Archiv der Kategorie: Pfarrinstruktion

Meine unvollständigen und alles andere als wissenschaftlich-exakten Gedanken zur Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“
werde ich in loser Folge in diesen Tagen hier veröffentlichen. Gesammelt können diese unter http://krautwaschl.info/category/instruktion abgerufen werden. –
Da hier dem Erscheinungsdatum entsprechend absteigend sortiert wird, sind die einzelnen Kapitel „von unten nach oben“ zu lesen. Danke für das Verständnis.

instruiert werden – VIII

8. und noch einmal was zu „Pfarren“

Diese Zeilen schreibe ich am Gedenktag des hl. Ignatius von Loyola, der die Kunst der „Unterscheidung“ lebte und „lehrte“. Vereinfacht gesagt gilt bei ihm unter anderem: „Versuche auf alle mögliche Art und Weise die Meinung des anderen zu retten.“ Denn: es gilt zunächst im Dialog wirklich, den anderen verstehen zu lernen – wie oft redet man eigentlich aneinander vorbei wiewohl man dieselben Begriffe verwendet und es kommt da und dort auch vor, dass man sich trefflich streitet und schließlich entdecken muss, dass man mit unterschiedlichen Begriffen hantiert, aber weitestgehend dasselbe meint … Viele Stellungnahmen zur vatikanischen Instruktion – in den letzten Tagen wurde ich erneut auf weitere aufmerksam gemacht[1] – sind nicht frei von diesen Fragestellungen, die m.E. mal auf der Meta-Ebene so manche Begrifflichkeit klären müsste.

Nun denn: ich möchte noch einmal – kurz wenigstens – bei dem verweilen, was wir als „Pfarre“ bezeichnen. Die Ausdifferenzierungen und unterschiedlichen Herausforderungen verschiedener Gegenden wie auch der Menschen, die sie bilden, habe ich im 7. Beitrag schon kurz geschildert. Hier möchte ich daher einige Konsequenzen beleuchten, die sich daraus – auch für ein rechtes Verstehen und Anwenden der Instruktion ergeben.

a, Es werden inhaltliche Kriterien dessen benannt, was Pfarre meint – unter dem besonderen Blickwinkel des missionarischen Auftrags und der Sendung der Kirche insgesamt.
Wenn ich dies wirklich ernst nehmen und mit diesem Blickwinkel die Instruktion lese, dann sind rechtliche Normen, die vielfach in den späteren Abschnitten in Erinnerung gerufen werden, unter diesem inhaltlichen Aspekt zu lesen. Als ich das Dokument erstmalig gelesen habe, musste ich mir diesen Blick angewöhnen, um dies nicht mit den Augen, mit denen ich üblicher Weise in unserer Breite „Pfarre“ verstehe und interpretiere zu hören und zu verstehen. Bei uns sind ja oftmals eher Größe, juristische Abläufe, Organisation usw. und damit andere Kriterien im Vordergrund als das Leben und dessen Ausrichtung – Strukturen dienen aber dem Leben [„form follows function“]. Daher mein „Verdacht“, den ich nicht loswerde: redet die Instruktion inhaltlich wirklich vom selben, was wir üblicher Weise mit „Pfarre“ verbinden? Und: sind wir bereit, „Pfarre“ nicht nur unter dem rechtlichen Aspekt, sondern auch von der Lebendigkeit der Sendung her zu „definieren“ und zu denken, wo wir ja (s.o. 7.) auch eingestehen müssen, dass „Pfarre“ eben nicht gleich „Pfarre“ ist?!

b. Ein inhaltliches Kriterium für das, was Pfarre ausmacht ist die Feier der Eucharistie – schon zu Beginn der Instruktion wird damit die Entwicklung begründet; auch in 22 wird davon gesprochen. Daraus wiederum eine Ordnungsstruktur abzuleiten ist nicht entsprechend, da zum einen auch heute schon Pfarren existieren, in denen an mehreren Orten Eucharistie regelmäßig an Sonntagen gefeiert wird – geschichtlich Gewordenes kann eben auch nicht einfach ignoriert werden [und Pfarren sind eben – rechtlich betrachtet – eine Institution, die entstehen und daher auch wieder vergehen kann]. Zum anderen ist dies auch deswegen nicht angebracht, weil damit auch gesagt werden könnte, dass eben Pfarrterritorien-Umschreibungen sich lediglich an der Priesterzahl orientieren sollten – gibt es keine Priester, so kann nicht Eucharistie gefeiert werden: eine solche Sicht von Kirche scheint mir in der Instruktion keineswegs intendiert.
Wenn also solche inhaltliche Kriterien nicht ausreichen, um eine Institution zu begründen, dann kann und darf man sich auch nicht wundern, wenn dann Normen, die sich auf die institutionelle Ebene beziehen, nicht in allem entsprechen können.

c. Schließlich: wenn Kirche immer „mehr“ ist als die konkrete Gemeinde „vor Ort“, ist doch die Orts- bzw. Teilkirche „Kirche“ im Vollsinn – und dies wiederum „nur“ in Beziehung mit der ganzen Welt, ist wohl ein Kriterium für „Pfarre“ jenes, nicht sich allein zu genügen. So wie wir Christen nicht aus uns selbst leben, sondern von IHM her und auf IHN hin, so lebt Pfarre auch nicht aus sich selbst, sondern aus der lebendigen Beziehung zu Gott und untereinander (vgl. LG 1). Durch zu starr angewendete Normierungen läuft die Lebendigkeit des Gemeinwesens „Pfarre“ Gefahr, zu erstarren in einer Art „Beamtenmentalität“, die aber der Bekehrung bedarf, soll die Instruktion ernst genommen werden. Freilich: das Bild, das wohl viele mit „Pfarre“ in Verbindung bringen ist, dass vor Ort alle „religiösen Grundbedürfnisse“ gestillt werden können und sollen – und schon deswegen ist es leider oft der Fall, mitunter sogar in räumlicher Nähe ob der in städtischen Milieus üblicher Weise auftretenden größeren Anonymität, dass ein „darüber hinaus“ denken und leben verschiedener Pfarren vielfach nicht einfach gelebt werden kann: „Liebe die Pfarre deines Nächsten wie deine eigene“ ist eine leider (!) nach wie vor viel zu wenig erfahrene Realität[2], da mit der „Institution“ „Pfarre“ – berechtigter Weise – auch viele Erwartungen einhergehen und eingefordert werden.
Mit anderen Worten: wie das Leben vor Ort „organisiert“ wird und damit das Leben in den unterschiedlichst ausgestalteten Pfarren, kann höchstens durch einen Rahmen gewährleistet werden. Die Instruktion kann nur diesen abgeben, da sie sonst die Lebendigkeit und Formbarkeit dessen, was Pfarre ist und heißt, zu wenig ernst nehmen würde.

[1] Felix Gmür (Basel): http://www.bistum-basel.ch/Organisationsentwicklung-Pastoralraume/Besonnen-weitergehen.html
Reinhold Nann (Caraveli, Peru): https://www.katholisch.de/artikel/26367-bischof-nann-instruktion-trifft-nicht-fuer-alle-ortskirchen-gleich-zu
Beniamino Kardinal Stella (Kleruskongregation): https://www.katholisch.de/artikel/26355-kardinal-stella-vatikan-instruktion-soll-fokus-auf-eucharistie-lenken
Paul Josef Kardinal Cordes: https://www.katholisch.de/artikel/26354-kardinal-cordes-verteidigt-vatikan-instruktion-und-kritisiert-bischoefe
Wolfgang Ipolt (Görlitz): https://www.katholisch.de/artikel/26352-ipolt-instruktion-zielt-nicht-auf-alleinherrschaft-des-priesters-ab
Thomas Sternberg (ZdK): https://www.katholisch.de/artikel/26348-sternberg-haelt-vatikan-instruktion-fuer-realitaetsfern
Albrecht von Croy: https://www.katholisch.de/artikel/26371-laien-sollten-sich-vertrauen-nicht-erst-erarbeiten-muessen
Thomas Schüller: https://www.katholisch.de/artikel/26374-schueller-zu-vatikan-dokument-papst-sendet-staendig-doppelbotschaften
Stefan Oster (Passau): https://youtu.be/AFmONvf5AFU
Burkhard Jürgens: https://www.kirche-und-leben.de/artikel/wie-es-zur-neuen-vatikan-instruktion-gekommen-ist
Martin Zumbült: https://www.kirche-und-leben.de/artikel/neuer-wein-in-alten-schlaeuchen

Darüber hinaus etwa: Otto Friedrich: Die unheilige Herrschaft, in: Die Furche Nr. 30(2020), 1; und dazu die Leserbriefe in Nr. 31, u.a. von Bernhard Körner: Ungerecht. Polarisierend, in: Die Furche Nr. 31(2020), 16.
Was um Jesu willen zu verändern wäre, Gespräch zwischen Otto Friedrich und Julia Knop, in: Die Furche Nr. 31(2020), 3f.

