instruiert werden – XVII

17. Zwischenschritt

In meinen Überlegungen bin ich nun an einem wichtigen Punkt angelangt, der mir einen Zwischenschritt nötig erscheinen lässt. Während in der Konzilskonstitution Lumen gentium der Weg gewählt wird, zunächst vom ganzen Volk Gottes zu sprechen und danach von den Diensten und Ämtern, vor allem dem Bischofsamt in ihm (Kapitel 2 spricht vom „Volk Gottes“ und erst Kapitel 3 von der „hierarchischen Verfassung der Kirche“) und auch das Kirchenrecht diesen Weg in seinem 2. Buch einschlägt (dort ist Teil 1 den „Gläubigen“ gewidmet, Teil 2 der Hierarchie) geht – leider (!) – die Instruktion den umgekehrten Weg, indem zunächst von den Diensten gesprochen wird, die die geweihten Amtsträger in der Kirche bzw. Pfarre leben – und auch hier in einer analogen Reihenfolge – und erst gegen Ende (in Abschnitt VIIIg) von den Laien – und hier eben eigentlich nur, auch aufgrund dieser Reihung, in Abgrenzung zu den anderen[1]. Wäre es nicht dem Denken nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil besser, nein: angebracht (!), zunächst vom „laos thou theou“ [„Volk Gottes“[2]] zu sprechen, zu dem alle gehören und in dem es unterschiedliche Dienste und (geweihte) Ämter gibt? Denn selbst dann wenn den Laien (vgl. 85) de „Weltcharakter besonders“ eigen ist, so sind alle im Volk Gottes zur gemeinsamen Sendung berufen, Kirche mitten in der Sendung hinein in diese unsere Welt aufzubauen, indem wir Salz sind für diese Welt (vgl. Mt 5,13-15). Anders herum ausgedrückt: es muss zunächst geklärt sein, wer wir sind, ehe die für dieses Miteinander einer Gruppe bzw. Gemeinschaft notwendigen Ordnungsprinzipien, Funktionen und Ämter beschrieben werden. Ich glaube, dass viele scharfe und harsche Reaktionen auf diesen eigentlich fast unverzeihlichen Fehler theologischen (und wohl auch oganisationssystematischen) Denkens zurückzuführen sind.

Es wäre – auch angesichts der ersten Abschnitte der Instruktion[3] ein leichtes, deren Gedanken als Auftrag zur Umkehr für das gesamte Volk Gottes zu beschreiben. Daraus erwachsen Aufgaben, zu denen bestimmte Personen, Frauen wie Männer, zeitlich begrenzt oder auf Dauer, geweiht oder nicht beauftragt werden [können] – dies auch deswegen, weil es unverzichtbare Aufgaben innerhalb des Volkes Gottes gibt, die um ihrer Sendung willen nicht fehlen dürfen, eine darunter ist die des Diakons, eine andere die priesterliche (und darunter wiederum die des Pfarrers). Vor diesen könnten – auch bei so mancher derzeit bestehender theologischen Ungeklärtheit[4] – verschiedene Dienste und Beauftragungen eingereiht benannt werden, die zum Leben der Kirche beitragen: ich denke hier keineswegs nur an liturgische Laiendienste[5], sondern an die vielen ehrenamtlich wie hauptamtlich Engagierten in anfordernden kirchlichen Sendungsaufträgen der Krankenbegleitung, ich denke an die tausenden die Religion unterrichten, ich denke an so viele Vorbeter die landauf- landab „kirchliches Leben“ „managen“, ich denke an die Mitarbeitenden der – organisierten – Caritas und all jene, die in einem synodalen Gremium[6] und an viele weitere, die in unserer Diözese der Sendung der Kirche „Gesicht“ verleihen.

