instruiert werden III

3. Umkehr

Noch einmal: auch wenn eine Instruktion keine Pastoraltheologie geben will: zumindest am Beginn dieser Schrift wird eine Perspektive hierfür angedeutet und auch ein wenig ausgefaltet. Da auch das erste Wort unseres Herrn und Meisters im Markus-Evangelium das der Bekehrung und damit der Hin- bzw. Umkehr zu Gott ist, darf ein „kleiner Gedankengang“ durch das Schreiben der Kleruskongregation[1] nicht fehlen, versuche ich doch nicht (zu) einseitig zu sein bzw. zu werden ….

Der Blickwinkel, der geöffnet wird regt an, unter diesem auch die nachfolgenden rechtlichen Normierungen zu sehen – ich werde zwar zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal darauf zurückkommen, denn: dann geht es wohl auch darum, in den Funktionen und Rollen, die es in einer Pfarre gibt, diese zu leben, also einen anderen Stil etwa von „Leitung“ an den Tag zu legen als den, den wir – leider – „gewohnt“ sind und der nicht zuletzt in den letzten Jahren in so manche Krise geführt hat, da die „Amtsgewalt“, die damit verbunden ist, missbraucht wurde. Es geht also um eine Umkehr, um ein „neues Denken“, um „Kreativität“ in der Art und Weise, wie Kirche sich im Lebensraum von „Pfarre“ versteht, um eine Verheutigung des Evangeliums im jeweiligen Kontext. Zugegeben: dieser ist wohl – weltweit betrachtet – alles andere als einförmig. Schon allein deswegen wäre es angebracht, irgendwo im Text dann auch aufscheinen zu lassen, dass es hier um jene Rahmen geht, die angelegt werden, innerhalb derer aber sich Kirche vor Ort dem entsprechend entwickeln kann, was ihre Sendung im Jetzt, Heute und Hier ausmacht – hinein eben in diese unsere Welt mit ihren Herausforderungen, auf die das Evangelium trifft.

Wenn diese Sendungsperspektive ernst genommen, bedacht und gelebt wird, ergibt sich Umkehr von selbst, die auch Struktur-Erneuerung/en mit sich bringt – die Geschichte der Lebens-Einheit „Pfarre“[2]. Diese wird kurz, zu kurz und damit meines Erachtens zu plakativ umrissen. Nicht alles, worum sich von Anfang an Getaufte im Haus versammelt haben, kann als „Pfarre der 1. Stunde“ angesehen werden, das wäre zu übertrieben. Kirche hat sich im Laufe des 1. Jahrtausends unterschiedlichst in ihren Gestalten entwickelt; das was wir heute „Pfarre“ kam erst Ende des 1. Jahrtausends auf, wenn ich es recht in Erinnerung habe. Wenn hier so getan wird, als ob es Pfarren – damit ist ja eine rechtliche Institution gemeint – schon von Anfang an gegeben hat (vgl. 6, 7), wird damit eigentlich ein falscher Eindruck erweckt. Darüber hinaus – nimmt man die Etymologie von „Parochia“ wirklich ernst, „Pfarre“ kommt von diesem Begriff – muss freilich auch ergänzt werden, dass der Begriff „Haus mitten unter den Häusern“ eher ein statisches Bild erzeugt; „paroikos“ bedeutet wohl eher „das Wohnen eines Fremden an einem Ort“ und schildert damit schon begrifflich die Lebendigkeit und die Wandelbarkeit, weil eben die, die Pfarre und damit Kirche vor Ort leben, zwar „in der Welt“, aber eben nicht „von ihr“ leben. Bekehrung hin zu Gott wohnt dem Begriff „Pfarre“ so gesehen eigentlich inne. – Und hier halte ich inne und frage mich schon, ob wir es uns nicht in unseren kirchlichen Strukturen – egal ob Pfarre oder auch Diözese – nicht schon zu sehr und zu schön bequem eingerichtet haben. Wie könnten und sollten wir, die vorgeben, mit Gott z leben, dies durch unsere Existenz mitten in dieser unserer Welt und Wirklichkeit zum Ausdruck bringen bzw. stärker leben?

Aspekte dessen, was heute das Leben von Menschen und damit auch Christen – auch im Leben einer Pfarre – ausmachen könnte, werden in den Abschnitt 8-10 der Instruktion angeführt. Wenn wir in unserer Diözese vom „Leben der Menschen“ ausgehen (vgl. unser Zukunftsbild), dann bedeutet dies eben auch in allen unseren Lebensvollzügen, eben auch in den Pfarren, Aspekte wie Mobilität, Diversität in den Weltanschauungen, Fluktuation, Demographie, Wandel der Erfahrungen, die Menschen umtreiben und damit auch eine wohl zumindest teilweise „völlig neue Art von Zugehörigkeit“ ernst zu nehmen[3] (vgl. besonders stark in den Abschnitten 16-20 der Instruktion[4]). Wenn ich an die Steiermark denke, dann muss hier noch weiter differenziert werden, weil all dies „ganz“ anders in (groß-)städtischen Regionen zu leben ist als in ländlich geprägten. Wer weiß denn schon in einer Großstadt wirklich, zu welcher territorialen Pfarre er gehört? Und: was bedeutet dies dann ausgefaltet auf das Selbstverständnis heutiger Pfarren und ihre Lebensäußerungen in der Vorbereitung und Feier von Sakramenten, zumal in Städten? Müsste, sollte es hier nicht weit mehr zu „inhaltlichen Schwerpunktsetzungen“ kommen (müssen) denn zu „In allen Pfarren gibt es alles“, gerade wenn der Begriff „Pfarre“ ernst genommen wird, der bekanntlich nicht so sehr ein Territorium umschreibt, sondern eine Gemeinschaft von Menschen[5]? Eine Nebenbemerkung sei hier auch schon gestattet: wenn von Pfarre die Rede ist, dann eben auch vom Pfarrer und damit einem Priester. Mir scheint, dass in so mancher Kritik, die von der „Klerikerzentriertheit“ dieser Instruktion spricht – auch darauf werde ich wohl später noch zurückkommen – dieser Punkt vergessen wird: Wenn ich „Pfarre“ sage, muss ich zugleich den „Pfarrer“ mitdenken[6].