Mittlerweile (1.8.2020) ist auch die deutsche Übersetzung der Präsentation und damit Zusammenfassung der Instruktion [http://www.clerus.va/content/dam/clerus/Dox/Istruzione2020/Instruktion_Pr%c3%a4sentation_DE.pdf] durch die Kongregation wie auch das Dokument selbst [http://www.clerus.va/content/dam/clerus/Dox/Istruzione2020/Instruktion_DE.pdf] als pdf-file erhältlich.

[2] vgl. den für mich erhellenden Artikel von Sander Hans-Joachim: Pfarrverbände – den Pfarrer oder den Glauben teilen? in: Österreichisches Liturgisches Institut (Hg.): Heiliger Dienst 67(2013) Nr. 1, 43-49, in dem er deutlich macht, dass es eben nicht darum gehen kann, um beim Beispiel zu bleiben, den „Pfarrer zu teilen“, sondern „den Glauben“.

instruiert werden – VII

7. Pfarre im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche

Wir sind nicht für uns Kirche, sondern gesendet: „Geht hinaus …“ (vgl. Mt 28,20). Papst Franziskus wird nicht müde, dies in Erinnerung zu rufen, vielleicht auch deswegen, weil er meint, dass sich dadurch die innere Architektur dessen, wie Kirche „aufgestellt“ ist, verändert. An mehreren Stellen bringt dies die Instruktion auch zum Ausdruck und erteilt der „Selbstbezogenheit“ eine Absage (u.a. 38): “ Die Tatsache ernst zu nehmen, dass dem Volk Gottes «die Würde und die Freiheit der Kinder Gottes eignet, in deren Herzen der Heilige Geist wie in einem Tempel wohnt», drängt dazu, Vorgehensweisen und Modelle zu fördern, durch die alle Getauften kraft der Gabe des Heiligen Geistes und der empfangenen Charismen sich aktiv, dem Stil und der Weise einer organischen Gemeinschaft entsprechend, in die Evangelisierung mit den anderen Pfarrgemeinden unter Berücksichtigung der Pastoral der Diözese einbringen. Da die Kirche nicht nur Hierarchie, sondern Volk Gottes ist, ist die gesamte Gemeinschaft für ihre Sendung verantwortlich.“ Alle sind demnach Protagonisten der Evangelisierung (39): das, was zum Leben, also zur Sendung notwendig ist, kann – und soll (!) – die Pfarrgemeinde vorschlagen; dies kann – und darf – nicht nur dem Priester in ihr[1] zugeschoben werden, der selbst ja auch Glied – und Diener – des Volkes Gottes ist.

Bedenkens- und nachdenkenswert ist für mich in diesem Zusammenhang ein Mehrfaches:
a. Vielfach werden in der Instruktion inhaltliche Kriterien von „Pfarre“ benannt. Mit diesen ist eigentlich nichts darüber ausgesagt, wie groß diese „Gemeinschaft von Gläubigen“ in deren Anzahl wie auch in der territorialen Ausbreitung sein soll bzw. höchstens sein darf.
Wenn ich an die steirische Situation denke: 388 Pfarren sind’s in der Diözese Graz-Seckau, von unter 100 Einwohnern bis hin zu knapp 30.000. (Kirchen-)Rechtlich sind alle Pfarren dasselbe. Vom Leben und der Sendung her nicht,
* weil in einer Stadt wie etwa Graz die Entfernungen zwischen den einzelnen, die Pfarre ausmachen, andere sind, als in den „Randgegenden“ der Steiermark etwa, die mehr und mehr unter Abwanderung zu leiden haben, ganz abgesehen davon, dass es hierzulande auch die eine oder andere Gebirgs- bzw. Talsituation zwischen einzelnen Pfarren gibt, was direkte Wege unter Umständen erschwert;
* weil die Vielfalt wie Pfarre gelebt wird, enorm ist: im Miteinander der Konfessionen – im Oberen Ennstal gibt es bekanntlich Pfarren, in denen es viele evangelische Christen gibt, in Graz gibt es 3 koptische Kirchen und 4 orthodoxe Gemeinden, ganz zu schweigen von den mit Rom unierten ostkirchlichen Gläubigen;
* weil wir – zumal in den städtischen Regionen – neben der Diversität an Religionsbekenntnissen auch einen großen Teil an Bevölkerung haben, die sich zu keiner Religion bekennt, da und dort diese aber dann doch „in Berührung“ kommen mit kirchlichen Lebensvollzügen – und ganz nebenbei: diese Entwicklung nimmt auch in ländlichen Regionen mehr und mehr Raum ein;
* weil in den territorial umschriebenen Gemeinschaften Menschen mit unterschiedlichen Charismen leben, die eben pfarrlichem Leben ihre „Besonderheiten“ vermitteln: ich denke an unterschiedliche musikalische Fähigkeiten, an Engagements auf dem Gebiet nachhaltigen Lebens, an die unterschiedliche Zahl an Bildungseinrichtungen, an Interessen an caritativem Leben, an den in die Weltkirche hinein gerichteten Blick etc. etc.;
* weil die in der Seelsorge wirkenden Menschen, haupt- wie ehrenamtlich, getauft oder/und auch zum Dienst in und an der Gemeinde geweiht mit unterschiedlichen Mentalitäten, Glaubenserfahrungen, Begabungen ausgestattet sind, die zum Einen ein Segen sind – weil wir uns zu allen gesendet wissen, aber auch zur „Gefahr“ werden können, wenn der Weg, den ich gehe als Seelsorger, zu jenem Weg stilisiert wird, den alle zu gehen hätten und damit die Wirklichkeit de facto aberkannt wird, dass es so viele Wege zu Gott gibt wie es Menschen gibt[1] und diese zu stützen, zu entfalten, voranzubringen der Dienst derer ist, die sich in der Seelsorge engagieren;
* weil es unterschiedlich viele weitere Erfahrungsräume von Kirche in den Pfarren gibt, die – teilweise charismatisch getragen – sich nicht auf die territoriale Begrenztheit festlegen lassen oder aber aufgrund der besonderen („kategorialen“) Situation etwa in Krankenhäusern und Pflegeheimen wie auch im Bereich der Bildung eine ganz andere und vielfach durchaus positive Erfahrung von Kirche geben, die in den Debatten rund um die „Pfarrseelsorge“ oft ausgeblendet werden, ganz zu schweigen vom Engagement der (organisierten) Caritas, die wie so manch andere Einrichtung und so manch anderes Engagement tätiger Nächstenliebe – ich denke als Steirer freilich auch an die Vinzi-Werke und die vielen diözesanweiten wie pfarrlich oder anderswie organisierten Hilfswerke für Menschen rund um den Erdball;
* …
„Pfarre“ ist eben nicht gleich „Pfarre“, weil die Menschen eben unterschiedliche sind. Eine hinterfragenswürdige Tatsache an die Instruktion ist daher: wenn es rechtliche Konsequenzen gibt, dann brauchen diese auch „vollziehbare“ Vorgaben wie etwa Größe etc. Es ist etwas anderes, Pfarrer in einer Pfarre mit 30.000 Einwohnern und 15.000 Katholiken in der Stadt zu sein als in einem kleinen Wallfahrtsort mit 500 Einwohnern, die zum Großteil der katholischen Kirche angehören … Die „Organisation“ der uns als Kirche aufgegebenen Sendung muss situationsgerecht sein – mit (kirchen-)gesetzlichen Vorgaben, die zu sehr einengen wird dies nicht lebbar.

b. Der Blickwinkel, mit dem auf die Instruktion zugegangen werden soll, ist der der „pastoralen Umkehr“: verstehen wir das Leben der Pfarre in dem Sinn, wie es die Instruktion in Erinnerung an die Lehre Papst Franziskus‘ vorstellt? Oder denken wir – salopp formuliert – zunächst, zuallererst an die Art und Weise wie das (interne!) Pfarrleben organisiert wird? Wenn ich es recht sehe, ist davon in der Instruktion nicht die Rede, auch dort nicht, wo dann vom inneren Ordnungsgefüge der Pfarre die Rede ist. Dieses dient nämlich der Evangelisierung.
Und daher sei mir angesichts der aufgebrachten negativen Kritik dem Schreiben gegenüber die Frage erlaubt, was denn an der inneren Struktur, wie sie vorgegeben ist, Hindernis ist für diese Perspektive der Sendung und Mission? Meine Antwortversuche, die ich wohl später noch zu geben versuche, sind auch keineswegs zu Ende gedacht und enthalten sicher auch Anfragen, die gemeinsam in der Kirche bedacht werden müssen.

