versöhnt leben

Bei „Miteinander für Europa“ sprach auch Kardinal Kurt Koch. Von der Homepage habe ich seinen Impuls heruntergeladen.

Miteinander für Europa – Mitarbeiterkongress, 1.7.2106

BEGEGNUNG – VERSÖHNUNG – ZUKUNFT

Der entscheidende Beitrag, den wir Christen für die Zukunft Europas einzubringen haben, besteht darin, dass wir uns untereinander versöhnen und als Versöhnte leben. Der Kongress und morgen die Kundgebung stehen deshalb unter den drei Stichworten: Begegnung – Versöhnung – Zukunft. Das Wort Versöhnung ist dabei in der Mitte zwischen Begegnung und Zukunft verortet. Damit wird signalisiert, dass die elementare Voraussetzung für Versöhnung die Begegnung ist und aus Versöhnung Zukunft entstehen kann. Diese Mitte nimmt die Versöhnung vor allem im christlichen Glauben ein, wie der wunderbare Text im fünften Kapitel des zweiten Briefes, den Paulus an die Gemeinde in Korinth geschrieben hat (5, 18-21), zeigt. Aus ihm möchte ich vor allem drei Perspektiven hervorheben.

1. „Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat.“ Mit dieser Aussage führt uns Paulus vor Augen, dass Versöhnung unter uns Menschen und Christen nur möglich ist, wenn wir uns selbst versöhnen lassen. Versöhnung ist in erster Linie eine Gabe, die Gott uns schenkt, und sie kann nur von daher auch zu unserer Aufgabe werden. Damit zeigt uns Gott, wie Versöhnung möglich ist.

An erster Stelle wird deutlich, dass Gott die Initiative zur Versöhnung ergreift. Gott wartet nicht, bis wir Menschen kommen und uns versöhnen. Aller Erfahrung nach müsste Gott da lange warten. Doch Gott geht den Menschen zuerst entgegen und versöhnt sie. Damit zeigt sich, dass Versöhnung dort möglich ist, wo jemand den ersten Schritt wagt, und zwar gerade im Kreislauf der gegenseitigen Aufrüstung, wie er in menschlichen Beziehungen und gemeinschaftlichen Verhältnissen – auch in der Ökumene – immer wieder zu beobachten ist. Da rüstet die eine Seite nach in der Annahme, die andere Seite habe vorgerüstet. Und der Kreislauf der Aufrüstung hört nicht auf, bis einer den Mut hat anzufangen aufzuhören. Damit beginnt Versöhnung, indem auch der andere eingeladen wird, sich auf denselben Weg zu begeben.

Zweitens wird im Versöhnungshandeln Gottes sichtbar, dass Versöhnung keine billige Angelegenheit, sondern harte Arbeit ist. Sie ist nichts weniger als konsequente Feindesliebe Gottes, wie sie am Kreuz Jesu offenbar geworden ist. Gemäss der menschlichen Logik hätte die Grausamkeit des Kreuzestodes Jesu Rache bis zum Letzten bedeuten müssen, damit die Welt wieder in Ordnung wäre. Gott hat aber am Kreuz Jesu aller Rache und Vergeltung ein klares Ende gesetzt. Die einzige „Rache“, die Gott kennt, ist sein kompromissloses Nein zur Vergeltung und seine Liebe bis zum Ende. Auf die menschliche Steigerung des Bösen hat Gott am Kreuz Jesu gerade nicht mit Vergeltungsmechanismen reagiert, sondern mit der Steigerung seiner unendlichen Liebe, die auch die Bereitschaft einschliesst, Leiden auf sich zu nehmen. Dies ist der innerste Kern der Versöhnung, die wir ökumenisch gemeinsam zu bezeugen haben.

