Archiv der Kategorie: Lockdown

Durch den erneuten Lockdown in Österreich stellen sich viele Fragen an die Kirche. Ausgehend von einem Interview des zum Kardinal kreierten Generalsekretärs der Bischofssynode Mario Grech, das ich in einer persönlichen und daher auch fehlerhaften wie auch schlechten Übersetzung vorstelle mache ich mir danach verschiedene Gedanken zu Herausforderungen, die sich uns stellen.

Kirche im Lockdown (?) – XXI

Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist: Immer dann, wenn im Herbst von der Regierung Maßnahmen angekündigt wurden, um die Zahl der „laborbestätigten Fälle an Infektionen mit dem SARS-CoV-2 – Virus“ zu senken, kam postwendend aus vielen Bereichen Unverständnis: „Wieso müssen wir ‚zusperren‘, wo doch nachgewiesenermaßen bei uns ’nichts‘ passiert ist? Wieso werden uns diese Auflagen gemacht, wo sich doch niemand bei uns infiziert hat?“ Auch in der Kirche hat es da und dort geheißen: „Bei uns hat es ja keine großen Clusterbildungen gegeben …“. Irgendwie ist mir mitunter der Gedanke gekommen: Wieso füllen sich dann die Betten in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen mit Patienten, die dieses Virus in sich tragen, wenn es ohnedies keine Bereiche im Leben gegeben hat, wo es Ansteckungen gegeben hat?

Ein zweiter Gedanke sei mir noch erlaubt: Es ist für mich – schon auch ein wenig befremdlich – beobachtet worden, wie sehr mitunter auf Beistrichen oder grammatikalischen Fehlern in Verordnungen etc. herum geritten, ja sogar damit die Ungültigkeit von Vorgaben begründet wurde, die im Grund nichts anderes wollen, als das zu tun, was einem der Hausverstand zu tun mitgibt, wenn es sich um Virusinfektionen handelt. Ich weiß schon: mit all diesen Vorgaben wurden in den letzten Wochen auch Freiheitsrechte von uns allen eingeschränkt, keine Frage, aber wissen wir uns wirklich zuinnerst auch den anderen gegenüber in der Pflicht oder nur uns selbst? Wie also ist das mit dem, was Eigenverantwortung genannt wird? Dass ich eben aus Einsicht auch manche Dinge nicht mache: bis zur Sperrstunde vor dem Lockdown etwa ausgelassen zu feiern usw.

In unseren Kirchen haben wir von Anfang an es sehr ernst genommen mit den Hygienemaßnahmen und mussten auch so manche Kritik dafür einstecken – ich denke etwa an ähnlich egoistisch motivierte Unterstellungen mancher, was denn nun das Verbot der Handkommunion anlangt usw. So manches an Logik (Abstand) und so manches an Liebe (etwa auch den Kommunionspendern) gegenüber ist mir auch in der Kirche abgegangen. Vielleicht auch deswegen, weil viele nicht mit „weniger“ umgehen können oder wollen? Weil wir zu Verzicht aufgerufen sind und nicht recht wissen, wie wir damit umgehen können?

Wenn in den kommenden Tagen die eine oder andere Maßnahme der Weiterverbreitung des Coronavirus aufgehoben wird: Leben wir weiterhin diese Verantwortung oder werden die Bilder morgen etwa mehr als überfüllte Kaufhäuser und Shoppingcenter zeigen?

Kirche im Lockdown (?) – XX

Gott wird Mensch, einer von uns. – Wenn wir in diesen Tagen uns vorbereiten auf das Geburtsfest Jesu, dann wird damit deutlich: weil wir an einen menschlichen Gott glauben, gilt es, die Welt Ihm entsprechend menschlich und damit auch göttlich zu gestalten. Weil in Jesus gleichsam der Himmel auf die Erde gekommen ist, wissen wir Christen uns dazu angestachelt, ein Stück weit diese Wirklichkeit unter uns zu leben: „wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20).

