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Tagebuchnotizen anl. der Corona-Krise 2020

Für eine geistvoll erneuerte Normalität

Am heutigen Pfingstsonntag wenden sich die Bischöfe Österreichs mit einem Hirtenwort an die Menschen in Österreich:

Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes, der in jeder Situation alles neu machen kann. Die verängstigten Jünger wurden durch diesen Geist ermutigt, ihre Isolation zu verlassen und freimütig das Evangelium zu verkünden. Dieses pfingstliche Ereignis sowie den fünften Jahrestag des Erscheinens der Enzyklika „Laudato sì“ von Papst Franziskus nehmen wir zum Anlass, uns an alle Menschen in Österreich zu wenden. Zur Eindämmung der Corona-Pandemie mussten wir das öffentliche Leben auf ein Minimum reduzieren.

Selbst die gemeinsamen Gottesdienste, die vielen Menschen geistliche Nahrung bieten, konnten nicht mehr stattfinden. Das war ein schwerer Verzicht, auch wenn dadurch in den Häusern und Wohnungen vielleicht mehr gebetet und damit mitten im Alltag der Glaube stärker wurde. Jetzt stehen wir in der Krisenbewältigung an einer Schwelle. Das öffentliche Leben wird schrittweise normalisiert.

Auf diesem Weg hin zu einer „erneuerten Normalität“ feiern wir Pfingsten, das Fest eines Neuen Geistes. Bereits in den vergangenen Wochen war sein belebender Atem im erfreulichen Zusammenhalt von Politik und Gesellschaft zu spüren. Die rigorosen Einschränkungen der Grundrechte wurden von der Bevölkerung mitgetragen. Jetzt jedoch mehren sich die kritischen Stimmen, die nachträglich die Verhältnismäßigkeit der verordneten Maßnahmen in Frage stellen. In dieser kritischen Phase plädieren wir für eine nüchterne Reflexion des Vergangenen sowie für ein konstruktives Miteinander, das in einer lebendigen Demokratie möglich ist. Das entscheidende Kriterium muss das Gemeinwohl sein, ohne dass damit die Freiheitsrechte des Einzelnen vernachlässigt werden dürften. Ja, für diese heikle, aber notwendige Güterabwägung brauchen wir einen Neuen Geist! Das pfingstliche Ur-Wunder von Verständigung und Aufbruch ist auch heutzutage möglich – und nötig.

Pfingsten ist auch das Geburtsfest der Kirche. Papst Franziskus bittet uns eindringlich, dass wir uns als Gläubige nicht in einer bequemen, selbstverliebten Distanz von der Welt absondern, sondern über die eigenen Grenzen hinausgehen, um bei denen zu sein, die heute physisch, psychisch, sozial und geistlich verwundet sind. Der Heilige Geist ist für diese Weltzuwendung der primäre Herzschrittmacher. Er schenkt uns alle Gaben und Kompetenzen, die wir jetzt in der anstrengenden zweiten Phase der Krisenbewältigung brauchen. Die folgenden sieben Paare von Geistesgaben, die wir als Leitmotiv für dieses Schreiben gewählt haben, empfinden wir als Einladung, Auftrag und Befähigung, eine „erneuerte Normalität“ für unser Land aktiv mitzugestalten. Dankbar und staunend nehmen wir wahr, dass diese Talente und Charismen schon in vielen Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche Großartiges bewirkt haben.

 

Geist der Dankbarkeit und Demut

In den vergangenen Wochen ist es gelungen, die Infektionskurve abzuflachen. Die Maßnahmen haben Wirkung gezeigt. Trotz der Entbehrungen war ein Geist der Dankbarkeit bemerkbar, den wir verstärken und als Qualität für einen neuen Lebensstil mitnehmen wollen. Dankbarkeit gibt ein Gespür für das rechte Maß und befähigt zum Staunen. Zuerst möchten wir Gott danken, dessen Gegenwart Ruhe und Hoffnung verleiht – auch wenn er uns schwierige Situationen und Krisen zumutet. Danach gebührt vielen Menschen ein Blumenstrauß-„Dankeschön“, in erster Linie allen, die in der kritischen Phase die Infrastruktur unseres Landes aufrechterhalten haben und es auch zukünftig tun. Wir danken für die verlässliche Grundversorgung mit Lebensmitteln, mit Sozial-, Gesundheits-, Verkehrs-, Energie- und Finanzdienstleistungen sowie für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit.

Ausdrücklich danken wir den Familien und Hausgemeinschaften, die in der Ausnahmesituation viel Ungewissheit abgefangen und emotionalen Halt gegeben haben. In den Familien geschieht eine wertvolle Basisarbeit für Bildung, Lebensfreude, Soziales und die primäre Vermittlung von Werten, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Ganz selbstverständlich wurde eine hohe Anpassungsleistung an die außergewöhnliche Situation erbracht. Besonders danken wir allen, die den Mehraufwand an unbezahlter Haus-, Betreuungs- und Pflegearbeit übernommen haben. Meistens sind das Frauen, aber auch immer mehr Männer beteiligen sich an einer fairen Aufteilung dieser Arbeiten. Wir möchten ebenso Kindern und Jugendlichen danken, die in ihrer Sehnsucht nach direkten Begegnungen und in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt waren. Der Wert von Freundschaft ist nicht nur ihnen, sondern uns allen wieder bewusst geworden.

Die Liste der Danksagung wäre nicht vollständig, ohne die Caritas mit ihren unterschiedlichen Diensten sowie das Rote Kreuz und alle weiteren Hilfsorganisationen, Beratungsstellen und Sozialeinrichtungen, die vielen Freiwilligeninitiativen, wie auch die Seelsorgerinnen und Seelsorger zu würdigen. Mit Professionalität und einem hohen Maß an ehrenamtlichem Engagement waren sie in der Akutphase präsent und leisten auch weiterhin einen enormen Beitrag zur Bewältigung der Krise. In den letzten Wochen ist vielen bewusst geworden, dass wir aufeinander angewiesen sind. Niemand kann für sich allein das Leben meistern. Diese Erkenntnis macht uns menschlicher und vielleicht auch demütiger – nicht zuletzt im Blick auf Bedürftige und Notleidende, die meist weniger Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Manchmal brauchen wir eine Krise, um das zu begreifen.

Die Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte lehrt uns alle das Geschenk eines freien Lebens neu zu schätzen. Wie verletzlich das hohe Gut der Gesundheit und der Gesamtorganismus Gesellschaft insgesamt sind, wurde uns deutlich vor Augen geführt. Nichts ist selbstverständlich! Davon überzeugt, laden wir bewusst zu einer „Spiritualität der Dankbarkeit“ ein. Mit dem Danken bekommt das Leben eine neue Qualität. Wie viele haben in den plötzlich ruhigen Morgenstimmungen über die Konzerte der Vögel staunen gelernt? Sind wir nicht Teil einer großartigen Schöpfung – auch wenn das Schicksal oft sehr hart sein kann? Unser Leben ist trotz allem ein überraschendes Geschenk, eine freie Gabe Gottes – von seinem Anfang bis zu seinem natürlichen Ende. Wer zu danken beginnt, befreit sich und andere aus dem Teufelskreis von Neid und Gier. Dankbare Menschen sind befreit von der Angst, zu kurz zu kommen. Dankbarkeit ist der Königsweg zu Gott, die Not höchstens der Fluchtweg.

 

Geist der Versöhnung und Verbundenheit

Durch das verordnete Physical Distancing, also „Mindestabstand zum Nächsten“, ist nicht nur der Wunsch nach körperlicher Nähe, sondern auch eine neue soziale Verbundenheit der Menschen gewachsen. Balkonkonzerte, Telefonate, intensive Kommunikation in den Sozialen Medien, wohlwollende Signale in die Nachbarschaft, Kerzen in Fenstern, spontanes Applaudieren, virtuelle Chöre und Orchester – all das waren kreative Zeichen von Verbundenheit und Zugehörigkeit zu einem größeren Wir. Menschsein gibt es in erfüllender Form nur im Miteinander. Wir möchten ermutigen, diese wertvolle Erfahrung der entbehrungsreichen Corona-Zeit weder im Dickicht der herandrängenden Sorgen untergehen zu lassen, noch dem Ärger und Frust zu opfern, der immer wieder durchbricht. Der Heilige Geist begründet eine Verbundenheit, die Belastungen aushält und auch einen wahrhaftigen Blick auf die schmerzlichen Folgen der Krise ermöglicht.

Viele Eltern sind an die Grenzen ihrer Belastungen gekommen und einige fast verzweifelt. Digitales Lernen und Home-Schooling waren nicht nur aufregend neu, sondern für nicht wenige eine zu große Hürde. Familien mit schwerbehinderten Kindern hatten damit zu kämpfen, dass die spezifischen Betreuungseinrichtungen großteils geschlossen waren. Zu wirklich dramatischen Situationen kam es, wenn ältere und schwer kranke Menschen ihre Angehörigen aus Sicherheitsgründen lange nicht besuchen konnten oder diese in den Spitälern und Heimen alleine sterben mussten. Bewährte Trauerrituale waren nur eingeschränkt möglich. Die medial kolportierten Bedrohungsbilder und die rigorosen Ausgangsbeschränkungen erhöhten das Risiko von emotionaler Isolation, Abhängigkeitserkrankungen, Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen. Anteilnahme ist gefordert. Jetzt vermehrt Gespräche, Seelsorge, Beratungs- und Therapiemöglichkeiten anzubieten, ist eine pfingstliche Aufgabe. Der Heilige Geist stellt sich mit Vorliebe als Anwalt und Tröster an die Seite der Verängstigten und Geschwächten.

Wirkliche Verbundenheit kann nur wachsen, wenn wir alle immer wieder Schritte der Versöhnung versuchen. Teilweise haben zu enge Wohnsituationen zu häuslichen Spannungen geführt. Die ohnehin besorgniserregende Bereitschaft zu Aggression und häuslicher Gewalt hat zugenommen und muss mit weiteren sofortigen Maßnahmen zum Schutz gewaltbetroffener Personen abgefangen werden. Auch in vielen „normalen“ Beziehungen verschärften sich die Konflikte. Wie viel Freude, Lebenskraft und Kreativität geht doch verloren, wenn die Altlasten von Schuld, Kränkung und Verbitterung nicht abgebaut werden? Nur Versöhnung schafft neue Lebensqualität, weil sie Beziehungen gesunden lässt. Ein versöhnter Mensch lebt gelassener und fröhlicher. Er kann Schwächen eingestehen und unterbricht damit den gefährlichen Teufelskreis des Beschuldigens. Der pfingstliche Geist ist ein Motor und Beschleuniger von Schritten zur Versöhnung. Täglich brauchen wir Güte und Barmherzigkeit für uns selbst und füreinander. Täglich ein paar Schritte – in Richtung „erneuerte Normalität“.

