Im Ausland war ich stolz auf euren Einsatz. Ja, wir sollen Brücken bauen. Brücken ebnen die Gräben nicht ein, Brücken schaffen Wege über die Gräben. Solche Brückenbauer und Friedenstifter sollen wir sein.

3. Der Traum des Miteinanders aller Christen und des Miteinander für Europa geht weiter. Es stellen sich neue Aufgaben: Wir sollen denen, die zu uns kommen die Attraktivität des Christentums vorleben. Praktisch zeigen: Christ-sein ist eine gute Sache. Das können wir als Christen nur gemeinsam, wenn wir auch die Gräben zwischen uns Christen überwinden.
Geht das? Ja, es geht. Als Christen sind wir Menschen, die an die Auferstehung und das Wirken des Geistes Gottes glauben, die glauben, dass das Leben stärker ist als der Tod und die Liebe stärker als der Hass. Wer anderes als wir Christen ist berufen Zeugen der Hoffnung zu sein für ein neues Miteinander der Christen und in Europa. Nicht Bedenkenträger, Hoffnungsträger sollen wir sein. Jesus Christus ist mitten unter uns; er geht uns voran. Sein Geist ist mit uns. Nicht Angst, Hoffnung ist angesagt.“

Die eine Welt

In den Tagen in Braga mit beinahe 70 anderen Bischöfen aus 4 Kontinenten, nur Ozeanien war nicht „mit von der Partie“ war es mir gegönnt, einen „anderen“ Blick auf diese, unsere Welt (neu) kennen zu lernen. Meiner ist ja – und die Brillen machen es deutlich (Kurzsichtigkeit und ein Auge ist überhaupt nicht ganz entwickelt …) – beschränkt. Welche Wahrnehmungen sind zu machen – und welche zählen tatsächlich? Einige Spannungsfelder seien benannt:

  • global – universal
    Ich bin es gewohnt, zwischen „links“ und „rechts“ zu unterscheiden, auch in gesellschaftspolitischen Fragen. Stimmt diese Spannung noch? Wäre nicht eher von „offen“ und „geschlossen“ zu sprechen? Denn: es gilt in den Entscheidungen auch die Dimension der ganzen Welt mit einzubeziehen und nicht nur an sich selbst zu denken, oder? Nur ernst zu nehmen, dass wir in einer globalen Welt leben und das vielleicht auch täglich im berühmten Einkaufssackerl zu reklamieren ist zu wenig; nicht nur Ich kann und darf das Maß der Dinge sein, sondern den/die Anderen heißt es mit zu sehen …
  • Zentrum – Peripherie
    Wir merken: unsere Welterklärung ist nicht mehr die alleinige. Da spielen ganz neue Player mit im internationalen Konzert. Ob es uns passt oder nicht. Ich kann, darf und muss lernen, die Ereignisse der Welt auch mit anderen Augen zu betrachten – vgl. etwa die Sichtweise des Nuntius in der Ukraine, die er jüngst kundgetan hat – ; ist die Euro-Zentrierung nicht auch zuletzt ob der Krise der europäischen Integration eigentlich zu ergänzen?
  • Multilateralität – Multipolarität
    Die Welt zu ordnen und die Vorgänge in ihr möglichst friedlich zu klären: eine der Begründungen, wieso es internationale Organisationen – wie etwa die UNO – gibt. Andererseits gibt es die G7 oder G8 oder G9 oder G20, die ihre Entscheidungen damit legitimiert, einen Gutteil der Weltwirtschaft zu „verwalten“, ist aber wirklich alles weltweit damit in Ordnung? Was hat in Burkina Faso wirklich Priorität …?! Wie ist das mit dem internationalen Waffenhandel, der wirtschaftlich „boomt“? Klar: Multipolarität mag einiges auch erschweren, aber Gott sei Dank sind wir nicht die einzigen „Welt-Erklärer“. Es gilt, alle Menschen mit ihrer Würde ernst zu nehmen …

Geht es derzeit nicht eher darum, aus den „Engen“ der eigenen „Denke“ in die Weite des „Ganzen“ zu treten, auch weil von dort aus betrachtet das Eine oder Andere vielleicht auch anders aussieht? Gerade auch, wenn wir heute etwa sagen müssen: „Was in Syrien passiert, wird in einigen Ländern Europas derzeit ausgelitten? Was bedeutet also die lokale Erfahrung für globales Handeln?