 

c. Wenn von der gemeinsamen Sendung die Rede ist und den unterschiedlichen Charismen und Berufungen, in denen sie vollzogen werden soll, dann ist die Logik, unter der rechtliche Normen danach zu lesen sind, eben dieser vorrangige gemeinsame Auftrag aller Getauften der evangelisierenden Sendung der Pfarre in den Grunddimensionen kirchlichen Lebens. Dass es hierfür auch eine innere Struktur braucht, ist zu wenig bedacht – oder anders ausgedrückt: „Wenn ich hinausgehen soll und will, dann brauche ich auch die Menschen, die hinausgehen können.“ Wen von von „lebendiger Pfarre“ die Rede ist – vielleicht irre ich mich – dann ist doch meist im Blick der Kirchenbesuch, die Kreise und Gruppen, die sich in einem Pfarrhof oder einem kirchlichen Gebäude treffen etc. Ich selbst muss es mir ja auch immer wieder in Erinnerung rufen, dass „lebendige Pfarre“ eben – auch, vielleicht sogar zunächst (!) – jene meint, die zu Hause beten, jene, die ihre Angehörigen pflegen, jene die ihren Auftrag als christliche Eltern erfüllen wollen, jene, die aus innerem Antrieb heraus in der Politik ihre Taufe zum Wohl der Allgemeinheit mitgestalten wollen, jene die in ihrem beruflichen Alltag so mit den anderen umgehen wollen wie es Jesus von seinen Jüngern verlangt hat etc. – und eben nicht vom Leben im Pfarrheim. Wenn ich das jetzt so geschrieben habe, dann bitte ich darum, mich nicht zu schnell und falsch zu verstehen: auch das Zu- und Miteinander in pfarrlichen Räumen ist wichtig, aber Kirche „lebt“ nicht nur rund um die kirchlichen Gebäude. Ja, ich meine, dass diese heilsame Spannung im Sinn des Titels der Instruktion neu zu finden ist in unseren kirchlichen Erfahrungsräumen vor Ort. Die Organisation all dessen kann nicht das erste sein, wie wohl dies nicht außer acht gelassen darf. Noch einmal: es bedarf der Umkehr und des Perspektivenwechsels – hin zu einem Denken von kirchlichem Leben, das eben nicht mehr in dieser Art fass- und messbar ist wie wir es organisationstheoretisch gern mit Zahlen, Daten, Fakten und Mitgliederlisten wie auch Gottesdienstbesuchern handhabbar hätten.

[1] Wieder einmal sei in Erinnerung gerufen, dass die mit einer „Instruktion“ eigentlich erwartete exakte Sprache zu wünschen übrig lässt: ist hier der „Priester“ gemeint oder der „Pfarrer“?

[2] Benedikt XVI. hat – wenn ich es recht sehe – noch als Präfekt der Glaubenskongregation in einem Interviewbuch so einfach und so einfach auf die Frage des Journalisten geantwortet.

 

instruiert werden – VI

6. Herausgeber

Die vorliegende Instruktion wurde von der Kleruskongregation herausgegeben. Wie üblich wurde sie vorab bei einer Audienz, die der Papst gewährt hat, von diesem approbiert und wohl auch zur Veröffentlichung freigegeben[1]. Allein die Tatsache, dass dieses Schriftstück, das vom Leben der Kirche vor Ort handelt, von der Kleruskongregation herausgegeben wurde, rief so manchen Kritiker auf den Plan. Denn mit der Autorenschaft dieser päpstlichen Behörde sei einer ganzheitlichen Sicht des Lebens von Kirche als Volk Gottes, die spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Geltung haben sollte, eine Absage erteilt und einem neuen Klerikalismus Vorschub geleistet worden.

Ich kenne mich zu wenig in der Aufteilung der Verantwortung zwischen den einzelnen päpstlichen Behörden aus, weiß aber, dass alle Angelegenheiten, die Pfarren sowie Diakone und Priester betreffen, an die Kongregation für den Klerus zu richten sind[2]. Auch wenn also die Herausgabe dieses Dokuments durch die derzeitig geltende Kurienordnung gedeckt ist, ergibt sich ein zumindest in unseren Breiten „schräges“ Bild: Kirche wird eben nicht nur durch die und von den Klerikern gebildet, sondern ist Gemeinschaft der Getauften. Diese wiederum sind zum größten Teil „Laien“, also alle aufgrund der Eingliederung in die Kirche Angehörigen des Volkes Gottes bis auf die Geweihten.

Die innere Ordnung der kirchlichen Behörden wie auch die Dokumente, die immer wieder von den verschiedenen vatikanischen Behörden herausgegeben werden, weisen den Laien den „Weltdienst“ zu[3], während das geistliche Dienstamt der Geweihten in der Kirche eher ihrem inneren Aufbau diene. Über diese „Trennung“ der Aufgaben kann und muss trefflich gestritten werden, denn es ist – und das wird auch in der Instruktion deutlich die gemeinsame Sendung („Mission“) der Kirche, die Gegenstand dieses Dokuments ist. Wenn die Sendung eine gemeinsame Aufgabe ist, dann hat dies wohl auch für all das zu gelten, was an Überlegungen und Strukturen anzustellen ist, damit der Sendung entsprochen werden kann. Die Herausgabe eines solchen Schreibens durch die Kleruskongregation zu kritisieren und dies von vornherein als Klerikalisierung zu interpretieren ist gerade deswegen nicht zutreffend, sondern der Zuweisung an Aufgaben an die verschiedenen „Ministerien“ des Vatikan geschuldet.

Natürlich – und auch das muss sofort kritisch angemerkt werden: Wieso dieses Dokument, das zur Gänze der Beteiligung des ganzen Volkes Gottes am Aufbau der Kirche vor Ort gewidmet ist – freilich unter dem besonderen Blickwinkel der „Außenwirkung“, also der Mission und Evangelisierung, nur von einer Kongregation und nicht interdikasteriell erarbeitet und der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist und bleibt ein Manko, das nicht zu leugnen ist. Dass darüber hinaus nicht einmal alle Mitglieder der Kleruskongregation in entsprechender Weise über deren Veröffentlichung Bescheid wussten[4], kann und darf genauso wenig verschwiegen werden wie die Nicht Einbindung der Ortskirchen die Erstellung dieses Dokuments[5], gerade auch ob der Tatsache, dass die Institution „Pfarre“ in unterschiedlichen Kulturkreisen und unterschiedlich alten Kirchen in verschiedensten Ausprägungen und Ausformungen begegnet. Ich hoffe, dass mit der schon lange erwarteten Kurienreform unter anderem auch das notwendige Miteinander der römischen „Ministerien“ – die neu geordnet werden sollen – wie auch das Zu- und Miteinander mit den Orts-Kirchen gut und entsprechend geregelt wird, um solche Defizite für die Zukunft hintanzuhalten.

Erneut ist daher prinzipiell die Frage zu stellen, wer denn die eigentliche Zielgruppe dieses Schreibens ist und ob es nicht – auch und vor allem angesichts der unterschiedlichen Mentalitäten wie auch Sprach- und Begriffswelten in der „Organisation von Kirche“ – besser gewesen wäre, verschiedene in Erinnerung gerufene und erläuterte Begriffe kirchlichen Lebens und kirchlichen Rechts zunächst beschreibend zu erklären, damit die unterschiedlichen Bilder in den verschiedenen Regionen der Welt unserer einen Kirche abgeglichen werden können. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob alle in der Welt mit dem Begriff – ich verwende ihn zum wiederholten Mal – „Leitung“ dasselbe verbinden wie etwa unsere hoch professionalisierten Kirchen des deutschen Sprachraums.

[1] Um ganz spitzfindig zu sein: genau der letzte Passus „geht“ mir im Text der Instruktion ab, da hier – nach Nr. 124 und vor den Unterschriften der Unterzeichnenden – nur von der Approbation durch den Heiligen Vater die Rede ist, nicht aber von seinem Auftrag diese zu veröffentlichen.

[2] Dies wird aus der auf http://www.clerus.va/content/clerus/de/congregazione.html beschriebenen Zuständigkeiten deutlich.

[3] In Nr. 85 wird dies auch in dieser Instruktion unter Verweis auf das Zweite Vatikanische Konzil und „Lumen gentium“ 31 getan.

[4] vgl. hierzu die Stellungnahme von Kardinal Arborelius https://www.katholisch.de/artikel/26343-arborelius-weiss-nicht-wie-vatikan-instruktion-fertiggestellt-wurde

[5] vgl. hierzu die Stellungnahme von Kardinal Marx in einer Predigt: https://www.kirche-und-leben.de/artikel/kardinal-marx-vatikan-instruktion-saet-misstrauen-und-vertieft-graeben

instruiert werden – V

5. Pfarre

Es geht der Instruktion um die „pastorale Umkehr“ in jener Einheit kirchlichen Lebens, die uns vor Ort am ehesten bekannt ist: in der Pfarre.[1] Diese Institution hat eine lange, traditionsreiche Geschichte, auch wenn eingestanden werden muss, dass sie nicht das einzige der Kirche Struktur gebende Moment war und ist. Es gab Missionsstationen, es gab Eigenkirchen des Adels und viele andere Momente wie sich kirchliches Leben „vor Ort“ organisierte, ehe die Pfarre „ihren Siegeszug“ angetreten hat. Und heute gibt es seelsorgliche Begegnungen in zahlreichen „nicht-pfarrlichen“ Erfahrungsräumen von Kirche: in und an Bildungseinrichtungen, Stadtseelsorge, Pflegeheim- und Krankenseelsorge, Gefängnisseelsorge und andere sogenannte „kategoriale Bereiche“, in denen sich „Leben mit einem, der lebt“[2] manifestiert. Ganz zu schweigen von vielen „Hotspots“ kirchlichen Lebens an und in Ordensniederlassungen bzw. (neuen) Gemeinschaften, die – ob ihrer charismatischen Ordnungsstruktur – der uns üblicher Weise weit stärker präsenten hierarchische Struktur „quer“ liegt[3], diese aber zugleich inspiriert. Dieses Moment aktueller Entwicklungen wird in Abschnitt 16 der Instruktion leise angesprochen, leider aber nicht ausgefaltet, ist doch dort „nur“ von der größer gewordenen Mobilität wie auch den mittlerweile „mannigfaltigen Gemeinschaftsformen“ die Rede. „Daher erscheint ein pastorales Handeln überholt, das den Handlungsraum ausschließlich auf den Bereich innerhalb der territorialen Grenzen der Pfarrei beschränkt.“ Dort wird dann auch dem in unseren Breiten geläufigen „Es war schon immer so“ der Abgesang erteilt. Trotz dieser Einsicht wird das Territorialprinzip nicht aufgehoben, wohl auch deswegen, weil mit ihm tatsächlich der Sendungsauftrag Jesu „gesichert“ bleibt: „Geht in die ganze Welt …“ (Mt 28,20).

