Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …
Es war Fastenzeit, als die Krise viele Beschränkungen mit sich brachte. Ostern stand vor der Tür. Das höchste Fest der Christenheit. Wie könnte es gefeiert werden? Denn: „öffentliche“ Gottesdienste würden wohl noch nicht möglich sein.
Mir war klar: Gottesdienste der Kirche sind – eben weil sie solche der Kirche sind – immer „öffentlich“. Da Kirchen als Gebäude per definitionem aber dem sogenannten „öffentlichen Raum“ zuzurechnen sind, die durch die erste Verordnung des Gesundheitsministeriums, die am 30. April ausgelaufen ist, zu jenen Örtlichkeiten zählten, die nicht betreten werden durften, kann der Begriff „öffentlich“ eben auch auf diesem Hintergrund verstanden werden. Nebenbei: die Rede davon, dass die Kirchen zugesperrt gewesen seien und daher am 15. Mai „wieder öffnen durften“, stimmt nicht, weil sie immer für das persönliche Gebet offen gestanden sind. Diese Ausnahme vom Betretungsverbot wurde uns vom Kultusamt als rechtens bestätigt. Dass sich die einen oder anderen theologischen Wissenschafter daher über den falschen Begriff „öffentlicher Gottesdienst“ alterierten ist zum einen verständlich, trifft aber – weil der Gesetzgeber etwas anderes damit auszudrücken versuchte – nicht „des Pudels Kern“. Mitunter wurde uns Bischöfen aus anderen Kreisen vorgeworfen, wir wären gegenüber dem Ausspruch des Petrus „man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,28) nicht gehorsam – und würden daher das Menschenrecht der Religionsfreiheit nicht ernst genug nehmen. Dem muss entgegengehalten werden, dass ein Virus bei der Ansteckungsmöglichkeit eben nicht unterscheidet, um welche „Veranstaltung“ es sich handelt. Bekanntlich – nur zur Erinnerung – waren die Hotspots in Südkorea und Frankreich lt. Medien jeweils Großveranstaltungen christlicher Gruppierungen.
Wie also nun Ostern feiern? Klar wurde recht bald: die Rahmenbedingungen werden sich nicht ändern. Da der christliche Gottesdienst ohnedies immer stellvertretend „für alle“ gefeiert wird, haben wir unter uns Bischöfen nach Möglichkeiten gesucht, einen einigermaßen „lebbaren Spagat“ zu ermöglichen. Zum einen galt es den „öffentlichen Raum Kirche“ zu einem geschlossenen zu machen; zum anderen erschien es uns notwendig, dass wenigstens eine kleine Gruppe und nicht der Priester allein zelebriert; zum dritten galt es ernst zu nehmen, dass ein Grundprinzip der Verhinderung der weiteren Ausbreitung des Virus ist, die persönlichen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Die Quadratur des Kreises kann nicht gefunden werden – mit den Richtlinien der Österreichischen Bischofskonferenz zur Feier der Kar- und Ostertage haben wir es dennoch versucht. Und haben von einigen Seiten – nicht nur von wissenschaftlicher, sondern auch von Praktikern – „virtuelle Argumentations-Schläge“ bekommen. Dies ist ganz und gar verständlich, doch wäre durchaus zu empfehlen, bevor Dinge an die Öffentlichkeit getragen werden – wie es dem Evangelium entspricht – zunächst unter vier Augen miteinander die Angelegenheit zu besprechen.
Dass die Richtlinien erst kurz vor dem Palmsonntag bekannt gegeben wurden, stimmt. Die andere Seite stimmt auch: Sie wurden österreichweit in knapp zwei Wochen erarbeitet – unmittelbar nach dem Beginn des „lockdown“ war ja noch abzuschätzen, wie es mit der Situation generell weitergeht. Schließlich: unmittelbar vor der Fertigstellung unserer Richtlinien kamen noch solche aus der Gottesdienstkongregation, die auch eingearbeitet werden mussten. In der Zwischenzeit gab es vor allem in der Steiermark unzählige Ideen, wie denn die Segnung der Palmzweige oder auch die Segnung der Osterspeisen gestaltet werden könnte. Wenn ich es recht sehe, gab es keine einzige Idee, wie die Liturgie der Kartage unter diesen Voraussetzungen gestaltet werden könnte. Freilich: Segnungen haben in unserem Volk eine ganz besondere Verankerung und dürfen daher nicht einfach übergangen werden, dennoch sei die Feststellung von eben erlaubt.
Hat nun Ostern stattgefunden? Neben den Gedanken, die Bischof Manfred Scheuer niedergeschrieben hat, noch einige Erfahrungen meinerseits – aus den gottesdienstlichen Feiern der Heiligen Woche in der Grazer Kathedralkirche.
- Ostern hat stattgefunden – schon vor knapp 2.000 Jahren. Als Kirche feiern wir erinnernd und vergegenwärtigend. Und wir feiern immer stellvertretend – für alle.
- Mir kam schon vor der Heiligen Woche, der Karwoche, mein Vorgänger Bischof Egon Kapellari in den Sinn, der von einer Begegnung in einem russisch-orthodoxen Kloster in Jerusalem vor Jahrzehnten – noch zur Zeit der Sowjetunion – berichtete. Einige Ordensfrauen feierten stundenlang das kirchliche Abendgebet. Sinnlos? Die Antwort der Schwestern auf diese Frage war einfach: „Wir beten für ganz Russland! “
- Schon die Größe des Domes machte mir deutlich: wir sind nicht für uns hier. Ich glaube, dass die Übertragung der Feiern ein Stück weit – wiewohl nicht real – die Steiermark in die Kathedrale Kirche geholt hat. Die hierfür nötige Technik stand im Hintergrund, wurde aber feinfühlig geführt.
- Die immer selbe Feiergemeinde – sowohl jene im Altarraum wie auch die Musikerinnen und Musiker weit entfernt auf der Orgelempore (noch heute bin ich wirklich angetan von der einfachen und dennoch festlichen Musik und den Gesängen, die dieses kleine Ensemble unserer Dommusik zuwege gebracht hat) – erleichterte es, „präsent“ zu sein.
- Die die Art zu feiern war eine sehr ruhige – die Zeit wurde nicht lang. Und wir haben uns nicht nur Mühe gegeben, sondern ernsthaft „festlich gefeiert“.
Besondere Osterfeiern also – in herausfordernde Zeiten.