Ein besonderes Anliegen ist uns die europäische Dimension von Verbundenheit. Anstatt 25 Jahre Mitgliedschaft in der EU zu feiern und damit auch eine größer gewordene Begegnungsfreiheit im Schengen-Raum, blickten wir auf geschlossene Grenzen. Der Kampf gegen die Pandemie zeigt einmal mehr, wie wichtig unser gemeinsames Europa ist und auch wie zerbrechlich. Nach dem unentschlossen wirkenden Agieren der Union in der Akutphase der Krise klingen die Vorhaben jetzt zukunftsweisend. Wichtig ist es, die ursprüngliche Gründungsidee zur Sicherung des Friedens auf einem durch Nationalismus und Krieg zerrütteten Kontinent in eine „erneuerte Normalität“ mitzunehmen. Auch das Bekenntnis zu gemeinsamen ambitionierten Maßnahmen gegen den Klimawandel soll forciert umgesetzt werden. Die Europäische Union ist eine einzigartige Friedens- und Zivilisationsleistung.

Der pfingstliche Geist ist immer parteiisch für den Einzelnen und für das Ganze, er ist der Impulsgeber für eine leidenschaftliche Zusammenarbeit und immunisiert gegen das Virus nationalistischer Kleinstaaterei. Obsolet ist der Wettbewerb geworden, wer als bester aus der Krise hervorgeht, denn letztlich sind wir alle voneinander abhängig. Hoffentlich ein Lernertrag aus der Krise: Wenn es unseren europäischen Nachbarn gut geht, geht es auch uns gut. Dasselbe gilt über unseren Kontinent hinaus für die große Menschheitsfamilie.

 

Geist der Aufmerksamkeit und Solidarität

In den vergangenen Wochen haben wir ein Comeback von Solidarität erlebt. Die Nachbarschaftshilfe blühte auf. Mit unzähligen spontanen Initiativen wurde besonders gefährdeten Personen geholfen. Viele digitale Plattformen, die soziale Interaktionen ermöglichen, sind entstanden. Auch wenn die beachtlich bejubelte Solidarität der Corona-Anfangszeit schwächer geworden ist, sollte uns das Wissen um dieses große solidarische Potenzial für die Bewältigung der aktuellen Wirtschafts- und Sozialkrise beflügeln. Sorgenvoll blicken wir auf bisher armutsgefährdete Personen, deren Situation die Krise noch zu verschärfen droht – vor allem Arbeitslose, Frauen, Alleinerziehende und Mindestpensionisten. Auch die Folgen der unheilvollen Verbindung zwischen Armut, Scham und sozialer Ausgrenzung werden unsere Gesellschaft langfristig schwächen, wenn wir nicht entschiedene Gegenmaßnahmen setzen.

Vor 75 Jahren haben unsere Eltern und Großeltern aus dem Trümmerfeld des Krieges heraus mit dem Aufbau der Zweiten Republik begonnen. Unter größter Bedrängnis legten sie den Grundstein für eine österreichische Erfolgsstory, in der sich Wohlstand, soziale Sicherheit und Ausgleich als wichtige gesellschaftstragende Komponenten herausbildeten. Damit haben sie auch die Basis für ein Solidaritätsbewusstsein geschaffen, das bis heute durch ein hohes Engagement in freiwilligen Organisationen zum Ausdruck kommt. Der Corona-Lockdown zeigte, wie wichtig ein funktionierender Sozialstaat, ein leistungsfähiges Gesundheitssystem und eine gute Zusammenarbeit zwischen Politik und Sozialpartnerschaft sind. Wir plädieren angesichts der neuen Herausforderungen für einen nationalen Solidaritätspakt, um für alle in Österreich lebenden Menschen eine gute Zukunft zu ermöglichen. Er lässt sich nicht verordnen, kann aber auf der Basis eines guten Dialogs, mit kreativen Beteiligungsprozessen und mit der aktiven Einbindung der Zivilgesellschaft gelingen.

Eine schmerzliche Folge der Corona-Maßnahmen ist die enorm gestiegene Arbeitslosigkeit. Für die Betroffenen ist der Verlust eines Beschäftigungsverhältnisses oft dramatisch, weil damit auch Wohnung und Lebensunterhalt gefährdet sind. Die Arbeit zu verlieren, beeinträchtigt das Selbstwertgefühl, auch wenn der Wert des Menschen natürlich nicht von seiner Leistung abhängt. Die Botschaft der Regierung, dass geholfen werden muss, „koste es was es wolle“, hat starke Hoffnungsanker in hoffnungswidriger Zeit ausgeworfen. Auch wenn dies nicht unbegrenzt umsetzbar ist, so wurde doch damit die soziale Absicherung aller Menschen als ein zukunftswichtiges Prinzip bestärkt. Begrüßenswert sind alle bedarfsorientierten Sozialleistungen sowie die Verlängerung der Kurzarbeit. Für den Weiterbau des Sozialfundamentes unseres Landes ist zu überlegen, welche neuen Formen sozialer Sicherung in Notzeiten Einzelunternehmer oder auch Kunst- und Kulturschaffende brauchen. Ob ein erwerbsunabhängiges Grundeinkommen ein sinnvoller Weg ist, muss diskutiert werden. Die voranschreitende Digitalisierung macht ein neues Ausverhandeln der Verteilung von vorhandener Arbeit und die Sicherung von Lebensunterhalt ohnehin schon längst notwendig.

Eine anzustrebende „erneuerte Normalität“ wird insgesamt neue soziale Kontrakte brauchen: zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten, Verarmten und Vermögenden, Eingebundenen und Vereinsamten, Gesunden und Kranken, Heimatlosen und Beheimateten. Dies wird vermutlich nicht ohne anstrengende Debatten und hoffentlich konstruktiven Streit vonstattengehen. Scheinbar erworbene Rechte und Privilegien aufzugeben, fällt niemandem leicht. Das kennen wir auch in der Kirche. Unser soziales Zusammenwirken in einem neuen Geist zu gestalten, möchten wir auch als Auftrag des Evangeliums benennen. Wie im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter dürfen wir nicht unbeteiligt an der Not der Bedürftigen und Verwundeten vorbeigehen. Nächstenliebe ist ein Dauerauftrag für jeden von uns und zugleich ein politischer Akt. Es braucht Regulierungen und Strukturen, die verhindern, dass immer mehr Bedürftige an den Wegrändern einer wohlhabenden Gesellschaft ums Überleben kämpfen müssen.

Als kleine solidarische Übung in diese wünschenswerte Richtung schlagen wir vor, eine Großzügigkeit des Teilens und der mitfühlenden Anteilnahme jetzt schon einzuüben. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass dem Ungeist des Anschwärzens, Vernaderns und Denunzierens kein Raum gegeben werden darf. Diese Fehlverhalten haben leider in der Zeit der Einschränkungen auch wieder „fröhliche Urstände“ gefeiert. Was auch immer diese kleingeistigen Verhaltensmuster befeuert, ob es der Neid ist, dass der Nachbar sich etwas „leistet“, was ich auch gerne hätte oder täte, oder anderes, diese Form von einem negativen „Social Distancing“ brauchen wir sicher nicht.

Faktum ist, dass die Pandemie auch die ohnehin schon existierenden globalen Bedrohungen verschärfen wird. Wir denken besonders an die Elendsquartiere in den Slums der großen Metropolen sowie an weltweite Ernährungs- und Flüchtlingskrisen. Wir danken allen kirchlichen und zivilen NGOs, die trotz des finanziellen Einbruchs im Spendenaufkommen ihre Projekte der Entwicklungszusammenarbeit fortsetzen. Sie arbeiten weiterhin für eine Globalisierung der Nächstenliebe. Ein pfingstlicher Geist verstärkt auch unsere Sorge um die Schutzsuchenden in den Flüchtlingsquartieren an den Grenzen Europas. Als einen Ausdruck gelebter Solidarität im Sinne „erneuerter Normalität“ erachten wir es als dringend notwendig, ein faires Kontingent an Asylsuchenden und Vertriebenen in absehbarer Zeit aufzunehmen und zu versorgen.

 

Geist der Wertschätzung und Lernbereitschaft

Im Ausnahmezustand ist eine neue Form der Wertschätzung entstanden. Krisenbedingt entdeckten wir viele unterbewertete und minderbezahlte Berufsgruppen und Dienste, die jedoch systemrelevant sind. Speziell erwähnt wurden die Frauen und Männer an den Kassen der Supermärkte, in den Reinigungsfirmen, Sicherheitsdiensten sowie Pflegeeinrichtungen und Spitälern unseres Landes. Viele dieser systemrelevanten Berufe werden von Frauen geprägt. Erschwerend kommt die Mehrfachbelastung hinzu, da neben der Voll- oder Teilzeitbeschäftigung auch noch unbezahlte Sorgearbeit daheim zu leisten ist. Wir plädieren dafür, den Einsatz dieser Frauen für das Gemeinwohl entsprechend zu würdigen – sonst verliert jede ehrlich gemeinte Wertschätzung ihre Glaubwürdigkeit. Wir rufen auch alle Männer auf, zu einer fairen Aufteilung unbezahlter Arbeit beizutragen.

Wertschätzung hat ein genaues Hinhören zur Voraussetzung. Das berechtigte Anliegen in der Position des anderen wahrzunehmen, ist eine Kunst, die wir immer neu lernen müssen. Auch wenn die erste Phase des Krisenmanagements in unserem Land gut gelungen zu sein scheint, hat sich in die öffentliche Debatte in letzter Zeit ein hohes Maß an Aggression und eine verbissene Suche nach Fehlern und Anklagepunkten eingeschlichen. Selbstverständlich muss es die Bereitschaft geben, berechtigte Kritik und alternative Vorschläge aufzugreifen. Angesichts der vielen Herausforderungen können wir uns jedoch den Ungeist der Gehässigkeit und des Hochmuts schlichtweg nicht leisten. Das Ringen um gemeinsame Lösungen sollte nicht voreilig abgebrochen werden. All das wäre Ausdruck einer lebendigen, auf das Gemeinwohl hin fokussierten Demokratie. Der Versuchung zur Polarisierung sollten wir nicht nachgeben, sondern um aller Menschen in Österreich willen „erneuerte Normalität“ anstreben. An einem Wettlauf der konstruktiven Ideen können sich alle beteiligen – mit Wertschätzung und Entschiedenheit. Wir wünschen uns eine neue, pfingstliche Debattenkultur in Politik, Gesellschaft und Kirche. Niemand ist unwichtig, jeder kann etwas beitragen, damit wir den bestmöglichen Weg in die Zukunft wählen.