„Daher erscheint ein pastorales Handeln überholt, das den Handlungsraum ausschließlich auf den Bereich innerhalb der territorialen Grenzen der Pfarrei beschränkt“ (18), weit mehr als die territoriale zählt heute die „exstentiale“ Zugehörigkeit: die Pfarre ist eben eine alte, aber auch „formbare“ Einrichtung unserer Kirche[4], in der alle, die sich auf dem Weg der Nachfolge wissen, in ihren unterschiedlichen Spiritualitätswegen und auch Fragestellungen des Glaubens aufgenommen und angenommen fühlen können bzw. sollen. Ich fragte mich schon als Pfarrer und erst recht jetzt als Bischof immer wieder: „Leben wir das?“ Und: „Glauben wir, dass wir das so leben können?“ Hand aufs Herz: inwieweit leben wir wirklich in diesem Sinn missionarisch in der Pfarre? Gleichen nicht viele unsere Tätigkeiten eher einer „dinner-for-one-Pastoral“ wie es schon vor Jahren Christian Hennecke[5] ausgedrückt und beschrieben hat: jedes Jahr dasselbe „Programm“, auch wenn uns jedes Jahr mehr und mehr „abhanden“ kommen? Oder – um es erneut mit der Instruktion auszudrücken – und das ist Aufgabe aller in der Kirche: verstehen sich unsere Pfarren wirklich inklusiv, missionarisch und auf die Armen bedacht (vgl. Kapitel V. der Instruktion, Abschnitte 27-33)?

Klar ist – und das wird relativ zu Beginn schon gesagt – dass sich angesichts einer solchen Neu-Besinnung, wie sich Pfarre versteht und wie sie dann auch dem entsprechend zu leben versucht, auch die Berufsbilder für jene in den Pfarren ändern, die ihrem Leben dienen – und unter all diesen ehren- wie hauptamtlichen eben auch das Bild der Priester (13)[6]: Umkehr gilt eben allen! – Wenn in den vielfältigen Reaktionen auf die Instruktion vielfach auf diese Sicht vergessen wird und „nur“ der 2. Teil und damit die Strukturen bedacht werden, dann wird der Instruktion als ganzer nicht entsprochen und eigentlich läuft dann die Person, die darüber schreibt, genau in die Falle dessen, was zu vermeiden ist, die einseitige, bloß vom Priester her denkende Sichtweise von Kirche.[7]

[1] Was daher eher nicht zu verstehen ist, ist die Tatsache, dass im Folgenden viele kirchenrechtliche Normen in Erinnerung gerufen werden, die eigentlich nichts mit der Pfarre zu tun haben, sondern mit diözesanen Strukturreformen. – Worin liegt also wirklich die Intention der Kleruskongregation?

[2] Als „Grundlage“ von Kirche könnten wir ja von der Präsenz des Auferstandenen sprechen, der nach seiner Zusage dort gegenwärtig ist, „wo zwei oder drei“ sich in seinem Namen versammeln (vgl. Mt 18,20).

[3] In seinem bekannten Vortrag 1998 bei einem Kongress faltete der damalige Präfekt der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger diese unterschiedlichen Profile, die gleichermaßen Kirche aufbauen, aus und nannte sie „ko-essentiell“ [vgl. Benedikt XVI. – Joseph Ratzinger: Kirchliche Bewegungen und neue Gemeinschaften: Unterscheidungen und Kriterien, München 2007].

[4] vgl. Papst Franziskus, Evangelii gaudium 28.

[5] In vielen seiner Bücher, die mittlerweile schon eine kleine Bibliothek füllen, geht er eigentlich immer wieder aufs Neue gegen eine althergebrachte Sichtweise von kirchlichem Leben und damit auch Pfarre an, die sich in diesen einleitenden Texten der Instruktion wiederfinden. Hier eine Auswahl der nach wie vor leicht lesbaren Überlegungen des heutigen Hauptabteilungsleiters Pastoral der Diözese Hildesheim:

  • Lust auf morgen!: Christsein und Kirche in die Zukunft denken, Münster 2020
  • Gottes Design entdecken – was der Geist den Gemeinden sagt: Theologie und Praxis einer gabenorientierten Pastoral, Würzburg 2017
  • „Seht, ich schaffe Neues – schon sprosst es auf „: Lokale Kirchenentwicklung gestalten, Würzburg 2014
  • Kirche, die über den Jordan geht, Münster 52013
  • Glänzende Aussichten: Wie Kirche über sich hinauswächst, Münster 2015
  • Von Missverständnissen und Fallstricken: Kirchenentwicklungen – Eine neue Sichtweise, Würzburg 2019
  • Kirche steht Kopf: Unterwegs zur nächsten Reformation, Münster 2016
  • Ist es möglich?: Vom Wunder des kirchlichen Aufbruchs, Münster 2013
  • Sieben fette Jahre: Gemeinde und Pfarrer im Umbruch, Münster 2002

[6] Daher ist auch jenen deutlich entgegen zu treten, die m.E. auch einseitig nicht in den großen Chor der Kritiker einstimmen, sondern in der Instruktion betont Amt und Stellung des Priesters in der Kirche bedeutsam in Erinnerung gebracht sehen. Natürlich: das „geweihte Dienstamt“ in der Kirche kann durch so manche Erneuerungsbestrebungen zumindest scheinbar „ins Hintertreffen“ geraten: Umkehr ist nötig. Genauso aber gilt, dass ein auf ein Bild des 19. Jahrhunderts reduziertes ausgeübtes Weiheamt in der Art zu leben der Umkehr bedarf. Weder mit der einen noch mit der anderen einseitigen Betonung „begeistern“ sich heute Menschen, um in den Dienst genommen zu werden. – Was mir in den Debatten aber sehr wohl abgeht ist die Bereitschaft, aufeinander hören zu wollen, denn – und davon bin ich mir sicher: das Ziel ist uns allen, die wir Kirche leben und daher mitgestalten wollen, dasselbe: Gottes Gegenwart soll mitten unter uns auf dem Weg zum ewigen Ziel angreifbar und erfahrbar sein.

[7] Seit meinem ersten blog-Eintrag vor einigen Tagen ist eine Reihe weiterer Kommentare erschienen, die sich sowohl was die negative wie auch die positive Kritik an der Instruktion anlangt, hier einreiht. Selten wird m.E. das Ganze gesehen und zusammenzuhalten versucht; das Bild, dass man eben mit (Eigen-)“Interesse“ liest und kommentiert, hat sich für mich verstärkt – und gilt wohl auch für das, was ich niederschreibe.

Auf diese Kommentare bin ich in den letzten Tagen aufmerksam geworden:

instruiert werden – IV

4. Einleitung

Zu Beginn der Instruktion (Abschnitt 1-2) wird der Anlass des Schreibens[1] benannt: „Die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche und die bedeutsamen sozialen und kulturellen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte haben einige Diözesen dazu veranlasst, die Form der Übertragung der Hirtensorge für die Pfarrgemeinden neu zu gestalten. Dies hat zu neuen Erfahrungen geführt. Die Dimension der Gemeinschaft wurde aufgewertet und unter der Leitung der Hirten wurde eine harmonische Synthese der Charismen und der Berufungen im Dienst an der Verkündigung der Frohen Botschaft, die den heutigen Erfordernissen der Evangelisierung besser entspricht, verwirklicht. […] Die in der vorliegenden Instruktion beschriebenen Situationen stellen eine wertvolle Gelegenheit für die pastorale Umkehr im missionarischen Sinn dar. Sie sind eine Einladung an die Pfarrgemeinden, sich zu öffnen und Instrumente für eine auch strukturelle Reform anzubieten, die sich an einem neuen Gemeinschaftsstil, an einem neuen Stil der Zusammenarbeit, der Begegnung, der Nähe, der Barmherzigkeit und der Sorge für die Verkündigung des Evangeliums orientiert.“ Ich zitiere diese Zeilen fast zur Gänze – einfach auch deswegen, weil unter diesem Scheinwerfer die folgenden Texte zu lesen sind, will die Instruktion wirklich ernst genommen werden.

