Glauben begreifen

Homilie am Weißen Sonntag

1. Es mit den Händen und Fingern, nicht bloß mit dem Verstand zu begreifen: wie nah doch Thomas wohl jeder/m von uns ist! Um eine Realität zu wissen ist das eine, eine Realität wahr zu nehmen – und das lehrt die Erfahrung -, sie begreifen zu können im wahrsten Sinn des Wortes ist etwas ganz Anderes. Wenn zwei Menschen sich lieben, „braucht“ es auch jene Zeiten, in denen sie sich diese Wirklichkeit spüren, einander darum wissen lassen. So scheint mir die Erzählung aus dem Evangelium vom heutigen Sonntag weit mehr die des „gläubigen“ Thomas zu sein wie des ungläubigen.

2. Das – unsere menschliche Verfasstheit ist ernst zu nehmen – bedeutet aber auch (!): Glaube muss „angreifbar“ sein, ist nicht nur Wirklichkeit des Geistes. So etwa wird in der 1. Lesung des heutigen Sonntags bezeugt: da war ein deutlicher Unterschied zu den herkömmlichen und üblichen Zuständen wahrzunehmen, wenn Christen sich in der Gesellschaft engagierten: „Ein Herz und eine Seele“ – „Sie hatten alles gemeinsam“ heißt es in der Apg. Ja: Hand und Fuß im wahrsten Sinn des Wortes braucht der Glaube – und die Geschichte herauf wurde das auch immer wieder deutlich: ja selbst Verirrungen und Sünden – ob in Vergangenheit oder Gegenwart – sind Erweis dafür, wie sehr wir eigentlich darauf angewiesen sind, dass Glaube konkret, anfassbar ist bzw. wird.

3. Allein die Gründung von Pfarren hat mit dieser Notwendigkeit von uns Menschen zu tun: damit die Glaubensgemeinschaft konkret wird, ist’s gut, konkrete Gemeinschaften zu umschreiben. – Was ich – ein weiteres Beispiel – immer wieder wahrnehme: wie sehr Kirche in ihrer Glaubwürdigkeit am Tun derer bemessen wird, die sie offiziell vertreten (da nutzt vieles an Gutem, das angreifbar ist, so scheint’s fast nichts, wenn es den einen oder andern Fehltritt gibt). – Auch KirchenbesucherInnen werden oft und oft daran gemessen, wie sie sich außerhalb des gottesdienstlichen Feierns geben. – Schließlich – ohne damit die Vollständigkeit an Beispielen zu behaupten – wird mit Recht gesagt, dass die Christenheit mit einer Stimme zu sprechen habe, will sie auf Dauer glaubhaft in dieser Welt auftreten.

4. Hinter alledem steckt die urmenschliche Erfahrung: ich kann etwas leichter annehmen, wenn ich es sehe. Wenn in der Zeit nach der Auferstehung Menschen geheilt wurden wie unter den Zeiten, in denen er leibhaftig anwesend war, war dies ein Erweis der Richtigkeit der Botschaft der Apostel. Und das gilt auch heute: wo ist unser Einsatz für das Heil der Menschen konkret, um unserer Sendung zu entsprechen und ein Beispiel zu geben, sodass andere glauben können, dass es einen Gott gibt, der sich um jede/n kümmert?! Die Arbeit der Caritas im Kleinen und im Großen, organisiert in der Einrichtung mit demselben Namen oder auch in zahlreichen Werken wie etwa den Vinzenzvereinen, oder auch nicht organisiert in der Nachbarschaftshilfe, die Arbeit der Behinderten- und Bildungseinrichtungen unserer Kirche landauf, landab werden gerade auf diesem Hintergrund (!) bewusst wahr genommen und sind wohl auch deswegen mitunter Anstoß erregend unter dem Motto: „Dass Glaube so konkret meinen Alltag betrifft, mein Umgehen mit den Anderen geht mir zu weit …“.- Wenn wir die Geschichte recht betrachten: am Beginn vieler gesellschaftlicher Entwicklungen zum Wohl, zum Heil der Menschen stehen Beweggründe des Thomas: „Ich will die Auferstehung, ich will neues Leben begreifen!“