Zur Entwicklung von Kirche bei uns (1)

Viel wird zur „Kirchenentwicklung“ gesagt. Auch in unserer Diözese ist immer wieder davon die Rede. – In loser Folge will ich hier auf verschiedene Wortmeldungen von mir – ausschnittsweise – hinweisen, um mir und uns die Fragestellungen in Erinnerung zu rufen, um die es dabei – umfassend gedacht – geht.
Wir sind als Kirche in dieser Welt mit diesen Herausforderungen unterwegs …

Aus dem Referat auf den verschiedenen Herbstwochen 2015

Ich will „zu einem Dreischritt anregen, der hier [i.e.: Pfarrerwoche] nicht zur Gänze geleistet werden kann. „Zuhören – Austauschen – Vorschlagen“ nennt Matthias Sellmann, Pastoraltheologe in Bochum, seine 2012 erschienene Monographie, die mir einen ans Herz gewachsenen Satz des verstorbenen Bischofs von Aachen, Klaus Hemmerle, auszudeuten scheint: „Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe.“ Der Dreischritt erinnert an den von Kardinal Cardijn geprägten von Sehen – Urteilen – Handeln, geht aber, auch angesichts der geänderten gesellschaftlichen und kirchlichen Rahmenbedingungen einen Schritt weiter und nimmt die heutige plurale Situation ernst, in der es alles andere als leicht ist, eine bestimmte Handlung als den richtigen Weg zu bestimmen. Darüber hinaus macht der von Sellmann eingeführte Dreischritt auch deutlich, dass in komplexer werdenden Situationen das Sehen wohl nicht immer so eindeutig ist, wie angenommen, weswegen ein intensives Zuhören Motivationen „dahinter“ aufdecken hilft, über die es sich auszutauschen gilt, um für den nächsten zu setzenden Schritt etwas vorzuschlagen. Heute und hier werden wohl nur die ersten beiden Schritte angegangen werden können, den dritten, etwas konkret vorzuschlagen, lade ich ein, dort zu setzen, wohin wir gesendet sind.

Was also nehme ich wahr? Was „höre“ ich derzeit in der Welt an Vorgängen? Und was „höre“ ich angesichts auch all dessen, was wir uns hin auf das Diözesanjubiläum vorgenommen haben? Einiges möchte ich in Übereinstimmung mit den Leitzielen des „Weg2018“ unserer Diözese benennen. Ich meine, dass in diesen Vorgängen Gott selbst zu uns spricht und mahnt, uns aufeinander einzulassen und seinem Willen für diese Situationen auf die Spur zu kommen, indem wir uns darüber austauschen und danach Wege zu deren Umsetzung andenken.

2.1. Welt und Schöpfung
Kurz nach meiner Weihe hat Papst Franziskus mit seiner Enzyklika „Laudato si“ einen flammenden Appell für das „gemeinsame Haus Welt“ an alle Menschen gerichtet. Wir sind als Menschen in diese unsere Welt hinein gestellt und daher auch gerufen, sie nach seinem Bild und Willen zu gestalten. Wir merken auch im Eigenen unserer Erfahrungen, wie notwendig das Wahrnehmen, ja das „Hören“ auf die vielen Stimmen in diesem unserem gemeinsamen Haus ist (oikos). Wir können uns nicht abschotten und bloß sezierend die eine oder andere Fragestellung analytisch behandeln: Es geht um die Welt und in ihr, um das Zueinander und Miteinander der Geschöpfe, zu denen auch wir als Menschen und Christen gehören. Vielfach macht Papst Franziskus deutlich: wenn uns die Freude des Evangeliums antreibt, dann gilt es die Menschheit im Blick zu haben und damit die Welt. Für mich äußerst interessant war bei der Lektüre der Enzyklika auch die Tatsache, dass sie nicht nur eine „Öko-Enzyklika“ ist, sondern durch die Zusammenschau der verschiedenen Ebenen deutlich macht, dass ökologische Fragen direkt mit sozialen und anthropologischen (Humanökologie) Fragen zusammenhängen. Diese genuine Weltsicht aus dem Evangelium heraus tut not; mehr noch: Welche Fragen kommen in uns hoch angesichts der dort zahlreich angerissenen Themenstellungen? Welche Fragen sind bei uns vordringlich und dem entsprechend in die Debatte unter uns und mit den Verantwortungsträgern vor Ort einzubringen?
„Vergelt’s Gott!“ all jenen in unserer Diözese, die sich in Pfarren, Gemeinschaften und auf der diözesanen Ebene mitunter auch lästig deutlich machen, was unsere Verantwortung für diese unsere Welt bedeutet. Zugleich ermuntere ich, die Zumutung unseres Papstes ernst zu nehmen und ins Bedenken für unser Kirche-Sein auf allen Ebenen deutlich mit hinein zu nehmen.