Es wird gut geheißen, was sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Punkt. In den verschiedenen Regionen der Welt. All das dient der Sendung der Kirche und damit auch der Pfarren als einem „Lebensraum von Kirche“, der ihr besonders wichtig ist. Daher ist diesen Orten auch ein besonderes Gewicht beizumessen, wenn Kirche sich als ganze verheutigen und ihre missionarische Dimension verstärken soll. Statt nun den in den Chor einzustimmen, der im deutschen Sprachraum an Kritik diesem Schreiben gegenüber bereits veröffentlicht worden ist, muss dieser Grund-Satz zu Beginn auch ernst genommen werden. Es ergibt sich damit ein anderer Blick auf das Folgende als das, was schnell veröffentlicht wurde [was nicht heißt, dass diese negative Kritik nicht berechtigt sei; dazu aber später].

  1. Es geht um eine neue Art des Miteinanders in der einen Kirche, die durch die gut geheißenen Prozesse angestoßen und auch umgesetzt wurden. – Könnte da nicht auch die Frage gestellt werden, ob die Instruktion nicht doch eher an jene Teile in der Welt besonders gerichtet ist, die in ihrer Struktur und in ihrem Denken nach wie vor „bloß“ den Pfarrer und damit den Kleriker kennen?[2] Die Pastoraltheologin aus Linz hat auf diesen Umstand hingewiesen, wenn sie von einer freudigen Annahme dieses Dokumentes in Ostmitteleuropa berichtet: „Wie stark […] die Ungleichzeitigkeit in der Weltkirche ist, zeigt sich in der Rezeption der Instruktion in Ostmitteleuropa, wo gerade eine Welle der Freude durch die Länder geht, dass endlich die Rolle der Laien und der Diakone von der höchsten Stelle im Vatikan gestärkt wurde und nun die Laien mehr Gestaltungsmacht in der Pfarre bekommen.“[3]
  2. Es geht drum, in dieser neuen Art Kirche zu leben und zu gestalten, der Sendung, der Mission der Kirche zu einem neuen Durchbruch zu verhelfen – es gilt gemeinsam in der Kirche voran zu schreiten. Dass es hierbei, will man in den Fußspuren Jesu Christi bleiben, Rahmen zu benennen gilt, ist eigentlich klar. Ob die Rahmen, wie sie in dieser Instruktion in Erinnerung gerufen werden – nichts anderes kann eine solche – die rechten sind, sei dahingestellt. Jedenfalls wäre es sinnvoll und gut, alles Folgende unter diesem Blickwinkel zu interpretieren: Was heißt es also, „neu“ Kirche zu sein, wenn diese Art Kirche zu leben in dieser Struktur und mit diesen Funktionen und Rollen vorgegeben werden? Bedeutet dies dann nicht auch und vor allem, dass alle (!), die in der Kirche einen Dienst, ein Amt u.ä.m. ausüben, sich zunächst selbst zu einem solchen Verständnis gemeinsam Kirche zu sein zu bekehren haben? – Mitunter beschleicht mich der Verdacht, dass wir in unseren Breiten in unserem kirchlichen (Unter-)Bewusstsein eben ein Amtsverständnis zumindest „innerlich“ „dogmatisieren“, das nicht das ist, wovon wirklich gesprochen wird – und wir dann mit unseren Ohren Aufgabenverteilung verstehen, lesen und hören, also in den uns gängigen Mustern von „oben“ und „unten“, von „Gehorchenden“ und solchen, die „Befehle erteilen“.[4]

[1] http://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2020/07/20/0391/00886.html#ted

[2] Erneut wird deutlich, dass die Art und Weise weltkirchlicher Verlautbarungen deutlicher als bislang auch die Adressaten benennen sollten um nicht missverstanden zu werden oder in einigen Gebieten „zu gut“ gehört zu werden.

[3] Klara-Antonia Csiszar: Die Seelsorge als Magd des Kirchenrechts? in: Oberösterreichische Nachrichten 24.7.2020, 4. Dort wird freilich durchgehend zunächst auf die negativen Reaktionen im deutschen Sprachraum eingegangen und – interessant, weil es erneut den literarischen Charakter einer „Instruktion“ verkennt – der fehlende pastorale Charakter beklagt: „Bemerkenswert ist, dass sich das Papier in seinen Aussagen überwiegend auf die kirchenrechtlichen Canones bezieht, anstatt die pastorale Wirklichkeit in den Blick zu nehmen.“

[4] Dass dies – nebenbei – scheinbar auch bei einem Großteil der Reaktionen von Bischöfen und Theologen im deutschen Sprachraum der Fall ist, macht dies für mich betrüblich. – Freilich: so manches an Kritiken – und dazu komme ich ohnedies in weiterer Folge – ist durchaus berechtigt, aber der Schlüssel der Lektüre: der legt auch (!) eine andere Sichtweise als möglich dar.

instruiert werden III

3. Umkehr

Noch einmal: auch wenn eine Instruktion keine Pastoraltheologie geben will: zumindest am Beginn dieser Schrift wird eine Perspektive hierfür angedeutet und auch ein wenig ausgefaltet. Da auch das erste Wort unseres Herrn und Meisters im Markus-Evangelium das der Bekehrung und damit der Hin- bzw. Umkehr zu Gott ist, darf ein „kleiner Gedankengang“ durch das Schreiben der Kleruskongregation[1] nicht fehlen, versuche ich doch nicht (zu) einseitig zu sein bzw. zu werden ….

Der Blickwinkel, der geöffnet wird regt an, unter diesem auch die nachfolgenden rechtlichen Normierungen zu sehen – ich werde zwar zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal darauf zurückkommen, denn: dann geht es wohl auch darum, in den Funktionen und Rollen, die es in einer Pfarre gibt, diese zu leben, also einen anderen Stil etwa von „Leitung“ an den Tag zu legen als den, den wir – leider – „gewohnt“ sind und der nicht zuletzt in den letzten Jahren in so manche Krise geführt hat, da die „Amtsgewalt“, die damit verbunden ist, missbraucht wurde. Es geht also um eine Umkehr, um ein „neues Denken“, um „Kreativität“ in der Art und Weise, wie Kirche sich im Lebensraum von „Pfarre“ versteht, um eine Verheutigung des Evangeliums im jeweiligen Kontext. Zugegeben: dieser ist wohl – weltweit betrachtet – alles andere als einförmig. Schon allein deswegen wäre es angebracht, irgendwo im Text dann auch aufscheinen zu lassen, dass es hier um jene Rahmen geht, die angelegt werden, innerhalb derer aber sich Kirche vor Ort dem entsprechend entwickeln kann, was ihre Sendung im Jetzt, Heute und Hier ausmacht – hinein eben in diese unsere Welt mit ihren Herausforderungen, auf die das Evangelium trifft.

Wenn diese Sendungsperspektive ernst genommen, bedacht und gelebt wird, ergibt sich Umkehr von selbst, die auch Struktur-Erneuerung/en mit sich bringt – die Geschichte der Lebens-Einheit „Pfarre“[2]. Diese wird kurz, zu kurz und damit meines Erachtens zu plakativ umrissen. Nicht alles, worum sich von Anfang an Getaufte im Haus versammelt haben, kann als „Pfarre der 1. Stunde“ angesehen werden, das wäre zu übertrieben. Kirche hat sich im Laufe des 1. Jahrtausends unterschiedlichst in ihren Gestalten entwickelt; das was wir heute „Pfarre“ kam erst Ende des 1. Jahrtausends auf, wenn ich es recht in Erinnerung habe. Wenn hier so getan wird, als ob es Pfarren – damit ist ja eine rechtliche Institution gemeint – schon von Anfang an gegeben hat (vgl. 6, 7), wird damit eigentlich ein falscher Eindruck erweckt. Darüber hinaus – nimmt man die Etymologie von „Parochia“ wirklich ernst, „Pfarre“ kommt von diesem Begriff – muss freilich auch ergänzt werden, dass der Begriff „Haus mitten unter den Häusern“ eher ein statisches Bild erzeugt; „paroikos“ bedeutet wohl eher „das Wohnen eines Fremden an einem Ort“ und schildert damit schon begrifflich die Lebendigkeit und die Wandelbarkeit, weil eben die, die Pfarre und damit Kirche vor Ort leben, zwar „in der Welt“, aber eben nicht „von ihr“ leben. Bekehrung hin zu Gott wohnt dem Begriff „Pfarre“ so gesehen eigentlich inne. – Und hier halte ich inne und frage mich schon, ob wir es uns nicht in unseren kirchlichen Strukturen – egal ob Pfarre oder auch Diözese – nicht schon zu sehr und zu schön bequem eingerichtet haben. Wie könnten und sollten wir, die vorgeben, mit Gott z leben, dies durch unsere Existenz mitten in dieser unserer Welt und Wirklichkeit zum Ausdruck bringen bzw. stärker leben?