Der weitreichende Einbruch der Wirtschaft hat eine Unzahl von Unternehmern in eine veritable Krise getrieben. Viele stehen vor den Scherben ihrer wirtschaftlichen Existenz – trotz der staatlichen Auffangnetze, Rettungsfonds und anderer Unterstützungen. Schon vor der Krise sahen sich viele Klein-, Mittel- und Großunternehmer unseres Landes in einem Spannungsverhältnis: einerseits der betriebswirtschaftliche Auftrag, unter Vorgabe vieler gesetzlicher Auflagen erfolgreich zu sein, andererseits die Verpflichtung gegenüber sozialen und ökologischen Werten. Außerdem ist es keineswegs selbstverständlich, dass Menschen ihr Vermögen, ihre Lebensenergie und ihre Zeit einsetzen, um unternehmerisch tätig zu werden. Sie schaffen damit die dringend benötigten Arbeitsplätze und erhalten sie. Diese grundsätzliche Wertschätzung gilt auch für den Tourismus und die Gastronomie in Österreich. Sie tragen wesentlich zum Wohlstand unserer Bevölkerung bei, aber auch zur Attraktivität unseres Landes als beliebte Urlaubsdestination. Diese krisenbedingt extrem in Mitleidenschaft gezogenen Branchen müssen in einen fairen, umsichtigen und an Nachhaltigkeitskriterien ausgerichteten Zukunftsdialog eingebunden werden.

Der pfingstliche Geist entlastet von überzogenen Ansprüchen und befreit vom Ungeist der Neidgesellschaft. Ein wertschätzendes Miteinander lebt von einer möglichst gewaltfreien Kommunikation und positiven Fehlerkultur. Sie ermutigt, eigenes und fremdes Fehlverhalten zu erkennen und Fehlereingeständnisse zu respektieren. Daraus kann ein Lernertrag für sich und alle Beteiligten gewonnen werden. Permanentes Empören, Verdächtigen und Anklagen bewirkt das Gegenteil davon. Es führt zu Stress, Unaufrichtigkeit und dem irrealen Anspruch von Perfektion. Fehler und Versagen zuzugeben ist erlaubt, weder eine Schande noch ein Autoritätsverlust. Allerdings lauert im Hintergrund immer die Haftungsfrage, die nicht selten zu Intransparenz und Unaufrichtigkeit verleitet. In jedem Fall wird uns allen zukünftig ein hohes Maß an Lernbereitschaft abverlangt werden. Nicht zuletzt werden eine voranschreitende Digitalisierung und Globalisierung dies erforderlich machen. Ob in direkter Begegnung, in interdisziplinären Foren und anderen Formaten – wir müssen zum Wohl aller Menschen dem Teilen und Anteilgeben an Entwicklungen und Erkenntnissen einen neuen Stellenwert einräumen, weit über den eigenen Tellerrand hinaus.

 

Geist der Achtsamkeit und Entschlossenheit

Die Folgen des mit den Corona-Maßnahmen einhergehenden globalen Einbruchs von Wirtschaft, Industrie und Verkehr sind zweifelsohne dramatisch. Aber: Der Umwelt wurde eine Atempause geschenkt. Sofort waren die wohltuenden Auswirkungen bemerkbar – erstmals seit Jahrzehnten konnten die Menschen in Peking den Himmel sehen, Flüsse erholten sich und Tiere eroberten einige ihrer ursprünglichen Lebensräume zurück. Beeindruckend, welche Regenerationskraft die Schöpfung in sich trägt, wenn wir sie aus unserem ausbeuterischen Zugriff entlassen. Papst Franziskus hat vor fünf Jahren in seiner programmatischen Schrift zur globalen sozioökologischen Krise „Laudato si“ darauf hingewiesen, dass wir für eine achtsame, nachhaltige Lebensweise unser Verhalten radikal ändern müssen. Der Geist der Achtsamkeit ist zuerst ein Geist der Umkehr. Auch in der Amazonien-Synode 2019, die ein globaler Notruf war, hatte der Begriff „conversión“ eine zentrale Bedeutung. Eindringlich wurde der Kirche und der Weltgemeinschaft eine ökologische, ökonomische, kulturelle und pastorale Konversion als einzig mögliches Überlebensprinzip aufgezeigt. Ist diese Mahnung verhallt?

Tatsächlich ist es jetzt an der Zeit, ein Umdenken und Gegensteuern in sozio-ökologischen Fragestellungen einzuleiten. Die Virusbekämpfung hat uns gezeigt, was unter Dringlichkeit zu verstehen ist. Wahrscheinlich würde nur ein Teil der globalen Anstrengung, die wir zur Eindämmung des Corona-Virus aufgebracht haben, genügen, um eine finale Erschöpfung unseres Planeten zu verhindern. Bei Nicht-Handeln muss uns wohl bewusst sein: Die Folgen des Klimawandels werden längerfristig weitaus verheerender ausfallen als jene der aktuellen Pandemie. Wir appellieren deshalb an die Bevölkerung und an alle Führungskräfte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, sich mit der gleichen Intensität wie im Kampf gegen Covid-19 in der Rettung des Planeten zu engagieren. Mit dem Wiederaufbau der Wirtschaft ergeben sich Möglichkeiten, emissionsarme und klimasensible Wirtschaftskreisläufe zu schaffen – mit einer radikalen Reduktion fossiler Brennstoffe. Bitten wir gemeinsam um den Geist der Achtsamkeit und Entschlossenheit für die Bewahrung der Schöpfung.

Klar ist, dass es eine Fülle von wirtschaftsbelebenden Maßnahmen braucht, um einen Aufschwung der Wirtschaft zu erreichen. In der Debatte wird immer wieder eingemahnt, dass dafür das Kauf- und Konsumverhalten zu befeuern sei. Aber kann tatsächlich ein bloß entfesselter Konsum das beglückende Konzept der Zukunft sein? Erstens definiert sich der Mensch nicht allein über sein Konsumverhalten. Und zweitens ist zu hinterfragen, ob damit nicht genau jene Produktions- und Kaufmentalität glorifiziert wird, die uns und die Natur schon vor der Krise krank gemacht hat. Konsum ja, aber mit Maß und Ziel. Das heillose Immer-Mehr zerstört das Leben. Ganz entschieden ist zu fragen, mit welchen Investitionsimpulsen jetzt eine sozialverträgliche, menschlich und ökologisch verantwortbare Wirtschaft angekurbelt werden könnte. Dabei kann jeder Einzelne einen Beitrag leisten, beispielsweise durch den Austausch alter Ölheizsysteme, thermische Sanierungen, den Einbau von Solaranlagen und einem umweltfreundlicheren Mobilitätsverhalten. Eine lebendige, florierende Wirtschaft muss keine maßlos wachsende Wirtschaft sein.

Die Corona-Krise hat uns deutlich die Bedeutung lokaler Wirtschaftskreisläufe vor Augen geführt. Die Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs durch heimische Gewerbe- und Industriebetriebe, durch eine kleinstrukturierte Landwirtschaft und den Nahversorger um die Ecke wurden in den vergangenen Wochen notwendig, damit die Versorgungskette in unserem Land aufrechterhalten werden konnte. Lokal erwirtschaftete Güter hinterlassen außerdem einen kleineren ökologischen Fußabdruck, da lange Transportwege entfallen. Produzenten, Händler und Konsumenten sind eine Schicksalsgemeinschaft. Die Sorge um das „gemeinsame Haus“, unsere Welt, verbindet Menschen miteinander und mit ihrem Lebensraum, mit der Natur, die sich wie ein schützender Mantel um alles legt. Deswegen ist es wichtig, das Verhältnis von lokaler Erwirtschaftung und internationalen Kooperationen neu zu gewichten.

 

Geist der Lebensfreude und Geduld

Trotz der bedrückenden Momente in der ersten Corona-Zeit war in der Kommunikation der Menschen eine erfrischende Herzlichkeit und Freude spürbar. Wir dürfen uns diese Freude nicht in der Härte der notwendigen Auseinandersetzungen zertrampeln und auch nicht im Gestrüpp der alltäglichen Sorgen ersticken lassen. Am Vorhandensein von Freude erkennt man bereits das Wirken des pfingstlichen Geistes, der von einer falschen Traurigkeit und Verzagtheit befreit. Sie wurzelt tiefer als Spaß, der leicht zum Beiwerk oberflächlicher Unterhaltung verkommt. Freude stellt sich in erster Linie dann ein, wenn Menschen nicht in der Sorge um ihre eigenen Befindlichkeiten steckenbleiben, sondern ihren Blick und ihr Herz für die berechtigten Bedürfnisse ihrer Nächsten weiten. Freude ist ein unersetzbares Frischwasser für alle entbehrungsreichen Zeiten. Sie inspiriert zu kreativen Lösungsansätzen und trägt wesentlich zur Resilienz, also zur inneren Belastbarkeit des Menschen bei. Sie bewahrt vor Verbitterung und Ungeduld.

Zusammen mit Papst Franziskus möchten wir die „Freude des Evangeliums“ mit allen teilen. Jesus Christus ist die immer junge Quelle von Freude und der Impulsgeber für vielfältige Innovationen, die es zur Bewältigung der aktuellen Krise und deren Folgen braucht. „Er kann mit seiner Neuheit immer unser Leben und unsere Gemeinschaft erneuern, und selbst dann, wenn die christliche Botschaft dunkle Zeiten und kirchliche Schwachheiten durchläuft, altert sie nie. Jesus Christus kann auch die langweiligen Schablonen durchbrechen, in denen wir uns anmaßen, ihn gefangen zu halten, und überrascht uns mit seiner beständigen göttlichen Kreativität. Jedes Mal, wenn wir versuchen, zur Quelle zurückzukehren und die ursprüngliche Frische des Evangeliums wiederzugewinnen, tauchen neue Wege, kreative Methoden, andere Ausdrucksformen, aussagekräftigere Zeichen und Worte reich an neuer Bedeutung für die Welt von heute auf.“ (Evangelii gaudium, Nr. 11)

Eine „neue“ Freude wird sich auch mit einem bewussteren, dankbareren Umgang mit Zeit einstellen. Zeit ist ein Geschenk, das wir nicht als Beutestück missbrauchen sollen. Sie ist uns geschenkt, um Beziehungen aufzubauen, um zu lernen, zu arbeiten und Leistungen zu erbringen. Aber sie ist uns auch geschenkt für die Ruhe, für die Kontemplation und heilsame Unterbrechung inmitten aller Aktivitäten. Die oftmals erwähnte Entschleunigung muss ein verlässlicher Bestandteil unseres Lebens werden, damit wir nicht als Getriebene und Gehetzte zugrunde gehen. In diesem Zusammenhang möchten wir auch den freien Sonntag nennen, der eine Errungenschaft unserer Gesellschaft ist, einen sinnvollen wöchentlichen Rhythmus gewährleistet und eine „Sonntags-Kultur“ ermöglicht. Befremdlich erscheinen Bestrebungen, die gesetzlich geregelte Sonntagsruhe in Frage zu stellen und damit insbesondere den Handelsangestellten den freien Sonntag wegzunehmen. Die Corona-Krise sollte nicht zur Umsetzung einer alten Forderung durch die Hintertür missbraucht werden. Den freien Sonntag zu verlieren, wäre in jedem Fall für die Gesellschaft im Ganzen ein Desaster.

