instruiert werden – IX

9. Leib Christi

Eines der wohl bekanntesten biblischen Bilder für „Kirche“ ist das vom „Leib Christi“, das der Völkerapostel Paulus in manchen seiner Schreiben und in unterschiedlicher Akzentuierung eingebracht hat (vgl. Röm 12; 1Kor 12-13; Eph 5). Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Glieder am Leib ist in allen „Versionen“ von Bedeutung: jedes hat spezifische Aufgaben zum Gelingen und Leben des Ganzen. Und gerade deswegen ist nicht eines „besser“ als ein anderes – vor allem in 1Kor wird darauf Wert gelegt; auch die Instruktion weist darauf hin, etwa in 28: nur so erstrahlen die unterschiedlichen Berufungen etwa der geweihten Amtsträger oder auch der verschiedenartigen Charismen im rechten Licht.[1]

Unterschiedliche Begabungen – ein Leib. Unterschiedliche Aufgaben – ein Leib. In Kapitel V. – der Abschnitt über die Heiligtümer darin ist für mich eher ein Fremdkörper auch im Gedankengang und (!) nicht im eigentlichen Fokus der Instruktion stehend, die ja von der – missionarischen – Sendung der Pfarre handelt. Im Zusammenhang wird hier freilich ausgesagt, dass die unterschiedlichen Lebens- und Erfahrungsräume von Kirche in einer Pfarre – um im Bild zu bleiben – als „Leib“ füreinander berufen sind und daraus (!) die missionarische Dimension der Kirche erwächst. Welch anderes Bild wir doch als „Leib Christi“ mitunter auf den verschiedenen Ebenen von Kirche abgeben![2] Gerade deswegen scheint das Wort von der „pastoralen Umkehr“, das programmatisch über der Instruktion steht, ins Leben umzusetzen zu sein, indem sich die Pfarren verstehen als Gemeinschaften von Gemeinschaften – Christen sind eben davon geprägt, füreinander zu leben: Inklusion als Stichwort wie auch die Zuwendung zu jenen, die ihre Nähe besonders brauchen, werden von der Instruktion als Beispiele angeführt.

Noch einmal wird in diesem Kontext deutlich: es geht der Instruktion in diesem Abschnitt ganz sicher nicht darum, die innere Aufbauorganisation der Einheit „Pfarre“ zu beschreiben, sondern ihre Berufung aus verschiedenen Blickwinkeln zu benennen. Und daher auch: könnte dann nicht auch ein solcher Blick angebracht sein als Verstehensschlüssel für die rechtlichen Normierungen, die im Anschluss aneinandergereiht werden? Um es etwas konkreter zu fragen: wenn also von „pastoraler Umkehr“ gesprochen wird, dann gilt es, diese auch von jenen zu leben, die einen Dienst in der Kirche, einen Dienst in der Pfarre auszuüben haben, der eben ganz und gar davon geprägt ist, die Umkehr zu Christus als dem einzigen Herrn der Kirche durch die Person der Handelnden wie auch durch die einzelnen Lebensvollzüge von Kirche durchschimmern zu lassen. Unter diesen Vorzeichen den Dienst des Pfarrers, des Diakons etc. zu leben mit eben diesen Rahmenbedingungen des (Kirchen-)Rechts wie auch der „pastoralen Umkehr“: dies zu buchstabieren, mehr noch zu leben und in die Tat umzusetzen und damit einen Weg jenseits der üblichen Fragestellungen danach, wer denn nun „der Mehrere“ ist – wäre das nicht allemal lohnend, anzudenken oder als Möglichkeit in Betracht zu ziehen? Dort, wo ich in den letzten Jahren solche Gedanken in meinem Auftrag als Bischof zu äußern versucht habe, ist eigentlich deutlich geworden, wie schwer ein solcher „Perspektivenwechsel“ fällt, sind wir doch alle zutiefst – auch in der Kirche – geprägt vom einfachen schwarweißmalerischen „0ben“ und „unten“, „links“ und „rechts“ und bleiben vielfach bei der lähmenden Frage stecken – um es an einem Beispiel deutlich zu machen: „Wer darf wem was anschaffen?“[3]