Aspekte dessen, was heute das Leben von Menschen und damit auch Christen – auch im Leben einer Pfarre – ausmachen könnte, werden in den Abschnitt 8-10 der Instruktion angeführt. Wenn wir in unserer Diözese vom „Leben der Menschen“ ausgehen (vgl. unser Zukunftsbild), dann bedeutet dies eben auch in allen unseren Lebensvollzügen, eben auch in den Pfarren, Aspekte wie Mobilität, Diversität in den Weltanschauungen, Fluktuation, Demographie, Wandel der Erfahrungen, die Menschen umtreiben und damit auch eine wohl zumindest teilweise „völlig neue Art von Zugehörigkeit“ ernst zu nehmen[3] (vgl. besonders stark in den Abschnitten 16-20 der Instruktion[4]). Wenn ich an die Steiermark denke, dann muss hier noch weiter differenziert werden, weil all dies „ganz“ anders in (groß-)städtischen Regionen zu leben ist als in ländlich geprägten. Wer weiß denn schon in einer Großstadt wirklich, zu welcher territorialen Pfarre er gehört? Und: was bedeutet dies dann ausgefaltet auf das Selbstverständnis heutiger Pfarren und ihre Lebensäußerungen in der Vorbereitung und Feier von Sakramenten, zumal in Städten? Müsste, sollte es hier nicht weit mehr zu „inhaltlichen Schwerpunktsetzungen“ kommen (müssen) denn zu „In allen Pfarren gibt es alles“, gerade wenn der Begriff „Pfarre“ ernst genommen wird, der bekanntlich nicht so sehr ein Territorium umschreibt, sondern eine Gemeinschaft von Menschen[5]? Eine Nebenbemerkung sei hier auch schon gestattet: wenn von Pfarre die Rede ist, dann eben auch vom Pfarrer und damit einem Priester. Mir scheint, dass in so mancher Kritik, die von der „Klerikerzentriertheit“ dieser Instruktion spricht – auch darauf werde ich wohl später noch zurückkommen – dieser Punkt vergessen wird: Wenn ich „Pfarre“ sage, muss ich zugleich den „Pfarrer“ mitdenken[6].

Gerade deswegen ist es unumgänglich, auch den Dienst der Priester – und damit auch der Pfarrer – in der Kirche und damit auch der Pfarre neu zu denken: „Um die zentrale Bedeutung der missionarischen Präsenz der kirchlichen Gemeinschaft in der Welt zu fördern, ist es wichtig, nicht nur über ein neues Konzept der Pfarrei nachzudenken, sondern auch über den Dienst und die Sendung der Priester in ihr“ – so jedenfalls lese ich interpretierend Abschnitt 13 der Instruktion. Bekehrung, Umkehr ist angesagt – für alle Glieder, die Kirche in der Pfarre ausmachen (14f.) und in den verschiedenen Lebensvollzügen in ihr: Sakramente und Liturgie, Hinwendung zu den Armen, Verkündigung usw.: „Die Pfarrei ist keine hinfällige Struktur; gerade weil sie eine große Formbarkeit besitzt, kann sie ganz verschiedene Gestalten annehmen, die die Beweglichkeit und missionarische Kreativität des Pfarrers und der Gemeinde erfordern. Obwohl sie sicherlich nicht die einzige missionarische Einrichtung ist, wird sie, wenn sie fähig ist, sich ständig zu erneuern und anzupassen, weiterhin ‚die Kirche [sein], die inmitten der Häuser ihrer Söhne und Töchter lebt‘. Das setzt voraus, dass sie wirklich Kontakt zu den Familien und zum Leben des Volkes hat und nicht eine weitschweifige, von den Menschen getrennte Struktur oder eine Gruppe von Auserwählten wird, die auf sich selbst schaut. […] Wir müssen jedoch zugeben, dass der Aufruf zur Überprüfung und zur Erneuerung der Pfarreien noch nicht genügend gefruchtet hat, damit sie noch näher bei den Menschen und Bereiche lebendiger Gemeinschaft und Teilnahme sind und sich völlig auf die Mission ausrichten“[7].

[1] Es ist für mich schon auch frappierend, wie in manchen Kommentaren der Unterschied einfach nicht gesehen werden will, ob ein Schreiben des Papstes veröffentlicht worden ist oder das einer Kongregation, wird doch mitunter von „Rom“ gesprochen oder gar vom „Papst“, das bzw. der uns mit dieser Instruktion Wegweisung geben würde.

[2] Wenn im deutschen Text immer von „Pfarrei“ die Rede ist, dann ist damit eben die „österreichische“ „Pfarre“ gemeint.

[3] Ich erinnere mich bei diesem Gedanken gern an ein Diktum des früheren Sozialethikers an unserer Fakultät Leopold Neuhold, der schon vor Jahren immer wieder bei Vorträgen meinte: „Heutzutage sind nicht mehr diejenigen ‚meine Nachbarn‘, die neben mir wohnen, sondern weit mehr jene, deren Telefonnummer ich mir in meinem Mobiltelefon gespeichert habe.“

[4] Angesichts der sich verändert habenden Situation wird in 16 sogar von einer Art „existentiellem Territorium“ gesprochen, das heutzutage wohl eher Menschen zu einer Gemeinschaft finden lässt als es früher das bloß „territoriale“ Prinzip war.

[5] Can. 515 — § 1: „Die Pfarrei ist eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen, die in einer Teilkirche auf Dauer errichtet ist und deren Seelsorge unter der Autorität des Diözesanbischofs einem Pfarrer als ihrem eigenen Hirten anvertraut wird.“

[6] Erstmals wurde ich auf diese „innere Notwendigkeit“ bei der Lektüre der Erfahrungen in der Diözese Poitiers aufmerksam [ Reinhard Feiter – Hadwig Müller(Hg.): Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof? Ermutigende Erfahrungen der Gemeindebildung in Poitiers, Ostfildern 32010. Feiter entwirft in seiner abschließenden Reflexion dort (149ff.) die Unterscheidung zwischen „reproduktiver Erneuerung“ und „produktiver Erneuerung“. Mir scheint – no na net – dass in der Instruktion von der reproduktiven Erneuerung ausgegangen wird: innerhalb eines vorgegebenen Rahmens wird Neues zu implementieren versucht. Dies ist auch der übliche Weg. Auf diesem darf (!) meines Erachtens aber nicht der [neue] Impuls „von außen“ links liegen bleiben, den „thinking out of the box“ ermöglicht und der vom Auferstandenen uns im Heiligen Geist je neu zugemutet wird. Vielfach allerdings bleiben wir selbst – und die Instruktion „muss“ dies von ihrer Grundausrichtung auch – mitunter auch uneingestandener Maßen innerhalb der vorhandenen Schemata mit unserem Denken und Handeln hängen, sodass dann die schon angesprochenen Debatten etwa zum Thema „Leitung“ „bis zur Vergasung“ geführt werden.

[7] Papst Franziskus: Evangelii gaudium 28.

instruiert werden II

2. Der Titel der Instruktion

Wie schon angedeutet (https://krautwaschl.info/instruiert-werden-i/) ist schon aufgrund des Charakters dieser Schrift Obacht zu geben, will man sie verstehen entsprechend einordnen. Denn auch hier gilt: der Blickwinkel bestimmt den Standpunkt. Ich jedenfalls verstehe den Titel so, dass es in der Pfarre eine „pastorale Umkehr“ braucht, damit sie der evangelisierenden Sendung der Kirche gerecht werde. Ohne eine weitere Zeile gelesen zu haben, wurde ich unwillkürlich an ein Wort erinnert, das mir der damalige geschäftsführende Vorsitzende des Diözesanrates nach meinem ersten bischöflichen Referat auf der Pfarrerwoche 2015 als „Quasi-Zusammenfassung“ meines Impulses in den Mund gelegt hat: ich hätte von einem „Perspektivenwechsel‘ gesprochen. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass von einem Mentalitätswechsel auch in der Instruktion gesprochen wird, dachte ich mir: „Ja, eine Umkehr, ein Perspektivenwechsel ist notwendig.“ Nicht nur deswegen, weil es das erste Wort unseres Herrn und Meisters im Evangelium nach Markus ist: Umkehr, Bekehrung und damit neu beginnen, sich durch die stetige Hinwendung zum und das beständige Suchen nach dem Willen Gottes im Heute je neu verankern …: All das sind Wesensmerkmale christlicher Existenz, die uns als Getauften förmlich in die DNA eingeschrieben sein müssten.

Wir wissen, dass dem oft nicht so ist – das berühmte Diktum vom „es war immer schon so“ sei hier als eines von vielen Beispielen benannt. Darüber hinaus wage ich zu behaupten, dass wir in unseren Breiten – auch aufgrund der kirchlichen Geschichte und der entsprechenden Prägung – eine ausgeprägte kirchliche Struktur vorfinden, die durch die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, seit dem 19. Jahrhundert (?), eine bestimmte Gestalt und Form kirchlichen Daseins gleichsam zum Nonplusultra von „Kirche“ heranwachsen haben lassen. Die Größe von Kirche, ihre gute finanzielle Absicherung und vieles andere mehr, dass uns geschenkt ist, haben es uns möglich gemacht, Kirche in vielen Bereichen zu professionalisieren. Damit ist nicht nur die Anstellung Hauptamtlicher gemeint – ob in Seelsorge oder in anderen Bereichen kirchlichen Lebens – sondern auch die Ausdifferenzierung der verschiedenen Dienste und Ämter, die unser Wirken in vielen gesellschaftlichen Bereichen prägen.

