Archiv der Kategorie: Pfarrinstruktion

Meine unvollständigen und alles andere als wissenschaftlich-exakten Gedanken zur Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“
werde ich in loser Folge in diesen Tagen hier veröffentlichen. Gesammelt können diese unter http://krautwaschl.info/category/instruktion abgerufen werden. –
Da hier dem Erscheinungsdatum entsprechend absteigend sortiert wird, sind die einzelnen Kapitel „von unten nach oben“ zu lesen. Danke für das Verständnis.

instruiert werden – XVIII

18. Hirtensorge ist orientiert auf das Miteinander christlicher Gemeinschaft

Wenn ich es recht sehe, wird der erste Satz des neuen Abschnitts VIII. (62-93) der Instruktion leicht missverstanden. Aus mehreren Gründen wie mir scheint: mit „riferimento fondamentale“ bzw. „grundlegender Bezugspunkt“ (62) kann nicht nur die einfache „Gleichung“ verstanden werden, dass etwa wer „Pfarre“ sagt auch „Pfarrer“ [denn Pfarrer gibt es nur für Pfarren] mitzudenken hat[1], sondern auch, dass alles auf den Pfarrer hin zu orientieren sei – oder eben, um es im Bild auszudrücken, nichts gelebt werden dürfe in der Pfarre ohne dass es „über den Schreibtisch des Pfarrers“ gewandert wäre.[2] Letzteres würde zu einem idealisierten und heillos überhöhten Priesterbild führen, das mit Fug und Recht „klerikal“ benannt werden kann und abzulehnen ist.[3]

Und gleich danach ist wieder einmal vom „leiten“ die Rede: die Aufgabe des Pfarrers in Gemeinschaft mit den anderen Priestern und des Bischofs bestehe darin, „die Pfarrei so zu leiten, dass sie ein überzeugendes Zeichen christlicher Gemeinschaft ist“ (62). Im englischen, französichen wie auch italienischen Text ist im selben Zusammenhang von „organisieren“ die Rede. Es geht also in de „Organisation [des Lebens] von Pfarre“ um ihre Sendung – noch dazu wenn in Lumen gentium 1 – interessanterweise wird hier nicht der Beginn zitiert [Anm. 83], sondern hingewiesen auf LG 26, wo vom Bischof die Rede ist[4] – die Kirche gleichsam als das Sakrament bezeichnet wird, „das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“. „Ziel“ also kirchlich-sakramentalen Lebens ist das Zeugnis lebendiger Gemeinschaft. Hirtensorge ist es demnach, communio zu stiften durch die Verkündigung des Wortes Gottes und die Feier der Sakramente und zur communio anzuleiten. – Nur auf diesem Hintergrund sind m.E. die nun folgenden Anmerkungen zum gemeinschaftlichen Lebensstil der Priester (63-65) zu verstehen: das, was für alle Getauften gilt haben die Amtsträger in der Kirche in irgendeiner Art und Weise auch selbst zu leben und dadurch zu bezeugen. Oder noch schärfer: nur so sind bzw. können sie wahre Hirten [sein]!?[5]

Ich werde auf unsere Situation zurück verworfen und stelle mir nun die Frage, wie denn dieses fundamentale aufeinander verwiesen Sein unter den Priestern wirklich gelebt wird. Oder anders herum: Wenn Priester in der Kirche mit dem speziellen Auftrag gesendet werden, im Dienst an der Gemeinschaft unter den Gläubigen zu wirken, sind sie nicht ohne dieses lebendige Zu- und Miteinander zu denken. Priester bin ich eben nicht für mich selbst, sondern – sakramental, zeichenhaft stelle ich eben Christus als das eigentliche Haupt der Kirche („in persona Christi capitis“) dar und Haupt ohne Körper ist nicht „denkbar“, soll es lebendig sein – nur in Bezug auf die Menschen, mit denen ich kraft Taufe und Firmung gemeinsam unterwegs bin. Für mich jedenfalls verbietet allein dieser Gedanke jede Form überheblichen – „klerikalen“ Denkens und Gehabes. Wir sind in der Kirche aufeinander verwiesen mit unseren verschiedenen Diensten und Aufgaben in ihr. Gemeinsam sind wir gesendet, weil Taufe und Firmung uns alle „auf Augenhöhe“ unterschiedslos Gott gegenübertreten lässt; das geweihte Dienstamt versinnbildlicht lediglich, dass es uns allen eben immer um die Ausrichtung auf Christus, auf Gott zu gehen hat. Nur insofern (!) kann dann von der Einteilung in Kleriker versus Laien gesprochen werden. Ich weiß: die Art und Weise, wie dies gelebt wurde und wohl auch wird, trübt genau jenes Zeichen ein, für das Priester stehen sollen.[6] Es ist wirklich herausfordernd: Miteinander unterwegs zu sein und gleichzeitig in diesem Miteinander darum zu wissen, etwa durch die Sakramentenspendung [aber eben nicht nur durch die Funktion] auch das Haupt der Kirche zu repräsentieren, das eben nicht „aus uns selbst“ ist. Ich hoffe für mich, dass ich im persönlichen Aneignen dieser meiner Lebens-Spannung nie nachlassen werde und nie glaube, das rechte Maß darin auf immer gefunden zu haben.

[1] Auf diesen inneren Zusammenhang verweist – ich habe es schon einmal angedeutet – das Büchlein über die Diözesanreformen in der Diözese Poitiers: Reinhard Feiter – Hadwig Müller(Hg.): Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof? Ermutigende Erfahrungen der Gemeindebildung in Poitiers, Ostfildern 32010.

[2] Ehrlich gesagt: Anmerkung 82, die diesen Satz zu erläutern versucht ist nicht wirklich erhellend und klärend, noch dazu, wenn – in einer Instruktion [!], die eigentlich rechtliche Klarheit schaffen soll – auch noch gesagt wird, „je nach Kontext, in dem er in der vorliegenden Instruktion unter Berücksichtigung der kodikarischen Normen verwendet wird, hat der Begriff „Moderator“ verschiedene Bedeutungen“.

[3] vgl. u.a. https://www.katholisch.de/artikel/26411-nach-kritik-an-instruktion-ordensfrauen-staerken-deutsche-bischoefe (8.8.2020).
In die ähnliche Kerbe „Klerikalismus“ schlägt auch die Pfarrer-Initiative: https://www.katholisch.de/artikel/26428-monarchischer-klerikalismus-pfarrer-kritisieren-vatikan-instruktion (8.8.2020).

[4] vgl. aber das eben Gesagte zu Anmerkung 82 der Instruktion.

[5] Dieser Gedanke wird – für unsere Breiten ist dies eher lächerlich [und in Kritiken wurde auf dieses Faktum auch hingewiesen] – bis zur Feststellung durchgespielt, dass bei Fehlen anderer Möglichkeiten der Priester auch bei seiner Herkunftsfamilie wohnen kann. – Ich gebe zu, dass ich hier wirklich in extremis versuche den Gedankengang der Instruktion zu verstehen, der Zusammenhang legt dies aber doch nahe.

[6] In seinem neuesten Buch macht Wunibald Müller deutlich auf die Folgen verdunkelt gelebter Ideale aufmerkam: Verbrechen und kein Ende?: Notwendige Konsequenzen aus der Missbrauchskrise, Würzburg 2020. Und mit ihm ist berechtigter Weise die Frage zu stellen, was denn nun strukturell unserer Kirche dazu verhelfen kann (und muss), dass das Aufleuchten von communio nicht durch Sünde, Missbrauch jedweder Art von Amtsträgern verdunkelt wird?

instruiert werden – XVII

17. Zwischenschritt

In meinen Überlegungen bin ich nun an einem wichtigen Punkt angelangt, der mir einen Zwischenschritt nötig erscheinen lässt. Während in der Konzilskonstitution Lumen gentium der Weg gewählt wird, zunächst vom ganzen Volk Gottes zu sprechen und danach von den Diensten und Ämtern, vor allem dem Bischofsamt in ihm (Kapitel 2 spricht vom „Volk Gottes“ und erst Kapitel 3 von der „hierarchischen Verfassung der Kirche“) und auch das Kirchenrecht diesen Weg in seinem 2. Buch einschlägt (dort ist Teil 1 den „Gläubigen“ gewidmet, Teil 2 der Hierarchie) geht – leider (!) – die Instruktion den umgekehrten Weg, indem zunächst von den Diensten gesprochen wird, die die geweihten Amtsträger in der Kirche bzw. Pfarre leben – und auch hier in einer analogen Reihenfolge – und erst gegen Ende (in Abschnitt VIIIg) von den Laien – und hier eben eigentlich nur, auch aufgrund dieser Reihung, in Abgrenzung zu den anderen[1]. Wäre es nicht dem Denken nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil besser, nein: angebracht (!), zunächst vom „laos thou theou“ [„Volk Gottes“[2]] zu sprechen, zu dem alle gehören und in dem es unterschiedliche Dienste und (geweihte) Ämter gibt? Denn selbst dann wenn den Laien (vgl. 85) de „Weltcharakter besonders“ eigen ist, so sind alle im Volk Gottes zur gemeinsamen Sendung berufen, Kirche mitten in der Sendung hinein in diese unsere Welt aufzubauen, indem wir Salz sind für diese Welt (vgl. Mt 5,13-15). Anders herum ausgedrückt: es muss zunächst geklärt sein, wer wir sind, ehe die für dieses Miteinander einer Gruppe bzw. Gemeinschaft notwendigen Ordnungsprinzipien, Funktionen und Ämter beschrieben werden. Ich glaube, dass viele scharfe und harsche Reaktionen auf diesen eigentlich fast unverzeihlichen Fehler theologischen (und wohl auch oganisationssystematischen) Denkens zurückzuführen sind.

Es wäre – auch angesichts der ersten Abschnitte der Instruktion[3] ein leichtes, deren Gedanken als Auftrag zur Umkehr für das gesamte Volk Gottes zu beschreiben. Daraus erwachsen Aufgaben, zu denen bestimmte Personen, Frauen wie Männer, zeitlich begrenzt oder auf Dauer, geweiht oder nicht beauftragt werden [können] – dies auch deswegen, weil es unverzichtbare Aufgaben innerhalb des Volkes Gottes gibt, die um ihrer Sendung willen nicht fehlen dürfen, eine darunter ist die des Diakons, eine andere die priesterliche (und darunter wiederum die des Pfarrers). Vor diesen könnten – auch bei so mancher derzeit bestehender theologischen Ungeklärtheit[4] – verschiedene Dienste und Beauftragungen eingereiht benannt werden, die zum Leben der Kirche beitragen: ich denke hier keineswegs nur an liturgische Laiendienste[5], sondern an die vielen ehrenamtlich wie hauptamtlich Engagierten in anfordernden kirchlichen Sendungsaufträgen der Krankenbegleitung, ich denke an die tausenden die Religion unterrichten, ich denke an so viele Vorbeter die landauf- landab „kirchliches Leben“ „managen“, ich denke an die Mitarbeitenden der – organisierten – Caritas und all jene, die in einem synodalen Gremium[6] und an viele weitere, die in unserer Diözese der Sendung der Kirche „Gesicht“ verleihen.

Die in diesem Zusammenhang immer wieder aufs Neue aufflammende Debatte rund um die bloß beratenden Stimmrechte synodaler Gremien für den jeweils Vorsitzenden (vgl. can. 536§2 für den Pfarrgemeinderat, can. 514§1), die auch durch den Abschnitt Xb der Instruktion dann bestätigt wird, ist für demokratisch geprägte Personen ein Manko, zweifellos. Dass dies der einseitigen Macht-Ausübung und damit auch dem Missbrauch Vorschub leistet, wie es etwa die MHG-Studie nahelegt und auch Wunibald Müller in seinem neuen Buch bekräftigt[7], muss redlicher Weise angeführt werden. Andererseits haben wir es wohl auch oft schon verlernt, den Wert von „Beratung“ zu schätzen und dass es mitunter unverzichtbar ist, Entscheidungen aufgrund der Bedeutung des Amtes durch dieses zu treffen – nach Beratung und Anhörung und entsprechender Begründung, muss dann aber auch ergänzt werden. Ich denke hier etwa an die Pressekonferenz, die der österreichische Gesundheitsminister am 7. August dieses Jahres bei der Vorstellung der sogenannten „Corona-Kommission“ in seinem Ministerium gegeben hat, um die „Corona-Ampelregelung“ zu präsentieren. Die aus verschiedenen Experten und Vertretern der Bundesländer zusammengesetzte Kommission wird wöchentlich Empfehlungen abgeben zur Schaltung der Ampel für die Bezirke. Der Bundesminister ergänzte: „Die Fachexpertise ist da. Die wird eine klare Empfehlung vorgeben. Und die Schlussverantwortung für eine Entscheidung ist eine politische.“ Dies wohl auch deswegen, weil unterschiedliche Experten-Blickwinkel eben auch unterschiedliche Meinungen hervorbringen können und werden und in der Zusammenschau vieler Positionen verantwortlich zu entscheiden ist. Dass hiermit auch Macht verbunden ist, die verantwortungsvoll auszugestalten ist, versteht sich – Missbrauch ist freilich möglich. Aber es sichert eben auch ab, dass bloße Mehrheitsfindungen, die unter Umständen die Komplexität von Phänomenen nicht berücksichtigen können, etwa weil eben Fachleute für ihr Gebiet Expertisen vorweisen und dann andere Kriterien eventuell nicht einbeziehen müssen, nicht einfach zustande kommen.