Im Zusammenhang einer geistvoll zu erneuernden Alltags- und Feierkultur möchten wir unbedingt auf den unersetzlichen Wert von Kultur und Kunst hinweisen. Leider wurde dieser Bereich, bzw. dieses Feld einer fundamentalen Lebensäußerung von uns Menschen unter dem fragwürdigen Kriterium der Systemrelevanz in den Hintergrund gedrängt. Für eine anstrebenswerte Normalisierung spielen nicht nur offiziell wertgeschätzte, sondern auch fair entlohnte Kulturleistungen eine wesentliche Rolle.

Mit der Lebensfreude geht die Geduld einher. Sie ist in der gefährlichen Forderung nach raschen Lösungen und Befriedigungen aller möglichen Ansprüche ein äußerst gefährdetes Gut. Auch in der öffentlichen Kommunikation brauchen wir ein Mindestmaß an Geduld. Sie lässt Erkenntnisse reifen, gibt die Chance, Korrekturen vornehmen zu können und wirkt entlastend. Gerade im Umgang mit Kindern, heranwachsenden Jugendlichen, Menschen mit Behinderungen und älteren Menschen ist Geduld ein Gottesgeschenk. Gespräche und Begegnungen, die nicht unter dem Druck stehen, Leistung zu erbringen und nützlich sein zu müssen, machen das Leben wertvoll. Das ist ein extrem wichtiger Lernertrag aus der Krise.

Für umso gefährlicher halten wir es, dass gerade jetzt eine Debatte über die Freigabe selbstbestimmten Sterbens neu aufbricht. Alte und kranke Menschen sind Teil unserer Gesellschaft, die für sie hoffentlich auch in Zukunft zu sorgen bereit ist. Geben wir eine neue Antwort auf die soziale Vereinsamung und das Gefühl, nicht mehr gewollt und gebraucht zu werden und den Wunsch, nicht mehr leben zu wollen. Diese Antwort heißt Beistand und Fürsorge. Auch unter starken Einschränkungen und Belastungen können wir einander helfen, ein Grundmaß an Lebensfreude wiederzugewinnen. Vergessen wir nicht, dass es die ältere Generation war, die unseren Wohlstand über Jahrzehnte mitaufgebaut hat.

 

Geist des Vertrauens und der Zuversicht

„Mit Gott geht das Leben nie zugrunde!“ Dieses hoffnungsvolle Wort von Papst Franziskus war Teil einer beeindruckenden abendlichen Meditation mit dem Segen urbi et orbi am menschenleeren Petersplatz Ende März 2020. Wir alle brauchen Worte und Zusagen, die Trost spenden und aufrichten. Die Corona-Pandemie hat das Vertrauen in die Politik, das Gesundheitssystem sowie das Leben insgesamt hart auf die Probe gestellt. Der Papst verwendete das biblische Bild vom Sturm auf dem See, um von der Pandemie zu sprechen: „Der Sturm legt unsere Verwundbarkeit bloß und deckt jene falschen und unnötigen Gewissheiten auf, auf die wir bei unseren Plänen, Projekten, Gewohnheiten und Prioritäten gebaut haben. Er macht sichtbar, wie wir die Dinge vernachlässigt und aufgegeben haben, die unser Leben und unsere Gemeinschaft nähren, erhalten und stark machen.“ Die Krise hat uns viel Souveränität genommen. Vermeintliche Sicherheiten wurden zertrümmert. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich.

Den meisten Menschen fällt es schwer, eine Zeit der Ungewissheit und der vielen offenen Fragen auszuhalten. Vor allem das Gefühl, nichts tun zu können, ist belastend. Einige flüchten in esoterische Praktiken oder werden anfällig für teils krude Verschwörungstheorien. Online-Kommunikationsplattformen machen diese zudem noch leicht verfügbar und bedienen damit die Geschäftsinteressen der dahinterstehenden Krisenprofiteure. Die Verunsicherung treibt aber auch absurde Blüten des übertriebenen Aktivismus, um sich abzulenken und das schleichende Gefühl von Ohnmacht zu verdrängen. Ängste und Perspektivenlosigkeit können beherrschen und lähmen, was zur Überwindung der Situation notwendig wäre: Besonnenheit, Klugheit und eine entschlossene Tatkraft. Aus der negativen Dynamik der Resignation befreit der pfingstliche Geist zu neuem Vertrauen. Er schenkt Mut in und trotz aller Enttäuschungen. Nur Vertrauen ermöglicht neues Leben! Das bezeugen uns viele Menschen, die schon vor uns große Krisen gemeistert haben.

Genau zum Pfingstfest gedenken wir heuer des seligen Pfarrers Otto Neururer. Er war der erste österreichische Priester, der von den Nationalsozialisten ermordet wurde – im KZ Buchenwald, am 30. Mai 1940, auf eine Weise, die an Bestialität kaum zu überbieten ist. Der Pfarrer von Götzens in Tirol war eine mutige und widerständige Lichtgestalt des Glaubens, der Hoffnung und des Mutes in einer der dunkelsten Zeiten unserer Geschichte. Er steht hier stellvertretend für all jene Männer und Frauen, die sich der Perversion der totalitären Ideologie im bedingungslosen Vertrauen auf Gott entgegengestellt haben. Auch unsere Großelterngeneration, die vor 75 Jahren den Bombenschutt aus den Straßen geräumt hat, begann den Wiederaufbau unseres Landes mit einem unermesslichen Vertrauen – mit Gottvertrauen! Und in heutiger Zeit sind es oft die „Heiligen von nebenan“ (Papst Franziskus), einfache Leute, die sich mit einer erstaunlichen Portion Zuversicht den Widrigkeiten des Lebens stellen und sich nicht im Selbstmitleid verschanzen. Diese vielen Zeugen des Vertrauens geben uns Mut und helfen uns, der Fixierung auf vermeintliche Sicherheiten zu entfliehen.

Dennoch bleibt als wohl entscheidende Frage: Wo sind die Quellen der Kreativität, der Innovation und der Hoffnung, die es jetzt braucht? Als Antwortversuch auf diese Fragen möchten wir den Schatz unseres christlichen Glaubens gerne mit allen teilen. Christlicher Glaube wischt keine Probleme weg, verleiht aber eine unerwartete Trotzdem-Kraft in aller Not und gibt den langen Atem sowie Ausdauer für den vor uns liegenden Weg. Glaube stärkt Freiheit und Herzenskraft. Wer glaubt, lebt von Gottes Zusage, immer neu beginnen zu dürfen und die dafür notwendigen Anschubhilfen des Heiligen Geistes zu erhalten. Das Herzstück des Glaubens, die tragende Mitte, ist eine lebendige Beziehung zu Gott, der sich durch den pfingstlichen Geist in unserem Alltag erfahrbar macht. Jesus Christus fordert uns deutlich auf: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ (Joh 14,1) Lassen wir uns also nicht wirr machen im gefährlichen Sog der Ängste und pessimistischen Prognosen und auch nicht „verviren“, weder vom Virus des Misstrauens noch von jenem der Verzweiflung!

Die Corona-Krise hat uns auch als Kirche überrascht und überfordert. Wie alle anderen Institutionen, mussten wir im Krisenbewältigungsbetrieb schrittweise lernen, was zu tun ist. Manche hatten den Eindruck, dass wir vorrangig mit unseren eigenen Angelegenheiten beschäftigt gewesen wären. Wir bitten um Entschuldigung, wo dies der Fall war und dadurch die Sorge für die konkreten Anliegen der Menschen zu kurz gekommen ist. Die Regulierungen der liturgischen Praxis waren jedoch notwendig, um ein Mittragen der behördlichen Maßnahmen zu signalisieren. Es ist in jedem Fall ermutigend, wie groß dennoch das kirchliche Engagement an den zahlreichen Knotenpunkten des öffentlichen Lebens war: bei der Telefonseelsorge, in der Caritas, bei den vielen Initiativen zur seelsorglichen Kommunikation auf Pfarrebene und in den Einrichtungen der verschiedenen Ordensgemeinschaften.

Viele Priester, Männer und Frauen in der Seelsorge und zahlreiche Ehrenamtliche haben trotz der Beschränkungen sehr kreative Wege beschritten. Wer hätte sich vor Corona gedacht, dass Pfarren und kirchliche Einrichtungen so schnell und intensiv die digitalen Medien nutzen? Wir arbeiten weiterhin an einer lern- und erneuerungsbereiten Kirche, die ebenso gefordert ist, sich geistvoll auf eine „erneuerte Normalität“ einzustellen. Rufen wir uns nochmals das Pfingstereignis in Erinnerung: Der Heilige Geist wurde allen geschenkt – nicht nur den Gebildeten, Gesetzeskonformen und Frommen.

Der pfingstliche Geist ermutigt uns zu einer neuen Geschwisterlichkeit, die jenseits aller träumerischen Bilder eine reale Verbundenheit der Menschen bewirkt. Als Bischöfe bekennen wir uns zu einer lebensdienlichen Kirche, die mitten in der Welt steht, für die ganze Gesellschaft Wertvolles leistet und so von immer mehr Menschen auch als „systemrelevant“ erlebt wird.

 

Abschluss

Wir wissen um die Notwendigkeit, die Herausforderungen, die wir in diesem Schreiben benennen, als Gestaltungsauftrag anzunehmen. Eine „erneuerte Normalität“ kann entstehen, wenn wir mit dem Vertrauen kraftvoller Zuversicht gemeinsam aufbrechen. Unsere Stellungnahme will ein konstruktiver und einladender Gesprächsbeitrag sein, keine Lehrmeinung und keine abschließende Deutung der benannten Themen. Bereiten wir in unserer Gesellschaft und in unserer Kirche viele Lern-, Denk- und auch Gebetsorte vor, wo diese geistvolle Normalität jetzt schon gelebt wird.

Für alle Menschen, die in unserem Land wohnen und mit denen wir auch über die Grenzen hinaus verbunden sind, erbitten wir in der Erwartung des Heiligen Geistes zum Pfingstfest 2020 den Segen des Dreifaltigen Gottes.

Mit einem herzlichen Grüß Gott!

Die katholischen Bischöfe Österreichs

die Ärmsten der Armen

„Wenn’s eng wird, rennt jeder um’s eigene Leiberl“. Nicht nur innerkirchlich wurden angesichts verordneter Maßnahmen und gesetzlicher Vorgaben so manche Fragestellungen diesbezüglich laut geäußert – ich denke hier etwa an die Wortmeldungen von Bischof Feige aus Magdeburg[1]. Mitunter wurde kirchliches Handeln lediglich wahrgenommen unter dem Blickwinkel „Messfeier“ bzw. „Kommunion-Empfang“ – Initiativen in der seelsorglichen Begleitung, in der Caritas, in Bildung und Krankenwesen etc. und erst recht jene weitgehend nicht unbekannten Hilfeleistungen vor Ort wurden oft nicht als wesentliches kirchliches Tun wahrgenommen …[2] Darüber hinaus – und darum soll es in diesen kurzen Gedanken nun gehen – wird oft nicht einmal wahrgenommen und gesehen, dass Kirche eben nicht nur Menschen hier vor Ort ist, sondern Teil der Universalkirche mit Herausforderungen, die die Würde der Menschen oft um vieles mehr und stärker betreffen.