Die Situation der Welt und der Menschen in ihr können und dürfen uns Christen nicht egal sein. Das verbietet uns der Glaube an den Sohn Gottes, der Mensch wie wir wurde. Es gibt immer wieder manche Stimmen, die den Welt-Einsatz der Kirche als „nebensächlich“ brandmarken und damit meinen, dass dies nicht zum „Kerngeschäft“ gehöre. Ja, wenn wir an IHM Maß nehmen, dann erkennen wir beides: tiefe Verbundenheit zu Gott – immer und immer wieder wird er geschildert als einer, der im Gebet mit seinem himmlischen Vater versunken ist; und zugleich erfahren wir deutlich, wie sehr er daran interessiert ist, dass die Menschen leben – all die Heilungen, all das Aufrichten macht deutlich: Die Situation der Menschen kann und darf nicht egal sein. Glaube erweist sich im Tun – es gibt, so meine ich behaupten zu können, eben eine Art „caritatives Glaubensbekenntnis“, weil Gott eben Liebe ist. Und daher auch: „Wir müssen einen sozialen Lockdown vermeiden“, meint der Präsident der Caritas Österreichs: „Nächstenliebe geht nicht in den Lockdown.“[1]

Dem Papst etwa Spiritualitätslosigkeit vorzuwerfen, weil er in seiner letzten Enzyklika von der weltweiten Geschwisterlichkeit spricht, ist auf dem Hintergrund wirklich ernst gemeinten Glaubens eigentlich lächerlich, noch dazu wo er selbst nicht müde wird, seine Quellen des Evangeliums offenzulegen. Die Kirche und deren Vertreter an den Pranger zu stellen, etwa weil sie auf Not durch Krieg, Terror, Flucht, Katastrophen, Verfolgung, Pandemie und wie auch immer sich diese konkret darstellt, verkennt meines Erachtens die innere Dynamik des Glaubensaktes. So etwa ist auch das Engagement der hl. Mutter Theresa und ihrer Schwestern ein eindeutiges Zeugnis: aus der tiefen Verbundenheit mit Gott erwächst radikale Hingabe an die Nächsten. Oder um es mit Paul Zulehner zu sagen: „Wer in Gott eintaucht, taucht bei den Armen auf“[2]. So geht Glaube, ist und wird er wirklich ernst genommen. Auch wenn wir heute den 2. Adventssonntag dieses Jahres feiern, dürfen wir des hl. Nikolaus von Myra gedenken, der uns auch als großer Heiliger der Nächstenliebe bekannt ist …

[1] „Nächstenliebe geht nicht in den Lockdown“ – Kleine Zeitung 23.11.2020, 4.

[2] https://services.phaidra.univie.ac.at/api/object/o:925795/diss/Content/get.

Kirche im Lockdown (?) – XIX

Advent ist’s, Zeit des Ankommens, „adventus domini“ – Ankunft des Herrn. Mir gefällt dieser Blickwinkel auf die knapp 4 Wochen hin auf Weihnachten sehr. „Gott ist im Kommen!“ könnten wir sagen – oder um unser Zukunftsbild in Erinnerung zu rufen: „Gott kommt im Heute entgegen“. Wenn ich so Advent zu buchstabieren suche, fallen mir unwillkürlich drei Dimensionen Seiner Ankunft ein:

  • Gott ist gekommen
    Als Christen glauben und bekennen wir, dass in Jesus Christus damals in Betlehem, gleichsam „am Rand der Welt“ Gottes Nähe im Kind in der Krippe aufgeleuchtet ist. Den Menschen damals in ihren Nöten und Sorgen wurde durch das, was Jesus von Nazareth gelebt, gesagt und gewirkt hat – und davon geben die Evangelien Zeugnis – deutlich, dass sie nicht alleingelassen sind. Wie wohltuend diese Erinnerung tut, auch deswegen, weil der Auferstandene seine Nähe für die Zukunft verheißen hat: „Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,18-20) Wir sind nicht allein gelassen im Universum: Weil er Mensch wie wir war, wissen wir Menschen uns geborgen in IHM.
  • Gott kommt
    Wenn wir Sakramente feiern, wissen wir: ER handelt an uns. Wenn wir das Wort Gottes bedenken, es lesen und zu leben versuchen, wissen wir: ER ist da. Wenn wir uns Christen nennen, dann erinnern wir uns daran, dass wir in der Taufe „Christus als Gewand“ angelegt haben: durch uns wird ER in dieser Welt, im Heute unserer Tage erfahrbar. Gerade deswegen können wir das Jetzt „nutzen“, um IHN zu ent-decken – in unserem Zukunftsbild sagen wir, dass wir IHM und damit dem Geheimnis Gottes gerade in den Armen und Benachteiligten begegnen. – Gott also nicht irgendwo und irgendwann, sondern jetzt, heute und hier!
  • Gott wird kommen
    Die ewige Erlösung steht aus. Das wissen und ahnen wir. Für jede/n persönlich ist klar: die Einmaligkeit und Einzigartigkeit meines Daseins ist an- und ernst zu nehmen. Es gibt den Tod als deutlicher Erweis der Begrenztheit allen irdischen Daseins. Unsere Hoffnung ist, dass wir auch in diesem Dunkel unseres Seins nicht allein sind, wiewohl es wohl jener Schritt ist, den jede/r für sich und ganz persönlich zu gehen hat. Wir wissen im Glauben: „Wir werden erwartet!“ Was für uns einzeln gilt, das erhoffen wir aber auch für das Ganze von Welt und Schöpfung. Diese Zuversicht lässt – jedenfalls mich – nicht untätig werden, sondern mich erst recht „voll reinhauen“ in die Gestaltung der Welt, weil ich alles daran setzen möchte, dass möglichst viele dieses – endgültige und ewige – Ankommen Gottes im Heute „nutzen“, um sich etwa zu befreien von der unnötigen Last von sich zu meinen, dass alles von mir und meinem Tun und Lassen abhänge. So wichtig und einzigartig ich auch bin: aufgrund Seines Ankommens weiß ich, dass nicht alles von mir abhängt.

Kirche im Lockdown (?) – XVIII

Advent wird oft verbunden mit dem Begriff des „Wartens“, ist er doch auch die Vorbereitungszeit auf das Fest der Geburt unseres Herrn und Meisters. So wird „Advent“ zur Zeit des „Wartens auf Weihnachten“[1]. Zu warten ist eine urmenschliche Erfahrung, die mehrfach besetzt ist: auf einen Bus oder den Zug oder jemanden zu warten, der zu spät kommt, ist was anderes als die Vorfreude des Wartens auf ein Geschenk, um das man – etwa wie zu Weihnachten – eine Tür weiter weiß. So etwa war es für mich als Kind zu Hause immer total „faszinierend“, dass wir zu Hause just dann das Fest des „Christuskindes“ zu feiern begonnen haben, nachdem ich mit meinem Vater in unserem Haus und dem Bauernhof geräuchert hatten. Genauso aber weiß ich um so manche Ungeduld, die ich habe, wenn sich etwas oder jemand nicht pünktlich einstellt: da mache ich mir so manche Gedanken, da werde ich „unrund“, da ist nichts von „freudiger Erwartung“ zu spüren – und wenn der Zeitpunkt dann doch noch kommt, dann muss ich darauf achtgeben, dass ich meinen Unmut nicht spüren lasse …

„Warten“ will – so bin ich beinahe versucht zu sagen – „gelernt“ sein. Und das ist in einer Zeit wie der jetzigen des Lockdowns durchaus möglich. Da wir auf Lockerungen „warten“ und hoffen, dass das, was an Maßnahmen zu befolgen war, langsam und schrittweise wieder aufgehoben wird. – Wäre es da nicht auch möglich, das Warten „zu füllen“ mit Gedanken der Hoffnung und Zuversicht, mit solchen etwa, die wir auch in der Lesung des heutigen Freitags finden: „Nur noch kurze Zeit, dann verwandelt sich der Libanon in einen Garten, und der Garten wird zu einem Wald“ (Jes 29,17). Der „Prophet des Advents“ Jesaja spricht in diesem Abschnitt jene Zuversicht aus, die eine durch Gott neu geschenkte Zukunft dem Volk – und darin wieder besonders „denen am Rand“ ermöglicht: Es sind die Armen sind, die Schwachen und Benachteiligten, denen Gott seine Liebe zuwendet und denen er damit Leben und Zukunft ermöglicht. Und das in naher Zukunft, nicht erst irgendwann. Was wiederum für mich bedeutet, dass auch ich mit meinem Leben etwas dazu beitragen kann, dass dies im Jetzt, Heute und Hier Wirklichkeit wird.

