Wage zu träumen XXXVI

auf die Wortwahl achten

Deutsch war in der Schule neben dem Fach „Leibesübungen“ jenes mit meinen schlechtesten Jahresnoten. Ob ich es damit schon verspielt habe, auch nur kurz zu dieser Überschrift was sagen zu dürfen? Ich meine nicht, denn auf unterschiedlichen Ebenen werden wir herausgefordert, ob des Miteinanders in der Gesellschaft und in den vielen kleineren und größeren Gemeinschaften, in denen wir leben, die Worte mit Bedacht zu wählen. Gerade darin scheint mir so manches – nicht erst in den letzten Monaten der Pandemie mit ihren damit verbundenen Einschränkungen – beinahe aus den Fugen geraten zu sein. Wir halten andere Meinungen fast nicht (mehr) aus und stellen uns damit nur ungern, wenn überhaupt, dem Diskurs. Das fällt mir bei mir selbst – leider – auch immer wieder auf.

Wie kann ich bei mir selbst die Sensibilität für Sprache und Begriffe fördern? Wie gelingt es mir, in so manchen Auseinandersetzungen in Geduld die alles andere als „einfache Mitte“ – ich zitiere damit bewusst meinen Vorgänger im bischöflichen Dienst Egon Kapellari – zu besetzen[1]. Aber nur in dieser (!) Position ist Leben und damit auch Glauben aushaltbar. Beispiele, die mir in den vergangenen Wochen aufgefallen sind, seien hier unkommentiert benannt, in denen m.E. ein genaueres Hinschauen und Hinhören notwendig ist, das keineswegs mit bloßer „politischer Korrektheit“ verwechselt werden darf …

  • Was ist etwa gemeint mit „politischem Islam“?
    Dürfen Gläubige nicht „leben“ und – weil sie Menschen sind – sich einbringen in politische Debatten?
    Hier haben sich in den letzten Wochen die ÖBK[2] wie auch die Kommission für Weltreligionen der ÖBK deutlich zu Wort gemeldet[3].
  • Debatte rund um „blackfacing“ angesichts des Sternsingens
    hierzu auch das Wort des Pressesprechers der Erzdiözese Wien zu einer immer wiederkehrenden „Debatte“[4]
  • „religiös motivierter Extremismus“: worin unterscheidet sich ein solcher von anderen Formen des Extremismus und wieso braucht es dann hierfür einen eigenen Tatbestand? Außerdem: wird damit nicht insgeheim „unterstellt“, dass Religion überhaupt was „Gefährliches“ ist?
  • Flüchtlinge …
    Hier reicht’s m.E. das Wort hinzuschreiben …
  • Sterbehilfe – Sterbebeistand – assistierter Suizid
    Welche Bilder evozieren diese Begriffe?

Sie sehen: es muss nicht erst auf die mitunter schauderhaften Worte verwiesen werden, die in diversen Internetforen locker dahin geschrieben werden, es muss auch nicht erst soweit wie in den vergangenen Tagen in Washington D.C. bei der Erstürmung des Kapitols kommen … Es reicht aufmerksam Worte zu wählen und Bilder zu hinterfragen, die mitunter sich als „frames“ in unserem Un(ter)bewussten abspeichern …

Gehen wir sorgsam miteinander und auch sorgsam in der Sprache um …


[1] Dies kann auch für die Gesellschaft bzw. die Politik geltend gemacht werden, wie der Essay zeigt, der von Manfred Prisching unter dem Titel „Warum braucht jede Demokratie Maß und Mitte?“ in der Kleinen Zeitung am 10.1.2021, 4-5 veröffentlicht wurde.

[2] https://www.bischofskonferenz.at/2020/presseerklaerungen-zur-online-herbstvollversammlung-2020

[3] https://www.kath-kirche-graz.at/einrichtung/11/themenschwerpunkte/caritas/infosstellungnahmen/article/18937.html

[4] https://www.diepresse.com/5920631/geschwarzte-sternsinger