Die in diesem Zusammenhang immer wieder aufs Neue aufflammende Debatte rund um die bloß beratenden Stimmrechte synodaler Gremien für den jeweils Vorsitzenden (vgl. can. 536§2 für den Pfarrgemeinderat, can. 514§1), die auch durch den Abschnitt Xb der Instruktion dann bestätigt wird, ist für demokratisch geprägte Personen ein Manko, zweifellos. Dass dies der einseitigen Macht-Ausübung und damit auch dem Missbrauch Vorschub leistet, wie es etwa die MHG-Studie nahelegt und auch Wunibald Müller in seinem neuen Buch bekräftigt[7], muss redlicher Weise angeführt werden. Andererseits haben wir es wohl auch oft schon verlernt, den Wert von „Beratung“ zu schätzen und dass es mitunter unverzichtbar ist, Entscheidungen aufgrund der Bedeutung des Amtes durch dieses zu treffen – nach Beratung und Anhörung und entsprechender Begründung, muss dann aber auch ergänzt werden. Ich denke hier etwa an die Pressekonferenz, die der österreichische Gesundheitsminister am 7. August dieses Jahres bei der Vorstellung der sogenannten „Corona-Kommission“ in seinem Ministerium gegeben hat, um die „Corona-Ampelregelung“ zu präsentieren. Die aus verschiedenen Experten und Vertretern der Bundesländer zusammengesetzte Kommission wird wöchentlich Empfehlungen abgeben zur Schaltung der Ampel für die Bezirke. Der Bundesminister ergänzte: „Die Fachexpertise ist da. Die wird eine klare Empfehlung vorgeben. Und die Schlussverantwortung für eine Entscheidung ist eine politische.“ Dies wohl auch deswegen, weil unterschiedliche Experten-Blickwinkel eben auch unterschiedliche Meinungen hervorbringen können und werden und in der Zusammenschau vieler Positionen verantwortlich zu entscheiden ist. Dass hiermit auch Macht verbunden ist, die verantwortungsvoll auszugestalten ist, versteht sich – Missbrauch ist freilich möglich. Aber es sichert eben auch ab, dass bloße Mehrheitsfindungen, die unter Umständen die Komplexität von Phänomenen nicht berücksichtigen können, etwa weil eben Fachleute für ihr Gebiet Expertisen vorweisen und dann andere Kriterien eventuell nicht einbeziehen müssen, nicht einfach zustande kommen.

Ein solches Vorgehen zu Entscheidungen unterschätzt keineswegs die Fachexpertise, die – und nun kehre ich zur Kirche zurück – Laien vorbringen und vorbringen müssen. „Abgesichert“ gegenüber verschiedenen Fällen von Missbrauch kann es meines Erachtens nur durch einen wirklich gelebten communialen Lebensstil, den zum einen Paulus in seinem Brief an die Gemeinde Philippi beschreibt (vgl. Phil 2,1-11): eines Sinnes zu sein „geht“ nur, wenn der eine die andere demütig wertschätzt – höher als sich selbst. Zum Anderen werde ich hier wiederum an Johannes Paul II. erinnert, der in seinem Apostolischen Schreiben „Novo millenio ineunte“ von der Notwendigkeit einer Spiritualität der Gemeinschaft spricht und diese dann für verschiedene Bereiche des Miteinanders im Leben der Kirche ausfaltet (NMI 43-45): „43. Die Kirche zum Haus und zur Schule der Gemeinschaft machen, darin liegt die große Herausforderung, die in dem beginnenden Jahrtausend vor uns steht, wenn wir dem Plan Gottes treu sein und auch den tiefgreifenden Erwartungen der Welt entsprechen wollen. Was bedeutet das konkret? Auch hier könnte die Rede sofort praktisch werden, doch es wäre falsch, einem solchen Anstoß nachzugeben. Vor der Planung konkreter Initiativen gilt es, eine Spiritualität der Gemeinschaft zu fördern, indem man sie überall dort als Erziehungsprinzip herausstellt, wo man den Menschen und Christen formt, wo man die geweihten Amtsträger, die Ordensleute und die Mitarbeiter in der Seelsorge ausbildet, wo man die Familien und Gemeinden aufbaut. Spiritualität der Gemeinschaft bedeutet vor allem, den Blick des Herzens auf das Geheimnis der Dreifaltigkeit zu lenken, das in uns wohnt und dessen Licht auch auf dem Angesicht der Brüder und Schwestern neben uns wahrgenommen werden muß. Spiritualität der Gemeinschaft bedeutet zudem die Fähigkeit, den Bruder und die Schwester im Glauben in der tiefen Einheit des mystischen Leibes zu erkennen, d.h. es geht um »einen, der zu mir gehört«, damit ich seine Freuden und seine Leiden teilen, seine Wünsche erahnen und mich seiner Bedürfnisse annehmen und ihm schließlich echte, tiefe Freundschaft anbieten kann. Spiritualität der Gemeinschaft ist auch die Fähigkeit, vor allem das Positive im anderen zu sehen, um es als Gottesgeschenk anzunehmen und zu schätzen: nicht nur ein Geschenk für den anderen, der es direkt empfangen hat, sondern auch ein »Geschenk für mich«. Spiritualität der Gemeinschaft heißt schließlich, dem Bruder »Platz machen« können, indem »einer des anderen Last trägt« (Gal 6,2) und den egoistischen Versuchungen widersteht, die uns dauernd bedrohen und Rivalität, Karrierismus, Mißtrauen und Eifersüchteleien erzeugen. Machen wir uns keine Illusionen: Ohne diesen geistlichen Weg würden die äußeren Mittel der Gemeinschaft recht wenig nützen. Sie würden zu seelenlosen Apparaten werden, eher Masken der Gemeinschaft als Möglichkeiten, daß diese sich ausdrücken und wachsen kann.