  • Fluchtbewegungen sind weltweit gesehen an kein Ende gekommen – Flüchtlingslager sind [nicht nur in Griechenland] vielfach überfüllt: die Not der Menschen dort „schreit zum Himmel“
    Die Not ein wenig zu lindern und – etwa aus Dankbarkeit [wenn schon nicht aus anderen Einsichten] – unbegleitete Minderjährige nach Österreich aufzunehmen stünde uns gut an.
  • Krieg und Auseinandersetzungen
    Der auch von der UNO „eingemahnte“ Corona-Waffenstillstand weltweit ist wohl nicht so einfach umsetzbar; welches Elend hier in manchen Regionen der Erde zu leben ist, ist wohl kaum auszumalen, auch wenn es derzeit in der Berichterstattung nicht vorkommt.
    Wenn ich dann noch daran denke, wieviel Gelder auch derzeit in Waffenproduktion fließen, dann frage ich mich mitunter wirklich, wo wir den sind …
  • Katastrophen wie die Heuschreckenplage in Ostafrika
    Angesichts der Not bei uns sind Fragestellungen rund um die mit dieser Plage drohenden zukünftigen Nöte fast nicht zu hören
  • Hunger
    Die kirchlichen Hilfswerke und ihre Partner schildern immer wieder, dass Hunger weltweit nach wie vor schlimm ist – auch vor unserer Haustür, etwa in der Ostukraine …
  • Nord-Süd
    Die Schere zwischen reich und arm wird wohl – weltweit betrachtet – weiter auseinander gehen …

Unser Papst wird nicht müde, an Solidarität zu erinnern – in Europa und weltweit, weil auch das Virus keine Grenzen kennt und uns als Menschheit in gewisser Weise „vereint“, denn: nur sich selbst zu sehen bringt uns eigentlich nicht weiter, wir kreisen mit einem solchen Blick letztlich „nur“ um uns selbst. Mehr noch: könnte nicht ein „erhobener Blick“ und damit einer ins „Weite“ und dabei helfen, unseren Standpunkt im Gefüge des Ganzen neu zu entdecken?

All das – noch einmal – schmälert nicht unsere Herausforderungen vor der eigenen Tür – auch die sind groß und alles andere als leicht zu lösen: Arbeitslosigkeit, Fragen rund um die Rezession, reale Einkommensverluste usw. Und dennoch mutet es mir einigermaßen „eng“ an, wenn ich all die Vorschläge durchsehe, die uns Bischöfen gemacht werden, die weit sinnvoller wären Gläubige in unseren Kirchen hinzusetzen und damit auch zum Ausdruck kommt, dass wir wohl keine anderen Sorgen und Nöte hätten – Gottes- und Nächstenliebe gehören eben zusammen.

[1] vgl. u.a.: https://www.katholisch.de/artikel/25194-bischof-feige-warnt-vor-kirchlichem-aktionismus-in-corona-krise; https://www.katholisch.de/artikel/25312-feige-gottesdienst-lockerung-nicht-nur-ein-pyrrhussieg; https://www.katholisch.de/artikel/25237-feige-sind-unsere-gottesdienstausfaelle-nicht-fast-luxusprobleme

[2] Interessant ist hier freilich, dass mitunter selbst jene, die diese Enge beklagen in Kommentaren und Überlegungen meist Kirche „nur“ unter diesem Blickwinkel sehen, wenn sie etwa vor der Wiederkehr des Klerikalismus warnen etc.

fürs (Über)Leben

Wirtschaftsdaten und die Statistik der Arbeitslosen machen deutlich: Da ist einiges in der ganzen Welt und auch bei uns aus den Fugen geraten. Wohin die Reise geht, kann redlicherweise wohl niemand ganz genau sagen. Klar scheint nur: die ganze Welt schlittert in eine wirtschaftliche Krise, in die Rezession – ausgelöst durch ein Virus. Ich selbst bin bekanntlich keiner, der sich auf dem Gebiet der Wirtschaft auskennt, möchte aber dennoch mehrere Ebenen von Fragestellungen benennen. Und ich stelle natürlich auch so manche Überlegungen an, die unserer Kirche als Diözese betreffen – im Anschluss an den Ökonomen unserer Diözese schon vor einigen Wochen im steirischen „Sonntagsblatt“.

  1. Unternehmen
    Der „shutdown“ – nicht nur hier bei uns, sondern in vielen Ländern der Erde – bringt die üblichen Kreisläufe von Unternehmen und Wirtschaft gehörig durcheinander. Es wird eine weltweite Rezession geben. Wann die Erholung soweit gediehen sein wird, dass Aufatmen angesagt ist, steht in den Sternen. Mit vielen Initiativen versuchen die verschiedenen Staaten, das „Werkl“ der Wirtschaft am Laufen zu halten.
    Deutlich zu werden scheint mir: Wir werden – wohl weltweit – nicht auf der Ebene weitermachen können, die wir vor der Krise verlassen haben. Die Länder des Südens wird es wohl intensiver treffen – auch weil sie weitgehend zeitverzögert in die Fänge des Virus gezogen wurden. Dies wiederum hat zur Folge, dass jene, die an der Aufarbeitung der Krise bereits arbeiten und daher – klarerweise – eher mit sich selbst beschäftigt sind, unter Umständen nur schwer zu motivieren sein werden, ihren Blick zu weiten, damit „nicht allzu viele unter die Räder kommen“. Ob das Bewusstsein in einer Welt zu leben – das ja ob der globalen Viruskrise deutlich vor Augen steht – auch wirtschaftlich vorhanden ist, wird sich meines Erachtens erst weisen. Wenn ich mir die Debatten der vergangenen Wochen angesichts der schrittweisen Öffnung des gesellschaftlichen Lebens in Österreich und die damit einhergehenden Grabenkämpfe in Erinnerung rufe, kann ich nur meine Hoffnung darüber äußern, dass die Herausforderungen, die sich in der Welt stellen, genauso ernst genommen werden, wie die vor Ort. Denn: auch die wirtschaftlichen Venetzungen sind uns in den vergangenen Wochen mehr als deutlich vor Augen geführt worden.
    Auch für uns in der Diözese Graz-Seckau tun sich einige Herausforderungen auf, nicht nur deswegen, weil wir – und damit alle kirchlichen Rechtspersonen – als Körperschaft Öffentlichen Rechts im Prinzip von staatlichen Hilfestellungen wie etwa der Kurzarbeit ausgenommen sind. Dort, wo wir es den gesetzlichen Vorgaben entsprechend für möglich erachtet haben – das sind vereinfacht gesagt einige Betriebe – haben wir freilich auch von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Da der größte Teil der diözesanen Einnahmen – 70 % – über Kirchenbeiträge erlöst werden, ist wohl zu erwarten, dass wir nicht ohne ein neu erstelltes Krisenbudget das Jahr 2020 meistern werden können. Darüber hinaus ist es notwendig, die ohnedies für die kommenden Jahre angedachten Veränderungen schneller durchzuziehen, damit Kirche erlebbar bleibt. Als Bischof soll ich bekanntlich „wie ein guter Hausvater“ die Finanzen verwalten; das bedeutet eben auch einen realistischen Blick auf die Entwicklungen zu lenken.
    Nicht vergessen werden dürfen hier die vielen – selbständigen – Pfarren, die einen Gutteil ihrer Jahresbudgets über die Sammlungen in der Kirche bei diversen Anlassen finanzieren: 9 Wochen – darunter auch „Hoch-Feste“ wie Palmsonntag und Ostern ohne diese Sammlungen auszukommen, ist ein bedeutender Verlust, dazu muss ergänzt werden, dass nach dem ersten Schritt der „Öffnung“ auch bei weitem nicht so viele Menschen kommen können wie gedacht, Firmungen und Erstkommunionen wurden verschoben etc. etc. – Hier haben wir als Diözese freilich auch notwendiger Weise die Pflicht, solidarisch zu handeln, was wohl wiederum unseren Haushalt beeinflussen wird …
  2. Arbeitskräfte
    Hunderttausende sind derzeit arbeitslos – die Rate ist in Österreich die höchste seit Kriegsende. Auch hier gilt: die Situation in der Welt ist in vielen Staaten eine ähnliche. Damit stellen sich freilich neue gesellschaftliche, also soziale Herausforderungen. Die Hilfeleistungen unserer karitativen Einrichtungen werden deutlicher in Anspruch genommen als noch vor ein paar Monaten. Auch was die Entwicklung am Arbeitsmarkt anbelangt, kann derzeit wohl nur in der Glaskugel weisgesagt werden. Der soziale Zusammenhalt unserer Gesellschaft wird sicher in den nächsten Monaten, wenn nicht gar Jahren, neu gefordert sein: denn es wird uns wohl nicht mehr so gut gehen wie vor der Krise. Was es bedeutet, mit weniger auszukommen, müssen in unserer Gesellschaft wohl noch viele mühsam lernen; allerdings werden wir wohl nicht darum herumkommen. Gerade hierfür erscheint es mir wichtig, dass die Verantwortungsträger in der Politik nicht auf dem Rücken der Betroffen Profit machen wollen, indem sie versprechen, was nie und nimmer einzulösen sein wird oder sprichwörtlich das Blaue von Himmel erzählen, als ob einfache Antworten einfach alles lösen würden.
    Aber auch unter diesem Punkt sei die weltweite Dimension in Erinnerung gerufen: es wird wohl auch hier so sein, dass die Ärmsten der Armen diese Krise – unverschuldet – am meisten zu spüren bekommen. Unsere kirchlichen Hilfswerke, die in den letzten Jahrzehnten ein gutes Gespür für Fragestellungen rund um weltweite Gerechtigkeit entwickelt haben, haben schon zu Beginn auf so manche große Herausforderung hingewiesen – und nicht nur die, dass sie selbst als spendensammelnde Organisationen wohl von Spendeneinbrüchen betroffen sein werden und bei bereits eingegangenen Verpflichtungen mit den Partnern weltweit vor großen Fragestellungen stehen. Solidarität und damit weltweit gelebte Geschwisterlichkeit zwischen allen Beteiligten wird uns wohl abverlangt werden. Auch hier hoffe ich, dass dieser Appell mit der nötigen Dringlichkeit ernst genommen wird. Hinzu kommen die vielen nach wie vor schwelenden Konflikte rund um den Globus, die durch die Corona-Krise alles andere als leichter wurden: Krieg und Flucht, Hunger und ohnedies schon vorhandene Not durch andere Naturkatastrophen stellen sich nach wie vor Aufgaben für die Staatengemeinschaft.
    In den gesamten Überlegungen, wie wir uns als Kirche in der Steiermark in den nächsten Jahren positionieren, war schon zu Beginn der sogenannten „Kirchenentwicklung“ deutlich, dass der Spagat zwischen „Aufbruch“ bei gleichzeitiger notwendiger Reduktion ob des zu erwartenden Rückgangs an Einnahmen ein schwieriger werden wird. Dies hat sich für unsere – weltweit betrachtet – gut situierte Diözese durch diese Krise schneller als erwartet dazu entwickelt, dass Prioritäten gesetzt werden müssen, die so manches an Gewohntem hintanstellen heißt und daher einiges wohl nicht mehr oder nur mit geringeren Mitteln geleistet werden kann. Da wir als Institution beinahe drei Viertel unseres diözesanen Budgets für unser Personal aufwenden, stellen sich auch auf diesem Gebiet in den kommenden Monaten und Jahren besondere Herausforderungen, die wir freilich mit den Grundlagen unseres Selbstverständnisses – Evangelium, Zukunftsbild usw. – verträglich hoffen meistern zu können. Als Teil der Weltkirche können wir uns natürlich nicht – gerade weil wir unter diesem Blickwinkel uns als „reiche Kirche“ zu verstehen haben – von den Entwicklungen rund um den Erdball dispensieren.
    Was denn nun wirklich notwendig ist müssen sich freilich auch alle anderen kirchlichen Körperschaften stellen, haben doch etwa auch Pfarren so manche Angestellte, gegenüber denen es – auch soziale – Verpflichtungen gibt.
  3. weitere Fragestellungen
    Darüber hinaus dürfen meines Erachtens andere Fragen nicht vergessen werden, die prinzipiell zu stellen sind. Sie seien hier bloß angerissen, weil sie redlicherweise alle anderen mit beeinflussen.
    –     Werden wir es schaffen, mit weniger auszukommen?
    –     Der „lockdown“ hat viele wirtschaftliche Flüsse weltweit praktisch von einem Moment auf den anderen zum Erliegen gebracht. Ist es überhaupt denkbar, aus dem Hamsterrad des „immer mehr und immer schneller“ herauszukommen, ohne dabei Grundtatsachen unseres Wirtschaftssystems zu negieren? Und: wie können auch wir als Kirche diesem Hamsterrad entkommen?
    –     Wie könnten Alternativen, die Ökonomie, Ökologie, demographische Entwicklung usw. mit in Entscheidungen einfließen lassen, so in die durchstartenden Wirtschaftsvorgänge eingebracht werden, dass das „aufgezwungene Innehalten“ der Weltwirtschaft positiv für möglichst viele rund um den Erdball genutzt werden kann?
    Diese Fragen sind auch für kirchliche Körperschaften zu stellen und müssen dort ernsthaft angeschaut werden: ist alles, was wir derzeit tun, wirklich „so“ (über)lebensnotwendig für kirchliches Dasein, wie manchmal getan wird? Wie kommen wir da zu gut mitgetragenen Entscheidungen – und wie schaffen wir es, dass wir bei diesen Überlegungen nicht die missionarische Dimension von Kirche außer Acht lassen – wie also ist es schaffbar „out of the box“ zu denken, damit die Botschaft des Herrn weitere Kreise zieht?