Ich hoffe, dass ich durch so manche Gedanken, Worte und auch Werke dazu beitrage, dass die Zukunft, auf die wir zugehen, eine lebenswerte ist – und gerade deswegen fühle ich mich herausgefordert, auf andere zu achten, die Schöpfungsverantwortung ernst zu nehmen etc. etc. Dann ist mein Leben nicht ein „leeres“, sondern „gefülltes“ Warten, eben Hoffnung.


[1] Auch aus diesem Grund mag ich eigentlich nicht von „Vorweihnachtszeit“ sprechen, denn der Charakter der 4 adventlichen Wochen ist eben nicht die Vorwegnahme des Festes …

Kirche im Lockdown (?) – XVII

Mitunter wird der Advent als „stillste Zeit des Jahres“ bezeichnet. Heuer hat das sicher – zumindest in den Tagen des Lockdowns, in dem wir nach wie vor leben, einen ganz anderen Sitz im Leben als in den vergangenen Jahren der Umtriebigkeit, mit der wir uns auf Weihnachten üblicher Weise in unseren Breiten vorbereiten. Freilich: auf sich selbst zurückverworfen zu sein, Stille auszuhalten, ist alles andere als leicht: viele von uns sind es nicht gewohnt, da es fast dauernd Möglichkeiten gibt, sich dem zu entziehen. – Ich ergänze sofort, dass so manche Herausforderungen sich gerade erst durch den Lockdown ergeben und es gerade daher auch schwer sein kann, „heilsam“ in Stille zu gehen.

Ich habe Gott sei Dank die Möglichkeit, einige Meter neben Wohnung bzw. Büro eine Kapelle zu haben. Dort weiß ich alles aufgehoben. Dort kann ich alles hinlegen. Dort komme ich zur Ruhe im Getriebe des Alltags, feiere derzeit täglich die Messe[1], halte Anbetung, das Stundengebet oder einfach Stille. Dort ziehe ich mich das eine oder andere Mal auch in Ruhe zurück, um vor IHM und mit IHM mein Dasein anzuschauen: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken“ (Mt 11,28). Diese Erfahrung möchte ich nicht missen.

Vielleicht lässt sich auch bei Ihnen zu Hause ein kleines Fleckchen als „ihr persönlicher Rückzugsort“ gestalten? Damit ist nicht unbedingt eine gewisse Quadratmeteranzahl gemeint – oft genügt eine Kerze, ein Kreuz an der Wand; in meinem Wohnzimmer etwa sind es viele Sterbeandenken oder auch Anzeigen von Taufen und Trauungen, die mich einladen, immer dann wenn ich meinen Blick flüchtig darauf werfe, dieser Menschen und ihrer Schicksale zu gedenken. Gerade das Gebet ist in Zeiten der aufgezwungen Zurückgezogenheit eine große Brücke, die wir zwischen uns aufrichten können. Das wird mir auch bei den Übertragungen der Messfeiern täglich bewusst und bei so manchen Kommentaren auf die Hoffnungs- und Mutworte, die wir nicht müde werden, gerade in diesen Tagen in unsere Welt hinein zu sagen.

Manchmal aber ist auch einfach ein Da-Sein notwendig und damit Not wendend. Unter dem Motto: „Da bin ich Herr und Gott. Ich schaue Dich an und Du schaust mich an.“ Ohne Worte. Wie auch Liebende sich mitunter ohne zu sprechen gut, ja sehr gut verstehen. – Natürlich: dies kann auch bedeuten, die Geschäftigkeiten hintan halten zu müssen, denn „zu tun“ ist wohl für alle bedeutsam, sind wir doch in einer Gesellschaft groß geworden, für die „zu schaffen“ auch ein Stück weit identitätsstiftend ist. Gerade jetzt aber kann uns aus unserem gemeinsamen Glauben deutlich werden: Nicht mein Tun, sondern mein Sein gibt mir Würde und Wert. Ich möchte mich und uns einladen, dafür die kommenden Tage im Advent zu nutzen.

