instruiert werden – XIX

19. Leitung

Die folgenden Ausführungen sind eine Antwort auf die Frage, was in dogmatischer und kirchenrechtlicher Perspektive ‚Leiten in der Kirche‘ heißt. Im Zuge unserer Diözesanreform und Kirchenentwicklung waren diese Gedanken von Univ.Prof. Dr. Bernhard Körner, Dr. Gerhard Hörting und Dr. Bernd Oberndorfer leitend für unsere Umsetzungen in den Strukturen[1]. Im Zusammenhang mit diesem blog und damit mit der Instruktion scheint es mir wichtig, dieses Verständnis im Hinterkopf zu haben, um damit nicht „der Versuchung“ zu erliegen, mit einem bloßen „organisationstheoretischen“ Verständnis von „Leitung“, das unsere Sprache üblicher Weise prägt, an die Lektüre zu gehen. Auch wenn ich unter Nr. 18[2] die in der Instruktion vorgegebene Reihenfolge infragestelle, halte ich mich dennoch in meinen Gedanken am Fortgang der Instruktion fest, da ich meine, die Vorzeichen nach den Überlegungen im eben geleisteten Zwischenschritt[3] entsprechend gesetzt zu haben.

 

Dass Christus zur Geltung kommt – die Aufgabe der Kirche

Strukturwandel, Verantwortung aller und Leitung in der Kirche

 

Die Kirche befindet sich in einem Strukturwandel, für den es verschiedene Ursachen gibt. Einerseits bildet sich in der Kirche der Wandel ab, was auch in der Gesellschaft zu beobachten ist. Andererseits gibt es ‚hauseigene‘ Faktoren: Rückgang der Zahl der Katholikinnen und Katholiken; Priestermangel, breitgestreute Mitarbeit der Laien. – Das Kirchen-Bewusstsein und die Identifikation mit der Kirche sind aus verschiedenen Gründen geschwächt. – Das Verhältnis zu Autoritäten hat sich auch in der Kirche geändert: formale Autorität hat einen schweren Stand; Menschen, die glaubwürdig für den Glauben eintreten, wird Autorität zugesprochen. – Vor diesem Hintergrund kommt es innerhalb der Diözese zu Modifikationen der kirchlichen Struktur auf der sog. ‚mittleren Ebene‘[4]. Dafür gelten die folgenden Überlegungen zum Thema ‚Leitung‘.

 

  1. Zuerst und vor allem: Wozu es die Kirche gibt

„Der einzige Auftrag der Kirche ist, Jesus Christus den Menschen gegenwärtig zu machen. Sie muß ihn verkünden, ihn zeigen, ihn allen schenken. Alles übrige ist, wie gesagt, reine Zutat. (Henri de Lubac).[5]

Mit diesen Worten greift der Konzilstheologe Henri de Lubac auf, womit das Konzil seine Ausführungen über die Kirche beginnt: „Christus ist das Licht der Völker“ (LG 1). Und die Aufgabe der Kirche ist es, dass er durch sie in der Geschichte gegenwärtig und wirksam wird. Oder umgekehrt: Die Kirche ist das Sakrament des Heiles, d.h. der Gemeinschaft mit Gott und der darin begründeten Einheit der Menschheit.

 

  1. Die Kirche als Zeichen und Werkzeug des Heiles

Diesen Auftrag kann die Kirche erfüllen, weil sie untrennbar zugleich eine sichtbare Institution und eine geistliche Wirklichkeit ist. Die sichtbare Institution kann beobachtet und beschrieben werden, die geistliche Wirklichkeit kann nur im Glauben erkannt werden. Weil sie Institution und geistliche Wirklichkeit ist, gibt es Übereinstimmungen mit und Unterschiede zu anderen gesellschaftlichen Institutionen – nicht zuletzt in der Leitung.

In unserer Gesellschaft wird jede Institution getragen von Menschen, die für diese Institution Verantwortung und in ihr verschiedene Funktionen übernehmen. Dazu gehört auch die Leitung. Unter ‚leiten‘ versteht man im Allgemeinen, Maßnahmen setzen, die notwendig sind, damit eine Gemeinschaft bzw. Institution ihrem Auftrag bzw. Ziel entsprechend handelt und wirksam wird. Selbstverständlich gibt es bei größeren Einheiten neben der Gesamtleitung auch die Leitung von Teilbereichen.

Das bisher Gesagte gilt grundsätzlich auch für die Kirche. Was Leitung der Kirche betrifft, gibt es aber markante Unterschiede. Sie hängen damit zusammen, dass die Kirche nicht nur eine Institution, sondern auch eine geistliche Wirklichkeit ist, die im Glaubensbekenntnis heilig genannt wird. Heilig ist sie nicht, weil ihre Mitglieder ohne Fehler sind, sondern weil in der Kirche und durch sie Christus gegenwärtig ist bzw. werden soll. Er ist, wie es im Neuen Testament heißt, das Haupt der Kirche (Kol 1,18). Er ist es, der eigentlich die Kirche leitet. Der menschliche Beitrag zur Leitung besteht darin, dass Menschen berufen werden, durch die Christus in der Kirche und durch sie in der Gesellschaft zur Geltung kommt. Was heißt das genau?