  1. Auf dieser Grundlage werden wir uns im neuen Jahrhundert mehr denn je dafür einsetzen müssen, jene Bereiche und Hilfsmittel zu erschließen und zu entwickeln, die gemäß den großen Richtlinien des II. Vatikanischen Konzils dazu dienen, die Gemeinschaft zu stützen und zu sichern. Muß man da nicht vor allem an die besonderen Dienste an der Gemeinschaft denken, wie etwa das Petrusamt und, in enger Beziehung zu ihm, die bischöfliche Kollegialität? Es handelt sich um Wirklichkeiten, die ihre Grundlage und ihren Bestand im Plan Christi für die Kirche haben, aber eben deshalb einer ständigen Überprüfung bedürfen, damit garantiert bleibt, daß sie wirklich vom Evangelium her inspiriert sind. Auch was die Reform der Römischen Kurie, die Organisation der Synoden und die Arbeitsweise der Bischofskonferenzen betrifft, ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil viel geschehen. Aber es bleibt sicherlich noch viel zu tun, um die Möglichkeiten dieser Werkzeuge der Gemeinschaft besser zum Ausdruck zu bringen. Sind diese doch heute besonders notwendig, da man unverzüglich und wirkungsvoll auf die Probleme antworten muß, mit denen sich die Kirche in den sich überstürzenden Veränderungen unserer Zeit auseinanderzusetzen hat.
  2. Die Räume der Gemeinschaft müssen im gesamten Leben jeder Kirche Tag für Tag auf allen Ebenen gepflegt und ausgeweitet werden. Hier muß die Gemeinschaft zum Strahlen kommen in den Beziehungen zwischen Bischöfen, Priestern und Diakonen, zwischen Hirten und dem ganzen Volk Gottes, zwischen Klerus und Ordensleuten, zwischen kirchlichen Vereinigungen und Bewegungen. Zu diesem Zweck muß man die vom Kirchenrecht zur Mitarbeit in der Teilkirche vorgesehenen Organe, wie die Priester- und Pastoralräte, immer besser zur Geltung bringen. Sie folgen zwar bekanntlich nicht den Kriterien der parlamentarischen Demokratie, weil ihre Arbeit Beratungs- und nicht Entscheidungscharakter hat; doch verlieren sie deshalb nicht an Bedeutung. Theologie und Spiritualität der Gemeinschaft bewirken nämlich ein wechselseitiges Zuhören zwischen Hirten und Gläubigen. Dadurch bleiben sie einerseits in allem, was wesentlich ist, a priori eins, und andererseits führt das Zuhören dazu, daß es auch in den diskutierbaren Fragen normalerweise ausgewogene und gemeinsam vertretbare Entscheidungen kommt.

Zu diesem Zweck müssen wir uns die alte pastorale Weisheit zu eigen machen, welche die Hirten, ohne jegliche Schmälerung ihrer Autorität, dazu ermutigte, das ganze Volk Gottes so weit wie möglich anzuhören. Bezeichnend ist, woran der heilige Benedikt den Abt des Klosters erinnert, wenn er ihn auffordert, auch die jüngsten Mitglieder zu befragen: »Der Herr offenbart oft einem Jüngeren, was das Bessere ist«.30 Und der heilige Paulinus von Nola mahnt: »Wir wollen an den Lippen aller Glaubenden hängen, weil in jedem Gläubigen der Geist Gottes weht«.

