Martin heute

Martin ist ein Heiliger, der weit über den innersten Zirkel der katholischen Christinnen und Christen hinaus bekannt ist. Mit seinem Fest verbinden sich auch andere Traditionen in unserer Welt, die mit dem Phänomen von „Licht“ und „Dunkelheit“ „spielen“ oder aber die Tatsache ernstnehmen, dass wir 40 Tage vor dem Geburtsfest Jesu Christi stehen. – Ich möchte nur über einen Aspekt kurz nachdenken, der sich angesichts dieses großen Heiligen des 4. Jahrhunderts mir als Stachel im Fleisch meiner Berufung in die und in der Nachfolge erweist, und die sich an die Erzählung der Mantelteilung anschließt, die sich bekanntlich vor seiner Taufe ereignet hat. Aufgrund der ihm danach zuteil gewordenen Schau Christi ließ sich Martin bekanntlich taufen: der Mensch gewordene Sohn Gottes macht – salopp formuliert – darin deutlich, dass Christ zu sein nichts für den „Schaukelstuhl“ ist[1]. Aus der Anerkennung Gottes, dem Glauben an ihn, aus dem Eintauchen in Seine Wirklichkeit und der sich daraus ergebenden Nachfolge folgt, dass wir diese Beziehung auch mit unseren Mitmenschen zu teilen haben. – Und, nebenbei: diese Art zu teilen macht reicher!

Gerade im Heute wird deutlich, dass dieser Weg, für den Christen stehen und den sie zu beschreiten versuchen, bedeutsam ist: Glauben hat Hand und Fuß zu bekommen, ist als „geistvoll erneuerte Normalität“[2]. In meiner Verantwortung und damit in meinem Dienst muss dieser „Weg des Trostes“ uns immer bewusst sein, da die Herausforderungen, die sich uns in der Kirche stellen, eben bedeutet, Nähe zu leben, auch wenn „Abstand“ gefragt ist. Und daher gilt: wo nehmen wir jene wahr, die jetzt unter so mancher Last stöhnen oder sie still (er)tragen – Alleinerziehende, Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen, Armutsgefährdete, Pflegende, chronisch Kranke und Sterbende?[3] Wie können wir jene ernst- und wahrnehmen, die angesichts all dessen, was derzeit nicht nur bei uns so los ist mit der Pandemie, weder ein noch aus wissen oder auch all das ganze schon „satt“ haben, wie jene, die sich mit allem Möglichen, etwa auch mit Arbeit, aus dieser Realität wegleben wollen und jene, die psychische und andere Belastungen verstärkt verspüren? Wo haben wir jene im Blick, die angesichts zeitgeistiger Vorgänge sich nicht zu Wort melden trauen oder auch nicht gehört werden, weil ihre Meinung nicht dem – veröffentlichten – mainstream entspricht? Wo sind uns all jene bewusst, die etwa jüngst – vor unserer Haustür gleichsam – von der Terrorattacke betroffen waren und sind, in der sich wieder einmal Abgründe menschlichen Seins geoffenbart haben? Wo sind uns alle anderen Situationen in der Welt Anliegen, die sprichwörtlich zum Himmel schreien: Flucht, Hunger, Krieg, Verfolgung und wie auch immer sie heißen mögen, die kleinen und großen Katastrophen? – Die Liste an Anfragen kann fortgeführt werden, davon bin ich mir sicher. – Und all das gilt es zu leben, um Hoffnung zu stiften mitten drin in den Regularien und Verordnungen ohne die ein Miteinander letztlich auch nicht möglich ist.

Ob all das, was praktiziert werden könnte, ob all das, was uns aufgegeben ist – und damit komme ich zum Schluss – dann auch das Mascherl „engagierte Christen“ oder gar das von „Kirche“ trägt, darf uns eigentlich nicht beunruhigen: Kirche ist eben mehr als das, was üblicher Weise in weiten Kreisen mit ihr verbunden wird. Papst Franziskus wird bekanntlich auch nicht müde, die Sendung der Getauften hinein in unsere Welt in den Blick zu nehmen und zu betonen: Leben ist gefragt!

[1] Vgl. zum Gedankengang „Christsein ist eine klar fassbare Praxis“: Matthias Sellmann: Was fehlt, wenn Christen fehlen? Eine ‚Kurzformel ‚ ihres Glaubens, Würzburg 2020.

[2] Vgl. Hirtenwort der österreichischen Bischöfe zum Pfingstfest 2020.

[3] Vgl. hierzu auch Hermann Glettler: Niemand lebt für sich allein. Versuch einer Tröstung zum Nationlafeiertag, in: https://www.feinschwarz.net/versuch-einer-troestung/ (27.10.2020).