Ein solches Vorgehen zu Entscheidungen unterschätzt keineswegs die Fachexpertise, die – und nun kehre ich zur Kirche zurück – Laien vorbringen und vorbringen müssen. „Abgesichert“ gegenüber verschiedenen Fällen von Missbrauch kann es meines Erachtens nur durch einen wirklich gelebten communialen Lebensstil, den zum einen Paulus in seinem Brief an die Gemeinde Philippi beschreibt (vgl. Phil 2,1-11): eines Sinnes zu sein „geht“ nur, wenn der eine die andere demütig wertschätzt – höher als sich selbst. Zum Anderen werde ich hier wiederum an Johannes Paul II. erinnert, der in seinem Apostolischen Schreiben „Novo millenio ineunte“ von der Notwendigkeit einer Spiritualität der Gemeinschaft spricht und diese dann für verschiedene Bereiche des Miteinanders im Leben der Kirche ausfaltet (NMI 43-45): „43. Die Kirche zum Haus und zur Schule der Gemeinschaft machen, darin liegt die große Herausforderung, die in dem beginnenden Jahrtausend vor uns steht, wenn wir dem Plan Gottes treu sein und auch den tiefgreifenden Erwartungen der Welt entsprechen wollen. Was bedeutet das konkret? Auch hier könnte die Rede sofort praktisch werden, doch es wäre falsch, einem solchen Anstoß nachzugeben. Vor der Planung konkreter Initiativen gilt es, eine Spiritualität der Gemeinschaft zu fördern, indem man sie überall dort als Erziehungsprinzip herausstellt, wo man den Menschen und Christen formt, wo man die geweihten Amtsträger, die Ordensleute und die Mitarbeiter in der Seelsorge ausbildet, wo man die Familien und Gemeinden aufbaut. Spiritualität der Gemeinschaft bedeutet vor allem, den Blick des Herzens auf das Geheimnis der Dreifaltigkeit zu lenken, das in uns wohnt und dessen Licht auch auf dem Angesicht der Brüder und Schwestern neben uns wahrgenommen werden muß. Spiritualität der Gemeinschaft bedeutet zudem die Fähigkeit, den Bruder und die Schwester im Glauben in der tiefen Einheit des mystischen Leibes zu erkennen, d.h. es geht um »einen, der zu mir gehört«, damit ich seine Freuden und seine Leiden teilen, seine Wünsche erahnen und mich seiner Bedürfnisse annehmen und ihm schließlich echte, tiefe Freundschaft anbieten kann. Spiritualität der Gemeinschaft ist auch die Fähigkeit, vor allem das Positive im anderen zu sehen, um es als Gottesgeschenk anzunehmen und zu schätzen: nicht nur ein Geschenk für den anderen, der es direkt empfangen hat, sondern auch ein »Geschenk für mich«. Spiritualität der Gemeinschaft heißt schließlich, dem Bruder »Platz machen« können, indem »einer des anderen Last trägt« (Gal 6,2) und den egoistischen Versuchungen widersteht, die uns dauernd bedrohen und Rivalität, Karrierismus, Mißtrauen und Eifersüchteleien erzeugen. Machen wir uns keine Illusionen: Ohne diesen geistlichen Weg würden die äußeren Mittel der Gemeinschaft recht wenig nützen. Sie würden zu seelenlosen Apparaten werden, eher Masken der Gemeinschaft als Möglichkeiten, daß diese sich ausdrücken und wachsen kann.

  1. Auf dieser Grundlage werden wir uns im neuen Jahrhundert mehr denn je dafür einsetzen müssen, jene Bereiche und Hilfsmittel zu erschließen und zu entwickeln, die gemäß den großen Richtlinien des II. Vatikanischen Konzils dazu dienen, die Gemeinschaft zu stützen und zu sichern. Muß man da nicht vor allem an die besonderen Dienste an der Gemeinschaft denken, wie etwa das Petrusamt und, in enger Beziehung zu ihm, die bischöfliche Kollegialität? Es handelt sich um Wirklichkeiten, die ihre Grundlage und ihren Bestand im Plan Christi für die Kirche haben, aber eben deshalb einer ständigen Überprüfung bedürfen, damit garantiert bleibt, daß sie wirklich vom Evangelium her inspiriert sind. Auch was die Reform der Römischen Kurie, die Organisation der Synoden und die Arbeitsweise der Bischofskonferenzen betrifft, ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil viel geschehen. Aber es bleibt sicherlich noch viel zu tun, um die Möglichkeiten dieser Werkzeuge der Gemeinschaft besser zum Ausdruck zu bringen. Sind diese doch heute besonders notwendig, da man unverzüglich und wirkungsvoll auf die Probleme antworten muß, mit denen sich die Kirche in den sich überstürzenden Veränderungen unserer Zeit auseinanderzusetzen hat.
  2. Die Räume der Gemeinschaft müssen im gesamten Leben jeder Kirche Tag für Tag auf allen Ebenen gepflegt und ausgeweitet werden. Hier muß die Gemeinschaft zum Strahlen kommen in den Beziehungen zwischen Bischöfen, Priestern und Diakonen, zwischen Hirten und dem ganzen Volk Gottes, zwischen Klerus und Ordensleuten, zwischen kirchlichen Vereinigungen und Bewegungen. Zu diesem Zweck muß man die vom Kirchenrecht zur Mitarbeit in der Teilkirche vorgesehenen Organe, wie die Priester- und Pastoralräte, immer besser zur Geltung bringen. Sie folgen zwar bekanntlich nicht den Kriterien der parlamentarischen Demokratie, weil ihre Arbeit Beratungs- und nicht Entscheidungscharakter hat; doch verlieren sie deshalb nicht an Bedeutung. Theologie und Spiritualität der Gemeinschaft bewirken nämlich ein wechselseitiges Zuhören zwischen Hirten und Gläubigen. Dadurch bleiben sie einerseits in allem, was wesentlich ist, a priori eins, und andererseits führt das Zuhören dazu, daß es auch in den diskutierbaren Fragen normalerweise ausgewogene und gemeinsam vertretbare Entscheidungen kommt.

Zu diesem Zweck müssen wir uns die alte pastorale Weisheit zu eigen machen, welche die Hirten, ohne jegliche Schmälerung ihrer Autorität, dazu ermutigte, das ganze Volk Gottes so weit wie möglich anzuhören. Bezeichnend ist, woran der heilige Benedikt den Abt des Klosters erinnert, wenn er ihn auffordert, auch die jüngsten Mitglieder zu befragen: »Der Herr offenbart oft einem Jüngeren, was das Bessere ist«.30 Und der heilige Paulinus von Nola mahnt: »Wir wollen an den Lippen aller Glaubenden hängen, weil in jedem Gläubigen der Geist Gottes weht«.

Wenn daher die Rechtsweisheit durch präzise Festlegung von Regeln für die Teilnahme die hierarchische Struktur der Kirche herausstellt sowie Versuchungen zu Willkür und ungerechtfertigten Ansprüchen abwehrt, so verleiht die Spiritualität der Gemeinschaft dem institutionellen Tatbestand eine Seele und leitet zu Vertrauen und Öffnung an, die der Würde und Verantwortung eines jeden Gliedes des Gottesvolkes voll entspricht.“[8]

Hand aufs Herz: wo leben wir dieses anspruchsvolle Programm? Sind wir nicht, mich eingeschlossen, versucht, ins einfachere „Ich hab dir was zu sagen …!“ abzugleiten, wer auch immer in der Kirche das sagen will?

[1] Noch fataler wird der Einwand, wenn die Überschrift von Kapitel VIII eben von der „Übertragung der Hirtensorge“ spricht und unter diesem Kapitel von den „Laien“ die Rede ist. Themenverfehlung, weil damit überdies der Eindruck erweckt wird, dass Laien nur „ob der Kleriker existieren“?!

[2] Der im Deutschen verwendete Begriff „Laie“ hat seinen Ursprung bekanntlich in diesem griechischen Begriff. Da er – leider (!) – darüber hinaus im üblichen Sprachgebrauch verwendet wird für Personen, die unwissend sind (vgl. etwa „Wer – anders als ein Fachmann – von einem Thema wenig versteht oder sich nicht intensiv damit beschäftigt hat, wird Laie genannt.“ – https://www.wissen.de/wortherkunft/laie), werden falsches Verständnis und Bilder gefördert, wenn innerkirchlich von „Laien“ die Rede ist. Dort ist es eine Ehrenbezeigung, denn Getaufte gehören zum Volk Gottes!

[3] Ob diese Abschnitte dem Wesen einer Instruktion entsprechen sei erneut angefragt, wie ich es schon an anderer Stelle meiner Bemerkungen getan habe.

[4] Hier etwa sei an nicht geweihte Ämter in der Kirche erinnert, die unter anderem auf der sogenannten „Amazonas-Synode“ erbeten wurde.

[5] Nebenbei: vom umgekehrten Denken sind bei diesen etwa auch die unseligen Debatten um das liturgische Kleid von Laien in so manchen Gegenden bei uns zu sehen. Die Allgemeine Einführung ins römische Messbuch wie auch die neue Grundordnung hierfür sind hier meines Erachtens eindeutig. – Interessant ist, dass bei Wortführern dieses Streits oftmals vergessen wird, wieso diese Debatte nicht auch für den Laiendienst der Ministranten (Messdiener) geführt wird, wollte er konsequent sein.

[6] Was in can. 511 von der Diözese gesagt ist („In jeder Diözese ist, sofern die seelsorglichen Verhältnisse es anraten, ein Pastoralrat zu bilden, dessen Aufgabe es ist, unter der Autorität des Bischofs all das, was sich auf das pastorale Wirken in der Diözese bezieht, zu untersuchen, zu beraten und hierzu praktische Folgerungen vorzuschlagen.“) wird ein wenig später vom kirchlichen Gesetzgeber auch für die Pfarren erinnert [can. 536 §1]: „Wenn es dem Diözesanbischof nach Anhörung des Priesterrates zweckmäßig scheint, ist in jeder Pfarrei ein Pastoralrat zu bilden, dem der Pfarrer vorsteht; in ihm sollen Gläubige zusammen mit denen, die kraft ihres Amtes an der pfarrlichen Seelsorge Anteil haben, zur Förderung der Seelsorgstätigkeit mithelfen.“ Hier seien die kirchenrechtlich sogar vorgeschriebenen Gremien in der Vermögensverwaltung nur kurz als weiteres Moment angeführt.

[7] Verbrechen und kein Ende?: Notwendige Konsequenzen aus der Missbrauchskrise, Würzburg 2020.

[8] http://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/apost_letters/2001/documents/hf_jp-ii_apl_20010106_novo-millennio-ineunte.html (8.8.2020)

instruiert werden – XVI

16. Seelsorgeräume

Das, was im Abschnitt VIIc. „pastorale Einheit“ (54-60) genannt wird, ist am ehesten dem gleichzusetzen, was wir in der Diözese Graz-Seckau als „Seelsorgeräume“[1] bezeichnen[2]. Da – wie unter 15. [https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xv] schon angedeutet – mit dieser Einteilung, die ab 1.9.2020 Platz greift, beinahe die bis Anfang der 1970er-Jahre geltende Dekanatsordnung „wiederhergestellt“ wird, sind die „Seelsorgeräume“ in unserer Diözese mit den meisten Inhalten auch an die Stelle der Dekanate getreten[3]. Inhaltlich wird hier erneut darauf verwiesen, dass diese Zusammenschlüsse von Pfarren „auch vom soziologischen Blickwinkel aus in möglichst homogener Weise definiert werden, damit eine wirkliche Gesamtpastoral in missionarischer Hinsicht verwirklicht werden kann“ (55)[4]. Daher – so die Instruktion unter 60: „Um das gemeinsame missionarische Handeln und die Seelsorge effektiver zur Geltung zu bringen, erscheint es angemessen, dass sich gemeinsame pastorale Dienste für bestimmte Bereiche (z. B. für die Katechese, die Caritas, die Jugend- oder Familienpastoral) für die Pfarreien des Zusammenschlusses mit der Teilnahme aller, die zum Volk Gottes gehören, d. h. der Kleriker, der Gottgeweihten, der Mitglieder des apostolischen Lebens und der Gläubigen, bilden.“