Deutlich wird selbst mir: Es gibt viele Anforderungen, die sich uns mit dieser Krise stellen – als Gesellschaft und als Kirche. Stecken wir daher – um ein Bild zu gebrauchen – die Köpfe zusammen, damit wir zum Wohl der uns Anvertrauten Entscheidungen treffen können, die vertretbar sind und die uns einen begehbaren Weg in die Zukunft eröffnen, der uns in die weite und nicht in die Enge führt.

getrennt und dennoch vereint

Am 70. Jahrestag der sogenannen „Schumann-Erklärung“ vom 9. Mai 1950 – die Geburtsstunde dessen, was später zur Europäischen Union werden sollte und deswegen „Europatag“ – gab es ein virtuelles Treffen der konfessionsübergreifenden Initiative „Miteinander für Europa“. In dieser sind seit nunmehr 20 Jahren verschiedene Erneuerungsbewegungen christlicher Kirchen – aus katholischer, evangelischer, orthodoxer und auch freikirchlicher Tradition – lose zusammengeschlossen, um gemeinsam zu überlegen, was denn nun Auftrag der Jüngerinnen und Jünger Christi auf diesem Kontinent sei. Eigentlich war mit dem steirischen „Ableger“ dieser Bewegung ein Treffen im Grazer Rathaus angesagt. Dies war nicht möglich, so wurden kurzerhand 1 Stunde lang Erfahrungen aus sechs europäischen Ländern miteinander geteilt: Slowakei, Ungarn, Kroatien, Slowenien, Italien und Österreich. Knapp 100 Personen waren der Konferenz zugeschaltet.

Das, was berichtet wurde, waren einfachste Initiativen – nicht nur aus Corona-Zeiten – engagierter Menschen, denen das Miteinander der Völker und Nationen auf unserem europäischen Kontinent – gestaltet aus christlichem Geist – wichtig ist. Die Berichte waren alles andere als schlagzeilenträchtig. Und dennoch! Da hatte ein kleines Ding, ein Virus, Menschheitspläne durcheinander und Grenzen dicht gemacht. Das „Miteinander“ dieser Initiative – es ist für mich nach wie vor interessant, dass dieses Netzwerk von Erneuerungsbewegungen getragen wird, denen üblicher Weise nachgesagt wird, eher mit dem Blick nach innen in den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften präsent zu sein – wurde durchkreuzt, denn leibliches Zusammenkommen war unmöglich. Dennoch war es mit Händen zu greifen: in jeder Erfahrung wurde deutlich, dass Menschen aus christlichem Geist heraus versuchen, nicht achtlos an den Nöten, Sorgen und Notwendigkeiten anderer vorüberzugehen. Das Miteinander wurde in diesem „Treffen“ daher nicht körperlich, sondern durch berichtetes Tun angreifbar. Einfach gerade deswegen nachhaltig, denke ich. Und damit wurde auch etwas deutlich, was uns schmerzlich derzeit auf europäischer Ebene abgeht: das Miteinander für Europa eben – so manches an Selbstisolation der einzelnen Staaten hat ja erneut fröhliche Urständ in dieser Krise gefeiert. Oder wurde darin nur etwas von dem sichtbar, was eigentlich ohnedies „unter der Bettdecke“ auch bislang eher schon gelebt wurde?

Für meine Schlussworte am Ende dieser Stunde ist mir daher der Vergleich eingefallen, der im Bild der durchkreuzten Pläne deutlich wird. Da war also – die Umstände, wieso es dazu gekommen ist, sind nicht relevant in diesem Fall – praktisch alles an Planungen durchkreuzt worden: Statt Miteinander: getrennt sein; statt gemeinsames Bekenntnis: virtuelle Berichte, einer nach dem anderen. Durch das Kreuz also – eine neue Form von – Einheit. Natürlich: die Begegnung, die für einen Tag geplant gewesen ist, kann nicht durch eine Videokonferenz in 1 Stunde ersetzt werden. Das Wesentliche – und das getraue ich mir zu sagen – „Miteinander für Europa“ unterwegs zu sein wurde dennoch gelebt und deutlich – in einer ganz anderen Art und Weise und auf einer anderen Ebene als ursprünglich geplant und gedacht. Menschen aus unterschiedlichen Nationen, mit unterschiedlicher Sprache, aus unterschiedlichen kirchlichen Erfahrungen – „durchkreuztes“ Christsein, das sich in dieser Art Jesus mit seiner Bitte um die Einheit aller, die durch die Jünger an ihn glauben, wohl so auch nicht gedacht hat (vgl. Joh17,20f) – sind dennoch im Leben ihres Bekenntnisses gleichsam geeint. So blieb mir eigentlich nur zu sagen: durch das Kreuz sind wir bei aller Verschiedenheit und Getrenntheit untereinander vereint. Möge diese Initiative in Graz, die durch das „Kreuz Corona“ beinahe Schiffbruch erlitten hätte, mutig vorangetrieben werden. – Ehrlich: ich freue mich jetzt schon auf den hoffentlich dann in realer Begegnung stattfindenden Tag im Mai 2021!

„Rette deine Seele!“

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Zu früheren Zeiten war nach sogenannten „Volksmissionen“ oft ein Erinnerungskreuz mit diesen Worten in den besuchten Pfarren hinterlassen worden. So richtig der Inhalt, der mit diesem Satz ausgedrückt worden ist, auch ist – nämlich, dass jede/r Getaufte auf dem persönlichen Weg zur Heiligkeit unverzagt voranschreiten soll – so falsch kann er auch egoistisch verengt verstanden werden. Als ob es nur darum ginge, „koste es, was es wolle“ danach zu trachten, sich in den Himmel zu „katapultieren“ – und dabei auf die anderen um mich herum zu vergessen. Je länger das Verbot andauerte, Feiern in den Kirchen öffentlich zu gestalten, wurden Stimmen laut, die ich eher der letzteren Variante des Verständnisses zuordnen möchte. Da war von Forderungen an uns Bischöfe die Rede, die freilich „demütigst“ vorgetragen wurden, da hieß es „Gebt uns unsere Messe zurück!“ [hier geht es mir um den Titel des Videos, nicht um dessen Inhalt, der berührende Zeugnisse geboten hat], da haben manche Amtsträger sich herausgefordert gesehen zu behaupten, dass das Virus sicher keine Chance hätte, jemanden beim Kommunionempfang anzustecken, da gab es in Foren und Medien, die sich „katholisch“ nennen, Steinchen – mitunter auch größeres, die zwischen die Bischöfe zu streuen versucht wurden um aufzuteilen in „gute“ und „schlechte“ Hirten usw., da war die Rede davon, „dass die Hirten die Herde verlassen hätten“, da wurde gefordert und eingemahnt usw. Gott sei Dank (!) hat sich vieles davon „nur“ in einer „kirchlichen Filterblase“ abgespielt, sodass auch die Reaktionen darauf sich meist nur auf diese beschränkt haben. Die Kultur, die hier mitunter zu sehen, zu lesen und zu hören war – und das spielte sich auf verschiedensten Ebenen ab – war eine ganz andere als die, die uns Jesus gelehrt hat. Ganz abgesehen davon, dass damit – erneut – ein „Anti-Zeugnis“ gegeben wurde und wird und ich mehr und mehr auch jene verstehe, die sagen, dass sie „mit diesem Verein“ eigentlich nichts auf dem Hut haben. Angesichts so mancher Fragestellungen weltweit – „Woher kommen Krankenbetten? – Wie schaffen wir es, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird? – Woher bekommen wir Beatmungsgeräte? – Was machen wir, wenn in einem Flüchtlingslager auf engstem Raum sich dieses Virus ausbreitet?“ – muten die Forderungen, von denen ich eben einige aufgezählt habe, seltsam, sehr seltsam an … Kein Wunder, dass sich P. Karl Wallner OCist, der Nationaldirektor von missio in Österreich, daher in der Messfeier, die am 30. April aus der Missionszentrale in Wien übertragen wurde, in seiner Einleitung und während der Predigt (ca. ab Minute 14.30) genötigt sah, ein klares Wort zu sprechen.