[1] Im „üblichen“ Programm bin ich lediglich ein Mal pro Woche in der Bischofskapelle, da ich dann fast täglich in Ordensgemeinschaften oder Pfarren mit den Gläubigen Eucharistie feiere.

Kirche im Lockdown (?) – XVI

Die Tage werden nach wie vor kürzer, Nacht und Dunkelheit noch eine geraume Zeit länger. Diese existentielle Erfahrung drückt mitunter aufs Gemüt. Gerade auch, weil so vieles, was uns eigentlich gerade in diesen Wochen bedeutsam ist, derzeit unmöglich erscheint bzw. auch verboten ist. Die Vorbereitungszeit auf Weihnachten, der Advent, fällt auf der Nordhalbkugel unseres Planeten in genau diese Zeit der Bedrücktheit. Die Pandemie und so manche damit in Zusammenhang stehende Frage hat uns – so gesehen – eine „neue“ Möglichkeit geschenkt, den Advent zu leben. Lockdown sozusagen als den Menschen zuinnerst treffendes Erleben von Dunkelheit und damit verbunden auch Orientierungslosigkeit.

Am Ende dieser Wochen steht eine interessante Erfahrung. Sie wird in einem Buch des Alten Bundes beschrieben: „Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht in ihrem Lauf bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab“ (Weish 18,14f.). Dieses weisheitliche Wort ist mit ein Grund, wieso es zur Mette mitten in der Nacht gekommen ist. Am Ende dieser Wochen steht eben nicht das „Aus“, sondern ein Lichtstrahl, neue Orientierung: dann, wenn es existentiell dunkel ist und dies immer bedrückender zu werden scheint – Weihnachten ist im Jahreslauf bei uns in jenen Tagen terminisiert, an denen die Wintersonnenwende begangen wird. In Jesus Christus – so gleichsam für uns ein kosmisches Schauspiel – leuchtet jenes Licht auf, das Menschen ermöglicht, das Dunkel auszuhalten und sich nicht um es herumzudrücken.

Wie sehr doch so manche in unserer Gesellschaft meinen, „besser“ unterwegs zu sein, wenn sie Dunkelheit nicht aushalten wollen – das „Glöckeln“ in so manchen Teilen unserer Heimat bringt auch die Sehnsucht zum Ausdruck, dem Dunkeln entfliehen zu wollen. So manches an Zeitvertreib der heutigen säkularen Welt könnte wohl auch darin eine Begründung haben. – Wir als Christen aber sagen: wir müssen alledem nicht entfliehen, wir wissen um einen, der auch im größten Dunkel an unserer Seite geht, der sich als Gott sprichwörtlich mit Haut und Haaren auf alles, was uns Menschen widerfahren kann, eingelassen hat. Wir können „Ja“ sagen und „aushalten“ – mitunter machen manche dann sogar die Entdeckung, dass „jenseits“ des Dunkels eine Wirklichkeit wartet, die jetzt und hier stehen bleiben lässt. Nach wie vor bin ich angetan von einem Lied der italienischen Gruppe „Genrosso“, das mir in den vergangenen Jahren so manches Dunkel zu akzeptieren geholfen hat: „Oltre l’Invisibile“. Ich übersetze hier den italienischen Text:

Wenn dem Leben die Würde genommen wird
und ein stummer Schrei in mir aufsteigt,
wenn die Stadt grau ist, draußen
und in mir Regen fällt,
frage ich mich,
ob es denn nur Dunkel gibt.

Wenn mir das Leben wie eine Lüge und Durchhalten zwecklos erscheint,
wenn mich ein Gefühl der Beklemmung überkommt,
denke ich mir: Alles ist krank,
ein finsterer Tunnel ohne Ausgang. 

Doch: Gerade in der Nacht reicht mein Blick weiter.
Ich sehe Sterne und Galaxien,
das sonst Unsichtbare.
Und gerade dann spricht dein Schweigen,
erzählt mir von dir.
Ich bringe kein Wort hervor, aber ich will dich suchen. 