 

  1. Leitung in der Kirche

Was ‚leiten‘ im theologischen Sinn heißt – dafür finden sich die entscheidenden Anhaltspunkte bereits im Neuen Testament, z.B. im Stichwort ‚Apostel‘. Dem Wortsinn nach ist der Apostel ein Gesandter, der mit der Autorität dessen ausgestattet ist, der ihn sendet. Er soll also die Autorität Jesu zur Geltung bringen.

Dieser apostolische Dienst ist in der Kirche heute den Bischöfen und Priestern anvertraut.[6] Sie werden durch die Weihe beauftragt und ermächtigt, ‚in persona Christi capitis‘ zu handeln[7]. Das heißt: Sie sollen bevollmächtigte Zeugen Jesu Christi sein und in ihrem Handeln das Handeln Jesu verbindlich zur Geltung bringen. Darin besteht der Kern eines theologischen Verständnisses von Leitung. Dem entsprechen bestimmte Kompetenzen, in denen die Leitungsbefugnis konkret wird wie z.B. Vorsitz in der Feier der Eucharistie, die sowohl für die Gemeinde wie auch für den Priester „Quelle und Höhepunkt“ (LG 11) ihres Lebens ist.

Dadurch, dass der priesterliche Dienst durch ein Sakrament, das Sakrament der Weihe übertragen wird und als Leitung als Handeln ‚in persona Christi capitis’ verstanden wird, soll deutlich werden: Die Kirche wird – erstens – eigentlich von Christus, dem auferstandenen und erhöhten Herrn geleitet. Und – zweitens – der Vorgang der Leitung besteht, wie es Hermann-Josef Pottmeyer treffend formuliert hat[8], nicht darin, dass der geweihte Amtsträger an die Stelle eines abwesenden Christus tritt, sondern dass sein Dienst sakramental wirksamer Verweis auf den gegenwärtigen Herrn der Kirche, Jesus Christus, ist. Das setzt ein menschlich und geistlich glaubwürdiges Leben voraus.[9]

Leitung im theologischen Sinn kommt in erster Linie dem Bischof zu, und in seinem Auftrag, Priestern, denen eine entsprechende Verantwortung (z.B. für eine Pfarre) übertragen wird. Dabei ist für das rechte Verständnis dieser Form der Leitung die Unterscheidung wichtig zwischen dem, was der Geweihte ist, und dem, was er tut. Der Dienst der Leitung, den der geweihte Amtsträger ausübt, besteht nicht nur in bestimmten Funktionen, sondern auch in dem, wofür er als geweihter Bischof oder Priester sakramental steht. Beim Pfarrer konkretisiert sich das, was er als geweihter Amtsträger ist, in bestimmten Leitungsfunktionen; er ist nicht nur Spiritual.

 

  1. Gemeinsame und spezifische Verantwortung für das Reich Gottes und die Kirche

Der Dienst des geweihten Amtes zielt darauf, alle Getauften in der Kirche zu fördern und zu ermutigen, Ihre Verantwortung wahrzunehmen, dass die Kirche auf Christus und sein Evangelium ausgerichtet wird und von ihm her lebt und handelt. Ebenso zielt der Dienst des Amtes darauf, dass die verschiedenen Charismen, Verantwortungen und Dienste in Einheit wirken. So soll die Kirche – entsprechend dem biblischen Bild vom anvertrauten Vermögen (vgl. Mt 25,14–30) – eine Gemeinschaft werden, in der alle ihre ihnen vom Herrn der Kirche für den Dienst am Reich Gottes anvertrauten Fähigkeiten, Charismen und Begabungen einbringen können und einbringen. Sie sollen sich als Verwalter verstehen und das gläubige Leben aller fördern: »Wir wollen ja nicht Herren über euren Glauben sein, sondern wir sind Helfer zu eurer Freude; denn im Glauben seid ihr fest verwurzelt« (2 Kor 1,24). Diesen Dienst an der Freude und der Verwurzelung im Glauben sollen also alle Getauften leisten – allen ist die Ausbreitung des Reiches Gottes anvertraut.

Die Sorge dafür, dass diese gemeinsame Berufung und die je spezifische Berufung aller vor Ort, in Pfarren und in anderen pastoralen Bereichen tatsächlich gelebt wird und zur Geltung kommt, wird geeigneten Frauen und Männern anvertraut. Dazu gehören auch organisatorische Maßnahmen, die dem Leben und der Gestaltwerdung der Kirche vor Ort dienen. Diese ‚Verantwortlichen vor Ort‘ [für die eine passende Bezeichnung ist noch gefunden werden muss] geben der Kirche ein Gesicht und eine Adresse.