„DANKE FÜR DEN DIENST UNSERER BISCHÖFE!“

Die Corona-Pandemie stellt auch das kirchliche Leben vor große Herausforderungen. Missio-Nationaldirektor findet klare Worte und dankt den Bischöfen für ihre…

Es ist meines Erachtens tatsächlich eine Gefahr, den Glauben egoistisch verengt zu verstehen und dem entsprechend zu leben: „Ich besuche ‚meine‘ Messe …“ Alles in der Kirche, ja die Kirche selbst und auch ihre Sakramente sind eben nichts anderes als Mittel zum Heil und nicht das Heil selbst! Das Heil ist Jesus Christus und das Leben auf ewig bei ihm. Um IHN geht es und eigentlich um nichts anderes – die „Mittel“ auf dem Weg zu ihm sind eben auch unterschiedliche – den diversen Situationen und Stationen des Lebens angepasst. Aber es geht nie um die Sakramente – es geht immer um die lebendige Beziehung zu IHM – und die kann uns durch nichts und niemanden genommen werden. In einer Predigt während der Corona-Zeit habe ich u.a. auf Kardinal van Thuan hingewiesen, der einige Jahre in Einzel- und Dunkelhaft gelebt hat und aus dieser Wirklichkeit leben musste[1]. Der Weg ist eben nicht das Ziel. Auch wenn uns schmerzlich manches an kirchlichem Leben genommen wurde – beinahe alles an Feiern – so war Kirche „nicht geschlossen“, denn viele haben sich engagiert, dass Kranke – so gut es eben ging – besucht wurden, Nachbarschaftshilfen wurden organisiert, die Caritas als organisierter Teil der Kirche in ihrem Selbstvollzug der Nächstenliebe musste in manchen Bereichen „ihren Betrieb trotz des ’shutdowns‘ hochfahren“, die Vinziwerke streckten sich genauso nach der Decke, die kirchlichen Spitäler haben ihre Dienste nicht eingestellt, auch in den pädagogischen Einrichtungen wurde den Verordnungen entsprechend und ob der Kinder willen beaufsichtigt und zumindest „auf Entfernung“ unterrichtet; da wurde Begleitung angeboten – die Telefone der Telefonseelsorge liefen heiß, online wurde die Beratung unseres Instituts für Familientherapie und Psychologie angeboten und und und … Die vielen Dienste unserer Hauptamtlichen in der Seelsorge – ob Laie oder geweiht -, der Diakone waren wie selbstverständlich so gut es halt möglich war, verfügbar; ein Notdienst für die Sterbesakramente auch von COVID-Patienten unter höchsten Sicherheitsauflagen wurde aufgebaut, die Mitarbeitenden der Pflegeheime wurden ein wenig eingeschult in begleitendes seelsorgliches Tun angesichts des strengen Besuchsverbotes etc. Vieles davon fand ganz einfach statt – denn: es gab weit mehr als das, was öffentlich berichtet wurde.

Natürlich: Sakramente sind ein Geschenk für uns. Aber eben ein Geschenk! Auf ein solches habe ich eigentlich kein Anrecht, oder? Ganz abgesehen von der Feststellung, dass mitunter die Nächstenliebe – eben Achtung vor den Nächsten und deren Gesundheit – angesichts Gottes „nichts“ zu zählen scheint, wiewohl sie unser Herr gemeinsam als 1. Gebot benennt, außer Acht gelassen wird, wenn es um „meine partikulären“ Interessen geht, ist mitunter das Bewusstsein, worum es angesichts des nach wie vor weitgehend unbekannten Virus und seiner Auswirkungen, nicht umfassen ausgeprägt.[2] Daneben wäre freilich auch die Frage zu stellen, was mit der Forderung nach „meiner Messe“ wirklich gemeint ist, ob ich diese nämlich auch jenen zubillige, die praktisch nie die Möglichkeit haben, Messe zu feiern, weil sie etwa im Amazonas-Gebiet leben[3] oder ob so manche rasch rechtschaffen einen jahrelangen Ausschluss von den Sakramenten für gewisse fordern und einmahnen, sie selbst aber es nicht schaffen, einige Wochen darauf zu verzichten?!

Ja: so manches an kirchlichen Lebensäußerungen muss kritisch hinterfragt werden, was ihre Formen anlangt, aber auch was Äußerungen aus dem Leben mancher anbelangt.

[1] https://bit.ly/2YKULuc

[2] vgl. etwa hierzu die Predigt am Samstag der 3. Osterwoche: https://bit.ly/2YMr2B8

[3] vgl. hierzu den „offenen Brief“ von P. Erhard Rauch https://bit.ly/2WgpxcC

Unterschiedliche Blickwinkel

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Vorbemerkung: Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Gedanken war noch nicht klar, wie die Novellierung der COVID-19-Lockerungsverordnung, die mit 1.5.2020 in Kraft getreten ist, für 15. Mai genau formuliert ist, was den Betrieb von Gaststätten etc. anlangt, die mit diesem Tag unter Auflagen geöffnet werden können.

Klar: jede und jeder von uns hat einen gewissen Standpunkt, von dem aus die Welt betrachtet wird – im wörtliche Sinn: es geht gar nicht anders. Daher ergeben sich auch unterschiedliche Sichtweisen auf die eine oder auch die andere Situation respektive Herausforderung. Soweit so klar – erst recht, wenn wir uns das bildlich vorstellen. Daraus folgt auch: Selbst dann, wenn das Ziel, das im Blick liegt, für alle Beobachter an ihren unterschiedlichen Positionen dasselbe ist – der Weg dorthin ist für jeden ein anderer. Daraus ergeben sich eben auch unterschiedliche Vorschläge wie zum Ziel zu gelangen ist. „Wehe“ bin ich versucht zu sagen „wenn ein Beobachter von vornherein sagt, dass nur sein Weg der rechte sei“, denn – stellen wir uns das noch einmal bildlich vor: da müssten dann alle am selben Platz stehen, also vorher schon denselben Stand-Punkt einnehmen, ganz abgesehen davon, dass dann noch Risikoabwägung, Hindernisse etc. auf dem Weg die eine oder andere Möglichkeit eröffnen könnten, zum Ziel zu gelangen.

Ideologien haben es an sich, sich absolut zu gebärden und damit andere Standpunkte und Blickwinkel nicht zuzulassen. Wirklich aufgeklärt zu sein und zu leben würde für mich heißen, daran zu glauben, dass Menschen auch auf anderen Wegen zum selben Ziel gelangen können. Nur weil sie von einem anderen Punkt aus losgehen, eine andere Richtung haben usw. ist noch lange nicht gesagt, dass sie „schlechter“, aber auch nicht, dass sie „besser“ unterwegs“ sind. – Wenn alledem einiges Wahres abzugewinnen ist: wieso „verteufle“ ich dann in Gedanken, Worten und Werken andere, die eben „anders“ unterwegs sind?
Das nämlich scheint mir in der Gesellschaft und auch – paradigmatisch – oft zwischen politischen Parteien der Fall zu sein: statt das gemeinsame Ziel vor Augen zu haben und anzuerkennen, dass andere eben einen anderen Blickwinkel einbringen, wird bei Vorschlägen anderer von vornherein gesagt, dass das alles ein Blödsinn sei etc. Damit erliegen wir dann aber auch der Gefahr, die eigenen blinden Flecken im Denken etc. nicht aufdecken zu lassen und eine größere Gesamtsicht zuzulassen.

Meines Erachtens haben wir da noch viel an Kultur zu leben und uns anzueignen. Um der Welt und unserer Gesellschaft willen! Von der Art und Weise wie über andere geurteilt, gesprochen und geschrieben wird – die „Stammtische“ sind ohnedies bekannt, diese haben sich [nicht nur Corona-bedingt] mittlerweile auf den virtuellen Raum ausgebreitet – schreit manchmal ja wirklich zu Himmel. So als ob von anderen auf keinen Fall was Gutes kommen könnte oder aus rein taktischen Gründen muss man, auch wenn der Vorschlag ein guter wäre, sagen, das ist ein Blödsinn, was da der bzw. die andere vorschlägt. Kultur des Dialogs auf allen Ebenen gesellschaftlichen Lebens ist mehr denn je gefragt.

So zu denken führt keineswegs zu Gleichmacherei, ermöglicht aber, dass andere nicht von vornherein abgekanzelt werden und damit auch – zumindest ein Stück weit – ihrer Würde beraubt werden. Es gibt nach wie vor unterschiedliche Wege, aber das Ziel ist dasselbe. Wenn es in der Gesellschaft um das „Gemeinwohl“ geht, dann ist damit eben das Ziel benannt; dass aus unterschiedlichen Blickwinkeln verschiedene Wege möglich sind, ist klar; dass wir von verschiedenen Standpunkten aus dasselbe Ziel betrachten und von diesen Punkten uns dann auf das Ziel hin aufmachen, ist auch klar. Daher würde ein Punkt dieser „neuen Kultur“ des Miteinanders eben auch bedeuten, uns gegenseitig zu vergewissern, ob wir dasselbe Ziel vor Augen haben und damit auch Wege zu respektieren und zu akzeptieren, die ich für mich nicht gehe. Hierin liegt meines Erachtens dann auch etwa eine große Aufgabe der Medien und damit des Journalismus, dies deutlich zu machen und herauszuarbeiten. Schwarz-Weiß-Malerei lässt eben die Schattierungen und erst Recht die Farbenspiele außer Acht, die das Leben von uns allen aber ausmachen. Populismus redet zwar einer – vielleicht heute eben bestehenden – Mehrheit nach dem Mund, hetzt mitunter dann aber auch von einem Standpunkt zum nächsten. Es gibt also meist kein bloßes „Entweder – oder“, sondern ein „gemeinsames Voranschreiten“ auf anderer Ebene.