Vielleicht bleibt mir die Kraft zu stammeln,
vielleicht gibt es doch noch einen kleinen Lichtblick.
Jedenfalls weiß ich:
Hinter den Schatten, die mich erzittern lassen,
wenn ich keine Sicherheiten mehr habe,
dahinter bist du. 

Gerade in der Nacht reicht mein Blick weiter.
Ich sehe Sterne und Galaxien,
das sonst Unsichtbare.
Und gerade dann spricht dein Schweigen,
erzählt mir von dir.
Ich bringe kein Wort hervor, aber ich will dich suchen. 

Jenseits der Nacht,
jenseits des Sichtbaren und des Unsichtbaren
gibt es eine Quelle, die nie versiegt:
der Unendliche, der uns neu beflügelt. 

Jenseits der Nacht,
jenseits des Sichtbaren und des Unsichtbaren
gibt es eine Quelle, die nie versiegt:
der Unendliche, der uns Kraft gibt, auszuhalten, zu bleiben:
jetzt,
hier.

Kirche im Lockdown (?) – XV

Ein Lockdown oder auch andere krisenhafte Phänomene im persönlichen wie auch im gesellschaftlichen Bereich lassen bei so manchen verstärkt nach spirituellen und religiösen Quellen für Hoffnung und Zuversicht suchen. Kirchen und Religionsgemeinschaften haben mit ihren Vergemeinschaftungsformen eine erprobte und solide Basis, darauf adäquate Antworten zu geben. Damit wird Verschwörungstheorien und irrationaler Emotionalisierung vorgebeugt. Dieser Gedanke, der mir wie so manches in den letzten Tagen von Prof. Reinhold Esterbauer benannt wurde, hat nach dem schrecklichen Attentat von Wien am 3.11. einen weit beachteten Erweis erhalten: im fast leeren Stephansdom standen VertreterInnen verschiedener Religionsgesellschaften gemeinsam mit der Regierung von Staat und Land zusammen, um deutlich zu machen, dass die religiöse Dimension des Menschen die innere Kraft hat, zusammenzuführen, wird sie nicht – wie tags zuvor – pervertiert benutzt.

Vor einigen Jahren gab es in Graz eine ähnlich Erfahrung: noch am Abend der Amokfahrt durch die Innenstadt fanden sich viele in der Stadtpfarrkirche ein, um Ihr Fragen und Ihr „Warum?“ „abzulegen“ bei einem Gott, so können wir als Christen sagen, der selbst das große „Warum?“ in die Dunkelheit der Welt hinausgeschrien hat (vgl. Mk 15,34). Am Ende der gemeinsamen Trauer gab es Tage danach einen großen Schweigemarsch die Route der Amokfahrt entlangt – und bei der Schlusskundgebung am Hauptplatz fanden sich auch die Religionsgesellschaften ein, um ihrer Sprachlosigkeit und Hoffnung Ausdruck zu verleihen.

Auch in diesen Wochen des Lockdowns – zumal in diesen Tagen des Advent – wird deutlich wie bedeutsam für jene, die hierfür einen Zugang haben, Rituale aus dem Glauben sind, damit der Mensch erneut fähig wird, dem entgegenzutreten, das sich seinen Planungen und Überlegungen querlegt, mit dem im Jetzt umzugehen, was die angedachten Wege durchkreuzt.

Kirche im Lockdown (?) – XIV

Zum Leben gehören auch Leiden und Sterben. Vielfach verdrängt und an den Rand geschoben, wurde durch die Pandemie die Zerbrechlichkeit und Endlichkeit menschlichen Daseins erneut deutlich – es war fast unmöglich, sich diesen Fragen zu entziehen. Schon im 1. Lockdown im Frühjahr wurde u.a. deutlich, dass Besuchs- und andere Verbote Kranke und Sterbende zusätzlich zu ihrer prekären medizinischen Situation oft in weitere Vereinsamung und Isolation geführt haben. Auch die Verwandten wurden in diesen Zeiten auf eine harte Probe gestellt, so etwa waren Begräbnisse und damit Abschiednehmen anfangs praktisch nur im kleinsten Kreis möglich. In der Krankenhaus- und Pflegeheimseelsorge wie auch im Palliativ- und Hospizbereich leisten die Kirchen einen wichtigen Beitrag zur Humanisierung der Gesellschaft.