Wenn daher die Rechtsweisheit durch präzise Festlegung von Regeln für die Teilnahme die hierarchische Struktur der Kirche herausstellt sowie Versuchungen zu Willkür und ungerechtfertigten Ansprüchen abwehrt, so verleiht die Spiritualität der Gemeinschaft dem institutionellen Tatbestand eine Seele und leitet zu Vertrauen und Öffnung an, die der Würde und Verantwortung eines jeden Gliedes des Gottesvolkes voll entspricht.“[8]

Hand aufs Herz: wo leben wir dieses anspruchsvolle Programm? Sind wir nicht, mich eingeschlossen, versucht, ins einfachere „Ich hab dir was zu sagen …!“ abzugleiten, wer auch immer in der Kirche das sagen will?

[1] Noch fataler wird der Einwand, wenn die Überschrift von Kapitel VIII eben von der „Übertragung der Hirtensorge“ spricht und unter diesem Kapitel von den „Laien“ die Rede ist. Themenverfehlung, weil damit überdies der Eindruck erweckt wird, dass Laien nur „ob der Kleriker existieren“?!

[2] Der im Deutschen verwendete Begriff „Laie“ hat seinen Ursprung bekanntlich in diesem griechischen Begriff. Da er – leider (!) – darüber hinaus im üblichen Sprachgebrauch verwendet wird für Personen, die unwissend sind (vgl. etwa „Wer – anders als ein Fachmann – von einem Thema wenig versteht oder sich nicht intensiv damit beschäftigt hat, wird Laie genannt.“ – https://www.wissen.de/wortherkunft/laie), werden falsches Verständnis und Bilder gefördert, wenn innerkirchlich von „Laien“ die Rede ist. Dort ist es eine Ehrenbezeigung, denn Getaufte gehören zum Volk Gottes!

[3] Ob diese Abschnitte dem Wesen einer Instruktion entsprechen sei erneut angefragt, wie ich es schon an anderer Stelle meiner Bemerkungen getan habe.

[4] Hier etwa sei an nicht geweihte Ämter in der Kirche erinnert, die unter anderem auf der sogenannten „Amazonas-Synode“ erbeten wurde.

[5] Nebenbei: vom umgekehrten Denken sind bei diesen etwa auch die unseligen Debatten um das liturgische Kleid von Laien in so manchen Gegenden bei uns zu sehen. Die Allgemeine Einführung ins römische Messbuch wie auch die neue Grundordnung hierfür sind hier meines Erachtens eindeutig. – Interessant ist, dass bei Wortführern dieses Streits oftmals vergessen wird, wieso diese Debatte nicht auch für den Laiendienst der Ministranten (Messdiener) geführt wird, wollte er konsequent sein.

[6] Was in can. 511 von der Diözese gesagt ist („In jeder Diözese ist, sofern die seelsorglichen Verhältnisse es anraten, ein Pastoralrat zu bilden, dessen Aufgabe es ist, unter der Autorität des Bischofs all das, was sich auf das pastorale Wirken in der Diözese bezieht, zu untersuchen, zu beraten und hierzu praktische Folgerungen vorzuschlagen.“) wird ein wenig später vom kirchlichen Gesetzgeber auch für die Pfarren erinnert [can. 536 §1]: „Wenn es dem Diözesanbischof nach Anhörung des Priesterrates zweckmäßig scheint, ist in jeder Pfarrei ein Pastoralrat zu bilden, dem der Pfarrer vorsteht; in ihm sollen Gläubige zusammen mit denen, die kraft ihres Amtes an der pfarrlichen Seelsorge Anteil haben, zur Förderung der Seelsorgstätigkeit mithelfen.“ Hier seien die kirchenrechtlich sogar vorgeschriebenen Gremien in der Vermögensverwaltung nur kurz als weiteres Moment angeführt.

[7] Verbrechen und kein Ende?: Notwendige Konsequenzen aus der Missbrauchskrise, Würzburg 2020.

[8] http://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/apost_letters/2001/documents/hf_jp-ii_apl_20010106_novo-millennio-ineunte.html (8.8.2020)