Auch für uns Christen kann Ähnliches gesagt werden: wenn die Kirche etwa mit ihren Glaubenssätzen einen Weg vorgibt, dann bedeutet das nicht, dass alle genau nur auf dieser „Grat-Wanderung“ vorankommen könnten – wenn der Weg als solcher empfunden würde, sondern dass das Ziel, die Quelle des Lebens, auf diesem Weg ganz sicher erreicht werden kann. Daher ergibt sich auch für uns die Herausforderung des Lebens zur Einheit, die eben nicht unterschiedliche Standpunkte eliminiert – schauen wir uns doch mal die unterschiedlichen Charaktere der Apostel und übrigen Jüngerinnen und Jünger des Herrn an! Wenn der Herr auf dem Weg zum Ölberg um die Einheit aller betet, die durch ihr Wort [d.i. der Jünger Wort] „an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast (Joh 17,20f.) dann heißt das eben: das allen gemeinsame Ziel – Leben auf ewig bei Gott – in den Blick zu nehmen und darauf entschlossen zuzugehen. Dies nimmt nichts der Eigenheit, die jede und jeden von uns eben auszeichnet, sehr wohl aber das End-Gültige in den Blick. Dies ist ja – wenn ich an das letzte Buch der christlichen Bibel, die „Geheime Offenbarung“ denke – dass der Herr inmitten der Seinen lebt: „Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein“ (Offb 21,3). Dort wird Dia-log „leibhaftig“, weil der logos, das Wort schlechthin also – Jesus [vgl. den Beginn des Johannes-Evangeliums“ – „zwischen uns“ lebt. Diese kirchliche Kultur des Dialogs ist freilich auch noch zu lernen, sehr sogar, wenn ich nur an die Geschichte erinnere. Und: eine solche Kultur ist herausfordernd, im besten Sinn des Wortes.

Bischofskonferenz – in diesen Zeiten

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Neue Ordnung: d. h. unter anderem, auch für die abgesagte Frühjahrsvollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz eine Art und Weise zu finden, miteinander voran zu schreiten. Und auch hier: das Neue gilt es von einem Tag auf den anderen gleichsam „aus dem Boden heraus zu stampfen“. So „treffen“ sich seit Mitte März die beiden österreichischen Erzbischöfe und je ein weiterer Bischof aus den beiden Metropolien einmal pro Woche für 2-3 Stunden in einem virtuellen Raum. Dort geht es darum, anstehende Fragen im Austausch so aufzubereiten, dass wir recht rasch – meist im Umlaufverfahren – anstehende und notwendige Entscheidungen im Plenum der Österreichischen Bischofskonferenz treffen können. Anfangs noch telefonisch, später dann in einer Videoschaltung und zwischendurch als ganze Bischofskonferenz wurden auf diese Art und Weise unbedingt notwendige Dinge der Frühjahrsvollversammlung aufgearbeitet und zugleich versucht „auf Sicht“ nächste Schritte in einem Terrain zu setzen, das allen unbekannt war und – geben wir es zu – nach wie vor ist. Mit mitunter „heiteren“ Seiten: so etwa gab es am 28. April eine Videokonferenz der ad-hoc-Kommission, wie wir sie nennen; kurz davor hat die Regierung die Lockerungen der Beschränkungen in einer Pressekonferenz bekannt gegeben – unsere Arbeit an den Richtlinien für die Feier der Gottesdienste musste teilweise neu aufgesetzt werden. Die Erwartung an die Verordnung des Gesundheitsministers, die spätabends am 30. April erschienen ist, war dann eine ebenso hohe: „Werden hier wiederum neue und uns bislang nicht bekannte Details eingeführt?“ Dass dann in einer Zeitung am 1.5. Leserbriefe abgedruckt werden, die Daten kritisierten, die an diesem Tag nicht mehr aktuell waren, macht deutlich: egal was und wie Entscheidungen getroffen werden, sie haben immer einen „Vorbehalt“: Sicherheiten sind uns eben derzeit genommen – und daran gibt es nichts zu beschönigen, und mit dieser Herausforderung zu leben ist alles andere als leicht – wiewohl wir als Glaubensgemeinschaft genau das eigentlich zu unserer Kernbotschaft zählen …

All das ist auch eine Anforderung an das Miteinander unter uns Bischöfen: Einige Male haben wir uns – die aus der Salzburger Metropolie – zusätzlich virtuell getroffen, um aufeinander zu hören, unsere persönlichen Sichtweisen einander zu schenken, Fragen an die Situation zu stellen, einfach gesagt: um gemeinsam in unwegsamem Gelände am gemeinsamen Seil unserer Kirche voranschreiten zu können. Ob wir in allem und jedem uns richtig entschieden haben, kann und will ich nicht behaupten – davon bin ich alles andere als überzeugt schon ob der Geschwindigkeit der Veränderungen und die Nachbetrachtung in der Geschichte wird wohl so manches benennen. Zugleich aber gilt zu sagen: wir haben uns in diesen Wochen redlich bemüht, im Angesicht Gottes, betend um den Heiligen Geist, vertrauend auf die Nähe Gottes gemeinsam Schritte des Lebens zu setzen innerhalb eines sehr eingeschränkten Rahmens an Möglichkeiten „Kirche auszudrücken“. Wir haben bemerkt, wie sehr wir als Kirche in Österreich geprägt sind von unseren Formen, in denen wir gewohnt sind, unseren Glauben zu leben. Die Herausforderungen, die sich den Christen unserer Heimat – wie alt oder jung sie auch sind, wie „kirchenfern“ oder auch „kirchennah“ – waren und sind große.
Kirche ist mehr als Kommunion,
Kirche ist mehr als Messe,
Kirche ist mehr als Sakramente,
Kirche ist mehr als Gottesdienste –
so wichtig diese Feiern als Mittel auf dem Weg des Glaubens auch sind.
Kirche ist auch (!) gelebte Nächstenliebe,
Kirche ist auch (!) persönliches Gebet,
Kirche ist auch (!) Begegnung mit dem Wort Gottes und Leben daraus,
Kirche ist auch (!) Ernstnahme des gemeinsamen Hauses „Welt“,
Kirche ist auch (!) Blick auf und leben mit den Menschen am Rand, usw.

Der Dienst der Kirche in unserer Gesellschaft schlechthin kann umschrieben werden mit den Worten: die persönliche Beziehung zum Schöpfer, zu Gott zu nähren. Ich bin ehrlich gespannt darauf, ob sich ein „weites“ Bild von Kirche in die Gedanken, Worte und Werke der Getauften einprägt, oder ob wir relativ rasch zum „normalen Programm“, zum „gewohnten Alltag“ eines sehr auf ein Moment kirchlichen Lebens reduziertes Verständnis der Gemeinschaft der Herausgerufenen zurückkehren. Ich ergänze sofort – auch weil ich eben von „entweder – oder“ gesprochen habe – dass wird nicht der Versuchung verfallen dürfen, ein Standbein kirchlichen Lebens gegen das andere auszuspielen. Liturgie und damit die Feier der Gottesdienste und (!) Dienst am Nächsten als gelebte Caritas und (!) bezeugter Glaube durch Leben und Wort und (!) Gemeinschaft (communio) von Gott mit uns und untereinander gehören zusammen – und dann sind wir jene Gemeinschaft, die von sich sagen kann: „Wir gehören dem Herrn!“

miteinander unterwegs

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Da ging unmittelbar nach dem „lockdown“ eine große Welle an Solidarisierung durch’s Land: das Miteinander, das gegenseitige „aufeinander Schauen“ wurde vertieft erfahren. Unzählige Initiativen haben sich gegründet, die sich gegenseitige Hilfe und Helfen auf die Fahnen geschrieben haben. – Zu bemerken war einige Zeit später freilich auch – die ersten Lockerungen der Regierung wurden angekündigt: „Wieso der und wieso nicht ich?“ Kirchlich spielte sich das ähnlich ab: „Wieso dürfen Märkte öffnen und bleiben Kirchen geschlossen?“[1] Auch ich habe mich hierbei mal zu Wort gemeldet. Um nach einiger Zeit des Reflektierens mich auch zu fragen, ob das nicht reichlich „pubertär“ war statt mit der Situation, die es eben jetzt gerade gibt, umzugehen? Ich habe ja nur das Jetzt um zu leben: was morgen sein wird, weiß ich nicht – ich weiß ja nicht einmal, ob es dieses morgen geben wird; was gestern war ist längst vorbei. – Nicht vergessen werden darf die Feststellung, dass Kirchen nie (!) „zu“ waren, sondern immer für das persönliche Gebet geöffnet. Auch das war ein wichtiger Beitrag zur „spirituellen Grundversorgung“ unserer Gesellschaft, die beinahe nur die physische Gesundheit im Blick hatte.

Als dann bekanntgegeben wurde, dass unter Auflagen auch wieder Gottesdienste in Kirchen erlaubt sein würden, begann ein interessantes „Feilschen“: „Darf’s ein bisserl mehr sein?“ Und kaum war eine Frage mal geklärt, wurde unmittelbar danach – auf unterschiedlichen Ebenen des Volkes Gottes – moniert, dass es doch mehr geben müsse … „So schnell wie möglich zurück in den ‚Normal-Modus'“ schien die Devise zu sein, dann wäre alles wieder in Ordnung. Wirklich? War vorher „alles“ in Ordnung?

Ich kann sehr wohl die Sorge und die Not vieler teilen, die in Emails und auf anderen Wegen, mitunter recht vorwurfsvoll, in den letzten Wochen und Monaten an mich und wohl auch andere Bischöfe ergangen sind. Und zugleich stelle ich die Rückfrage, ob denn wirklich „übliches kirchliches Leben“ die alles entscheidende Frage ist. Dabei meine ich nicht so sehr die – auch – berechtigten Fragen, wie die Menschheit mit einem neuartigen Virus umgehen lernt und dass es in Afrika und anderswo wohl noch weit größere Katastrophen als bei uns geben wird. Ich meine eher die Einordnung der Kirche als „Instrument“, als „Mittel“ zum Heil. Kirche ist nicht das Ziel unseres Lebens, dieses ist das Leben mit Gott. Die Kirche als ganze samt den Sakramenten ist eben ein Mittel um dorthin zu gelangen. Und daher gilt es immer die Beziehung zu Gott im Blick zu haben und die nicht aus dem Auge zu verlieren. P. Karl Wallner hat dazu bei einer Messfeier, die im Internet übertragen wurde, am 30. April 2020 sehr emotional sowohl in der Einleitung wie auch in der Predigt (ca. ab Minute 14’30“)Stellung bezogen.

Schaffen wir es als Einzelne, das Große und Ganze im Blick zu haben, in dem ich leben, das mir – allgemein formuliert – auch das Leben ermöglicht? Oder sind auch wir – als Christen (!) – Kinder unserer Zeit, die meinen, aus sich selbst heraus zu leben und daher gilt es zunächst und zuallererst auf uns selbst zu schauen?! Wir sind soziale Wesen – und das gilt es dann auch in herausfordernden Situationen zu leben, auf Distanz, und mitunter sogar allein. So sehr ich von mir sagen kann und sagen darf, geliebtes Kind Gottes zu sein, so sehr gilt, dies auch von jedem und jeder anderen in meiner Umgebung zu sagen. Daher ist es eben auch (!) Auftrag, nicht nur die eigenen Scherflein ins Trockene zu bringen, sondern auch das Wohlergehen der anderen im Blick zu haben, denn nur in lebendigem Miteinander – dies ist notwendig, denn auch das Virus machte deutlich, wie sehr wir als Welt zusammengehören! – werden die Welt mehr und mehr nach Seinem Bild gestalten können.

[1] vgl. Titelseite der Kleinen Zeitung vom 17. April 2020.