Hier wurde von Frühjahr bis in den Herbst so manches „gelernt“: Seelsorge wird nun ausdrücklich erwähnt, wenn es darum geht, Menschen in ihrer Krankheit zu begleiten – was zur Folge hat, dass in geeigneter Weise dies auch ermöglicht wird. Freilich sind da und dort Auflagen zu beachten. – Auch beim Abschiednehmen hat sich so manches geändert: Sterbenden kann und darf beigestanden werden. – Auch wenn es nicht kommuniziert wurde: in der Steiermark haben wir etwa 60 Priester zu einem „Notrufdienst“ versammelt, die auch schon im 1. Lockdown dieses Jahres bereit waren, in den Krankenhäusern zu sein, wenn es galt, die Salbung zu spenden oder ganz allgemein Sterbende zu begleiten. – Bewusst haben wir auch mit den SeelsorgerInnen die Bereitschaft geklärt, dass Weggeleit auf der letzten irdischen Etappe geleistet werden soll, so erwünscht. Das, was ER uns sagt, dass ER bei uns bleiben wird bis ans Ende der Zeiten (vgl. Mt 28.20), das versuchen wir durch Nähe den Einzelnen deutlich und spürbar werden zu lassen, so dies möglich ist. Dass unsere SeelsorgerInnen dabei auch vielfach das Pflegepersonal entlasten, weil sie auch den Verwandten beistehen und begleitend auch dem – teilweise über die Grenzen hinaus belasteten – Personal in den Häusern und Heimen zur Seite stehen, versteht sich von selbst.

In so manchen Pfarren ist es üblich geworden, die Kommunion für jene mit nach Hause zu geben, die in ihrer Bedürftigkeit die Stärkung durch das Brot des Lebens begehren …. – Allesamt also Dienste an den und für die Menschen, die alles andere als medienwirksam sind, aber bedeutsam und wichtig in durch die Pandemie zusätzlich herausgeforderten Situationen. Kirche wird gelebt – auch im Lockdown.

Kirche im Lockdown (?) – XIII

Professor Reinhold Esterbauer, der Philosophie an unserer Katholisch-Theologischen Fakultät lehrt,[1] hat mir vor kurzem einigen wertvolle Gedanken geschenkt, was Kirchen und Religionsgesellschaften stützend zur Bewältigung des Lockdowns beitragen. Einer von diesen lautet: „Kirchen sind [..] Dienstleister zur Vergemeinschaftung. Kirchen und Religionsgemeinschaften bieten nicht nur unterschiedliche caritative und spirituelle Dienste an, sondern kümmern sich auch um Menschen, die solche Angebote von sich aus nicht (mehr) wahrnehmen können. Menschen am Rande der Gesellschaft werden aktiv aufgesucht. Ihnen wird gezeigt, dass sie nicht vergessen sind, sondern dass sich jemand um sie sorgt.“ Ich hoffe, dass dies tatsächlich auch in unterschiedlicher Weise gelebt wird.

Gerade der kommende Advent und das folgende Weihnachtsfest sind mit ihren unterschiedlichen Feiern tief auch in den Sehnsüchten der Menschen eingegraben. Gerade deswegen haben sich unsere Pfarren und auch so manche Stellen im Ordinariat schon seit Wochen Überlegungen gemacht, wie denn all dies unter den gegebenen Umständen und im engen Korsett der augenblicklichen Möglichkeiten gefeiert werden kann[2]: Feste können dennoch gefeiert werden.

Und ich hoffe, dass durch Telefonate, durch die Spendung der Krankenkommunion und -salbung, durch Begegnung in Kranken- und Pflegeheimen (Seelsorge ist dort wenn auch unter Auflagen möglich), durch einfache Nachbarschaftshilfe, durch so manch kleine oder auch größere Aufmerksamkeit/en, durch das Hinhören der Telefonseelsorge, so mancher Lichtblick ermöglicht wird – denn durch die Krise wie auch durch die derzeitige winterliche Situation unserer Weltgegend und die damit verbundene höhere Zahl an Nebel- bzw. dunklen Stunden sind solche mehr als zu anderen Zeiten notwendig.


