unterschiedliche Mechanismen

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Wenn ich mir schon die Mühe mache, eine Art „Tagebuch“ mit Themen zu führen, die mich während der Zeit der Coronakrise beschäftigt haben, dann kann ich nicht umhin, auch etwas davon niederzuschreiben, welchen Menschen ich „begegnet“ bin, wenn ich telefoniert habe. Ich glaube nämlich wahrgenommen zu haben, dass es nicht die eine mögliche Reaktion auf krisenhafte Phänomene gibt, sondern dass praktisch jeder Mensch seine eigene Strategie entwickelt. [Nebenbei: wenn ich im Folgenden eher frei und bei weitem nicht vollständig mir Telefonate mit Priestern und Diakonen in Erinnerung rufe, dann ist dies eben auch eine Wahrnehmung, schließt niemanden anderen aus und ist auch nicht die volle Wirklichkeit.]

  • Da vermeinte ich jene zu hören, die versucht sind, all das was sich an bedrängenden abspielt zu überspielen: Sie stürzen sich in Arbeit. So etwa glaube ich bei einigen Priestern wahrgenommen zu haben, dass sie sofort begonnen haben neues zu planen – auch wenn das bedeutet, beispielsweise das Osterfest zu verlegen gerade; das noch nicht neue Liturgien erfunden wurden, die dann zu feiern wären, wenn alles wieder in geordnete Bahnen käme.
  • Andere wiederum – so meine pauschalierende Wahrnehmung – „tauchten“ ab. Den Kopf in den Sand zu stecken ist eine durchaus menschliche Reaktion, wenn einem alles zu viel wird. Und das waren keineswegs nur Angehörige einer Risikogruppe: da war verängstigt und zu spüren, mitunter getarnt es Vorsicht den anderen gegenüber usw. irgendwann wird das Ganze schon vorbeigehen ….
  • Da meine ich auch solchen begegnet zu sein, die sich einfach in ihr Schicksal fügten: „Was soll ich schon ausrichten gegen eine solche Pandemie? Da kann man eh nix machen.“
  • Andere wiederum „flüchteten“ sich in die eine oder andere Glaubenspraxis, was sich unter Umständen auch darin äußerte, dass diese oder jene Beete zu sprechen sein, dann wäre es schon wieder besser. So als ob Gott einem Automaten gleichen würde, der das entsprechende „ausspuckt“, wenn man nur genug und vor allem die richtigen Gebete an ihn richten würde.
  • Natürlich bin ich auch vielen begegnet, die diese Situation ehrlich und aufrichtig zu leben versuchten. Jede und jeder eben mit den Begabungen die wir als unterschiedliche Menschen geschenkt bekommen haben.
    – Da habe ich etwa mit einem Pfarrer telefoniert, der seine Aufgabe gerade in diesen Tagen und Wochen darin gesehen hat, jeden Tag Menschen anzurufen, von denen er wusste, dass sie allein lebten. Das wurde – nebenbei gesagt – medial nicht wahrgenommen, weswegen er sich auch so manchen gegenüber meinte rechtfertigen zu müssen, weil in seiner Pfarre keine Gottesdienste ins Netz übertragen wurden.
    – Da habe ich mit einem anderen Priester telefoniert, der sich in der Krisenintervention engagiert: er teilte mir mit, dass sich in seiner Gegend der Steiermark in den letzten Wochen die Einsätze nach einem Suizid vermehrt hätten.
    – Wieder ein anderer meinte, er habe begonnen, für ältere in seinen Pfarren Einkäufe zu tätigen – einmal mit dem Ergebnis, dass ihm die Nudelpackung, die er gekauft hatte, zurückgegeben wurde, weil die Nudeln nicht von der richtigen Firma kämen.
    – Wieder ein anderer Priester hat sich dort, wo er lebte, als Erntehelfer angeboten: die Not an solchen Arbeitern wurde immer wieder berichtet, weil Menschen aus dem Ausland nunmehr nicht einreisen konnten.
    – Da habe ich mit einigen telefoniert, die eine WhatsApp Gruppe eingerichtet haben, in der sie sich täglich mitteilen, was sie derzeit alles so erleben und wie sie mit manchen Fragestellungen umgehen.
    – Wieder ein anderer hat sich bereit erklärt in den Intensivstationen für an Corona erkrankte das Sakrament der Krankensalbung zu spenden – mit enormen Sicherheitsauflagen. Es war am Vormittag, als ich ihn angerufen habe, und ich merkte sofort, dass ich ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Kein Wunder: vier Tage und vier Nächte stand er im Einsatz.
    – Da habe ich vernommen, dass in verschiedenen Kirchen – wiewohl die öffentliche Feier unserer Glaubensgeheimnisse nicht möglich war – die Räume mit viel Phantasie, vor allem zu den „heiligen Tagen“ geschmückt wurden, damit jene, die zum Gebet kommen, dem Glaubensgeheimnis, das an diesem Tag bedacht wurde, „wie von selbst“ nahekommen könnten..
    – …

