Entlastend

In Spital am Semmering habe ich heute Messe gefeiert und gepredigt. Hier das was ich schriftlich dafür vorbereitet hatte.

Natürlich kenne ich die Evangelienstelle des heutigen Sonntags schon über lange Zeit – wie viele von Ihnen hier. Drei Mal hatte Petrus geleugnet, Jesus zu kennen. Drei Mal wird er daher auch um seine Liebe vom Auferstandenen gefragt. Damit schien alles er- und auch geklärt zu sein. Mit der Zeit habe ich wahrgenommen – und Griechisch war mir dabei eine große Hilfe, dass diese dreimalige Frage eine tiefere Bedeutung hat. Jesus fragt nämlich unterschiedlich. Zwei Mal fragt er Petrus nach der göttlichen Liebe, nach der Agape. Dieser musste förmlich erschrecken und antwortet daher mit der ihm als Menschen möglichen Liebe: Ja, Herr, ich habe dich lieb. Im Griechischen steht dort das Wort der „Bruderliebe“ (Philanthropie).  Erst beim dritten Mal – Jesus scheint zu erkennen, dass Petrus eben als Mensch ganz und gar nicht befähigt ist wie Gott selbst zu lieben – fragt Jesus: „Hast du mich lieb?“ Nun antwortet Petrus auf derselben Ebene und daher beendet Jesus das Fragen.
Seit ich um diese Fakten weiß, gehe ich anders mit dieser Stelle um und erkenne in Jesus einen, der von mir als Mensch nichts verlangt, was ich nicht schaffen würde. Er ist keiner, der Unmögliches von mir fordert, sondern einer, der sich in allem auf mich einstellt und mir mit bzw. in meinem Menschsein Vertrauen schenkt. Zugleich aber ist er auch einer, der dir Perspektive hin zur Vollkommenheit offen hält: „Schau, du kannst dich immer noch, egal wo du stehst auf den Weg machen zum Heil.“ Ich selbst könnte mir sonst auch mein Bischofsein nicht vorstellen. Aber Jesus ist einer, der von mir das Menschen Mögliche verlangt, nicht mehr. Das lässt mich aufatmen: er nimmt mich in meinem Menschsein und vertraut sich so im Heute dieser Tage der Welt an. Das ist entlastend und stellt mich als Bischof an den richtigen Platz: Zunächst und zuallererst geht es nicht darum, von mir zu meinen, dass ich meinen Dienst nur ausüben könnte, wenn ich perfekt wäre – gleichsam der beste Gläubige, der beste Beter oder so. Zunächst geht es darum, dass ich mit allen Getauften auf dem persönlichen Weg der Nachfolge vorankommen soll. Und auf diesem Weg der Kirche bin ich zu einem besonderen Dienst herausgerufen, nämlich deutlich zu machen, dass der Auferstandene mit seiner Kirche, mit der Gemeinschaft der Gläubigen unterwegs ist. Am sichtbarsten wird dies in der Spendung der Sakramente, aber auch in der Verkündigung des Evangeliums, das eben während der Messe einem geweihten Amtsträger vorbehalten ist. Noch einmal: es ist ein Dienst, eben ein Amt, und nicht Ergebnis einer Auswahl unter den besten der Gläubigen, von dem vielleicht auch noch Menschen Unmögliches verlangt wird, nämlich zu lieben wie nur Gott lieben kann …
Und gerade deswegen (!) ergänzt Jesus im Gespräch mit Petrus – eben weil es um einen Dienst geht und damit darum, dass ich mir selbst gleichsam ein Stück „enteignet“ bin: „Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet und konntest gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst.“  Nicht auf deine Leistung musst du bauen, auf das, was du selbst zusammenbringst, sondern du bist in meinen Dienst genommen, du wirst von mir geführt, von mir „gegürtet“ und durch mich in alledem gestärkt. Aus dieser Zuversicht versuche ich nunmehr seit fast einem Jahr zu leben, seit dem Telefonat, in dem ich am Abend des 12. April 2015 von unserem Nuntius nach der Bereitschaft gefragt wurde, Bischof in dieser Diözese zu werden. Ich könnte auch sagen: in diesem Anruf hat sich erneut das eben Gehörte des Evangeliums ereignet – Jesus nimmt mich als Mensch ganz und gar ernst. Und: Er lädt mich ein, Dienst zu tun für Seine Herde. Ich hoffe und vertraue dies immer wieder und je neu Ihm an. Und ich hoffe und vertraue darauf, dass ich von den mir Anvertrauten in unserer Kirche in meinem Ja im Gebet begleitet werde.