Maria, hilf!

Im Wallfahrtskirchlein „Mariahilf zu Schüsserlbrunn“ (Pfarre Breitenau) habe ich gestern Messe gefeiert. Hier das, was ich zur Predigt vorbereitet hatte.

„Ich kann mir vorstellen, dass sich viele, die dieses kleine Kirchlein am Hochlantsch vor 65 Jahren arg in Mitleidenschaft gezogen sahen, ähnlich fühlten wie derjenige, dem die Klagelieder zugeschrieben werden. Damals fiel ein großer Felsblock auf dieses Gotteshaus und beschädigte es nicht unerheblich. Seit damals aber mühten und mühen sich viele, dass hier immer wieder das Lob Gottes erklingt – an einem sehr schönen Flecken unserer steirischen Heimat. Ich bin mir sicher, dass seit dem Beginn der Zeiten, da hier Pilger zum „Schüsserl“ – einer Quelle im Gerissen – kamen, viele in ähnlichen Situationen hier bei Maria um Hilfe gefleht haben, wiewohl vielleicht die Fluren des eigenen Lebens vernichtet zu sein schienen, obwohl die Augen ermattet vor Tränen und das Innere glühte, wiewohl der eine oder die andere Trauerkleider anhatte als sie hier herabstiegen … Nein: gerade (!) weil sie dem Zusammenbruch nahe waren, weil ihnen sich der Hals zuschnürte angesichts des Elends des persönlichen wie auch des Lebens der Gemeinschaft usw. usf. gerade (!) deswegen sind Menschen immer und immer wieder, und das schon über Jahrhunderte hierher gekommen, um das Herz wie Wasser vor dem Herrn auszuschütten.
Sie – und da habe ich nunmehr nur einige Situationen angedeutet von Menschen in Not – kommen mir alle vor wie der römische Hauptmann, der um Gottes Macht weiß und gerade deswegen sich als Mensch sieht, dem die Begegnung mit Gott eigentlich versagt zu bleiben hat. Denn: angesichts der Größe Gottes im Vergleich zum Menschen muss dieser verstummen. Und tatsächlich ist dem so: wer um Gott zuinnerst weiß, der weiß auch darum, dass Seine Größe ein Ausmaß hat, das einem fast den Atem nimmt. Ist es demnach verwunderlich, dass Menschen zur Mutter Gottes leichter Zuflucht nehmen? Weil sie als Mensch wie du und ich unter einem Dach mit dem Sohn des lebendigen Gottes gelebt hat, mit ihm so manches erlitten hat und wohl auch gelitten hat? Mich jedenfalls wundert es nicht im Geringsten, dass Menschen – auch hier – Maria als die Hilfe der Christen verehren und anrufen, also gleichsam mit ihr zu Gott gehen und ihm das Elend und die Not anvertrauen, die sie belastet. –
Bleibt nur noch zu fragen, ob dies alles bloß eine fromme Übung ist, oder ob dies gar eine psychologische Masche ist, die uns über das Elend der Welt hinweghilft und damit auch erhebt über die Abgründe? Ist Glaube an Gott, ist ein sich Seiner Barmherzigkeit anvertrauen, ist ein Zuflucht nehmen bei seiner Mutter sinnlos? Wenn man das realistisch wahrnimmt, wie Glaube sich derzeit – auch in unseren Breiten – Ausdruck verschafft, wie er gelebt wird usw., dann müsste dem fast zugestimmt werden. Doch: wer wirklich zu Maria kommt und ihr alles anvertraut, der weiß um sie und damit auch, wie sie mit diesen und ähnlichen Ereignissen in ihrem Dasein umgegangen ist. Sie ist dem allem nicht einfach ausgewichen, sie wusste sich dem Unverständnis angesichts dieser Geburt ausgesetzt, sie hat die mühsame Wegstrecke mit ihrem Gatten zur Volkszählung als Hochschwangere mitgemacht und die Flucht, die der jungen Familie beschieden war; sie musste im Tempel hören, was der greise Simeon über ihren Sohn sagte, sie musste sich in Kana faktisch anpöbeln lassen von ihrem herangewachsenen Kind und sie musste seine Verurteilung, seinen Kreuzweg und seinen Tod mit ansehen. Das, was uns von ihr in alledem aber überliefert ist, macht deutlich: sie bleibt nicht stehen bei dem Unabänderlichen, sondern nimmt das Leid an. Indem sie „ja“ sagt dazu, wird es ihr aber zugleich möglich, einen nächsten Schritt zu wagen, nicht stehen zu bleiben und bloß Wunden zu betrachten, nicht bloß sich zu ergehen an alledem, was so schrecklich ist, sondern eben deswegen (!) wird es ihr möglich, mit den Verwundungen und Narben bewusst zu leben und weiter zu gehen, ja weiter zu lieben.
Und das ist ein erster Schritt zur Heilung, damit aber auch Lebensermöglichung. – So wie damals Menschen das Elend dieses Kirchleins sahen und es mühsam wieder errichteten, wie sie also nicht nur beim Beklagen des Leides stehen blieben, sondern gleichsam „neu“ zu lieben begannen, so soll dieser Ort auch jenen zum Heil werden, die es bis ins Heute erhalten und damit auch ein Morgen ermöglichen, und all jenen, die hier einen Ort suchen und finden, an dem wirklich alles Platz hat.