Die Liste, wie mit herausfordernden Situationen umgegangen wird, könnte wohl fortgesetzt werden. Ähnliches wurde mir auch aus unserem Krisenstab berichtet: da gab es manche, die in sozialen Medien ihre schöne Aussicht posteten, was andere wiederum zum Kommentar hingerissen hat, ob denn Angestellte in der Seelsorge nichts zu tun hätten – die eine oder andere E-Mail erreichte mich auch mit dem Inhalt: wenn die Kirche nunmehr ihre Arbeit “zugesperrt“ hätte, dann wäre dies wohl auch Grund genug die Kirchen Beitragszahlung einzustellen. Wieder andere mussten sich über Gebühr mit Arbeit belastet – stellte mir die Frage, wie denn ein Ausgleich geschaffen werden könnte. Da gab es zahlreiche private und organisierte Initiativen der Nachbarschaftshilfe – die meisten „ohne das Mascherl ‚Kirche'“, da gab es Lebensmittelausgaben der Caritas und der Vinzi-Werke, die weiter gelebte Betreuung der Kinder in pädagogischen Einrichtungen, die Dienste in Krankenhäusern und Pflegeheimen – und hier denke ich nicht nur an die, die für die Pflege und physiche Gesundheit Zuständigen, da gab es ein Emporschnellen der Anrufe bei der Telefonseelsorge und unsere diözesane Seelsorge-„Du-bist-nicht-allein-Hotline“, da wurde Fernunterricht auf sehr erfinderische Weise in Religion ausgeübt, da wurden Feierhilfen für zu Hause erstellt und gerade rund um die Osterbräuche an möglichst viele gebracht, damit zu Hause gefeiert werden kann, da haben Jungschar-, Jugend- und Ministrantengruppen Initiativen gesetzt, um den älteren Menschen auf irgendeine Art und Weise Nähe zu zeigen, und und und …

Wenn ich hier davon berichte, dann nicht deswegen das eine oder das andere zu loben oder zu verurteilen, sondern deswegen um deutlich zu machen, dass in jedem Menschen eigene Abwehrmechanismen Krisen gegenüber zu wirken beginnen. So etwa habe ich bei mir selbst mit der Zeit schon auch bemerkt, dass ich nicht immer in der Ruhe geblieben bin – war aber mein Lebenskreis ohnedies nicht sehr groß war, haben das auch nicht viele bemerkt (hoffe ich jedenfalls).

Auf alle Fälle bleibt die Frage in mir präsent, die mir da und dort nach dem Gespräch in Erinnerung blieb: das Allerschwerste scheint in unserer Leistungsgesellschaft wohl zu sein, auf sich selbst zurückverworfen zu werden. Mit sich selbst können viele nicht mehr umgehen – allein sein, vor Gott sein … all das gilt es, gerade jetzt (neu) zu lernen oder bzw. und zu vertiefen.