2. Von daher öffnet sich der Blick auf die zweite Perspektive im Brief des Apostels Paulus: Gott „hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden“. Damit wird vollends sichtbar, dass Versöhnung sehr viel mehr ist als bloss ein sentimentales Gefühl. Wenn Versöhnung aus Liebe geboren wird, versteht es sich von selbst, dass wahre Liebe bereit ist zu verstehen, nicht aber zu billigen oder für harmlos zu erklären, was keineswegs harmlos ist – wie die Spaltung unter den Christen. Versöhnung ist das strikte Gegenteil zu einem schwächlichen Gewähren-Lassen von Unrecht oder zur Bagatellisierung von Schlimmem in dem Sinne, dass man etwas gut sein lässt, obwohl es schlecht ist. Vergeben kann man vielmehr nur etwas, was man ausdrücklich für schlimm hält und in seiner Negativität gerade nicht ignoriert. Vergebung und Versöhnung setzen voraus, dass ausdrücklich als schlecht beurteilt wird, was getan worden ist, und dass man bereit ist, Versöhnung zu vollziehen.

Versöhnung ist deshalb ein anspruchsvolles Unternehmen. Dies wird gerade dort deutlich, wo sie von Christus her verbindlich zugesprochen worden ist. Es muss uns bleibend zu denken geben, dass Vergebung und Versöhnung das erste Geschenk des Auferstandenen an seine Jünger ist, wenn er ihnen zusagt: „Empfangt den Heiligen Geist: Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“ (Joh 20, 23). Die Jünger werden damit gesandt, Altes und Veraltetes, nämlich Schuld, aus der Welt zu schaffen und Neues, nämlich Vergebung in die Welt zu bringen. Darin besteht der Versöhnungsauftrag, zu dem die Jünger Jesu Christi in die Welt gesandt sind.

3. „Wir sind also Gesandte an Christi statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt: Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen.“ In dieser dritten Perspektive, die sich uns im Brief des Apostels Paulus zeigt, kommt nicht nur an den Tag, dass wir Christen berufen sind, der Versöhnung zu dienen, sondern auch und vor allem dass wir dies im Auftrag und in der Vollmacht Jesu Christi tun dürfen.

Um im Dienst der Versöhnung stehen zu können, müssen wir uns aber immer wieder darum sorgen, dass wir selbst versöhnt sind. Der beste Weg, den uns das Evangelium anbietet, ist das Gebet. Es verhilft dazu, den anderen Menschen, auch und gerade denjenigen, mit dem man in unversöhnter Beziehung steht, in einem neuen Licht zu sehen, nämlich im grösstmöglichen Horizont Gottes. Das Gebet vermag sogar „Feinde“ in „Brüder und Schwestern“ zu verwandeln, wie dies Jesus uns in der Bergpredigt zumutet. Es ist kein Zufall, dass Jesus seine Aufforderung zur Feindesliebe sofort mit der weiteren Zumutung verbindet: „Betet für die, die euch verfolgen“ (Mt 5, 44). Im und durch das Gebet hat sich Jesus selbst am Kreuz zur Bitte um Versöhnung und Vergebung der Schuld durchgerungen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23, 34). Versöhnung hat ihren Ort des Entstehens unter dem Kreuz. In konsequenter Nachfolge Jesu wird von Stephanus, dem ersten Märtyrer der Kirche, Gleiches berichtet: Nachdem sie ihn gesteinigt hatten, schrie er laut: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ (Apg 7, 59).

Diese biblischen Zeugnisse belegen die schöne Botschaft: Das Gebet füreinander ist in der Tat die Intensivstation der Versöhnung. Versöhnung zwischen Christen verschiedener Kirchen und Versöhnung in der heutigen Welt beginnt im Gebet, der kostbaren Perle der Versöhnung, und will ins alltägliche Leben hinein strahlen. Beten wir darum, dass aus der ökumenischen Begegnung in diesen Tagen Versöhnung reifen kann, und beten wir darum, dass eine versöhnte Christenheit den Weg in eine Zukunft Europas weist. Dann sind die drei Stichworte unseres Kongresses und der morgigen Kundgebung nicht nur Worte, sondern mit Leben erfüllt: Begegnung – Versöhnung – Zukunft.