Professionalisierung – ich hab es eben kurz angedeutet – bringt aber auch Segmentierung mit sich: Die Zusammenschau des Ganzen und damit auch das Zusammenhalten von allem wird immer schwieriger, die Frage nach dem „Wer ist Chef bzw. Chefin?“, „Wer ist zuständig?“, „Wer hat das Sagen?“ und ähnliches mehr sind logische Konsequenz – und die damit notgedrungener Maßen einhergehende, weil notwendige, zunehmende Verwaltung ist förmlich sprichwörtlich. Hinzu kommt in der Kirche – wohl auch, um es an einem Sinnbild festzumachen – durch die Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes eine zunehmende ausdifferenzierte Rollenklärung des Klerikers im Unterschied zu den Laien. Aus der gemeinsamen Sendung der Kirche in die Welt mit ihren unterschiedlichen Perspektiven und Verantwortungsträgern wurde mit der Zeit gleichsam eine Menge, die durch 1 Person, dem geweihten männlichen Priester, repräsentiert wird. Und: die unterschiedlichen Charismen im gesamten Volk Gottes wurden mehr und mehr im „Charismenschwamm“ „Priester“ fokussiert, der schließlich auch „allein“ für alles zuständig wurde – und meist wird auch jeder Priester „Pfarrer“ genannt, also als einer bezeichnet, der Verantwortung trägt für das Leben in einer oder mehrerer der vielen Pfarren, die unsere Kirche territorial strukturieren. Mir selbst wurde das erstmals bewusst, als ich in einer kleinen Bergpfarre unserer Diözese vor -zig Jahren zur Aushilfe war. Nahe des Kircheneingangs sah ich eine Heiligenstatue auf einer Kiste als Sockel stehen, in der es zwei Schlüssellöcher gab. Auch meine Nachfrage wurde mir mitgeteilt, dass dies die alte Kirchenkasse gewesen ist, die nur von Pfarrer und Kirchenpropst gemeinsam (!) geöffnet werden konnte: „4-Augen-Prinzip“ des 18. Jahrhunderts. Wie weit wir doch im Selbstverständnis des geweihten Amtes mitunter von diesem Verständnis im Leben entfernt sind …

Ähnliche Entwicklungen kann ich auch von der Fokolar-Bewegung berichten: der ursprüngliche Sendungsimpuls des Charismas der Einheit, den die Menschen lebten, wurde mehr und mehr ausdifferenziert in verschiedene Lebensbereiche. Noch zu Lebzeiten hat daher Chiara Lubich als ihr Vermächtnis den Mitgliedern „Familie zu sein“ als Vermächtnis hinterlassen – und damit: nicht die Ausdifferenzierung in unterschiedliche Berufungen innerhalb des Werkes zählt, sondern die gemeinsame Sendung aller zur Einheit in unterschiedlichen Herausforderungen soll in den Blick genommen werden – unabhängig vom „Stand innerhalb der Bewegung“. Die „Leichtigkeit“ des Ursprungs sollte durch die Quelle der Erfahrung einer dem Evangelium entsprechend gelebten Liebe im Sinn des „wo 2 oder 3 in meinem Namen versammelt sind“ (vgl. Mt 18,20) neu belebt und damit das Miteinander aller in derselben Berufung neu betont werden.

Auch in den „jungen Kirchen“ in der Welt – gerade deswegen scheint es mir wichtig, als Bischof in der Weltkirche intensiven auch persönlichen Kontakt mit solchen Kirchen zu pflegen – ist der Impuls des Anfangs aus dem Evangelium vielfach präsent. Nicht die Differenz zählt, sondern das Miteinander in die Welt in unterschiedlichen Verantwortungen. Nicht die Unterschiede des „Wer darf was?“ stehen im Vordergrund, sondern jede und jeder als Glied am Leib Christi macht das und all das, was ihm bzw. ihr aufgrund der Sendung aus Taufe und Firmung, gegebenenfalls auch der Weihe zukommt. Diese Bekehrung hin zur („neuen“) Einfachheit scheint mir von Bedeutung und wird gerade am Beginn der Instruktion mit klaren Worten angesprochen.

Genau das aber ist eben auch „das Problem“ in dieser Schrift, wie ich schon in meinem ersten Punkt beschrieben habe: es geht in einer Instruktion eben nicht um Pastoraltheologie, sondern Erinnerung und Vertiefung der „Rechtsgrundlage“ hinter dem, was als kirchliches Leben bezeichnet wird – im Speziellen im Umfeld des Lebens von Pfarren. Und anders – ergänzend: In dem hier – erneut – abgesteckten Rahmen ist die inhaltliche Akzentuierung dessen, was u.a. Papst Franziskus immer und immer wieder in Erinnerung ruft, zu leben. Und damit stellt sich die Frage: „Was bedeutet Bekehrung unter diesem Blickwinkel – eben auch für die unterschiedlichen Rollen und Funktionen innerhalb des Leibes Christi, der die Kirche ist, gebildet aus unterschiedlichen Gliedern.“ Somit geht es auch um die Bekehrung hin zu einem [neuen] Sendungsbewusstsein aller am Leben von Kirche Beteiligten. Etwas Anderes ist es aber zwischen unterschiedlichen Verantwortungsträgern kirchlichen Lebens „oben“ und „unten“ zu denken oder eben auch „Wer darf mehr tun und wer hat zu ‚gehorchen‘?“- dem will ich mich später widmen.

instruiert werden – I

Am 20. Juli ist sie erschienen: die Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“. Die Reaktionen darauf ließen nicht auf sich warten – zumindest innerkirchlich[1]. Vielfach – jedenfalls laden dazu die Überschriften ein, es so zu verstehen – wurde sie in deutschsprachigen Ländern von Theologen wie auch anderen kirchlichen Amtsträgern großteils negativ kritisiert[2]. Ich fühlte und fühle mich an eine bekannte Tatsache der Kommunikationstheorie erinnert: die Botschaft entsteht beim Empfänger. Und: die Botschaft wird mit jenen Ohren vernommen, die den Hörern zu eigen sind – gut zu kommunizieren wird in unserer immer komplexer werdenden Welt und Wirklichkeit immer schwieriger, da eben jede Person von ihrem Standpunkt aus die Welt betrachtet und deswegen auch ganz besonders wach in jenen Punkten ist, die ihr wichtig sind. Wenn ich diese Zeilen schreibe – und in den kommenden Tagen werden wohl noch einige hinzugefügt werden – bin ich mir genauso dieser Tatsache bewusst. Weil dem so ist, möchte ich in Ruhe – so gut es geht – einige Striche zeichnen, die mir wichtig sind. Diese sind keineswegs erschöpfend, sind wohl auch nicht inhaltlich aufeinander folgend, sondern „entstehen im Gehen“ bzw. „im Schreiben“

  1. Zum Begriff „Instruktion“Zunächst gilt es, die literarische Gattung des Schriftstückes, das vom Präfekten der Kleruskongregation, den beiden Sekretären und dem Untersekretär am Hochfest der Heiligen Apostel Petrus und Paulus 2020 nach einer vorausgehenden Approbation durch Papst Franziskus unterschrieben wurde, genauer „unter die Lupe“ nehmen[1].

    Wenn ich es recht sehe bedeutet das Wort „Instruktion“ zum einen „erläuternde, unterweisende Anleitung für den Gebrauch, die Auslegung, die Ausführung von etwas“, aber auch „von übergeordneter Stelle gegebene Weisungen, Verhaltensmaßregel; Direktive“. Beide Bedeutungsinhalte – im Übrigen auf meinem PC das erste Ergebnis, das ich mit der Google- Suchmaschine erhalten habe – helfen mir weiter, das Folgende richtig einzuordnen, so sehe ich es jedenfalls. Eine erläuternde Anleitung führt näher aus, was woanders in einem – rechtlichen – Text bereits erwähnt ist; es wird also weder etwas Neues noch etwas an Grundsätzlichen dargelegt: es wird etwas in Erinnerung gerufen. Auch eine Weisung, die von einer übergeordneten Stelle ausgegeben wird, dient letztlich zu nichts anderem: es mag Gründe geben, etwas erneut in Erinnerung zu rufen, aber es werden keine fundamentalen neuen Inhalte formuliert. Wer sich also von einer „Instruktion“ fundamental neue Grundsätze erwartet – seien sie theologischer oder auch pastoraltheologischer Natur – nimmt meines Erachtens die literarische Gattung einer „Instruktion“ zu wenig ernst. Freilich: es gibt Gründe, die Anlass gegeben haben, ein solches Schreiben zu veröffentlichen – über diese wurde nach Erscheinen dieses Dokuments der Kleruskongregation vielerorts in der „kirchlichen Blase“ gemutmaßt[2]. Da es sich um ein Dokument einer römischen Behörde handelt, das keine bestimmten Adressaten nennt, ist – will man verantwortungsvoll damit umgehen – deutlich zu machen, dass es sich an alle Ortskirchen richtet – die Themenpalette und die konkreten Anweisungen lassen dies vermuten.