Es geht also darum, das Miteinander von Kirche – im speziellen eben hier als Miteinander von Pfarren und anderen Erfahrungsräumen von Kirche – „um ihrer Sendung“ willen zu gestalten. Durch Pastoralpläne, die wir in den Seelsorgeräumen zu erarbeiten erbitten, soll deutlich werden: weil wir in ein- und derselben „Gegend“ wohnen, wissen wir uns gemeinsam zu diesem und jenem herausgefordert und wollen nicht bloß nebeneinander leben, sondern gemeinsam Zeugnis geben, „leben mit einem, der lebt“[5], indem wir über den „eigenen Kirchturm“ hinausschauen. So soll etwa auch – wie es in unseren gesamtdiözesanen „strategischen Zielen“ zum Ausdruck gebracht wird – die Solidarität zwischen den einzelnen Pfarren, auch jene im Materiellen, gestärkt werden. In Hinkunft kommt dies daher auch dadurch zum Ausdruck, dass die Diözese das für die Pastoral angestellte Personal in gewisser Anzahl eben nicht mehr einzelnen Pfarren zur Verfügung stellt, sondern in die Seelsorgeräume sendet[6]. Zu diesen hauptamtlichen Personen gesellen sich vor Ort noch jene, die für die einzelnen kirchlichen Erfahrungsräume in ihrer Unterschiedlichkeit Ansprechpersonen sind. Ihrer aller Miteinander ist herausgefordert, dieses Personal dann entsprechend deren Charismen und Funktionen in geeigneter Weise so „zu verteilen“, dass die notwendigen Aufgaben in dem Maß erfüllt werden können, das möglich ist. Um es mit dem Zukunftsbild auszudrücken: „Wir brauchen Frauen und Männer, die ermöglichen und befähigen“[7], denn im Leib Christi, der die Kirche ist, gibt es unterschiedlichste Glieder und damit auch Charismen und Begabungen, die den ganzen Leib aufbauen (vgl. 1Kor12 oder auch Röm 12). Das gemeinsame missionarische Voranschreiten von Kirche ist eben nicht eines, das lediglich von 1 Person – etwa dem Pfarrer[8] – geprägt und „befohlen“ wird, sondern ein Vorangehen der „Herde mit ihrem Hirten“, wobei dieser – ich rufe Papst Franziskus in Erinnerung, der dies den italienischen Bischöfen in Erinnerung gerufen hat – mal der Herde voranzugehen hat, mal inmitten derselben geht, mal ihr hinterhergeht[9]. Damit wird deutlich: hier geht es nicht um ein „oben“ und „unten“, nicht darum, wer denn nun innerhalb der Kirche „51%“ und damit auf alle Fälle die Mehrheit hinter sich hat. Es ist ein gemeinsames Voranschreiten vonnöten, in dem – klarerweise – jede und jeder unterschiedliche Funktionen und damit auch Verantwortung innehat, jede und jeder aber sich Christus gegenüber verantwortlich weiß, der der einzige Herr seiner Kirche ist. Dies rechtlich entsprechend abzubilden ist ob der menschlichen Seite von Kirche [und  jeder Gesellschaft] zum Schutz vor [zu] großen Konflikten notwendig; diese rechtliche Klärung macht aber den Grund-Sinn der gemeinsamen Sendung und damit auch der gemeinsam getragenen Verantwortung nicht obsolet. Hinzu kommt – wohl auch aufgrund unserer Geschichte – ein waches (Un-)Rechtsbewusstsein unter vielen, das daher versucht ist bzw. scheint, Recht als den einzigen gangbaren Weg zu sehen statt die bedeutsame Tatsache ernst zu nehmen, dass Rechtssetzung, Normen immer bestimmte Werte schützen wollen.[10]

Das schrittweise Vorgehen bei diesem Prozess wird in der Instruktion hier erneut aufgenommen, da eben nicht „per Dekret“ oder „per Diözesan-Gesetz“ Pfarrer ihres Pfarr-Amtes enthoben werden können. Wir in der Steiermark haben den Weg gewählt, alle – betroffenen – Pfarrer darum zu bitten, auch deswegen, weil wir den Leiter des Seelsorgeraumes, im Idealfall ist er Pfarrer aller Pfarren des Raumes, nach dem Dekret der Bischofskonferenz auf eine gewisse Zeit (6 Jahre) bestellen[11]. Dass damit die Lenkungskompetenz der Diözesanleitung[12] nicht erleichtert wird, ist klar und sei – nicht nur am Rande erwähnt. Aber: es geht eben um die missionarische Dimension – und diese inhaltliche „Sendungsperspektive“ lässt sich, auch hier, nur schwer in rechtliche Vorschriften münzen, weil diese eben nicht Abbild des Lebens sind, sondern für das Beschreiten eines Weges lediglich dessen Leitplanken.

Schließlich – und ich beziehe mich hier auf 59: wir hatten für die synodale Struktur, aus der Kirche lebt, schon seit Jahren viele Möglichkeiten, diese zu realisieren: so etwa konnte für bislang bestehende Pfarrverbände auf verschiedene Weise das gemeinsame Vorangehen vor Ort geregelt werden: gemeinsamer Vorstand der PGR, gemeinsamer PGR [gebildet auf unterschiedliche Weise]. In jeder Pfarre war und bleibt es verständlich, einen pfarrlichen Vermögenswerwaltungsrat, bei uns eben „Wirtschaftsrat“ zu konstituieren.

[1] Die Vielfalt der Begriffe, die etwa in 52 beim „Dekanat“ und eben hier mit der Bezeichnung „pastorale Einheit“ deutlich wird, braucht jeweils zunächst die inhaltliche Abgleichung mit der Instruktion – denn was bei uns so bezeichnet wird, kann in einer anderen Diözese anders heißen; was in der Instruktion so bezeichnet und mit bestimmten Inhalten versehen ist, muss nicht automatisch bei uns gleich heißen u.ä.m.

[2] Abermals wird die Problematik deutlich, dass mitunter gesamtkirchliche Dokumente Gefahr laufen, missverstanden zu werden, weil sich regional unterschiedliche Begrifflichkeiten herauskristallisiert haben oder auch Formen kirchlichen Lebens, die mit derselben Begrifflichkeit unterschiedliche Inhalte verbinden. Gerade deswegen ist ehrliche und sachgemäßer Dialog zwischen den Beteiligten gefordert – „populistische“ Meinungsmache ist nicht entsprechend, wird m.E. aber auch in der Kirche – von mehreren Seiten (?) – angewendet – Kommunikation ist eben eine heikle Angelegenheit, will sie wirklich gelingen.

[3] Dass ich hier von den „meisten Inhalten“ spreche, hat den einfachen Grund: das Visitationswesen ist schon seit Jahrzehnten bei unser eher diözesan geregelt [erst jüngst wurde wieder ein Visitator ernannt]. Durch die modernen Mittel der elektronischen Datenverarbeitung ist es daher auch auf dieser Ebene mittlerweile interessanter, die Visitation der Bücher etc. durchzuführen – in unserer Diözese sind mittlerweile sowohl Buchhaltung wie auch Matrikenbücher (also die Personenstandsbücher, die die Pfarren zu führen haben) zentral im Netzwerk serviciert, sodass gegenseitige Vertretungen und Aushilfen optimal ermöglicht wären und auch sind. Dem Ordinarius sind für jeweils gewisse Bereiche daher seine Referenten „vor Ort“, die „Regionalkoordinatoren“ zur Seite gestellt, um in Zukunft ein möglichst professionelles Visitationswesen – am ehesten wohl mit der „internen Revision“ bei Betrieben zu vergleichen, angereichert um – vor allem bei der Bischöflichen [Pastoral-]Visitation – seelsorgliche Entwicklungsfragen. Ich hege die Hoffnung, dass mit der Zeit über dieses Instrument, das dem Bischof aufgegeben ist [can. 396 §1: dort ist von einer „jährlichen Visitation“ die Rede, die in unserer Diözese schlicht unmöglich ist] verbunden mit einem klugen eben neu aufzusetzenden Modus die Kirchenentwicklung in der Diözese Graz-Seckau in Hinkunft begleitet wird.

[4] Nichts anderes ist bei uns geschehen, als wir mit den Verantwortlichen vor Ort gemeinsam versucht haben, diese territorialen Umschreibungen zu definieren: „Welche Pfarren gehören zu welchem Seelsorgeraum?“ In diesen Prozess waren freilich – zu unterschiedlichen Zeitpunkten – auch die diözesanen Gremien eingebunden, die gehört wurden.

[5] Bewusst sei hier ein geflügeltes Wort des verstorbenen Bischofs von Aachen Klaus Hemmerle aufgegriffen.

[6] Dies sind Priester, Diakone – zumeist ist dieser Dienst ehrenamtlich, nur einige von ihnen sind kirchliche Angestellte, Pfarrsekretärinnen, Pastoralreferentinnen u.ä.m.

[7] Zukunftsbild der Diözese Graz-Seckau, II/7 [https://www.katholische-kirche-steiermark.at/dl/rKMtJmoJKnMJqx4KJKJmMJOKk/Zukunftsbild_2019_Ansicht.pdf, 7.8.2020] – die dort auffindbare Fassung ist nicht jene Letztfassung, die im Gesamtgefüge des Entwicklungsprozesses beständig in Begrifflichkeit usw. adaptiert wird, was deren prinzipielle inhaltliche Ausrichtung nicht tangiert.

[8] Und – verzeihen Sie – „machen wir uns nichts vor“: es kommt auch vor, dass eben nicht der Pfarrer – eben auch, weil dieser krank oder schon gebrechlich ist – andere de facto dann in die Rolle dessen schlüpfen, der die Grundverantwortung für die Sendung der Kirche für diese Gemeinschaft trägt.

[9] Franziskus an die italienischen Bischöfe am 23.5.2013: „Ja, Hirt sein bedeutet jeden Tag an die Gnade und die Kraft zu glauben, die vom Herrn kommt, trotz all unserer Schwäche, und die Verantwortung zu übernehmen, der Herde voran zu gehen, frei von Lasten die das gesunde apostolische Vorangehen behindern, und es bedeutet in der Leitung ohne Zögern unsere Stimme hörbar zu machen, sei es für die, die den Glauben angenommen haben, sei es für die, die „nicht aus diesem Stall“ sind (Joh 10:16). Wir sind gerufen, den Traum Gottes zu unserem zu machen, dessen Haus keine Ausschlüsse von Menschen oder Völkern kennt, wie es Jesaja prophetisch in der ersten Lesung angekündigt hat (Jes 2:2-5). Hirte sein bedeutet aber auch, sich darauf einzustellen inmitten der Herde und auch hinter ihr zu gehen: Fähig zu sein, die stille Geschichte dessen zu hören, der leidet und die Schritte derer zu stützen, die sich fürchten, sie zu machen; bereit, aufzurichten, zu ermutigen und neu Hoffnung zu schenken. Aus dem Teilen mit den Armen geht unser Glauben immer gestärkt hervor: Lassen wir also jede Form von Vermessenheit beiseite und knien wir vor denen nieder, die der Herr unserem Dienst anvertraut hat.“ (http://w2.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2013/documents/papa-francesco_20130523_omelia-professio-fidei-cei.html 7.8.2020)

[10] Der Umgang etwa mit den Gesetzen und Verordnungen in der COVID-Krise scheinen mir hierfür Erweis zu sein: nicht der Inhalt und damit das, was Eigenverantwortung im besten Sinn des Wortes meint, stehen im Vordergrund, sondern eher die Frage: „Was darf ich (nicht)? – und damit auch: „Wieso darf man dort das und hier dasselbe nicht?“ Klar ist freilich auch, dass – und hier nehmen wir uns nicht aus: Vorschriften, die es einzuhalten gilt, sind auch zu begründen und nicht bloß zu veröffentlichen. Ergänzend muss auch dazu gesagt werden, dass wir in einer durchaus komplexen Gesellschaft leben und daher oft auch und sofort -zog Gegenargumente geltend gemacht werden um sich selbst „frei“ zu spielen und zu fühlen, sich nicht an Normen und Gesetzmäßigkeiten halten zu müssen. Dieser Lebensstil ist nichts Neues: ich erinnere mich noch gut daran, dass mein Vater unmittelbar nach der Einführung der Gurtenpflicht für die Fahrer eines PKW – weil er dies nicht wollte – alles daransetzte und sich aus irgendwelchen Gründen bestätigen ließ, dass er Gurte nicht anlegen muss.

[11] vgl. can. 522.

[12] Erneut sei auf die Spannung hingewiesen, dass der Dienst des Pfarrers zwar einer „unter der Autorität“ des Bischofs ist, doch die Kompetenzen dieser Autorität Pfarrern gegenüber nicht geklärt sind und sich inhaltlich etwa mit der prinzipiellen Regel der Ernennung auf „unbegrenzte Zeit“ spießt.

instruiert werden – XV

15. Dekanate

Der Abschnitt VII.b der Instruktion widmet sich kurz (52-53) den Dekanaten[1], die gem. can. 374 §2 die Seelsorge durch gemeinsames Handeln fördern soll. Gemäß can. 374 §1 ist jede Diözese geeignet zu unterteilen – hier werden eben die Pfarren benannt. Daraus folgt unter anderem, dass Dekanate nicht unbedingt notwendig sind[2]. In unseren Überlegungen über das Mit- und Zueinander in der ganzen Diözese und der Art und Weise, wie wir Kirche gemeinsam leben und entwickeln, war relativ schnell klar, den vom Kirchenrecht vorgesehenen diözesanen Gremien Diözesan- und Priesterrat jene Bedeutung zu geben, die ihnen dort zugedacht ist. Da darüber hinaus durch die Einführung der „Seelsorgeräume“[3] – also einer territorial wie auch sozialräumlich Vernetzung – ohnedies auf ein Miteinander zwischen den verschiedenen Erfahrungsräumen von Kirche gesetzt wird wurde es ermöglicht, diese – weitere – Zwischenebene zu entfernen. Interessant war und ist für mich die Beobachtung, dass im Zuge der Überlegungen zur territorialen Umschreibung der Sozialräume für die Seelsorgeräume vielfach jene Größen gefunden wurden, die vor der nunmehr vorletzten Regulierung in den 1970iger-Jahren die Dekanate bildeten. Topographische Gründe, Bevölkerungsdichte, bestehende Pfarren – auch in ihren Größen, Lebensräume [Schulen, …] und weitere Kriterien[4] waren ausschlaggebend für die von den Verantwortungsträgern erarbeiteten und der Diözesanleitung vorgelegten territorialen Umschreibung der nunmehr rd. 50 Seelsorgeräumen, in denen die 388 Pfarren gefasst sind.[5] Mit anderen Worten und kurz zusammengefasst: am ehesten ist die neue „mittlere Ebene“ der Seelsorgeräume, die eingezogen wurde, mit dem Dekanat zu vergleichen.