2.2. „eine“ – sich verändernde – Welt
In den letzten Monaten wird uns unter anderem durch das, was Papst Franziskus „3. Weltkrieg auf Raten“ nennt, von schmerzlicher Seite deutlich, dass wir uns nicht von dieser unserer Welt dispensieren können. […] Ich weiß um die Emotionen, die in unserer Gesellschaft diesbezüglich hochgehen, auch weil die nötigen Differenzierungen zwischen den Frage- und Problemstellungen „Asyl“ – „Zuwanderung“ – „Ermöglichung von Lebensmöglichkeiten vor Ort“ nur selten artikuliert werden. Auf alle Fälle aber danke ich allen, die sich hier engagieren – ob in Gesellschaft oder in unserer Kirche, weil es zunächst Menschen sind, die hilfesuchend anklopfen. Zugleich bitte ich mit aller Ernsthaftigkeit darum, sich all den damit in Zusammenhang stehenden Fragen des Miteinanders und des Aufeinander-Zugehens zu widmen. Immer wieder.
Gott hat seine eigene Sprache und mit ihr schafft er es immer wieder, unsere Planungen und wohldurchdachten Überlegungen gehörig durcheinander zu bringen. Dies kann auch durch Herausforderungen wie der Flüchtlingsproblematik der Fall sein. Gerade hier aber braucht es Antworten, die Leid und Elend hintanhalten können.
• Wo also laden wir als Verantwortungsträger der Kirche ein, die Herausforderungen der zusammenwachsenden Welt ins Gespräch einzubringen?
• Wo initiieren wir Überlegungen, sich diesen zu stellen?
[…]
• Wie versuchen wir, jeder und jede von uns, den Misstönen und Untergriffen Einhalt zu gebieten?
[…]  Es ist hier aber auch Meinungsbildung zu betreiben – es geht um Menschen! – mit den Verantwortlichen in den Gemeinden, mit unseren Engagierten, mit der Bevölkerung. Denk-, Sprach- und Meinungszäune sind niederzureißen. Wir sind als jene gefordert, für die jeder Mensch eine unteilbare Würde hat, wenn wir uns selbst und erst recht den zu uns Menschen „heruntergekommenen Gott“ ernst nehmen, und dieser ging hierfür bekanntlich bis zum Kreuz.
Ich glaube, dass wir uns den Herausforderungen, Kirche inmitten einer sich immer wieder ändernden Gesellschaft zu leben und zu erfahren wohl die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zu stellen haben. Das, was sich vor unseren Augen derzeit abspielt, ist eine Wegweisung, die es ernst zu nehmen gilt, um unsere Glaubwürdigkeit zu leben. Und das sei deutlich gemacht auch und gerade angesichts aller nur Angst benennenden und ihr entsprechend zu handelnden einladenden Appelle, die mitunter auch aus unseren eigenen Reihen kommen. Da werden wir zuweilen erneut von Menschen in anderen Verantwortungen „evangelisiert“, wenn ich etwa an eine der jüngsten Stellungnahmen der deutschen Bundeskanzlerin denke.
„Habt Mut!“ ruft der Prophet Jesaja (35,4), „Sagt es den Verzagten – hier ist euer Gott!“
Fürchten wir uns also nicht vor der Herausforderung, die uns zu überfordern scheint. Seien wir mutige Christen, gerufen vom Herrn, hier und jetzt das kommende Reich zeichenhaft in uns und um uns zu verwirklichen. Fürchten wir uns nicht, sondern legen wir Hand an. Legen wir den Finger in die Wunde. Christus ruft uns.“