 

  1. Einige konkrete Konsequenzen

Unter einem theologisch-strukturellen Blickwinkel verdient die Beziehung zwischen dem geweihten Amtsträger und den ‚Verantwortlichen vor Ort‘[10] besondere Beachtung. Dazu einige Aspekte:

–    die Verantwortlichen vor Ort können – je nach den Gegebenheiten – Einzelpersonen, aber auch kleine Teams sein

–    ihre Aufgaben, Kompetenzen und die Verantwortung gegenüber den Menschen vor Ort und dem geweihten Amtsträger müssen genau umschrieben werden

–    ebenso muss die Verantwortung des Priesters gegenüber den Verantwortlichen vor Ort und den übergeordneten Stellen genau umschrieben werden

–    eine angemessene Vorbereitung und Einübungsphase für die so entstehende Gruppe ist unumgänglich

–    alle Treffen derer, die in einem bestimmten Bereich Verantwortung für die Seelsorge haben, werden nicht im Organisatorischen bleiben, sondern durch Gebet, gemeinsame Unterscheidung der Geist und die Feier der Eucharistie geprägt sein

 

  1. Vorrangige Aufgaben in der Diözese

–    Grundsätzlich: Der Prozess einer strukturellen Neuordnung muss weiterentwickelt werden zu einem ganzheitlichen Prozess, in dem die Kirche tiefer verstanden wird und ihre Sendung lebt.

–    Vorrangig ist die Bewusstseinsbildung bei allen Getauften, bei den Hauptamtlichen und bei den geweihten Amtsträgern: Zu vermeiden sind eine zu pragmatische Sicht der Kirche, eine Nivellierung des Amtes ebenso wie jeder Klerikalismus – da muss in der Fortbildung ‚kräftig investiert‘ werden.

–    Ziel jeder Strukturplanung: Es soll ein Netz von Menschen und Orten geben, an denen durch das Wort Gottes, die Sakramente und die Diakonie in der Einheit der Glaubenden Christus und sein Evangelium zur Geltung kommen. Das wird nicht ohne Bekehrung gehen.

–    Es braucht die Einübung einer gemeinschaftlichen Spiritualität (Johannes-Paul II. in Novo Millennio ineunte[11]), die dem Macht-, Prestige- und Konkurrenzdenken entgegenwirkt und die Gegenwart des Herrn möglich macht, ‚wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt‘ (vgl. Mt 18,20) sind.

Der Geist, um den es geht, kommt im „Tagesgebet zur Auswahl Nr. 142 gut zum Ausdruck: „Gott. Du hast uns verschiedene Gaben geschenkt. Keinem gabst du alles – und keinem nichts. Jedem gibst du einen Teil. Hilf uns, dass wir uns nicht zerstreiten, sondern einander dienen mit dem, was du einem jeden zum Nutzen aller gibst.“

[1] Anmerkung von mir: sie wurden geschrieben als wir klären wollten, was denn nun „Leitung“ im Seelsorgeraum bedeutet, was denn nun Aufgaben der „Regionalkoordinatoren“ sind. In diesem Kontext sind auch die Abschnitte 5-6, v.a. 5, zu lesen und zu verstehen.

[2] https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xvii

[3] ebd.

[4] Hier wird deutlich, in welchem Zusammenhang damals diese Überlegungen geschrieben und ins Gesamtkonzept der Kirchenentwicklung und Diözesanreform eingesetzt wurden.

[5] Henri de Lubac: Die Kirche. Einsiedeln: Johannes-Verlag 1968, 197.

[6] Die Rolle des Diakons wird in diesen Überlegungen nicht bedacht. Das erscheint dadurch gerechtfertigt, weil sie, wie das Zweite Vatikanum festlegt, nicht für den priesterlichen Dienst, sondern für die Dienstleistung geweiht werden (LG 29).

[7] So z.B. in der Kirchenkonstitution Lumen gentium 21 und im Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis 2 und öfter.

[8] Vgl. Hermann J. Pottmeyer, Amt als Dienst – Dienst als Amt, in: Lebendige Seelsorge 33(1982), 153-158; hier: 157.

[9] Das klingt in der Liturgie der Priesterweihe immer wieder an – nicht zuletzt bei der Überreichung von Kelch und Patene: „Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst, und stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes.

[10] Hinweis von mir: darunter sind Ansprechpersonen „vor Ort“ zu verstehen – in den Dörfern, in kleinen Pfarren usw., die das kirchliche Leben im Blick haben. In Afrika wären damit etwa die „Katechisten“ zu vergleichen, in unseren Breiten waren und sind dies etwa „Vorbeter“.

[11] Johannes-Paul II.: Novo millennio ineunte (1999), Nr. 43.