Dass wir aufgrund der flächenmäßigen Ausdehnung – Graz-Seckau ist nach dieser Maßzahl die größte Diözese in Österreich – mit der Schaffung von „Regionen“[6] „Referenten des Ordinarius“ eingeführt haben, die für den unmittelbaren „link“ zwischen Ordinariat und dem Leben von „Kirche vor Ort“ Kommunikationsscharnieren ähnlich Aufgaben erfüllen. Die Regionen sind daher eben nicht die neue Form von „Dekanat“, sondern mit jeweils spezifischen Aufgaben des Ordinarius[7] durch diesen betraut, die sich auch ändern können[8]. Sie sind aber auch nicht das, was in der Instruktion (61) mit „pastoraler Zone“ gemeint ist, da in unserem Fall auf dieser Ebene keinerlei (priesterliche) Leitungsaufgaben – zumindest derzeit – wahrgenommen werden.  Zugleich sind deren Koordinatoren Anlaufstelle für die einzelnen Seelsorgeräume wie auch das Ordinariat, Initiativen von Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen – inkl. geistlicher – zu initiieren und eben zu koordinieren; sie arbeiten eng mit den Regionalkoordinatoren der diözesanen Caritas zusammen und sind Anlaufstelle für die Fragen des Landes Steiermark in unsere Richtung, da auch die politische Landschaft diese Ebene als wichtig erachtet hat. Da dies völliges Neuland für uns als Kirche ist, wird diese „Pionier-„Arbeit wohl in den kommenden Monaten unsererseits gut evaluiert werden, um nach der ersten Funktionsperiode ggf. neu bedacht und in die Form unserer Kirchengestalt eingepasst zu werden.

[1] Wiewohl – s. unten – in unserer Diözese seit dem 1.9.2018 keine Dekanate mehr existieren, widme ich in meinen Gedanken diesem Abschnitt der Instruktion einen kurzen Artikel. Im übrigen könnte – vereinfacht gesagt – VIIb. und VIIc. der Instruktion für unsere Diözese zusammen betrachtet werden. –
Darüber hinaus wäre auch anzufragen, ob nicht durch die Anführung der Dekanate wie auch überpfarrlicher Strukturen, die im folgenden reich Platz finden in der Instruktion der Titel und damit die Überschrift („die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde“) eigentlich etwas anderes andeuten und angeben als eigentlich intendiert ist. Hier wäre zweifelsfrei ein wirklicher Kritikpunkt an der Instruktion einzubringen: geht es um Strukturveränderungen innerhalb von Diözesen oder geht es um – und damit eher inhaltlich – „missionarische“ Ausrichtung. Andererseits: wenn sich Pfarren dem entsprechend neu zu orientieren haben, dann kann eben – aus und im Miteinander der Lebens- und Erfahrungsräume von Kirche, wie es eben auch Pfarren sind, dieses nicht ausgeblendet bleiben. Dennoch: wäre es nicht angebracht, schon von Anfang an klar zu sagen, worum es wirklich geht – schlicht: um der Transparenz willen, da man ja eigentlich sonst Gefahr läuft – und die Kritik an der Instruktion macht dies ja auch deutlich – hehre Worte (einleitend) zu formulieren, diese aber nicht gis in die Konkretionen hinein auszubuchstabieren?

[2] Eine der für mich ziemlich unangebrachten Kritikpunkte an unserer Diözesanreform und Kirchenentwicklung war der Vorwurf, dass Rom wohl auch deswegen bislang nichts gegen uns unternommen hätte, weil auch Rom daran gelegen sei, die „Macht der Dechanten“ zu beschneiden, die etwa in anderen Diözesen – damit war wohl Linz gemacht – einen bereits ernannten Weihbischof zum Amtsverzicht gezwungen hätten.

[3] siehe: https://www.katholische-kirche-steiermark.at/portal/pfarren/artikelpfarren/article/5931.html

[4] Freilich muss auch ergänzt werden, dass – so eine Vermutung – in anderen Gegenden, in denen der Grundgedanke des „Miteinander Kircheseins für …“ nicht so sehr im Vordergrund gestanden ist, die der Diözesanleitung unterbreiteten Vorschläge für die territoriale Umschreibung der Seelsorgeräume, die gemeinsam erarbeitet worden ist, eher von konkreten (Priester-)Persönlichkeiten und damit eigentlich „klerikal“ bestimmt sich leiten ließen.

[5] Interessant ist für mich zu ergänzen, dass es – wenn ich mich recht erinnere – lediglich in 3 Regionen schwierig war, zu einmütig gefassten Seelorgeraum-Umschreibungen zu kommen. Hier hat dann die Diözesanleitung – auch mit erneuter Rücksprache mit den sogenannten „Regionalkoordinatoren“ – eine Entscheidung getroffen. Da aber insgesamt diese territoriale Unterteilung – sie ist ja eine „Föderation von Pfarren“ – „lebendig“ ist, kann die wohl mit September 2020 auch dekretierte Seelsorgeraum-Umschreibung da und dort in den kommenden Jahren noch eine Veränderung erfahren. – Dort, wo klar ist, dass die inhaltliche Entwicklung der Seelsorgeräume nicht im gedachten Ausmaß verwirklicht werden kann, wird dennoch der Seelsorgeraum territorial umschrieben, damit in der ganzen Diözese ein Ordnungsprinzip vorhanden ist. Auch ist es da und dort der Fall, dass aufgrund konkreter Situationen – leider meist abhängig von den dort agierenden Pfarrern – die eine oder andere Pfarre in einem Raum derzeit nicht am Miteinander teilnehmen wird, das letztlich auch Kirche ausmacht. Hier erscheint mir als Bischof auf Nachholbedarf im Kirchenrecht gegeben zu sein und in der Instruktion daher auch überhaupt nicht Bezug genommen worden zu sein: was bedeutet es nämlich wirklich, dass Pfarrer „unter der Autorität des Bischofs“ die Leitung der Pfarre anvertraut wird [can. 515 §1; vgl. auch can. 528 §2 in Bezug auf die Liturgie], wenn er zugleich als „eigener Hirte“ [can. 516 §1] für die Pfarre ist? Mir scheinen, dass in so manchen kodikarischen Festsetzungen unterschiedliche Bilder von Kirche und auch unterschiedliche historische Entwicklungsprozesse von Kirche mitunter „unversöhnt“ nebeneinanderstehen und daher in der Umsetzung Probleme bereiten.

[6] Diese sind im Übrigen praktisch den vom Land Steiermark praktizierten Regionen angepasst. Lediglich den „Zentralraum“ unterteilen wir in „Stadtkirche Graz“ und „Steiermark-Mitte“, da wir der Auffassung sind, das kirchliches Leben im Großraum Graz eine wiederum „andere Anbindung“ an das Gesamt der Diözese braucht als die anderen 7 Regionen. Siehe hierzu auch: https://www.katholische-kirche-steiermark.at/portal/pfarren/artikelpfarren/article/5931.html.

[7] „Diözesanleitung“ im engeren Sinn: Bischof, (stv.) Generalvikar, Bischofsvikare

[8] So etwa wurden die Regionalkoordinatoren in der Phase der Gründung der Seelsorgeräume mit der Begleitung der Prozesse hierzu vor Ort beauftragt; der Priester im jeweiligen Team ist unmittelbarer Ansprechpartner für priesterliche Fragestellungen; ganz allgemein werden sie – weil sie eben „näher dran“ sind in Anstellungsfragen des pastoralen Personals einbezogen usw.

instruiert werden – XIV

15. (staats)kirchenrechtliche Situation

Die heutigen Überlegungen mögen nicht unbedingt die wichtigsten sein, sind aber dennoch notwendig, weil die Instruktion der Kleruskongregation die allgemeine Situation der Welt im Blick hat, die aber durch staatskirchenrechtliche wie auch teilkirchenrechtliche Besonderheiten auch mit zu bedenken sind. Diese aber haben immer (!) Vorrang und haben daher logischer Weise – so es sie gibt – nicht von den allgemeinen Normen des Kirchenrechts umfasst. Wobei ich daran denke? Nun etwa an die deutsche Situation, in der das, was bei uns „Pfarrgemeinderat“ heißt und das, was bei uns in der Steiermark „Wirtschaftsrat“ heißt andere Aufgaben haben und daher auch anders strukturiert sind. – Mag dies aufs erste nicht von besonderer Bedeutung sein, so ist dies zu bedenken vor allem dann notwendig, wenn Strukturen verändert werden sollen/wollen.

Nun denn: es gibt also das Rechtsinstitut „Pfarre“. Vereinfacht gesagt: diese Institution ist kirchenrechtlich betrachtet, in dieser Form erst mit dem neuen Kirchenrecht 1983 eingeführt worden. Vorher gab es die „Pfarrkirche“ („Kirchenpfründe“), durch die die materiellen Notwendigkeiten für das Leben der Kirche vor Ort, also der Pfarre, aufgebracht werden sollten; die „Pfarrpfründe“ hingegen wurden dem amtierenden Pfarrer „verliehen“ und dienten als – vereinfacht gesagt – „Bauernhof“ des Pfarrers zu dessen persönlicher Versorgung. Zu früheren Zeiten, auch wieder vereinfacht ausgedrückt, war es also notwendig, dass eine Gemeinschaft, die „Pfarre“ werden wollte, dem kirchlichen bzw. staatlichen Oberhaupt (letzteres ist auch interessant!) nachweisen musste, dass sich der Pfarrer wie auch die Pfarre selbst versorgen können. Diese Trennung wurde prinzipiell mit dem Codex des kanonischen Rechts aufgehoben; das österreichische Teilkirchenrecht behielt diese unterschiedlichen – auch staatlichen – Rechtspersonen aber bei; das sogenannte Benefizialwesen wurde zwar abgeschafft, aber die Verwaltung der Pfarrpfründe als getrennter staatlicher Rechtsperson wurde beibehalten. Und tatsächlich ist es nach wie vor in unserer Diözese so: ein Teil der Besoldung der Priester wird aus den Erträgnissen der in der „diözesanen Pfründenverwaltung“[1] veranlagten Güter erwirtschaftet. Dies macht insofern Sinn, als es eigentlich sinnlos wäre, die Substanz für die Besoldung der Priester herzunehmen, wäre doch diese auf kurz oder lang aufgebraucht. Ein anderer Teil der Priesterbesoldung kommt aus den Kirchenbeiträgen aller. Vor Ort wird freilich oft zwischen den unterschiedlichen Rechtspersonen nicht unterschieden: „Kirche“ ist „Kirche“ – und tatsächlich ist im „Normalfall“ dem auch (fast) keine Bedeutung beizumessen. Sehr wohl aber ist die Zweckwidmung ernst zu nehmen: Pfarrpfründe dienen, vereinfacht gesagt, dem Lebensunterhalt der Priester; die Kirchenpfründe („Pfarrkirche“ in der Rechtsperson oder noch einfacher lediglich „Pfarre“) dem Unterhalt für das pfarrliche Leben. Mit dem Kirchenbeitrag wird daher prinzipiell das „bewirtschaftet“, was darüber hinaus notwendig sind: das sind vor allem die Personalkosten für jene, die in der Seelsorge angestellt sind, darüber hinaus gibt es Zuschüsse für Bauwerke (vor allem die Pfarrkirchen und die Pfarrhöfe; allesamt gibt es derzeit ca. 2.000 Gebäude, die in irgendeiner Art und Weise der diözesanen Verwaltung unterliegen) und Gelder fließen an überdiözesane Notwendigkeiten wie etwa die Bischofskonferenz und diözesane Einrichtungen (Priesterseminar usw.). Wichtig: es muss auch noch angeführt werden, dass Ordensgemeinschaften weitestgehend „außerhalb“ der diözesanen wie pfarrlichen „Rechtssprechung“ sind: so etwa gibt es „Admonter Pfarren“, deren Verwaltung eben dem Stift unterliegen[2]. Wo andererseits Ordenspriester oder Ordensfrauen im diözesanen Dienst (als Kapläne, als Pfarrer, in anderen Kategorien der Seelsorge …) eingesetzt sind, dort überweist die Diözese dem Orden entsprechend den Vereinbarungen Abgeltungen. – Alles klar?

