Ungeordnetes nach gemeinsamen Tagen ökumenischen Miteinanders

In der vergangenen Woche war ich mit Superintendent Hermann Miklas und knapp 200 Pilgerinnen und Pilgern „auf den Spuren Luthers“ unterwegs. Am Ende dieser Tage „schreibe“ ich ungeordnet Gedanken in mein (virtuelles) Tagebuch …

Ungeordnete Gedanken am Ende der Ökumene-Reise des Sonntagsblattes

Ich bin sehr dankbar für das Geschenk der vergangenen Tage. Knapp 200 Personen waren „auf Luthers Spuren“ unterwegs – aus unterschiedlichen Kirchen. Gemeinsam. Bischof und Superintendent, konfessionsverbindende Ehepaare, katholische und evangelische Christinnen und Christen mit Interesse an den anderen Mitreisenden und an den Orten, die üblicher Weise mit dem Gedenken an „500 Jahre Reformation“ verbunden werden. Eine Woche lang aufeinander verwiesen Sein. Eine Woche lang in 4 Bussen einander und in Verbundenheit einem Land begegnen, in dem Christen „in Diaspora“, mitten in Europa, leben – zumeist unter Menschen ohne religiöse Weltanschauung. „Was sind denn schon wir knapp 20% [davon sind etwa ca. 5% römisch-katholisch] für so viele?“ Und tatsächlich: mir selbst ist diese Herausforderung, in die wir als Kirchen gestellt sind, noch bedeutsamer geworden als ökumenische Fragestellungen, die gegen Ende der Reise deutlicher ausgesprochen wurden.

Aber: so ist es auch im Alltag: Menschen, die sich eigentlich nicht kennen oder nur selten einander über den Weg rennen, schauen zunächst – nach dem holpernden „Wer bist du?“ – auf das was verbindet. Und nehmen aus diesem Blickwinkel einander wahr. Wie wünschte ich mir doch das als Lebenseinstellung füreinander gegenüber allen, von denen wir sagen, dass sie Bild und Gleichnis Gottes sind? – Erst mit der Zeit, man kennt sich dann ja besser (!), getraut man sich das anzusprechen, was trennt und nimmt dies gerade ob des gemeinsam begangenen Wegs schmerzlich/er wahr. Der Weg aber ist nicht abzukürzen, denn einander wirklich kennenzulernen, ist lebenslanges Unterfangen. Denn: die Menschen sind eben nie miteinander und damit auch nicht aneinander fertig. Würde man die Unterschiede negieren und ausblenden, wäre auch Respekt und Liebe zueinander nicht möglich. Daher: leben wir miteinander und halten wir daher auch aus, einander lieben zu lernen!

Den Menschen neben mir gilt es zu lieben – wie mich selbst. Er bzw. sie ist nicht ich. Uns verbindet aber einer, Gott. Ihn nennen wir Menschen im Glauben unseren Vater – wir sind daher Brüder und Schwestern. Das was sich im Laufe der Geschichte der Christenheit immer wieder, leider (!), ereignet hat, dass in der Nachfolge Christi unterschiedliche – konfessionelle – Wege gegangen wurden und werden, ist für mich als Mensch im 21. Jahrhundert mal Tatsache. Eine, die ich zwar nicht hinnehmen kann, weil es dem Gebet und damit dem innersten Wunsch Jesu nach Einheit (vgl. Joh 17,20-24) nicht entspricht, aber eben auch deutlich macht, dass Gott so groß ist, dass wir alle ihn nicht „einfangen“ können. Wenn wir aber wirklich, jeder und jede (!), nichts anderes als IHN im Blick und damit als Ziel vor Augen haben, und daher auch den je persönlichen Weg der Nachfolge in Seinem Licht gehen, kommen wir, insofern wir wirklich ernst damit machen, einander immer näher. Jede/r auf unterschiedlichem Weg und dennoch ausgerichtet am selben Ziel: nur so entdecken wir einander. Nur so kann auch sichtbare Einheit wachsen. Und: was über Jahrhunderte „auseinander“ ging und sich damit auch ins kollektive Gedächtnis der Kirchen eingeschrieben hat, kann nicht einfach ausgelöscht werden. Es braucht Zeit. Es braucht einander Verstehen. Es braucht Liebe und damit auch aneinander Leiden, denn wer liebt, mag den/die andere/n leiden. Noch einmal: es ist gerade deswegen wichtig, gemeinsam unterwegs zu sein. In den vergangenen acht Tagen waren wir dies. Gott sei Dank kam uns die Idee, mehrfach bewusst in diesem „Jahr der Reformation“ gemeinsam unterwegs zu sein: im Februar waren 50 Jugendliche im Heiligen Land und jetzt eben knapp 200 in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, also im „Kernland der Reformation“ mit ihrem Superintendenten bzw. mit ihrem Diözesanbischof unterwegs.