[1] CORONA – Beiträge Grazer Theologinnen und Theologen – Katholische Theologie (uni-graz.at)

[2] Alle wichtigen Corona-Infos unserer Diözese werden hier aktuell dargestellt

Kirche im Lockdown (?) – XII

In Zeiten des Lockdowns wird auch so manches Defizitäre in einer Gesellschaft deutlich. So etwa zählen viele in der älteren Generation zu jenen, die aufgrund der zunehmenden Digitalisierung unter Umständen auf der Verliererstraße landen. Doch trifft die Tatsache der „Digitalisierungsverlierer“ wohl auch so manch andere – weil etwa Kinder durch die Digitalisierung Wesentliches in ihrem Aufwachsen durch physisches Miteinander nicht erfahren.

Auch wenn wir als Kirche in den letzten Monaten einen wahren „Digitalisierungsschub“ hingelegt haben – vor einiger Zeit hätte ich mir noch nicht zu träumen gewagt, dass wir die Vollversammlung der Bischofskonferenz oder auch Diözesan- und Priesterrat im virtuellen Raum abhalten können würden – so darf nicht vergessen werden, dass gerade das „physische Zu- und Miteinander“ wesentlich ist für die Gemeinschaft derer, die „dem Herrn gehören“ (Wortsinn des Begriffs ‚Kirche‘). Gerade deswegen schmerzt es, dass unser Feiern in seiner Größe derzeit auf ein Minimum reduziert ist. Interessant freilich ist es für mich, dass zumeist darauf vergessen wird, dass viele unserer offiziellen kirchlichen Liturgien eigentlich tagaus, -ein jenseits der Öffentlichkeit begangen werden: In meinen 30 Jahren seit der Priesterweihe habe ich nur selten das Gebet der Kirche, das Stundengebet, in größeren Gemeinschaften gefeiert. Wir sind – und um diese Erweiterung unseres Denkens geht es mir mit diesen Gedanken – nicht nur meist auf Gottesdienste beschränkt, wenn wir an „Kirche“ denken, sondern dabei wieder auf die Feier der Eucharistie, die Messe. Ich weiß: das eine ist gegen das andere nicht auszuspielen, aber wenn das Zweite Vatikanische Konzil einmal von der Liturgie, ein anderes Mal von der Eucharistie sagt, sie sei Quelle und Höhepunkt allen kirchlichen Tuns[1], dann wird damit eben auch das Gesamtgefüge von Kirche angedeutet. Denn weder „Quelle“ noch „Höhepunkt“ kann für sich allein leben: Eine Quelle, die nicht einem Bach oder einem Fluss Wasser zuführt, verkommt zu einem stinkenden Tümpel – so auch die Feier der Kirche, wenn sie nicht der Sendung dient[2]. Und will ich einen Höhepunkt erleben, braucht es notwendigerweise einen Anweg dorthin, sonst ist die Rede von einem Höhepunkt unwahr – oder anders: erst dann, wenn ich mein Christsein im Alltag lebe, erst dann, wenn wir uns ganz und gar auf Gott hin im Gebet orientiert erfahren und wissen, werden wir das große Geschenk dessen einigermaßen in rechter Weise erkennen, der von sich gesagt hat: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt“ (Joh 6,51).


[1] Lumen gentium (Kirchenkonstitution) 11 spricht von der Eucharistie, Sacrosanctum Concilium (Liturgiekonstitution) 10: die Liturgie ist „der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt“.

[2] Interessant ist hier für mich zu erwähnen, dass sich die deutsche Bezeichnung „Messe“ wohl von den letzten Worten der Feier herleiten lässt, die im Lateinischen heißen: „Ite missa est“ und damit die Sendungsperspektive in den Blick nehmen: im Leben hat sich das zu bewähren, was wir gefeiert haben. Messe lebt aus der liebenden Lebenshingabe Jesu, damit wir ihm gleich handeln.