All das – und dies ist hier vereinfacht (!) dargestellt – muss freilich bei allen Fragestellungen von Pfarr-Errichtungen, Pfarr-Auflösungen, Kirchenprofanierungen[3] etc. zu bedenken. Jede vereinfachende Behauptung ist demnach zu einfach und muss auch nicht auf andere Diözesen zutreffen. Dass diese Instruktion eben vom geltenden allgemeinen Kirchenrecht ausgeht und nicht alle „Besonderheiten“ weltweit kasuistisch benennen kann ist klar, bedeutet aber auch, dass das, was mit der Instruktion als „Leitplanken“ angegeben wird, tatsächlich der Füllung durch das Leben bedarf. Deutlich wird dadurch aber eben auch – erneut – dass die Veränderungen unter Bedachtnahme vieler Argumente zu erfolgen hat und nicht allgemein, sondern – um das Leben wirklich ernst zu nehmen – speziell begründet werden müssen.

[1] Es muss ergänzt werden: aufgrund der Geschichte einzelner Pfarren ist „klar“, dass die Besitzungen unterschiedlich groß waren, was zur Folge hatte, dass die Pfarrer eben einen größeren oder auch kleineren Bauernhof zu bewirtschaften hatten. Erst mit der Einführung der „diözesanen Pfründenverwaltung“ wurde daher eine Besoldung für die Priester ermöglicht und Ungleichheiten zwischen den „Pfarrherren“ beseitigt.

[2] Und selbst hier gibt es Unterschiede: „inkorporierte Pfarren“ sind solche, wo die Gebäude einem Stift gehören; „Patronatspfarren“ hingegen sind wieder solche, wo der Eigentümer bzw. Stifter („Patron“) besondere Rechte hat (das können sowohl Orden wie auch Privatpersonen oder juristische Personen sein). Aus alledem wird deutlich, dass die Geschichte und damit „Kirchen-Entwicklung“ in den vergangenen Jahrhunderten alles andere als eine geradlinige war: Form und Gestalt von Kirche hat sich immer wieder verändert – und auch wir sind in unseren Tagen eben auch – wieder einmal – Zeugen von Veränderungen in der äußeren Gestalt von Kirche. Das zeugt von Lebendigkeit, macht aber so manches auch kompliziert und vor allem: es ist „alles nicht so einfach“.

[3] Im Übrigen können Kirchen nicht nur im Eigentum von Orden stehen, sondern auch im Eigentum von privaten und im Eigentum öffentlicher juristischer Personen.

instruiert werden – XIII

13. step by step

Mit dem 7. Kapitel (42 – 61) erreiche ich nunmehr – erst! – jenen Teil der Instruktion, in dem verschiedenste Rechtsnormen in Erinnerung gerufen werden und der in so vielen Reaktionen negativ kritisiert wurde, als „Rückschritt vor das Zweite Vatikanische Konzil“ bezeichnet wurde etc. Ich werde mich im Folgenden – ähnlich wie schon bislang – konsequent aus dem Blickwinkel der „pastoralen Umkehr“ diesen zu nähern versuchen und ich hoffe, dass mir dies einigermaßen gelingen wird. Dieser Zugang ist genährt davon, dass ich zunächst mich „eins“ machen muss um einen anderen zu verstehen – vgl. das paulinische Wort 1Kor 9,22 wie auch die Tatsache, dass unser Herr und Gott sich ganz, mit Haut und Haaren, auf uns, die ganz Anderen eingelassen hat (vgl. Phil 2,5-11). Dies geschieht nicht aus dem Grund, die Meinung der Anderen bis aufs Letzte zu teilen, aber sehr wohl folgt diese Art dem jesuitischen Grundsatz, „die Meinung des anderen auf jede Art und Weise retten zu versuchen“ ehe sie beurteilt wird. Daher möchte ich noch einmal in Erinnerung rufen, dass die literarische Gattung „Instruktion“ zu beachten ist[1]. Hinzu kommt, dass rechtliche Anweisungen nie den Zweck haben, den Weg aufzuzeigen, der einzig und allein richtig ist, sondern lediglich die Leitschienen festmacht, um den befestigten Weg nicht zu verlassen. Auch Statuten und Dekrete haben nicht den Zweck alles und jedes, was an Fällen zu reglementieren denkbar möglich ist zu fassen: solche Schriftstücke geben einen Rahmen ab und markieren – vor allem für Streitfälle – die Grenzen einer Institution oder Organisation. Und: Normen wollen etwas „schützen“, Werte zum Beispiel – auch auf diese Inhalte hin sind sie zu sehen und zu lesen und von daher dann auch zu „verstehen“. Schließlich – und hier erinnere ich an die bereits zu Beginn dieser Serie gemachten Vorbemerkungen: ich habe bei meinen Bemerkungen keine konkreten Diözesen im Blick, auf die diese Instruktion – angeblich – eine Antwort ist, ganz einfach deswegen, weil mir die genauen Informationen hierzu fehlen, sondern mache – für mich jedenfalls sind es solche – „prinzipielle“ Gedankenerwägungen. Eigentlich sind all diese Vorbemerkungen Selbstverständlichkeiten, die aber angesichts unserer heutigen schnelllebigen Zeit, die mitunter einer großen „Empörungskultur“ Vorschub leistet – die sogenannten neuen „sozialen Medien“ eignen sich dafür hervorragend – nicht oft genug in Erinnerung gerufen werden können. Dass ich dabei immer wieder auch auf unseren Weg, den wir in der Diözese Graz-Seckau in den letzten Jahren gegangen sind, zurückblicke, ist der Selbstreflexion geschuldet, zu der uns dieses Dokument „von außen“ anleitet.

step by step sei vorzugehen: „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im missionarischen Sinn erfolgt daher in einem schrittweisen Prozess der Erneuerung der Strukturen und folglich in verschiedenen Weisen der Übertragung der Hirtensorge und der Beteiligung an ihrer Ausübung, die alle Glieder des Volkes Gottes einschließen.“[2] Und einige Zeilen weiter werden die vielen Bemühungen erneut gewürdigt, die gegangen werden, um die Strukturen in der Kirche vor Ort dem Heute anzupassen: es gehe ihnen „im Kern […] um die Notwendigkeit, Strukturen zu finden, die geeignet sind, in allen Teilen der christlichen Gemeinschaft die gemeinsame Berufung zur Verkündigung der Frohen Botschaft im Hinblick auf eine wirksamere Hirtensorge für das Volk Gottes, dessen „zentrales Element“ nur die Erreichbarkeit und Nähe sein können, anzufachen“[3]. Ein Moment solcher Bemühungen wird in einem Abschnitt dieses Kapitels mit „Pfarreizusammenschlüssen“ getitelt[4].

Wenn ich hierbei auf die in unserer „Kirchenentwicklung“ zurückgelegte Wegstrecke blicke, bin ich sehr, sehr dankbar: wie oft wir doch in irgendeiner Art und Weise mit den Gremien, die dem Bischof zur Seite gestellt sind, gearbeitet haben; wie sehr wir doch in vielen Arbeitsgruppen uns gemeinsam um die Erkenntnis des rechten Weges und der rechten Entscheidungen gemüht haben. Auch und gerade die kritischen Auseinandersetzungen – dankbar denke ich an die vielen regionalen Begegnungen zurück, die unter anderem mit den Priestern unserer Diözese jährlich durchgeführt wurden – möchte ich auf diesem Weg nicht missen! Instruktion 46 spricht davon: ich glaube behaupten zu können, dass wir uns hier auf einen guten Weg begeben haben: Prinzipielles wurde dort „gehört“ – man beachte die Wortwahl (!), konkrete Schritte der Umsetzung wurden in diversen Arbeitsgruppen erarbeitet und schließlich nach der einen oder anderen notwendigen „Schleife“ freigegeben.  Wenn ich den Duktus des Dekretes ernstnehme, sind die Zwischentöne zu beachten: zumeist – und leider nicht dem Charakter einer exakten Instruktion folgend – wird hier von der rechtlichen Aufhebung bestehender Pfarren gesprochen, die gemeinsam eine neue Pfarre bilden. Nur einmal (47) ist davon die Rede, dass es auch eine einfache föderative Art des Zusammenschlusses geben kann. Wir haben uns – vereinfacht gesagt – von vornherein auf diesen Weg begeben, um die Eigenheiten des Lebens nicht zu negieren, wohl wissend, dass mit der Beibehaltung der einzelnen Pfarren eine Lösung für den – von der Instruktion im übrigen negativ kritisierten(!) – bürokratischen Verwaltungsaufwand zu finden sein wird: es ist einfach nicht praktikabel und möglich, dass – um ein Beispiel zu nennen, der Pfarrer etwa des Seelsorgeraumes Voitsberg mit 16 eingeständigen Pfarren bei allen Sitzungen der synodalen Gremien dabeisein und dann auch noch den Vorsitz der Sitzung führen kann. Dass wir hier in Graz-Seckau ohnedies schon seit geraumer Zeit im Pfarrgemeinderatsstatut viele Möglichkeiten anbieten, wie dies zu vereinfachen ist, hat uns auf diesem Weg geholfen. Die Schwierigkeiten ergeben sich „lediglich“ auf jenem Sektor, der aber staatskirchenrechtlich notwendig ist, dass in jeder kanonisch errichteten Pfarre ein Vermögensverwaltungsrat [bei uns: „Wirtschaftsrat“] existieren muss. Hier kreativ Lösungen zu suchen wird auch im Kapitel Xa der Instruktion aufgegriffen, wo zB. 104 die Möglichkeit eröffnet, dieselben Personen für mehrere Pfarren zu benennen usw.

Im Weiteren dieses Kapitels behandelt die Instruktion Fragestellungen, die unbedingt zu berücksichtigen sind, wenn Pfarren kanonisch aufgehoben und neue errichtet werden. Auch wenn dies bei uns nicht zutrifft: dass in einer Art Kirche zu leben, die vom Geist der Mission geprägt ist, die lebenden Ordensgemeinschaften oder andere Situationen, die für Pfarren gewisse Rechte haben, zu berücksichtigen sind, ist eigentlich selbstverständlich. Ich hoffe, dass wir in unserem gemeinsamen Suchen hier nicht allzu viele Fehler gemacht und nicht all zu sehr Rechte verschiedener Beteiligter übersehen haben. Schon die Logik allein macht deutlich: hier kann nicht einfach alles mit einem „Aufwaschen“, will man das Leben vor Ort ernstnehmen, erfolgen – andererseits gilt aber auch: wenn in einem gemeinsamen Suchprozess entsprechende Entscheidungen wohl vorbereitet und – die Betroffenen einbindend – getroffen werden, so sind diese sicher zu begründen und durchzuführen. Inwieweit dann Rekurse nach Rom, wie es sie immer wieder gibt, hinreichend alle (!) Überlegungen einschließen und zur Findung der Wahrheit beitragen sei an dieser Stelle sehr wohl hinterfragt: gibt es mitunter nicht Eigeninteressen, die zunächst – nimmt man das Evangelium ernst, für das man ja formal eintritt – unter „4 Augen“ (vgl. Mt 18,16ff.) zu besprechen sind. Und damit sind wir wieder mal beim Leben von „Umkehr“, zu der alle Glieder im Volk Gottes berufen sind: Wie bringen wir dann all (!) unsere Bedenken ein, damit die, die Entscheidungen zu treffen haben, dies auch geistvoll tun können?

In einem einzigen Punkt (51) wird auch das Thema der Profanierung von Kirchen angesprochen. In unserer Diözese ist diese Frage in den letzten Jahren noch nicht so oft aufgetaucht, wiewohl wir herausgefordert waren, manches neu zu denken. Ich kann mich an die alte Pfarrkirche in Mitterdorf erinnern, die profaniert wurde, weil eine neue, größere, in unmittelbarer Nähe gebaut wurde; ich kann mich erinnern an die Kapuzinerkirche in Knittelfeld, die zwar nicht profaniert, wohl aber an die rumänisch-orthodoxe Kirchengemeinde übergeben wurde; ich erinnere mich an eine Kirche nahe Leoben, die mit großer Mühe und vielen Überlegungen „mehreren Zwecken“, um es vereinfacht zu sagen, zugeführt wurde, aber eben Kirche geblieben ist. Und für all diese Beispiele könnten wohl aus den letzten 20 Jahren noch weitere aus unserer Diözese benannt werden, bei denen alle Schritte beachtet wurden. Dass es im Zuge der demographischen Entwicklung – auch was die Mitgliederzahlen unserer Kirche anlangt – absehbar ist, dass wir uns in Hinkunft mehr auch den Fragen der (teilweisen) Umwidmung, der (teilweisen) Übergabe oder auch der Profanierung von Kirchen widmen werden müssen, vor allem in städtischen Regionen wie etwa Graz, liegt auf der Hand und war in der Kirchengeschichte immer an der Tagesordnung. Ich selbst war Pfarrer in Bruck an der Mur und musste feststellen, dass sich 9.000 Katholiken – mittlerweile sind es weniger – wohl auf Dauer nicht leisten werden können, 5 Kirchen zu erhalten. Gerade deswegen werden prinzipiell in der Diözesankommission für Liturgie derzeit Überlegungen angestellt, um verschiedene Varianten durchzuspielen, wie mit davon betroffenen Kirchen in Hinkunft geordnet und unter Einbeziehung der Gläubigen vor Ort umgegangen wird bzw. werden soll. Wenn der Zeitplan hält, werden die großen diözesanen Gremien diese Prinzipien im Herbst dieses Jahres beraten und beschließen, diesen Vorschlag mir zur Entscheidung vorlegen zu können.

