instruiert werden – XXXIV

34. Leitung der Pfarre V

In den vergangenen Tagen habe ich einige Überlegungen des verstorbenen Bischofs von Aachen, Klaus Hemmerle betrachtet[1], etwa was das gelebte Miteinander unter Bischöfen – gemeinsam mit dem Papst ausmacht – oder aber auch Gedanken, die er – damals noch als geistlicher Assistent des ZdK prinzipiell niederschrieb nach dem Erscheinen der Enzyklika „Humanae vitae“ (1968)[2]. Wieder mal ist mir deutlich geworden, dass für die gemeinsame Sendung als Kirche das „Hören“ von eminent wichtiger Bedeutung ist – und damit auch für die gemeinsame Sendung von Kirche hinein in die Welt. Zugleich habe ich mich immer wieder gefragt: „Wie könnte solch eine Art Kirche und damit auch Pfarre zu leben um des Schutzes ihrer Sendung willen [!][3] in rechtliche Normen gegossen werden?“ Ich muss gestehen: ich habe bei all meinem Nachdenken bislang keinen Weg gefunden, da eben rechtliche Sprache Eindeutigkeit und damit auch „entweder – oder“ und nicht „sowohl – als auch“ kennt. Anders ausgedrückt: Das Recht, Statuten, Gesetze, Normen sind nicht Beschreibung des (ganzen) Lebens, sondern Leitplanken, um auf dem – guten – Weg zu bleiben. Daher: wenn wir uns wirklich als Kirche verstehen und dem entsprechend leben „klären“ sich eigentlich Rollen und Funktionen „wie von selbst“, zumindest sollten sie es.