Gerade deswegen haben wir auch das Leid der Trennung hautnah erfahren (müssen). Ja: wir können – aufgrund unterschiedlicher Auffassung über das, wie Glaube verstanden wird – nicht am Tisch der Eucharistie gemeinsam teilnehmen. Ein Schmerz, der gerade deswegen deutlich wird, weil wir uns kennen: „Warum?“ wurde ich mehrmals in diesen beiden Wochen gefragt. Für mich wurde in diesem Fragen und damit auch Suchen ER deutlich, der uns letztlich zusammenführt, und der als Mensch unter Menschen am Kreuz sein „Warum?“ in die Welt hinausgeschrien hat. In IHM ist letztlich alles Trennende zwischen Menschen aufgehoben und kann daher auch IHM gleichsam hingehalten werden. Ich habe auch gemerkt, dass eben Begriffe und damit Bilder, in denen wir denken, in unseren Kirchen anders verstanden und über Jahrhunderte auch mit Leben erfüllt wurden. Das ist jeder und jedem in der eigenen Kirche eben wertvoll. Wenn dies ernst genommen und nicht einfach übergangen werden soll, gilt es die Trennung auch ein Stück weit auszuhalten, weil ER uns eint und nicht menschliche Überlegung und theologische Disputationen. Ein Stück weit leben wir dies ja schon seit Jahrzehnten: wenn wir sagen, wir sind durch die – gemeinsame – Taufe in einen Leib aufgenommen, ist eigentlich schon Bedeutsames am und im Miteinander anerkannt – und das nach Jahrhunderten, in denen es auch teilweise kriegerische Auseinandersetzungen unter Menschen unterschiedlicher Konfession gegeben hat. Und deswegen gilt: nur ER eint und IHN gilt es noch deutlicher in den Blick zu nehmen. Schwer ist’s zu leben, weil jede/r von uns eben aus dem eigenen Blickwinkel Dinge anschaut und dem entsprechend an Lösungen zu zimmern versucht ist. Mir selbst ist diese Spannung immer wieder schon in ökumenischen Begegnungen des Lebens deutlich worden: bei Priestertreffen etwa, an denen auch Amtsträger etwa der anglikanischen Kirche teilgenommen haben, litten wir förmlich darunter, dass es Trennendes gab und dies nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden sollte. Und dennoch lebten wir miteinander und verstanden auch, dass wir gemeinsam auftreten sollten, denn ER, der uns eint, sendet uns – hinein in diese Welt. In ihr haben wir Christen gemeinsam Zeugen zu sein – und hoffentlich leben wir dies. Ja: der Blick auf unsere gemeinsame Sendung, die Welt immer mehr nach Seinem Plan zu gestalten, gilt, nein muss einfach gelebt werden. Das sind wir als Getaufte dieser unserer Welt einfach schuldig. Erst vor etwas mehr als einem Jahr wurde mir dies erneut in der Begegnung von Erneuerungsbewegungen aus der Welt der Ökumene in Europa aufs Neue bewusst: „Gemeinsam für Europa“ nennt sich eine bislang m.E. zu wenig bekannte Initiative unter einigen hundert charismatischen Aufbrüchen aus dem lutherischen, reformierten, anglikanischen, evangelikalen, orthodoxen und römisch-katholischen Bereich. Manifest wurde damals in München, dass gerade die Kirche/n in ihrer Unterschiedlichkeit vereintes Europa „vorleben“ und sich daher einzumischen haben in die Gestaltung unseres Kontinents. Denn: nur wer um sich selbst weiß – und wir Christen wissen ja um die an uns ergangene und unaufkündbare Liebesbeziehung Gottes zu jedem und jeder ganz persönlich – kann Dialog leben, also auch das „dazwischen Sein“ aushalten in Miteinander bzw. Gegeneinander von Menschen unterschiedlicher Anschauungen. Gehen wir also selbstbewusst mit unserem Glauben bepackt an die Mitgestaltung unserer Welt, unserer Heimat! Wir sind zwar nicht „von“, aber „in“ dieser Welt, die zugleich Familie, zugleich Gemeinde, zugleich Land, zugleich Nation, zugleich Kontinent und zugleich Welt ist.

Doch noch einmal zurück zur Reise, von der ich eben zurückkehre, zurück zum miteinander Unterwegssein im „Reformationsjahr“ auch mit jungen Menschen unserer Kirchen. „Ökumene des Volkes“ haben wir erlebt – was eben nicht heißt, dass wir unsere Identität aufgegeben haben. Aber eben auch nicht, dass wir uns aus dem Weg gegangen wären. Es schwingt im Dialog oft auch viel an – uneingestandener (?) – Angst mit, sich vielleicht selbst aufgeben zu müssen. Ich jedenfalls erlebe es anders, weil ich mich eben nicht als Nabel der Welt verstehe kann offer darf. Neben mir ist eben jemand, der mein Gesichtsfeld weitet, der mir hilft, die Welt nicht nur durch die Brillen zu sehen, die ich sprichwörtlich trage und die mein Gesichtsfeld einengen. Wenn mein/e Nächste/r mir in gleicher Weise begegnet, „lieben wir letztlich einander“, erfüllen damit Sein, das Neue Gebot, das unser Herr und Meister uns geschenkt hat (vgl. Joh 15,12). Wenn wir dies wirklich so verstehen und leben, dann begegnen nicht bloß Menschen einander, sondern ER in mir und ich dem/der Anderen und Jesus in ihm/ihr. Und so bringt ER uns weiter, nicht wir aus eigener Kraft. Solches Leben eint und solches Leben lässt die Wunden der Trennung nicht einfach vernarben: der Schmerz ist es, der deutlich macht: das Verwundete heilt.

Daher: leben wir mehr und mehr miteinander. Halten wir das „Warum?“ aus und werfen wir uns – noch deutlicher als bislang – hinein in das Abenteuer der (gegenseitigen) Liebe, „damit die Welt glaubt“ (vgl. Joh 17,21).