Im jüngst – und nach der ursprünglichen Veröffentlichung dieses Beitrags am 8. August 2020 veröffentlichten –  erschienen Leitartikel der „Herder Korrespondenz“ hat Lucas Wiegelmann m.E. voll recht ergänzt, sollte dies durch meine bisherigen Überlegungen noch nicht deutlich geworden sein: „Tatsächlich schränken gerade diese Kernpunkte der Instruktion bei Lichte betrachtet weniger den Handlungsspielraum irgendwelcher Laienmitarbeiter ein. Sie schmälern in erster Linie die Beinfreiheit des jeweiligen Diözesanbischofs. Die Autoren der Instruktion hatten ursprünglich nicht die Situation in Deutschland, sondern in den Vereinigten Staaten im Sinn, wo mancher Bischof speziell mit der Profanierung überzähliger Kirchengebäude äußerst schnell bei der Hand war, selbst dort, wo ehrenamtliches Engagement vor Ort längst eine Rettung des Gebäudes in greifbare Nähe gerückt hätte. Einem leichtfertigen Abschreiben von Kirchen, die im Finanzplan eines Bistums vielleicht nur als Kostenfaktor zu Buche schlagen, während sie für die Gläubigen gemeinschafts- und identitätsstiftend sind, schiebt die Instruktion einen Riegel vor. Ebenso wie einer allzu sorglosen Zusammenlegung traditionsreicher Pfarrgemeinden zu immer größer werdenden Verwaltungsverbünden. Natürlich sind Umgestaltungen von Pfarreigebieten vielfach sinnvoll, um auf den rasanten Wandel der kirchlichen Realitäten zu reagieren. Das enthebt die Bischöfe aber nicht der Verantwortung, jede einzelne Strukturentscheidung sorgfältig zu prüfen und spezifisch zu begründen. Das ist kein römischer Zentralismus, sondern das Mindeste, was zumal die Laien vor Ort erwarten können.“[5]

[1] Vgl. hierzu https://krautwaschl.info/instruiert-werden-i/

[2] Instruktion 42.

[3] ebd., 44.

[4] ebd., 46-51.

[5] Lucas Wiegelmann: Fürchtet euch nicht, in: HerKorr Nr. 9(2020), 4f.

instruiert werden XII

12. Strukturen, die dem Leben dienen (sollen)

„Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient. Die Reform der Strukturen, die für die pastorale Neuausrichtung erforderlich ist, kann nur in diesem Sinn verstanden werden: dafür zu sorgen, dass sie alle missionarischer werden, dass die gewöhnliche Seelsorge in all ihren Bereichen expansiver und offener ist, dass sie die in der Seelsorge Tätigen in eine ständige Haltung des „Aufbruchs“ versetzt und so die positive Antwort all derer begünstigt, denen Jesus seine Freundschaft anbietet. Wie Johannes Paul II. zu den Bischöfen Ozeaniens sagte, muss » jede Erneuerung in der Kirche […] auf die Mission abzielen, um nicht einer Art kirchlicher Introversion zu verfallen.«“[1] Und: das Leben ist die Sendung hinein in die Welt, ist Mission.

In der Organisationsentwicklung heißt’s „form follows function“ – als ich diese Zeilen aus der apostolischen „Ermahnung“ „Evangelii gaudium“ gelesen habe, auf die das missionarische „Grundmuster“ der Instruktion immer wieder verweist, habe ich es wohl doppelt und dreifach unterstrichen. Dass wir im Leben von Pfarre und Kirche – und damit auch die Instruktion – Gefahr laufen, etwas nachgereiht Großartiges unserer Kirche, sie nämlich als „Institution“ zu verstehen und dieser Struktur alles andere unterzuordnen, ist aber auch eine Erfahrung. Ob dann nicht auch die Strukturmomente, die in der Instruktion erinnert werden, unter diesem Aspekt gesehen, unter diesem Blickwinkel – und damit eben zur Umkehr aufgerufen – werden müssten, möchte ich zumindest zur Diskussion stellen. Mitunter hege ich den Verdacht, dass wir uns halt – auch (!) ob unserer Tradition und der langen Geschichte von Kirche – in unseren Breiten lieber bei den Strukturen und den damit sich stellenden Fragen der inneren Struktur aufhalten statt diese im Dienst der gemeinsamen Sendung zu sehen. Unter dem Motto: „Wenn das Organigramm einmal gut ist, dann können wir uns auch der Sendung zuwenden …“ – Wenn ich das so schreibe, gibt’s gleich mal eine mir selbst verordnete Gewissenserforschung – auch unter dem Aspekt, dass man Inhalt und Form ja gerade in unserer katholischen Kirche nicht auseinanderdividieren kann. Aber auch unter dem Aspekt, ja nicht der Gefahr zu unterliegen, weil dem so ist, nichts anzupacken …

Da Kirche in der Steiermark sicher vor der Errichtung der Diözese 1218, die im übrigen in der Geschichte so manche Veränderungen in ihrer Ausdehnung erfahren hat, gelebt wurde und auch unter anderen Umständen als in der Geordnetheit mit 388 Pfarren muss hier auch erwähnt werden. – Wenn es stimmt, was ich leider nach wie vor nicht nachgeprüft habe, dann sind die Jahre von 1950 – 2000 jene 50 Jahre, in denen in der Steiermark am meisten Pfarren neu gegründet wurden, unterteilt man die 800 Jahre in „50iger-Pakete“. Was ich damit sagen will? So sehr Pfarren „keine hinfällige Struktur“ sind[2] so sehr muss klar sein, dass nicht „Pfarre“ der einzige Erfahrungsraum von Kirche ist, sondern Leben „fasst“, so wie ein Glas eben ein Getränk einfasst. Strukturen zu „dogmatisieren“ ist ebenso falsch wie sie zu negieren. In eine dieser Fallen an den Wegrändern tappen wir immer wieder … Die Frage zu stellen: „Was macht [kirchliches] Leben aus? Wo wird die Sendung des Evangeliums gelebt?“ ist keine nebensächliche, genauso schwierig ist es aber, jene „heiligen Kühe auszumachen, die keine Milch mehr geben und daher geschlachtet werden müssen“, zumal in unserer professionalisierten Situation.[3]

Der wahrgenommene „Mangel“ an zum sakramentalen Dienst Geweihten – zumindest im Vergleich von vor einigen Jahrzehnten –[4] hat manches ans Tageslicht gebracht, das „Kirchen-Entwicklung“ im positivsten Sinn angestoßen hat. Die Lebens-Erfahrung lehrt ja auch, dass nicht bloß die Theorie jemanden davon überzeugt neue Wege zu gehen, sondern mitunter auch Not. Die jüngste COVID-Krise hat dies ja auch deutlich gemacht: wie sehr doch Solidarität geübt wurde während des lockdowns – und wie viel davon unmittelbar danach sofort wieder eingebrochen scheint. Was also führt dazu, dass man sich wirklich bekehrt – und das zur Lebenseinstellung wird? Sind wir wirklich jetzt schon (?!), erst (?!) 60 Jahre nach dem Konzilsbeginn soweit, das Zusammenspiel im Volk Gottes zwischen denen, die einen geweihten Dienst in ihm ausüben und jenen, die aufgrund von Taufe und Firmung den Sendungsauftrag mit ihren Charismen leben, gut und neu austariert zu leben? Die Reaktionen auf die Instruktion im Blick der ganzen Welt machen „nur“ deutlich, wie unterschiedlich wir doch unterwegs sind und welch unterschiedliche Geschwindigkeiten wir dabei entwickelt haben.

Daher: „Folglich liegt es auf der Hand, wie notwendig es ist, sowohl eine Konzeption der Pfarrei, die auf sich selbstbezogen ist, als auch eine „Klerikalisierung der Pastoral“ zu überwinden. Die Tatsache ernst zu nehmen, dass dem Volk Gottes «die Würde und die Freiheit der Kinder Gottes eignet, in deren Herzen der Heilige Geist wie in einem Tempel wohnt», drängt dazu, Vorgehensweisen und Modelle zu fördern, durch die alle Getauften kraft der Gabe des Heiligen Geistes und der empfangenen Charismen sich aktiv, dem Stil und der Weise einer organischen Gemeinschaft entsprechend, in die Evangelisierung mit den anderen Pfarrgemeinden unter Berücksichtigung der Pastoral der Diözese einbringen. Da die Kirche nicht nur Hierarchie, sondern Volk Gottes ist, ist die gesamte Gemeinschaft für ihre Sendung verantwortlich. Es wird die Aufgabe der Hirten sein, diese Dynamik zu erhalten, damit alle Getauften entdecken, dass sie aktive Protagonisten der Evangelisierung sind.“[5] Auch wenn – und so manche Kritik an der Instruktion macht dies deutlich – in den darauffolgenden Normen so manches davon nicht deutlich zum Vorschein kommt: hier wird für meine Begriffe „klassisch“ der Dienst der Hirten sowie aller in der Seelsorge Stehenden am und im Leben der christlichen Gemeinschaft beschrieben, die wir im Zukunftsbild unserer Diözese in die Worte gefasst haben: „Die Kirche verändert sich und damit ändern sich die Anforderungen an unsere Berufungen. Das führt auch zu veränderten Rollenbildern und Aufgaben der Hauptamtlichen in der Pastoral. Alle hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben Verantwortung und Entscheidungsspielraum frei und unterstützen die Menschen bei der Gestaltung von Kirche vor Ort. Sie sind geistliche Menschen und theologisch kompetent. Sie geben Raum für pastorale Initiativen, ermöglichen und unterstützen sie. Im Einzelfall werden diese von ihnen initiiert. Sie halten die Kirche vor Ort in der Spur des Evangeliums und der Weltkirche. In der Vielzahl der Berufungen und in der Vielfalt seiner seelsorglichen Tätigkeiten ist es die Aufgabe des Priesters, sakramental wirksam im Namen Jesu zu handeln. Im Dienst des Diakons wird sichtbar und greifbar, dass Jesus nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen. Darüber hinaus üben die unterschiedlichen Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger (Priester, Diakone, Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten) spezifische Rollen aus, um Prozesse in Gang zu setzen und zu begleiten, zum Beispiel als Seelsorgerinnen und Seelsorger, geistliche Begleiterinnen und Begleiter, theologische Fachberaterinnen und berater, Projektentwicklerinnen und entwickler, Pionierinnen und Pioniere, Konfliktmoderatorinnen und -moderatoren, Ehrenamtsbegleiterinnen und begleiter, Gründerinnen und Gründer. Eine spezifische Unterstützungsrolle ist die Aufgabe der formellen Leitung, zum Beispiel eines Seelsorgeraumes.“[6]

[1] Franziskus, Evangelii gaudium 27.

[2] ebd., 28.

[3] Wie schwer dies uns fällt wird u.a. dort deutlich, wo das Zukunftsbild und die „strategischen Ziele“, die als Leitplanken uns in das 9. Jahrhundert unserer Diözese begleiten, eben auch diesen Aspekt konsequenter Weise betont: wenn ich diesen und nicht jenen Weg gehe, heißt dies automatisch auch so manches zurück zu lassen. Sind wir uns dessen bewusst? Und: treffen wir dann entsprechende Entscheidungen, die noch dazu dann ja nicht bedeuten, dass das Vorhergehende „schlecht“ war, sondern lediglich, dass es heute – vereinfacht und spirituell gesagt – einen „anderen Willen Gottes“ gibt.

[4] „Mangel“ – und darauf muss einfach hingewiesen werden – ist ein relativer Begriff, der sich auf eine Maßzahl bezieht. Vom „Priestermangel“ zu sprechen bedeutet also, von einer gewissen Zahl an Amtsträgern ausgeht, die – vorgeblich (?) – „notwendig“ sind für kirchliches Leben. Sprechen wir über die Kriterien, die uns einen „Mangel“ feststellen lassen? Und: stimmen diese Kriterien – heute? Ganz abgesehen davon, dass viel zu wenig oft Rechenschaft darüber gegeben wird, wieso vom „Mangel“ in dieser oder jenen Beziehung gesprochen wird und auch die Gefahr nahe liegt, in ein- und derselben Debatte zunächst von der Kirche zu sprechen, die in den Seelen erwacht, um R. Guardini in Erinnerung zu rufen, dann aber nur auf Amtsträger fixiert ist, die wir zum Leben der Kirche bräuchten …

[5] Instruktion 38f.