Danke im Übrigen an Pasquale Ferrara, der mich mit seinen Überlegungen in Braga auf den Weg gebracht hat.

Neuer Schwung

Wenn ich etwas aus den Tagen von Braga mit nach Hause genommen habe, dann sicher das: es braucht neuen Schwung! Denn Er drängt uns voran. Unser Papst gibt mir und uns da einiges vor. Er spricht nicht viel, aber es zeigt an, wohin es geht. Ich hoffe, dass ich mit „seiner Geschwindigkeit“ mitkomme. Oder – um es mit Gedanken auszudrücken, die mir hängen geblieben sind: Wenn das Konzil in seiner dogmatischen Konstitution über die Kirche etwa davon spricht, dass „die Kirche Zeichen und Werkzeug … für die innigste Vereinigung mit Gott und der ganzen Menschheit“ (LG 1) ist, dann hat das doch eigentlich Auswirkungen für den Dienst eines Bischofs, für das Leben als Kirche vor Ort, im Kleinen wie im Großen, oder? Wo also leben wir bzw. lebe ich diese Realität? Was heißt es, ernst zu machen damit, dass wir als Kirche hier mitten in dieser unserer Welt für die Einheit sichtbares Zeichen und Gottes Werkzeug sind? Da haben wir unter uns einiges zu lernen, „damit die Welt glaubt“ (vgl. Joh 17,21). Wenn ich bedenke, dass das schon vor mehr als 50 Jahren gesagt wurde und heute aktueller denn je ist? Und zwar auf allen Ebenen kirchlichen Lebens! Denn: wir sind eine Menschheitsfamilie!

Ich glaube, und da gebe ich Piero Coda ganz und gar Recht: wir haben den Lebensstil Jesu Christi und damit Gottes Lebensstil, so wie er etwa in Phil 2 uns begegnet, erst ansatzweise in unseren kirchlichen (Lebens-)Alltag umgesetzt, denn: wenn wir so arm werden, dass wir uns gleichsam „ganz im anderen“ wissen, dann hat das Auswirkungen auf das Leben von Kirche, Auswirkungen auf mein Leben als Bischof, Auswirkungen auf das Leben der Amtsträger in ihr, ob männlich oder weiblich, geweiht oder nicht. Menschheit und Gottheit sind in IHM nicht auseinander zu dividieren, so wie in der Kirche nicht die menschliche Dimension und die göttliche Dimension nebeneinander stehen (vgl. LG 8). Und auch darüber könnte meines Erachtens mehr als kurz meditiert und erst Recht mehr als bloß einmal geschrieben werden, weil es Dauerauftrag für mich und diejenigen ist, die in der Nachfolge Jesu stehen (wollen), wenn es in der Kirchenkonstitution dann auch heißt (LG 8): „So ist die Kirche, auch wenn sie zur Erfüllung ihrer Sendung menschlicher Mittel bedarf, nicht gegründet, um irdische Herrlichkeit zu suchen, sondern um Demut und Selbstverleugnung auch durch ihr Beispiel auszubreiten. Christus wurde vom Vater gesandt, ‚den Armen frohe Botschaft zu bringen, zu heilen, die bedrückten Herzens sind‘ (Lk 4,18), ‚zu suchen und zu retten, was verloren war‘ (Lk 19,10). In ähnlicher Weise umgibt die Kirche alle mit ihrer Liebe, die von menschlicher Schwachheit angefochten sind, ja in den Armen und Leidenden erkennt sie das Bild dessen, der sie gegründet hat und selbst ein Armer und Leidender war. Sie müht sich, deren Not zu erleichtern, und sucht Christus in ihnen zu dienen. Während aber Christus heilig, schuldlos, unbefleckt war (Hebr 7,26) und Sünde nicht kannte (2 Kor 5,21), sondern allein die Sünden des Volkes zu sühnen gekommen ist (vgl. Hebr 2,17), umfasst die Kirche Sünder in ihrem eigenen Schoße. Sie ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung.“

Er trägt

In den Tagen in Braga haben die dort Anwesenden ein starkes Lebenszeugnis gesehen und gehört: der nach einer schweren Operation scheinbar wieder genesene damalige Bischof von Aachen, Klaus Hemmerle, hat seinen Brüdern im Bischofsamt bei einem Treffen davon erzählt, welche Erkenntnisse ihm in den Monaten zuvor zuteil wurden – nichts ahnend, dass er 2 Monate später zu Grabe getragen wird …  All das kann und darf ich nun in mein Leben mitnehmen.