Wenn es recht verstanden und gelebt wird, ist somit auch das – geweihte – Amt in der Kirche nicht „Ärgernis“, sondern „Geschenk“: Um es mit Klaus Hemmerle beim schon erwähnten Vortrag 1978 zu sagen: „Sinn der Sendung von Menschen durch Jesus, damit sie seine Sendung weitertragen zu den Menschen, ist es also, daß sie gerade den sichtbar machen, welcher der einzige Mittler ist. Er, der einzige, bedient sich der Menschen, um den Menschen nur um so näher zu sein. Die Konsequenz heißt freilich: Nur dann, wenn wir durchsichtig sind für Jesus als den einzigen Mittler, wird er von den anderen als dieser einzige Mittler gesehen und verstanden. Es hängt also von unserer Weise, wie·wir die Mittlerschaft Jesu repräsentieren, entscheidend ab, ob und wie die Mittlerschaft bei den Menschen „ankommt“. Freilich ist diese Abhängigkeit von unserem Verhalten nur die eine Seite. Entscheidender ist noch die andere. Er selber will uns nahe sein, und gerade weil er der einzige Mittler ist, vollbringt er diese Nähe unabhängig von uns, über unsere Kräfte und unser Wollen hinaus. Er, sein Geist, den er im Sakrament des ordo uns verleiht, konstituiert die Gültigkeit des Zeichens, das wir sind. Er ist stärker in uns als wir. Gerade so ist er der einzige Mittler – wäre er ausschließlich abhängig von uns, von unserer Weise, die uns anvertraute Aufgabe gut oder schlecht zu erfüllen, dann wären eben doch wir die Mittler. Aber sein Geist löscht eben unsere Freiheit und ihre Wirkung nicht aus, sondern bedient sich ihrer, und so hängt es auch von unserer Antwort an die uns gegebene Gabe und Gnade des Geistes ab, in welchem Maße das Sakrament, das er uns schenkt und das wir „sind“, zum Zuge kommt.
Es bleibt freilich die Frage, weshalb sich Gott gerade auf ein so gebrechliches und gefährdetes Zeichen wie die menschliche Existenz eingelassen hat, um sein Mittlersein den Menschen zu bekunden. Sicherlich hätte Gott ungezählter Weisen sich bedienen können, um das Heil des Menschen zu wirken. Er hat die eine Weise, die der größten Liebe gewählt: sein Sohn wurde für uns Mensch. Und so ist es im Heilsplan Gottes eben der Mensch, durch den Gottes Heil zum Menschen kommt. Gott sendet seinen Sohn als Menschen in die Welt, und dies ist schon im Auftreten Jesu das Ärgernis schlechthin! Was soll der uns zu sagen haben, dessen Familie wir kennen, der unter uns gelebt hat, der doch einer ist wie wir? Was gibt ihm das Recht, in der Vollmacht Gottes zu uns zu sprechen? (vgl. Mark 6,1-6) Aber gerade in diesem Ärgernis zeigt doch Gott, wie nahe er uns sein will, wie ganz er sich uns geben will; was uns am menschgewordenen Sohn Gottes erschreckt, ist das Übermaß der Liebe und Nähe des sich entäußernden Gottes.
Und so ist es im Grunde „logisch“, logisch in der Ordnung der Liebe, daß diese Selbsthingabe, diese schockierende Nähe Gottes in der Gestalt von zwei Sakramenten sich fortsetzt und mitteilt in die Geschichte hinein. Einmal in der Gestalt des Brotes und Weines, zum andern im Sakrament des ordo. Auf die eine Weise sind Brot und Wein das äußerste Zeichen der Selbsthingabe, der Selbstentäußerung Gottes: Gott wird zur Speise und zum Trank, zur „Sache“. Auf die andere Weise ist es das äußerste Zeichen dieser Hingabe und Entäußerung, daß Gott sich im Wort und Wirken von Menschen den anderen Menschen eröffnet und mitteilt, daß er Menschen die Sendung seines Sohnes für die Kirche anvertraut; denn Brot und Wein sind keine widerständigen Zeichen, das Sakrament ist fertig, wenn Brot und Wein verwandelt und dem Menschen zum Empfang angeboten werden. Daß Gott sich aber dem endlichen, begrenzen Menschen ausliefert, um durch ihn in die Welt hineingetragen und in ihr repräsentiert zu werden, dies ist äußerste Auslieferung und Erniedrigung Gottes. Wir müssen also die Eucharistie und den ordo zusammen sehen, um die ganze Liebe und die ganze Selbstlosigkeit dessen zu ermessen, der·sich wirklich bis zum letzten für uns dahingegeben hat.
Hier sehen wir auch, weshalb das Sakrament des Ordo und das Sakrament der Eucharistie unabdingbar aufeinander bezogen sind. Jesus gibt uns, daß er der für uns Hingegebene ist: Sakrament der Eucharistie. Jesus gibt uns aber auch, daß er der Gebende ist und will als der Gebende in uns wirken: Sakrament des ordo.
Das Gesagte gilt bezüglich des ordo nicht allein vom Bischof, sondern auch von den Priestern. Es hat aber im Bischof seinen Höhepunkt und seine Fülle. Nicht nur, daß die Eucharistie stets in Einheit mit dem Bischof zu feiern ist; der Bischof, der zugleich die Sendung und Verantwortung dafür hat, daß das Evangelium allen authentisch verkündigt und die Einheit des Volkes Gottes gewahrt wird, ist jener,der zugleich Gewähr dafür bietet und Sorge dafür trägt, daß das Volk Gottes selbst zur lebendigen Eucharistie, zum einen, aus dem Geist und dem Blut des Herrn lebenden und sich mit ihm für die Welt hingebenden Leib Christi wird.
Das also ist unser Geheimnis, das Geheimnis Jesu in uns: es ist das Geheimnis seiner je größeren Liebe, das Geheimnis seines Ratschlusses, sich bis zum äußersten uns schenken und darin uns anvertrauen und darin durch uns wirken und gegenwärtig werden zu wollen.“[4]

[1] Das eine oder andere Mal habe ich schon Bezug auf sein Referat vor Bischöfen, Freunden der Fokolar-Bewegung in den vergangenen Beiträgen gemacht: Klaus Hemmerle: Jesus in der Hierarchie (Typoskript), 27.1.1978.

[2] https://klaus-hemmerle.de/de/werk/enzyklika-und-dialog.html

[3] Für mich ist es immer wieder frappierend zu entdecken, dass rechtliche Normierungen nicht als Schutz verstanden, sondern mitunter als jener Grat interpretiert werden, der unbedingt zu beschreiten sei. So etwa müsste daher wohl auch deutlich werden, dass zum Schutz von (ehrenamtlichen) Laien Verantwortungen und vor allem die Grundvollmacht beim Priester/Pfarrer angesiedelt wird.

[4] Klaus Hemmerle: Jesus in der Hierarchie (Typoskript), 27.1.1978.