[1] Wie sehr doch in diversen Debatten vor allem im deutschen Sprachraum dem nicht entsprochen wird, mitunter sogar der Eindruck erweckt wird, dass „Laien“ den geweihten Amtsträgern nur gegenüberstehen und daher sich auch zwischen diesen Gruppierungen ein „Machtkampf“ abspielt. Ganz abgesehen von der bei uns noch mehr zugespitzten Erfahrung, dass wohl vielfach dieser zwischen den hauptamtlich in der Kirche angestellten Laien und den hauptamtlich tätigen geweihten Diensten ausgetragen wird, bleibt zu ergänzen, dass dies wohl auch Ausfluss einer Art Kirche zu leben darstellt, die nicht dem entspricht, was das Bild vom „Leib“ andeutet und vorgibt – die Erfahrung von Machtausleben [geistig, geistlich, physisch, …] zeugt leidvoll davon. Die Erfahrung in anderen Kontexten ist aber auch zu nennen – in den Tagen, in denen ich diese Zeilen niederschreibe, lese ich gerade ein Interviewbuch (Andrea Riccardi: Alles kann sich ändern. Gespräche mit Massimo Nori, Würzburg 2018) und finde dort eine Passage, die den Gründer der internationalen Bewegung Sant’Egidio sagen lässt (47f.): „Wir dürfen den Klerikalismus aber [..] nicht durch eine Art Syndikalismus der Laien ersetzen. […] Ich bin davon überzeugt, dass die Welt so groß ist, dass ein Laie, wenn er Verantwortung übernehmen will, dies auch tun kann; zwar kann er die Pfarrei, die schließlich allen gehört, nicht für sich allein in Anspruch nehmen, aber er kann sehr viel tun. Das Problem sind nicht die Ämter; es ist keine juristisch-administrative Frage. Die eigentliche Frage ist das Evangelium: dass es wächst, verkündet wird, lebendig und wirksam wird. Ein Laientum, das vom Geist des Evangeliums durchströmt ist, lässt die Kirche wachsen. In einem so weiten und lebendigen Panorama erhalten auch die Ämter eine neue Gestalt. Vielleicht entstehen sogar neue. Aber auch das Amt des Bischofs verändert sich.“

[2] Wenn ich das hier so niederschreibe, dann soll damit keineswegs Fehlverhalten von wem auch immer toleriert werden, aber eben auch deutlich gesagt werden, dass wir im „Normalfall“ davon ausgehen dürfen und sollen, dass die Jüngerinnen und Jünger Christi sich allesamt redlich darum mühen, in den Fußspuren Jesu zu leben, um so ihren persönlichen Weg, ihre persönliche Berufung im Christsein zu entdecken.

[3] Dass diese Frage alles andere als nebensächlich ist, ist doch diese in einem Dienstverhältnis eine nicht zu unterschätzende, sei nicht außer Acht gelassen. Die Art und Weise ehrlichen Umgangs miteinander und eben nicht bloß das eines dienstlichen Gegenübers kann dennoch auf der Strecke bleiben …
Deutlich wird eine solche tiefsitzende Einstellung unter anderem auch in den COVID-Lockerungen, die derzeit in Österreich gelebt werden: auf der einen Seite wird auf die persönliche Verantwortung füreinander Wert gelegt, auf der anderen Seite entsteht mitunter der Eindruck: alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt – die Frage nach der Sinnhaftigkeit stellt sich in einem solchen Denken dann gar nicht oder nur schwer, ganz abgesehen von der Farce, deren Zeugen wir sind, dass dann sofort Rechtsfragen gestellt werden, die Verordnungen und deren Rechtmäßigkeit anzweifeln. – In der ersten Phase der Regelungen für Gottesdienste hatte auch ich ein ähnliches Erlebnis: die Priester verlangten nach den ersten Maßnahmen vor dem großen lockdown am 16. März klare und genaue Vorgaben. Diese wurden erfüllt – noch am Abend der Aussendung hat schon der erste Pfarrer nachgefragt, ob denn das mit der Verschiebung der Firmung wirklich Geltung habe …