Gerade deswegen ist es unumgänglich, auch den Dienst der Priester – und damit auch der Pfarrer – in der Kirche und damit auch der Pfarre neu zu denken: „Um die zentrale Bedeutung der missionarischen Präsenz der kirchlichen Gemeinschaft in der Welt zu fördern, ist es wichtig, nicht nur über ein neues Konzept der Pfarrei nachzudenken, sondern auch über den Dienst und die Sendung der Priester in ihr“ – so jedenfalls lese ich interpretierend Abschnitt 13 der Instruktion. Bekehrung, Umkehr ist angesagt – für alle Glieder, die Kirche in der Pfarre ausmachen (14f.) und in den verschiedenen Lebensvollzügen in ihr: Sakramente und Liturgie, Hinwendung zu den Armen, Verkündigung usw.: „Die Pfarrei ist keine hinfällige Struktur; gerade weil sie eine große Formbarkeit besitzt, kann sie ganz verschiedene Gestalten annehmen, die die Beweglichkeit und missionarische Kreativität des Pfarrers und der Gemeinde erfordern. Obwohl sie sicherlich nicht die einzige missionarische Einrichtung ist, wird sie, wenn sie fähig ist, sich ständig zu erneuern und anzupassen, weiterhin ‚die Kirche [sein], die inmitten der Häuser ihrer Söhne und Töchter lebt‘. Das setzt voraus, dass sie wirklich Kontakt zu den Familien und zum Leben des Volkes hat und nicht eine weitschweifige, von den Menschen getrennte Struktur oder eine Gruppe von Auserwählten wird, die auf sich selbst schaut. […] Wir müssen jedoch zugeben, dass der Aufruf zur Überprüfung und zur Erneuerung der Pfarreien noch nicht genügend gefruchtet hat, damit sie noch näher bei den Menschen und Bereiche lebendiger Gemeinschaft und Teilnahme sind und sich völlig auf die Mission ausrichten“[7].

[1] Es ist für mich schon auch frappierend, wie in manchen Kommentaren der Unterschied einfach nicht gesehen werden will, ob ein Schreiben des Papstes veröffentlicht worden ist oder das einer Kongregation, wird doch mitunter von „Rom“ gesprochen oder gar vom „Papst“, das bzw. der uns mit dieser Instruktion Wegweisung geben würde.

[2] Wenn im deutschen Text immer von „Pfarrei“ die Rede ist, dann ist damit eben die „österreichische“ „Pfarre“ gemeint.

[3] Ich erinnere mich bei diesem Gedanken gern an ein Diktum des früheren Sozialethikers an unserer Fakultät Leopold Neuhold, der schon vor Jahren immer wieder bei Vorträgen meinte: „Heutzutage sind nicht mehr diejenigen ‚meine Nachbarn‘, die neben mir wohnen, sondern weit mehr jene, deren Telefonnummer ich mir in meinem Mobiltelefon gespeichert habe.“

[4] Angesichts der sich verändert habenden Situation wird in 16 sogar von einer Art „existentiellem Territorium“ gesprochen, das heutzutage wohl eher Menschen zu einer Gemeinschaft finden lässt als es früher das bloß „territoriale“ Prinzip war.

[5] Can. 515 — § 1: „Die Pfarrei ist eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen, die in einer Teilkirche auf Dauer errichtet ist und deren Seelsorge unter der Autorität des Diözesanbischofs einem Pfarrer als ihrem eigenen Hirten anvertraut wird.“

[6] Erstmals wurde ich auf diese „innere Notwendigkeit“ bei der Lektüre der Erfahrungen in der Diözese Poitiers aufmerksam [ Reinhard Feiter – Hadwig Müller(Hg.): Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof? Ermutigende Erfahrungen der Gemeindebildung in Poitiers, Ostfildern 32010. Feiter entwirft in seiner abschließenden Reflexion dort (149ff.) die Unterscheidung zwischen „reproduktiver Erneuerung“ und „produktiver Erneuerung“. Mir scheint – no na net – dass in der Instruktion von der reproduktiven Erneuerung ausgegangen wird: innerhalb eines vorgegebenen Rahmens wird Neues zu implementieren versucht. Dies ist auch der übliche Weg. Auf diesem darf (!) meines Erachtens aber nicht der [neue] Impuls „von außen“ links liegen bleiben, den „thinking out of the box“ ermöglicht und der vom Auferstandenen uns im Heiligen Geist je neu zugemutet wird. Vielfach allerdings bleiben wir selbst – und die Instruktion „muss“ dies von ihrer Grundausrichtung auch – mitunter auch uneingestandener Maßen innerhalb der vorhandenen Schemata mit unserem Denken und Handeln hängen, sodass dann die schon angesprochenen Debatten etwa zum Thema „Leitung“ „bis zur Vergasung“ geführt werden.

[7] Papst Franziskus: Evangelii gaudium 28.