[6] Zukunftsbild der Diözese Graz-Seckau, II/7 [https://www.katholische-kirche-steiermark.at/dl/rKMtJmoJKnMJqx4KJKJmMJOKk/Zukunftsbild_2019_Ansicht.pdf, 5.8.2020] – die dort auffindbare Fassung ist nicht jene Letztfassung, die im Gesamtgefüge des Prozesses unserer Kirchenentwicklung wohl erst veröffentlicht wird.

instruiert werden XI

11. schrittweises Vorangehen

Strukturen zu erneuern, sie zu verändern bedeutet auch, für so manchen „Liebgewordenes“ neu zu betrachten – wenn ich nur an mich selbst denke, wie schwer es mir mitunter fällt, Verhaltensweisen zu erneuern. Das Evangelium ernstnehmend muss freilich auch gesagt werden: es ist eine Grundhaltung derer, die sich in der Nachfolge Jesu wissen, „auf dem Sprung“ zu sein. So wichtig, richtig und gut es ist, dass eben das „Geistliche“ auch „auf den Boden gebracht“ wird und werden muss, will es ganzheitlich und damit letztlich auch menschlich sein, so sehr gilt auch, dass Strukturen und lebendige Systeme es so an sich haben, eher zu bewahren. Dass diese dem Ganzen innewohnende Tatsache was Gutes an sich hat ist meines Erachtens unbestritten, verhindert es doch sich einfach nach dem Wind zu drehen und jede Mode mitzumachen, auch wird dadurch die Geschichtlichkeit des Menschen oder eben einer Institution ernst genommen. Andererseits – und diese Wirklichkeit „lähmt“: Gerade weil und wenn wir uns als Christen wissen ist ständig der Gefahr zu wehren, die „Werke Gottes“ mit Gott zu verwechseln[1]; auch die Kirche ist „Instrument“ und nicht Ziel, Zeichen und nicht Vollendung.

Wenn daher in der Instruktion ein „schrittweises Vorangehen“ eingemahnt wird in strukturverändernden Prozessen, dann ist diese Spannung im Hintergrund zu halten. Aus dem Blickwinkel der Umkehr, die uns das Dokument vorgibt, ergibt sich die Notwendigkeit, dies auch in gewisse, dem Heute entsprechende Normen zu gießen; andererseits gilt, dass Strukturen eben gemeinsam mit den Menschen gegangen und „erobert“ werden müssen – auch die Pfarrstrukturen haben sich erst mit der Zeit entwickelt und waren bzw. sind eine nach wie vor angemessene Form kirchliches Leben tatsächlich „bis an die Grenzen der Erde“ (vgl. Mt 28,20) zu bringen, also unsere Sendung zu allen – auch als Gewissenserforschung – im Blick zu haben. Aus dieser und in dieser Spannung der [persönlichen] Umkehr-Notwendigkeit und der, die kirchlichen Lebensformen immer und immer wieder dem Heute anzupassen, einerseits und der Beharrungskräfte andererseits, die sich mitunter vom „Es war schon immer so“ treiben lassen[2] wie auch der Notwendigkeit, gemeinsam – und damit als Kirche – voranzugehen, erwächst Leben: Stachel im Fleisch einer saturierten gut aufgestellten und organisierten Kirche wie in unseren Breiten einerseits und zugleich Herausforderung, nicht aus einer gewissen Planungssicherheit und -notwendigkeit heraus am „grünen Tisch“ mit einem Federstrich[3] gleichsam alles neu aufzustellen.

Ob wir auf diesem Weg der „Kirchenentwicklung“ in unserer Diözese immer das rechte Maß gefunden haben, wage ich zu bezweifeln, andererseits haben wir uns in mehreren Etappen bemüht – und dieses Bemühen dauert wohl die nächsten Jahrzehnte (!) auch noch an, uns von der „Sendungsperspektive“ antreiben zu lassen, Kirche in unserer Heimat aufs Neue Kraft zu geben. Die Frage nach dem Willen Gottes für die Kirche von Graz-Seckau stand am Anfang der Maßnahmen, die wir eingeleitet haben und die in den nächsten Jahren schrittweise umgesetzt werden. Dass der Rahmen abgesteckt werden muss, innerhalb dessen der Bewegungsraum umschrieben wird, und dass dies rasch zu geschehen hat, damit man sich nicht in endlosen „Geschäftsordnungsdebatten“ ergeht, war mir aber auch klar:

*    Die Struktur der Pfarren als „Netz“, das wir auswerfen, bleibt erhalten – auch um den Menschen Identität zu geben und „niemanden zu vergessen“.
Dies kann und darf andererseits nicht bedeuten, dass die Selbstbezogenheit, in der mitunter pfarrliches Leben sich abspielt „einbetoniert“ wird: das „Kirche ist mehr“ muss gelebt und auch erfahren werden, etwa dadurch, dass sich Kirche und damit auch pfarrliches Leben, nicht nur in den sicheren Mauern einer Pfarrkirche oder des Pfarrheimes abspielen, sondern eben auch in Familien, an der Arbeitsstelle, in Bildungseinrichtungen, in Kranken- und Pflegeheimen, in den caritativen Einrichtungen usw. Klar ist: Kirche „spielt“ sich in unterschiedlichen Lebenskontexten ab, eben wo „zwei oder drei“ … Dieser „inneren Struktur-Erweiterung“ [Stichwort: Kirchorte bzw. kirchliche Erfahrungsräume] wird die zweite an die Seite gegeben: es gibt nicht nur uns, es gibt auch die Nächsten – und diese sind bekanntlich gleich zu lieben wie wir uns selbst lieben (vgl. Mt 22,39):

*             Im Seelsorgeraum, einer zunächst territorialen Umschreibung mehrerer Pfarren, die gemeinsam mit den Verantwortungsträgern vor Ort in den Pfarren und früheren Dekanaten erarbeitet wurde und die mit 1.9.2020 vorläufig mal rechtlich eingeführt wird[4], sollen die Grunderfahrungen kirchlichen Lebens an den unterschiedlichen Orten netzwerkartig zusammengesehen und auch erfahren werden. Denn nicht jede der unterschiedlich großen Pfarren kann alles und kann für alles zuständig sein: das Teilen unserer Lebens- und Glaubenserfahrungen ist etwas, das uns neu zuwachsen muss und auch dabei hilft.
Die Umsetzung und damit auch inhaltliche Ausgestaltung des Miteinanders im Seelsorgeraum wird mit den Gläubigen vor Ort erarbeitet und hat daher auch unterschiedliche Geschwindigkeiten[5]: so etwa gibt es in der Stadt Graz einen „Kooperationsraum“ (dort wird intensiv zusammengearbeitet, aber auch ernstgenommen, dass die meisten Pfarrer dort kurz vor der Emeritierung stehen) sowie eine ganz besondere Situation im Seelsorgeraum „Graz-Mitte“, der besondere Herausforderungen hat für die ganze Stadt, die Beichtkirchen beherbergt etc. Auch ist das Mit- und Zueinander verschiedener Pfarren ob der Topographie zu berücksichtigen etc. – Mit dieser schrittweisen Annäherung trotz und gerade ob der klaren Zielvorgabe – so hoffe ich – ist die Spannung gut gelebt, die sich auch darin ausdrückt, dass akzeptiert wird, wenn Pfarrer (zunächst) Pfarrer in ihrer angestammten Pfarre bleiben[6]. Das, wozu sie alle „verpflichtet“ werden ist eigentlich „nur“, dass jede/r in der Seelsorge angestellte Person/Priester sich auf das Gesamt des Raumes hin gesendet weiß.

[1] Diese Differenzierung ist wichtig und wertvoll. Der verstorbene vietnamesische Kardinal François Xavier Nguyên Van Thuân hat in seinen Exerzitien mit der Kurie des Vaters zu Beginn dieses Jahrtausends diese Unterscheidung als ein Kriterium benannt, das es ihm ermöglichte, die Jahre in Einzelhaft zu überstehen. Seine damaligen Gedanken sind meines Erachtens nach wie vor wertvolles Brot auf dem Glaubensweg: François Xavier Nguyên Van Thuân, Hoffnung, die uns trägt: Die Exerzitien des Papstes, Freiburg: Herder 2012 (nach 6 Auflagen als Taschenbuch)

[2] Beide Seiten werden in der Instruktion benannt, meines Erachtens aber zu wenig wirklich in der Spannung gelebt, die es eben auch ermöglichen muss, in unterschiedlichen Herausforderungen diese auf unterschiedliche Art und Weise zu leben.

[3] Wäre nicht für eine solche Art und Weise „Kirchenstrukturen“ zu erneuern der Begriff „klerikal“ angebracht?

[4] „vorläufig“ deshalb, weil dieses Miteinander ein lebendiges ist: schon in der Phase seit der Benennung der Seelsorgeräume hat sich die eine oder andere Veränderung ergeben. Auch in Hinkunft soll diese Lebendigkeit erhalten bleiben – mit ein Grund, wieso der Seelsorgeraum nicht als „juristische Person“ – weder kirchlich noch staatlich – errichtet wird.

[5] Mitunter gab es schon lebendiges Miteinander zwischen Pfarren – ich denke da etwa an den Seelsorgeraum „Oberes Feistritztal“, mitunter müssen in Eigenständigkeit nebeneinander lebende Pfarren erst zusammengeführt werden; in anderen Gegenden wiederum ist das Verbindende zwischen kirchlichen Realitäten bislang nur der Pfarrer [von dort her auch „Pfarrverband“], usw.

[6] Selbst dort, wo eine Pfarre von einem „Team“ betreut wird (vgl. can. 517§1) haben wir der Klarheit wegen die Priester gebeten, zunächst auf das Amt des Pfarrers zu verzichten um dann als „Pfarrer nach can. 517§1“ aufs Neue mit einem Kollegen eingesetzt zu werden. – Die kirchenrechtlichen Unklarheiten in der Begrifflichkeit (in can. 517§1 wird z.B. nur von „Leitung“ der Pfarre gesprochen, der Titel der Leitenden aber nicht benannt) wurden auf diese Art und Weise „kreativ“ gehandhabt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Priester, die sich auf den Prozess wirklich eingelassen haben, hier bereit sind, die einzelnen Schritte auch rechtlicher Natur mitzugehen, die ja dem Leben dienen sollen.

instruiert werden – X

10. Erneuerung

Im 6. Kapitel der Instruktion (34-41) wird deutlich, dass jede Erneuerung, jede Umkehr sich nur dort wirklich dauerhaft erweist, wo es „neue Menschen“ gibt. Meine eigene Erfahrung lehrt mich zum einen die Richtigkeit dieser Behauptung, zum anderen aber auch, dass sich wohl viele gerade damit nicht leicht tun: „Sollen sich doch die anderen ändern …!“ Oder auch: „Bei uns ist eh alles in Ordnung.“ Oder – wenn ich auf mich selbst schaue: bis eine Erkenntnis, die ich als wichtig erachte, vom Hirn bis in die letzten Fingerspitzen gelangt ist und sich in dauerhaft neuem Lebensstil erweist, scheint es mitunter schier unüberwindbare Hindernisse in mir zu geben. Bekehrung tut not. Und gerade deswegen betont die Instruktion in diesem Abschnitt erneut die Notwendigkeit der pastoralen Umkehr. Diese ist freilich alles andere als einfach, da nicht nur durch die Professionalisierung kirchlichen Betriebes, zumal in unseren Breiten, mit dieser auch eine gewisse Bürokratisierung einhergeht. Und da spreche ich noch nicht davon, dass wir in unserer Arbeit „vor Ort“ auch herausgerufen sind, staatliche Vorgaben einzuhalten, wenn wir Kirche „organisieren“. Ich denke da zunächst an so manche innerkirchliche „Behäbigkeit“, (missionarische) Impulse einfach mal zu leben – auch ohne dass am berühmten „grünen Tisch“ vorab alle Für’s und Wider’s abgewogen und eine kritische Reflexionsschleife – vielleicht sogar mehrmals durchlaufen wird, um es überspitzt zu formulieren. In den letzten Wochen und Monaten der COVID-Krise in der Welt und damit auch unserer Kirche erinnere mich an einige Ereignisse, vor allem zu Beginn, durch die mir das blitzlichtartig durch den Kopf gegangen ist. Ein Beispiel hierfür mögen genügen: „Hat Dein Ordinariat schon auf Krisenmodus umgeschaltet und damit das in den Blick genommen, was jetzt notwendig, richtig und wichtig ist?“ hat mich ein bischöflicher Brüder einige Tage nach dem lockdown wohl Ende März 2020 gefragt. Und tatsächlich: in manchen Bereichen wurde so weitergearbeitet, als ob es den „Normalbetrieb“ zu gewährleisten gelten würde – und damit wurde teilweise den Mitarbeitenden in der Seelsorge, die ohnedies sich mit wahnsinnig viel Neuem umherschlagen mussten, mitunter Zusätzliches aufgebürdet. Ich musste mir dann in einer persönlichen Reflexion dann zwar eingestehen, dass es durchaus möglich ist, sich aufgrund von krisenhaften Phänomen in Mehr-Arbeit zu stürzen, um den Fragen der Krise und den damit notwendigen Veränderungen auszuweichen, doch sich die „Ruhe zu gönnen“, um nach dem „Willen Gottes dieses Augenblicks“ zu fragen will auch gelernt sein. – Ein zweites Beispiel, das mir schon vor Jahren begegnet ist: ein priesterlicher Freund von mir war mehr als 10 Jahre Spiritual. Als dann vom Ordinariat auf der damaligen Homepage der Diözese eine Liste von Personen veröffentlicht werden sollte, die geistliche Begleitung anbieten, wurde es ihm zunächst verweigert, da er die Ausbildung dafür nicht hätte … Wir stehen uns – bei allen berechtigen Fragen, die aufgeworfen werden – mitunter selbst im Weg: innere Abläufe etc. gewinnen gegenüber dem, „was der Geist den Gemeinden sagt“. Die evangelisierende Strahlkraft und damit die Sendungsperspektive von Kirche läuft da schon Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Mitunter beschleicht mich der Verdacht, dass wir uns auch aufgrund unserer „Über-Organisation“ schwertun, Veränderungsnotwendigkeiten zu akzeptieren, die eine „Systemveränderung“ mit sich bringen.

