instruiert werden XXII

22. „hätte aber die Liebe nicht“

Bei der Lektüre des neuen Buches über „Freiheit“ von Kardinal Marx habe ich mehrmals seine Bitte gelesen, Praxis, Lehre und Gebet unseres Glaubens zusammenzuhalten[1]. Und tatsächlich zeigt es auch die Erfahrung: Inhalte [Lehre] werden dort besser verstanden, wo Leben [Beziehung, Liebe] gelebt wird: „Vor allem bekleidet euch mit der Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist!“ (Kol 3,14) bzw. „Vor allem haltet beharrlich fest an der Liebe zueinander“ (1Petr 4,8a) könnten als Belegstellen aus der Bibel hierfür angeführt werden. Das, was mir in Zusammenhang mit der Instruktion – und darum soll es ja in diesen unfrisierten Gedanken meinerseits gehen – besonders nahe geht ist dieses „vor allem“. Denn das heißt dann eben auch wirklich „vor“ (!) „allem“. Liebe – und damit Beziehung, also konkretes Leben – geht vor – auch vor rechtlichen Fragestellungen.

Denn: rechtliche Grundsätze bilden ja nicht das Leben ab! – Dies habe ich schon öfter in diesen Gedanken niedergeschrieben. Normierungen setzen Grenzen und sind nicht die Beschreibung des einen Weges, der unbedingt beschritten werden muss. Und das ist – ehe ich mich dann in Kürze auch dem zweiten, vielfach debattierten Teil der Instruktion intensiver zuwende – eben auch mitzusehen – gerade wenn dieses Dokument eben auch von der „Umkehr“ spricht. Es geht demnach auch um Umkehr in der Art und Weise, wie Pfarre gelebt wird, wie die Dienste in der Pfarre gelebt werden, denn: alle diese sind Instrumente zur missionarisch-evangelisierenden Sendung der Kirche und nicht für den Selbsterhalt. Klar ist freilich, dass jede menschliche Gemeinschaft, damit sie funktionieren kann, eine Ordnung braucht, in der und durch die geregelt wird, wie der Berufung dieser Gemeinschaft entsprochen werden kann. Aber genau das (!) ist die rechte Betrachtungsweise, will man der Instruktion entsprechen.[2]

Wenn dann etwa das Amt des Pfarrers[3] „der umfassenden Seelsorge“ zu dienen hat (Instruktion 66) dann wird damit deutlich, dass es im Gesamt der Sendung der Kirche eben um das „Bleiben in der Nachfolge“, um die Orientierung an dem einen Herrn geht – und dies ist allen in Erinnerung zu rufen. Sie kann eben gesehen werden als „haltet beharrlich fest an der Liebe zueinander“. Wird dies nicht gelebt, so kann und darf man sich eigentlich nicht wundern, dass Christen kein entsprechendes Zeugnis vor und in unserer Welt abgeben. Denn: dies ist unser Kennzeichen und damit auch unsere Sendung [„Mission“]. Und hierzu gilt es sich immer wieder neu zu bekehren – an Haupt und Gliedern. Ich meine, gerade hierin in unseren Pfarren und sonstigen kirchlichen Erfahrungsräumen wie auch im Großen einer Bischofskonferenz oder auch der gesamten Weltkirche immer und immer wieder Grabenkämpfe wahrzunehmen und auch, dass bloß davon die Rede ist, die „Macht“ neu zu verteilen – damit wird aber eigentlich nichts „erneuert“, sondern „im selben System“ unter geänderten Vorzeichen weiter getan. Und zugleich muss ich – einigermaßen „zerknirscht“ – auch feststellen, dass ich mir nur schwer rechtliche Normierungen zu dieser Art des Lebens vorstellen kann: Wie „fordere“ ich ein, dass unser erstes Ansinnen als Kirche und damit auch als Pfarre oder anderer kirchlicher Erfahrungsraum eben unsere Sendung der Liebe hinein in die Welt sein muss und nicht der Organisationsaufbau etc.? Denn: Normierungen betreffen eben ja auch nur bestehende Organisationen bzw. Institutionen und sind eigentlich nicht dazu geeignet, die Vitalität zu beschreiben, in der Kirche sich in unseren Landen ereignet. –

Wieso ich darüber so ausführlich nachdenke? Ganz einfach: Wenn dem so ist, dann greifen Normen immer auf eine Idealvorstellung zu. Sie können nie und nimmer (!) alle Fälle des konkreten Lebens abdecken und sind auch nicht dazu geeignet – ich drücke es jetzt organisationstheoretisch aus – „die Geschäftsordnung“ des Lebens abzubilden. Ihr Interesse ist es, die „Leitplanken“ zu beschreiben: Laufen wir daher – zumindest in unseren Breiten – nicht Gefahr, von vornherein Texte „über zu interpretieren“? Hinzu kommt, dass wir eben ein sehr ausgeprägtes Rechts-denken und -empfinden haben – vielleicht auch deswegen, weil wir mitunter meinen, dass wir selbst uns dann mit unserer Verantwortung nobel „aus dem Spiel“ nehmen können … Und daher ist die Versuchung – und ich verwende diesen Begriff bewusst – auch groß, nach genauen „Rechtsklärungen“ zu gieren und zu suchen, die aber letztlich dann den Raum des Lebens „einschnüren“. Irgendwie „vertrackt“ das Ganze – aber eben auch ein Stück weit unsere Mentalität, die es uns erschwert, „unbefangen“ nach den Inhalten zu suchen, die geschützt werden wollen in rechtlichen Normierungen.[4]

[1] Reinhard Marx: Freiheit, München: 2020:“in dem Bemühen um die Einheit aller Christen sollte neben dem Ringen um Übereinstimmung in Formulierungen noch stärker die Offenheit dafür wachsen, auch die Gemeinsamkeit des Gebetes und der Praxis der Liebe in gleicher Weise als Ort der Wahrheit zu sehen“. Und: “ Die Lehre ist nur ein Teil der Evangelisierung; Praxis des Glaubens und Gebet kommen gleichberechtigt hinzu.“

[2] Dass es auch in dieser Hinsicht so manch Bedenkenswertes gibt, das unbedingt geschärft werden muss, ist in den vergangenen Beiträgen wohl auch schon deutlich geworden und wird auch deutlich dort benannt, wo es hingehört.

[3] Zum Begriff „Amt“ kommt mir immer wieder, dass der neue Bischof von Gurk, Josef Marketz in einem seiner Interviews mal gemeint hat, dass es diesen im Slowenischen nicht gibt, dort kann nur vom „Dienst“ gesprochen werden.

[4] Ich weiß, dass unbedingt (auch) ergänzt werden muss, dass in diesen Zeiten der Unsicherheit/en und der Polarisierung/en in der Kirche eben auch immer wieder Einzelpersonen und Gruppen gibt, die ganz bewusst aus Eigeninteresse (!) agieren. Hinzu kommt, dass der Dialog zwischen den einzelnen Verantwortungsträgern der Kirche vor Ort, einer Diözese und den römischen Behörden – mitunter auch aufgrund schlechter Erfahrungen – ausbaufähig ist und eben auch nicht immer dem Begriff wirklich entsprechend gelebt wurde oder gar nach wie vor nicht immer wird.