  • Alles hängt von 1 ab
    Ich bin also nicht der Nabel der Welt, sondern ER. Und von Ihm weiß ich: Er ist Liebe und kann daher nur lieben. In Seine Hände kann ich mich legen.
    Und das ist allen Einsatz wert!
  • Das Licht kommt nicht (nur) von oben
    Auf einer seiner Wanderungen während der Genesung sah er, wie gleichsam die Sonne aus dem Tal herauf glänzte. – Ja: von innen her wird alles (neu) erleuchtet. ER ist unser Innen, denn ER ist dort, wo 2 oder 3 in Seinem Namen versammelt sind (vgl. Mt 18.20).
    Es gilt demnach, alles von IHM her zu betrachten.
  • Die Perspektiven ändern sich schnell
    Wenn man unterwegs ist, sieht vieles bald wieder anders aus, weil sich der Blickwinkel verändert hat. Dennoch wird dieselbe Realität angeschaut. – Ähnliches kann von Gott gesagt werden: Er begegnet uns immer wieder unter anderen Perspektiven/“Gesichtern“.
    Es gilt, unterschiedliche Sicht- und Verwirklichungsweisen einer Realität auch im Alltag wahrzunehmen.
  • Wir gehören zusammen.
    Bischof Hemmerle dachte während des Krankenhausaufenthaltes immer wieder an all die anderen, die in den benachbarten Zimmern lagen. Diese konnte er nicht einfach ausblenden.
    Wir leben in 1 Welt, wir haben nicht 2 Planeten usw. Dies gilt es im Kleingeld des Alltags Wirklichkeit werden zu lassen.

Einfache und sprechende Bilder, gesättigt mit (Leid-)Erfahrung: Es gilt sie im Alltag des Daseins zu leben.

Kirche weltweit

Und wieder habe ich sie einmal erfahren: die weltweite Dimension von Kirche. In den vergangenen Tagen durfte ich gemeinsam mit beinahe 70 Bischöfen aus der ganzen Welt eintauchen in die „Spiritualität der Gemeinschaft“. Als Bischöfe sin wir ja die ersten, die das Miteinander in der Gemeinschaft der Christen zu fördern haben. Bei Johannes heißt es bekanntlich in seinem Evangelium aus dem Mund Jesu beim Gang zum Ölberg: „Ich bitte nicht nur für diese hier [i.e. die Apostel, die mit ihm zum Ölberg hinabsteigen], sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“

Da kann es dann schon sein, dass Englisch mit Italienisch verwechselt wird, zwischendurch dann auch mal äthiopische oder koreanische Vokabel, natürlich italienisch und ob des Ortes des Zusammentreffens portugiesische Wörter durch den Rau schallen. Jedenfalls: unter uns hier in Braga, eine der ältesten Diözesen, fehlten nur Bischöfe aus Ozeanien. Dafür aber waren ein syrisch-orthodoxer und 2 lutherische Bischöfe einige Tage mit uns: Einheit trotz allem, was in der Welt trennt – und es ist wirklich ein Schmerz, wenn dann die eigenen Brüder nicht zum gemeinsamen Mahl der Eucharistie gehen, denn ER schenkt Einheit jenseits.

Zugleich aber ist uns Kardinälen und (Weih-, Erz- oder Diözesan-)Bischöfen deutlich geworden – im Hören auf Vorträge und im persönlichen Austausch, im Nachdenken und im stillen wie im gemeinsamen Gebet, eben im Leben (!): wenn wir wirklich mit IHM leben, der bekanntlich am Kreuz sich „ganz leer“ gemacht hat, ganz und gar Mensch war (schrie Er doch: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“), dann ist es unsere Berufung IHM ähnlich zu leben. Papst Franziskus würde wohl sagen, dann kann und darf uns keine existentielle Peripherie zu weit sein. Nur dann (!), wenn wir wirklich uns füreinander öffnen – und das ist in so manchen aufgeheizten Situationen in der Gesellschaft wie auch in der Kirche derzeit alles andere als logisch bzw. üblich, hat doch jede/r gleich mal, noch ehe dem anderen wirklich zugehört wurde, das parat, was er/sie ihm/ihr an den Kopf werfen bzw. antworten will. Ja: sich öffnen, alles eigentlich, wirklich alles, was einen selbst ausmacht, hintanstellen und lieben … Welche Welt sich uns da eröffnet!