Wenn ich an den Beginn meiner Tätigkeit als Bischof zurückdenke: einiges an Veränderungsnotwendigkeit stand an – davon war einiges „in der Luft“. Mir war eigentlich von Anfang an klar, dass – will ich Kirche in ihrem Wesen ernstnehmen – es nicht nur um „Kosmetik“ in manchen Organisationsabläufen etc. gehen kann. Beim ersten großen Referat vor den Pfarrern unserer Diözese im Herbst 2015 habe ich von manchen Punkten gesprochen, die dann in den Begriff „Perspektivenwechsel“ gefasst wurden[1], also Bekehrung um ein geistliches Wort zu gebrauchen. Was nutzt es, wenn zwar Reglements verändert werden würden, deren Sinn und Stoßrichtung, vor allem aber jene die dem entsprechend leben sollen nicht im Blick sind? Andererseits: nur „Geistliches“ zu betonen würde Gefahr laufen, die Realität aus dem Blick zu nehmen. Kirche ist eben eine Wirklichkeit, die beides in sich vereint: Geistiges und „Handfestes“ sozusagen. Und wir wagten uns dann ab 2016 verstärkt daran, Veränderungsschritte anzupacken. – Es ist daraus nicht nur ein schneller Prozess mit vielen damit verbundenen Risiken geworden, auch deswegen, weil uns dabei deutlich wurde, wie viel an Inhalten zu bedenken sind, sondern auch einer, der wohl noch Jahre brauchen wird, um wirklich unser Verständnis von Kirchesein von innen heraus umwandelt und erneuert. – Da wir eine sehr gut strukturierte Kirche sind, wählten wir den Weg über die Entfernung einer Struktur – die des Dekanats als einer Ebene, die im Leben der Christgläubigen unserer Diözese ohnedies nicht „besonders verankert“ war – um dadurch gegebenenfalls die Frage – neu – aufstehen zu lassen, von der wir uns in der Seelsorge ohnedies leiten lassen müssten: „Was willst du, Gott, von der Kirche von Graz-Seckau am Beginn des 21. Jahrhunderts. Dass ohnedies in der Vorbereitung auf unser Diözesanjubiläum 2018 noch unter meinem Vorgänger bekanntgegeben wurde, dass es an dessen Schluss einen „Kompass“ geben werde, wie wir uns als Kirche verstehen, „erleichterte“ den Start. Freilich muss ich sofort ergänzen: die Dynamik, mit der manches losging, konnte ich nicht erahnen, auch weil wir für die einzelnen Schritte versuchten möglichst viele einzubinden.

Klar war von Anfang an und auch kommuniziert, dass wir diese Wege in Übereinstimmung mit der Weltkirche gehen – es ist ja leichter, einzufordern, dass „die anderen“ sich ändern müssen ehe ich Bereitschaft hierzu zeige. Die Referate vor den Pfarrern und anderen in der Seelsorge und im Ordinariat Angestellten jeweils zu Beginn des Arbeitsjahres in den kommenden Jahren machen diesen Suchprozess deutlich[2]. Deutlich wurde dabei auch, dass wir in unserem Leben von Kirche Gefahr laufen, von Bildern angeleitet zu sein und zu werden, die wir nicht abgleichen – in der Umsetzung so mancher Überlegung unserer diversen Prozesse, die gestartet wurden, kam dies mitunter deutlich zum Vorschein. –

An diesem Punkt komme ich wieder auf die vorliegende Instruktion zurück: Könnten diese grundsätzlichen Fragen nicht auch auf die Rezeption derselben in unseren Breiten Auswirkung haben? Dass wir etwa – um es vereinfacht zu sagen – konkretes kirchliches Leben vor Augen haben und ein solches gewohnt sind, daher aber auch meinen, dass „ohnedies alles in Ordnung“ sei, sich die Welt halt immer weiter weg vom Christsein entwickle etc. – Die Frage, ob denn wir innerhalb einer sich rasant verändernden Gesellschaft das eine oder andere an uns ändern sollten, stellt sich in einer solchen Sichtweise eigentlich nicht unbedingt im Vordergrund: Bekehrung fällt eben schwer, ist aber notwendig, weil dies Grundhaltung jedes getauften Menschen sein soll.

[1] https://www.katholische-kirche-steiermark.at/portal/dioezese/dioezesanleitung/bischofwilhelmkrautwaschl/bischofspredigten/article/2717.html

[2] vgl. u.a. 2018: https://www.katholische-kirche-steiermark.at/portal/dioezese/dioezesanleitung/bischofwilhelmkrautwaschl/bischofspredigten/article/2499.html

instruiert werden – IX

9. Leib Christi

Eines der wohl bekanntesten biblischen Bilder für „Kirche“ ist das vom „Leib Christi“, das der Völkerapostel Paulus in manchen seiner Schreiben und in unterschiedlicher Akzentuierung eingebracht hat (vgl. Röm 12; 1Kor 12-13; Eph 5). Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Glieder am Leib ist in allen „Versionen“ von Bedeutung: jedes hat spezifische Aufgaben zum Gelingen und Leben des Ganzen. Und gerade deswegen ist nicht eines „besser“ als ein anderes – vor allem in 1Kor wird darauf Wert gelegt; auch die Instruktion weist darauf hin, etwa in 28: nur so erstrahlen die unterschiedlichen Berufungen etwa der geweihten Amtsträger oder auch der verschiedenartigen Charismen im rechten Licht.[1]

Unterschiedliche Begabungen – ein Leib. Unterschiedliche Aufgaben – ein Leib. In Kapitel V. – der Abschnitt über die Heiligtümer darin ist für mich eher ein Fremdkörper auch im Gedankengang und (!) nicht im eigentlichen Fokus der Instruktion stehend, die ja von der – missionarischen – Sendung der Pfarre handelt. Im Zusammenhang wird hier freilich ausgesagt, dass die unterschiedlichen Lebens- und Erfahrungsräume von Kirche in einer Pfarre – um im Bild zu bleiben – als „Leib“ füreinander berufen sind und daraus (!) die missionarische Dimension der Kirche erwächst. Welch anderes Bild wir doch als „Leib Christi“ mitunter auf den verschiedenen Ebenen von Kirche abgeben![2] Gerade deswegen scheint das Wort von der „pastoralen Umkehr“, das programmatisch über der Instruktion steht, ins Leben umzusetzen zu sein, indem sich die Pfarren verstehen als Gemeinschaften von Gemeinschaften – Christen sind eben davon geprägt, füreinander zu leben: Inklusion als Stichwort wie auch die Zuwendung zu jenen, die ihre Nähe besonders brauchen, werden von der Instruktion als Beispiele angeführt.

Noch einmal wird in diesem Kontext deutlich: es geht der Instruktion in diesem Abschnitt ganz sicher nicht darum, die innere Aufbauorganisation der Einheit „Pfarre“ zu beschreiben, sondern ihre Berufung aus verschiedenen Blickwinkeln zu benennen. Und daher auch: könnte dann nicht auch ein solcher Blick angebracht sein als Verstehensschlüssel für die rechtlichen Normierungen, die im Anschluss aneinandergereiht werden? Um es etwas konkreter zu fragen: wenn also von „pastoraler Umkehr“ gesprochen wird, dann gilt es, diese auch von jenen zu leben, die einen Dienst in der Kirche, einen Dienst in der Pfarre auszuüben haben, der eben ganz und gar davon geprägt ist, die Umkehr zu Christus als dem einzigen Herrn der Kirche durch die Person der Handelnden wie auch durch die einzelnen Lebensvollzüge von Kirche durchschimmern zu lassen. Unter diesen Vorzeichen den Dienst des Pfarrers, des Diakons etc. zu leben mit eben diesen Rahmenbedingungen des (Kirchen-)Rechts wie auch der „pastoralen Umkehr“: dies zu buchstabieren, mehr noch zu leben und in die Tat umzusetzen und damit einen Weg jenseits der üblichen Fragestellungen danach, wer denn nun „der Mehrere“ ist – wäre das nicht allemal lohnend, anzudenken oder als Möglichkeit in Betracht zu ziehen? Dort, wo ich in den letzten Jahren solche Gedanken in meinem Auftrag als Bischof zu äußern versucht habe, ist eigentlich deutlich geworden, wie schwer ein solcher „Perspektivenwechsel“ fällt, sind wir doch alle zutiefst – auch in der Kirche – geprägt vom einfachen schwarweißmalerischen „0ben“ und „unten“, „links“ und „rechts“ und bleiben vielfach bei der lähmenden Frage stecken – um es an einem Beispiel deutlich zu machen: „Wer darf wem was anschaffen?“[3]

[1] Wie sehr doch in diversen Debatten vor allem im deutschen Sprachraum dem nicht entsprochen wird, mitunter sogar der Eindruck erweckt wird, dass „Laien“ den geweihten Amtsträgern nur gegenüberstehen und daher sich auch zwischen diesen Gruppierungen ein „Machtkampf“ abspielt. Ganz abgesehen von der bei uns noch mehr zugespitzten Erfahrung, dass wohl vielfach dieser zwischen den hauptamtlich in der Kirche angestellten Laien und den hauptamtlich tätigen geweihten Diensten ausgetragen wird, bleibt zu ergänzen, dass dies wohl auch Ausfluss einer Art Kirche zu leben darstellt, die nicht dem entspricht, was das Bild vom „Leib“ andeutet und vorgibt – die Erfahrung von Machtausleben [geistig, geistlich, physisch, …] zeugt leidvoll davon. Die Erfahrung in anderen Kontexten ist aber auch zu nennen – in den Tagen, in denen ich diese Zeilen niederschreibe, lese ich gerade ein Interviewbuch (Andrea Riccardi: Alles kann sich ändern. Gespräche mit Massimo Nori, Würzburg 2018) und finde dort eine Passage, die den Gründer der internationalen Bewegung Sant’Egidio sagen lässt (47f.): „Wir dürfen den Klerikalismus aber [..] nicht durch eine Art Syndikalismus der Laien ersetzen. […] Ich bin davon überzeugt, dass die Welt so groß ist, dass ein Laie, wenn er Verantwortung übernehmen will, dies auch tun kann; zwar kann er die Pfarrei, die schließlich allen gehört, nicht für sich allein in Anspruch nehmen, aber er kann sehr viel tun. Das Problem sind nicht die Ämter; es ist keine juristisch-administrative Frage. Die eigentliche Frage ist das Evangelium: dass es wächst, verkündet wird, lebendig und wirksam wird. Ein Laientum, das vom Geist des Evangeliums durchströmt ist, lässt die Kirche wachsen. In einem so weiten und lebendigen Panorama erhalten auch die Ämter eine neue Gestalt. Vielleicht entstehen sogar neue. Aber auch das Amt des Bischofs verändert sich.“

[2] Wenn ich das hier so niederschreibe, dann soll damit keineswegs Fehlverhalten von wem auch immer toleriert werden, aber eben auch deutlich gesagt werden, dass wir im „Normalfall“ davon ausgehen dürfen und sollen, dass die Jüngerinnen und Jünger Christi sich allesamt redlich darum mühen, in den Fußspuren Jesu zu leben, um so ihren persönlichen Weg, ihre persönliche Berufung im Christsein zu entdecken.

[3] Dass diese Frage alles andere als nebensächlich ist, ist doch diese in einem Dienstverhältnis eine nicht zu unterschätzende, sei nicht außer Acht gelassen. Die Art und Weise ehrlichen Umgangs miteinander und eben nicht bloß das eines dienstlichen Gegenübers kann dennoch auf der Strecke bleiben …
Deutlich wird eine solche tiefsitzende Einstellung unter anderem auch in den COVID-Lockerungen, die derzeit in Österreich gelebt werden: auf der einen Seite wird auf die persönliche Verantwortung füreinander Wert gelegt, auf der anderen Seite entsteht mitunter der Eindruck: alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt – die Frage nach der Sinnhaftigkeit stellt sich in einem solchen Denken dann gar nicht oder nur schwer, ganz abgesehen von der Farce, deren Zeugen wir sind, dass dann sofort Rechtsfragen gestellt werden, die Verordnungen und deren Rechtmäßigkeit anzweifeln. – In der ersten Phase der Regelungen für Gottesdienste hatte auch ich ein ähnliches Erlebnis: die Priester verlangten nach den ersten Maßnahmen vor dem großen lockdown am 16. März klare und genaue Vorgaben. Diese wurden erfüllt – noch am Abend der Aussendung hat schon der erste Pfarrer nachgefragt, ob denn das mit der Verschiebung der Firmung wirklich Geltung habe …