    Auf der anderen Seite gilt: wenn es klare Anweisungen sind, die üblicherweise in einer Instruktion enthalten sind, dann sollte die Sprache, in der sie abgefasst ist, eher rechtlicher Natur sein. Dies scheint mir nicht deutlich genug zu sein: die allgemeine Einleitung hat sprachlich wie inhaltlich – jedenfalls für mich – vielfach beschreibenden denn direktiven Charakter – mit vielen päptstlichen Zitaten versetzt – und verleiht damit dem Schriftstück doch wieder etwas von „pastoraltheologischem touch“.

    Darüber hinaus gilt zu bemerken, dass die Art und Weise wie diese Instruktionen entstanden und veröffentlicht worden ist, um es nicht unfreundlich zu sagen, nicht dem entspricht, was unser Papst in Erinnerung zu rufen nicht müde wird: Wenn Ortskirchen und Weltkirche zusammen spielen (sollen), sollte meines Erachtens dies auch in der Art und Weise wie Dokumente dieser Art entstehen, deutlich werden.[3] Damit könnte auch die Vielfalt und Regionalität der Kirche in der ganzen Welt eingefangen und in entsprechender Sprache berücksichtigt, aber auch die Ortskirche und deren Verantwortungsträger in ihrem Auftrag wirklich ernst genommen werden.

    Schließlich: so manche Begriffe, die verwendet werden, werden im jeweiligen Sprachumfeld unterschiedlich mit Inhalt gefüllt, was wiederum die Möglichkeit von Fehlinterpretationen zumindest nicht ausschließt – der vor allem in deutschsprachigen Landen etwa oftmals heftig geführte Disput über das, was „Leitung“ und erst recht „sakramentale Leitung“ bedeutet, soll hier kurz in Erinnerung gerufen werden, werden doch auch in römischen Dokumenten, vom Konzil beginnend – wenn ich es recht in Erinnerung habe – hierfür unterschiedliche Begriffe verwendet. Um auch hier wieder die andere Seite zu bedenken muss freilich ergänzt werden, dass die Kleruskongregation unter Umständen die Absicht hat, den Begriff etwa der „Leitung“ für den innerkirchlichen Sprachgebrauch eindeutig zu regeln, auch wenn damit der deutsche Begriffsinhalt in der Alltagssprache konterkariert wird. Wenn das der Fall sein sollte, müsste dies aber auch – der Redlichkeit wegen – gesagt und entsprechend erläutert werden.

    Um dies zu veranschaulichen, habe ich das Wort „Leitung“ in der deutschen Fassung der Instruktion gesucht und 7 Mal gefunden  – hier soll einfach aufgelistet werden, wie dieser Begriff in der italienischen wie auch der englischen und französischen Fassung wiedergegeben wird[4], um deutlich zu machen, wie unterschiedlich wohl auch die Bilder sind, die in den einzelnen Begriffen mitschwingen. Diese können dann auch dazu führen, dass man – wird die Arbeit der Klärung der Begriffe nicht getätigt  – Gefahr läuft, etwas falsch zu verstehen.

    Nr. deutsch italienisch englisch französisch
    1 „Die Dimension der Gemeinschaft wurde aufgewertet und unter der Leitung der Hirten …“ „valorizzando la dimensione della comunione e attuando, sotto la guida dei pastori, …“ „enhancing the dimension of communion and implementing, under the guidance of pastors“ „qui mettent en valeur la dimension de la communion et qui mettent en œuvre, sous la conduite des pasteurs, ..“
    35 „… die in die Verantwortung der pastoralen Leitung berufen worden sind.“ „… soprattutto di quanti sono chiamati alla responsabilità della guida pastorale „with the responsibility of pastoral leadership.“ „surtout chez ceux qui sont appelés à être responsables de la conduite pastorale
    66 „Daher sind Bezeichnungen wie ‚Leitungsteam‘, ‚Leitungsequipe‘ oder ähnliche Benennungen, die eine kollegiale Leitung der Pfarrei zum Ausdruck bringen könnten, zu vermeiden.“ „Di conseguenza, sono da evitare denominazioni come, ‚team guida‘, ‚équipe guida‘, o altre simili, che sembrino esprimere un governo collegiale della parrocchia.“ „Consequently, appellations such as ‚team leader‘, ‚équipe leader‘, or the like, which convey a sense of collegial government of the Parish, are to be avoided.“ „Il faut par conséquent éviter les expressions comme ‚team responsable‘, ‚équipe responsable‘, ou d’autres semblables, qui laisseraient entendre qu’il s’agit d’un gouvernement collégial de la paroisse.
    98 „unter der Leitung und der Verantwortung des Pfarrers“ „sotto la guida e la responsabilità del parroco“ „under the direction and responsibility of the Parish Priest“ „sous la conduite et la responsabilité du curé“
    110 Zitat aus der Generalaudienz vom 23.5.2018: „Wie das ganze Leben Jesu vom Heiligen Geist beseelt war, so steht auch das Leben der Kirche und ihrer Glieder unter der Leitung desselben Geistes.“ „Come tutta la vita di Gesù fu animata dallo Spirito, così pure la vita della Chiesa e di ogni suo membro sta sotto la guida del medesimo Spirito“ „As Jesus was animated by the Spirit for his whole life, so also the life of the Church and of each of her members is under the guidance of the same Spirit“ „De même que toute la vie de Jésus a été animée par l’Esprit, de même la vie de l’Eglise et de chacun de ses membres est sous la conduite du même Esprit“

    Ich bin mir sicher, dass die Feinheiten dessen, was im deutschen schlicht „Leitung“ genannt wird, in anderen Sprachen aber zumindest teilweise in unterschiedlicher Begrifflichkeit wiedergegeben wird, zum einen Deutlicheres zum Verstehen beitragen könnten, zum anderen aber auch lehren, wie verantwortungsvoll mit Sprache und Begriffen umzugehen ist, soll nicht der Gefahr erlegen werden, dass die inneren Bilder, die zwangsläufig mit Begriffen entstehen, zumindest teilweise in die falsche Richtung führen.[5][1] http://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2020/07/20/0391/00886.html#ted

    [2] Vielfach werden – weil aus diesen Breiten auch die schärfsten Reaktionen dagegen kommen – die zahlreichen Strukturmaßnahmen deutscher Diözesen der letzten Jahre benannt. Hierfür wird dann – etwa von Stefan Oster [https://youtu.be/AFmONvf5AFUe] auch der Theologin Julia Knop [„Was um Jesu willen zu verändern wäre, in: Die Furche Nr. 31(2020), 3f] „deutsch“ als Originalsprache angegeben, was aber – zumindest für mich – aus den schriftlichen Unterlagen, die mir zur Verfügung stehen, nicht nachzuvollziehen ist. Für mich ist eigentlich nur zugänglich, dass in der Internet-Veröffentlichung, die mittlerweile unter http://www.clerus.va/content/dam/clerus/Dox/Istruzione2020/Instruktion_DE.pdf (1.8.2020) auch als pdf heruntergeladen werden kann, die jeweilige Veröffentlichungssprache als „Originalsprache“ vom vatkianischen Presseamt ausgegeben wird, also am Ende des deutschen Textes eben auch gesagt wird, dass die Originalsprache des Textes „deutsch“ sei, am Ende des italienischen eben „italienisch“ als Originalsprache etc.

    [3] Darauf hat etwa das Mitglied des Beraterstabs des Papstes im Kardinalskollegium Reinhard Marx (s. Anm. 1) und auch Agnes Wuckelt in ihrem Kommentar (s. Anm. 1) hingewiesen.

    [4] Diese drei beispielhaft genommenen Sprachen sind jene, die ich einigermaßen glaube zu „verstehen“.

    [5] Wiewohl ich selbst kein besonderer „Herr der Sprache“ bin, so wurde mir dieses Problem schon vor Jahren deutlich, als ich etwa feststellen musste, dass die erste Frage die Kandidaten bei der Priesterweihe vom Bischof gestellt wird, im deutschen Ritus lautet: „Bist du bereit, das Priesteramt als zuverlässiger Mitarbeiter des Bischofs auszuüben und so unter der Führung des Heiligen Geistes die Gemeinde des Herrn umsichtig zu leiten?“ Im Italienischen wiederum heißt es: „Vuoi esercitare per tutta la vita il ministero sacerdotale nel grado di presbitero, come fedele cooperatore dell’ordine dei vescovi nel servizio del popolo di Dio, sotto la guida dello Spirito Santo?“ Im lateinischen Urtext wird diese Frage aber so gestellt: „Vultis munus sacerdotii in gradu presbyterorum ut probi Episcoporum Ordinis cooperatores, in pascendo grege dominico, duce Spiritu Sancto, indesinenter explere?“ – Welch unterschiedliche Bilder doch hier entstehen, oder?