Krisengipfel

Heute Morgen ging ich mit einer steirischen Pilgergruppe den sogenannten „Palmsonntagweg“ – jenen Weg also, den Jesus bei seinem festlichen Einzug nach Jerusalem genommen hat. Wie viele Pilgergruppen beendeten auch die steirischen Jugendlichen diesen im Garten Gethsemane. Dort, an dem Ort, an dem das Leiden unseres Herrn Jesus Christus seinen Ausgang nahm, hielt ich persönlich inne, mitten unter vielen, die in ihrem Glauben gestärkt werden wollen.

An diesem Ort, an dem Jesus der biblischen Überlieferung nach Blut geschwitzt hat, wanderten meine Gedanken unwillkürlich zu den Opfern, denen sich in diesen Tagen die vom Papst einberufene Konferenz gegen den Kindesmissbrauch in der Kirche und für ihren Schutz widmet. Ihre tiefen Verwundungen, ihre Verletzungen, ihre stummen Schreie, ihr nicht gehört Werden, mit einem Wort ihr Leid habe ich dem an diesem Ort verehrten leidenden Herrn hingelegt. Leiden, das ihnen durch Vertreter der Kirche zugefügt wurde, von Menschen also, die durch ihr Dasein und durch ihr Wort berufen sind, für das Leben einzutreten. Hoffnungen, die in diese gesetzt wurden, sind durch Gewalt, durch sexualisierte Gewalt, durch spirituellen Missbrauch zerstört worden. Vielfach wurde ihnen nicht geglaubt. Zugleich dachte ich hier an einem Ort, an dem das Leiden „spricht“ auch an all jene, die in ihren Familien durch Angehörige und Freunde Ähnliches erfahren mussten und müssen. Ich habe auch all jene Ihm anvertraut, die in öffentlichen Einrichtungen, in Vereinen oder wo weiß ich sonst noch Angst und Schrecken durch Gewalt in ihren verschiedenen Ausformungen erlitten haben.
Ich hoffe, dass diese Initiative unseres Papstes, die eine weltweite darstellt, in Hinkunft ein gemeinsames Voranschreiten in unserer Kirche ermöglicht: in Österreich haben wir in den vergangenen Jahren einiges auf den Weg gebracht, was Prävention heißt, denn Kinder und Jugendliche sind uns anvertraut. Darin dürfen wir nicht nachlassen, auch weil wir es unserer Gesellschaft schulden. Ja mehr noch: wir haben den Schutz auszubauen!
In meinen persönlichen Begegnungen mit Opfern kirchlichen Missbrauchs ist mir mehr und mehr deutlich geworden, wie wichtig Zuhören, wie wichtig Hinschauen ist. Und: wie wichtig es ist, gemeinsam nach Wegen zu suchen, um Leben nach dem Leiden zu ermöglichen. Mit meinem Suchen diesbezüglich bin ich keineswegs ans Ende gekommen; wie überhaupt darüber hinaus meines Erachtens in der gesamten Gesellschaft erst damit begonnen werden muss, sich wirklich des Themas Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen anzunehmen. Das aber in großer Differenziertheit, nicht pauschal. Mit Wertschätzung. Mit Aufmerksamkeit. Mit offenen Augen und Ohren.

Dort im Garten von Gethsemane hielt ich aber auch inne, um derer zu gedenken, die Schuld auf sich geladen haben. Auch hier wissen wir uns als Verantwortungsträger in der Kirche herausgefordert. In vielerlei Hinsicht.
Wie gehen all jene, die Schuld auf sich geladen haben, mit dieser um? Werden sie einfach – um es drastisch auszudrücken – sich selbst überlassen? Wo gibt es Möglichkeiten eines Weges der Sühne, der Besserung? Was bedeutet es für uns als Gesellschaft, Menschen unter uns zu wissen, die eine solch schlimm Schuld auf sich geladen haben? Damit ich richtig verstanden werde: Diese Fragestellungen nehmen nichts weg von den ersten Gedanken, die ich hier geäußert habe, sind aber auch berechtigter Weise in die Debatte einzubringen. Um der Menschen willen. Hier ist zweifellos von Verantwortlichen viel verabsäumt, verschlampt und vertuscht worden. Um aber wirklich allen Fragestellungen rund um den Missbrauch in Autoritätsverhältnissen gerecht zu werden, müssen auch solche Fragen gestellt werden dürfen, bedarf es auf vielen Ebenen auch hierfür gemeinsamen Suchens. Hier sind dann meines Erachtens natürlich auch alle Fragen kirchlicher wie auch staatlicher und damit strafrechtlicher Maßnahmen anzusiedeln, die m.E. auch zu stellen sind – in all ihrer Komplexität (vgl. unterschiedliche Verjährungsfristen, Schutzalter, Verfahrensweisen, …).

Wie schwer sich viele in der Kirche – und wohl auch in der ganzen Gesellschaft – tun, sich allen Fragen in entsprechender Differenzierung zu stellen, poppt ohnedies immer wieder in den auch medial verarbeiteten kircheninternen Auseinandersetzungen auf. Leider wird dies dadurch deutlich. – Ob ich mich persönlich in den Herausforderungen meines Dienstes als Bischof in alledem immer richtig verhalten habe kann ich nur hoffen – es ist alles andere als leicht und alles andere als leicht auszuhalten. Jedenfalls bitte ich jene um Verzeihung, denen in der Kirche Leid zugefügt wurde. Ich werde mich jedenfalls mit meinen mir zur Verfügung stehenden Kräften bemühen, dass wir Kirche als Raum des erfüllten Lebens gestalten.

„Jesus, der du am Ölberg Blut geschwitzt hast, hilf uns in Kirche und Gesellschaft mehr uns unserer Verantwortung den Schwachen gegenüber bewusst zu werden und alles uns Mögliche daran zu setzen ihnen Heil und Heilung zu ermöglichen, damit jenen, die hier in Gethsemane am Ölberg Dich suchen, ihren Glauben wirklich gestärkt erhalten.“