Archiv der Kategorie: Lockdown

Durch den erneuten Lockdown in Österreich stellen sich viele Fragen an die Kirche. Ausgehend von einem Interview des zum Kardinal kreierten Generalsekretärs der Bischofssynode Mario Grech, das ich in einer persönlichen und daher auch fehlerhaften wie auch schlechten Übersetzung vorstelle mache ich mir danach verschiedene Gedanken zu Herausforderungen, die sich uns stellen.

Kirche im Lockdown (?) – XI

In Zeiten wie diesen merken wir so manche Fliehkräfte in der Gesellschaft, von denen wir in guten Tagen eigentlich wenig bemerken. Ich denke an so manche Demonstrationen, an immer härter vorgetragene Kritiken an so manchen Maßnahmen, an offen zur Schau getragene Missachtung von Aufforderungen; ich entdecke solche Züge aber auch in verschiedenen Debatten, wenn da und dort Meinung auf Meinung prallt und keine/r gewillt ist, auf den anderen bzw. die andere zu hören. Hinzu kommen noch die Meinungsblasen, die durch die Algorithmen der sogenannten „sozialen Medien“ verstärkt werden, sodass sich so manche Menschen nur mehr unter ihresgleichen bewegen und daher nahezu immun werden, statt sich verantwortungsvoll auch mit anderen Argumenten auseinanderzusetzen – da das Leben ohnedies schon zu komplex ist läuft man dann sogar Gefahr, dies auch gar nicht mehr zu wollen, so „besessen“ ist man von der persönlichen Weltsicht, dass egal was gesprochen, gepostet oder auch überlegt wird, man nur mehr „angetrieben“ wird sich selbst und die eigene Meinung in den Vordergrund zu rücken.

Die Botschaft, für die wir als Christinnen und Christen stehen, ist genau hierfür eine, die dem Auseinander entgegenzuwirken hilft, ohne dass dabei das Eigene und die Identität der Einzelnen negiert wird: Schon auf dem Weg vom Abendmahlssaal zum Ölberg, vor Beginn des letzten entscheidenden irdischen Lebensabschnittes Jesu bittet dieser in einem langen Gebet Gott darum, dass all jene, die durch die Jünger an ihn glauben (werden), eins sein mögen: „Ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“ (Joh 17,20f.).

Diözese, Seelsorgeräume, Pfarren, kirchliche Einrichtungen und Gruppen bieten durch die gemeinsame Orientierung an IHM, dem Auferstandenen, Halt und Identifikation, von wo aus auch immer Einzelne dies wahrnehmen. Wo dazuzugehören bedeutet daher auch Einsamkeit vorzubeugen, auch wenn das Leben allein gestaltet werden muss – wie sonst wären die Einschaltzahlen bei streaming-Angeboten einzelner Gottesdienste zu erklären? Bei einem Telefonat mit einem Pfarrer während des 1. Lockdowns erzählte er mir, dass er Vorwürfen ausgesetzt sei, weil er nicht wie andere Gottesdienste ins Internet übertrage – er hatte eine für sich entsprechendere Art gewählt und daher sich mit Alleinstehenden via Telefon in Kontakt gesetzt: hier wird deutlich, wie sehr „unsere Pfarre“ zusammenschweißt, auch wenn äußerliches Leben nicht sehr sichtbar sein kann.

Gerade deswegen ist es bzw. muss es unser Anliegen sein, soziale Nähe trotz verordneter physischer Distanz zu leben – ob das Mascherl „Kirche“ draufsteht oder nicht ist nebensächlich. Ich hoffe, dass viele Einzelinitiativen wie auch die unserer kirchlichen Hilfseinrichtungen und -organisationen dies genauso deutlich machen wie die Nähe bei den Kranken in den Sakramenten und die Seelsorge, die in Spitälern und Pflegeheimen – unter diversen strengen Hygieneauflagen – ermöglicht wird.

Kirche im Lockdown (?) – X

Wenn ich mir die Aufgabe der Kirche in Erinnerung rufe – nicht nur in Zeiten des Lockdowns – dann fällt mir ein, dass wir Evangelium zu bringen haben, Frohe Botschaft – jenseits „billiger Fröhlichkeit“, mit der sich so manche versuchen über die Tristesse ihres eigenen Daseins hinwegzuturnen versuchen. Da unser Hoffnungsanker weit ausgeworfen ist – bei Gott nämlich – wird genau diese Ankerkette in Zeiten der Krise gefordert. Unser Beitrag als Glaubensgemeinschaft ist daher ein wesentlicher: wir leisten einen Dienst an der Gesellschaft, weil es unser innerster Auftrag ist, das Heute vom Blickwinkel Gottes aus zu sehen und dem entsprechend auch mit Leiden, Krankheit, Sterben, Tod und allem, was sich querlegt zu dem was üblicher Weise „gelingendes Leben“ genannt werden kann, umzugehen.

Alle Taten Jesu, von denen die vier Evangelien in unterschiedlicher theologischer Dichte erzählen, sind von dieser Sicht „angetrieben“: „ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10b). Wie wahr doch auch der erste Halbsatz dieses Verses ist: „Diebe“, die das Leben verunmöglichen oder es mit Blendwerk anfüllen gibt es immer wieder – auch und gerade heute. So gesehen könnte gesagt werden: in fundamentaler Verunsicherung kann die Botschaft eines uns nahen Gottes, der von Ewigkeit her ist, wirklich Halt geben. Daher kann ich auch derzeit nicht anders, als dass ich bei der Feier jeder Messe deutende Worte in einer kurzen Homilie an jene richte, die vor Ort oder auch via sozialen Medien mitfeiern. Diese spirituelle Kraft jenseits dessen, was sich uns darbietet und an Möglichkeiten gegeben ist, kann und darf nicht gering geschätzt werden. Dieses innere Wesen von Kirche freilich muss teilweise auch neu gehoben werden, da wir in der Welt mitunter lediglich als Brauchtumserhalter akzeptiert und daher auch von so manchen allen möglichen anderen Lebensäußerungen der Gesellschaft gleich gestellt werden.

Und tatsächlich ist es auch so: wie viele Gläubige doch einfach, wenn auch nicht jauchzend, die ihnen auferlegten Regelungen bei der Feier der Gottesdienste gelebt haben. Die Selbstverpflichtung der Kirchen und Religionsgesellschaften war weitgehend mit schärferen Auflagen verbunden als die, die der Staat verlangt hat. Und „selbstverständlich“ war auch, dass die großen Feiern, zu denen sich Hunderttausende in Österreich etwa Sonntag für Sonntag versammeln, zugunsten und aus Rücksicht auf die Gefährdung von Einzelnen bis auf ein Mindestmaß reduziert wurden. Das ist schwerwiegend, weil damit Grundlegendes unseres Selbstverständnisses zumindest zeitweise auf ein Minimum reduziert wird: um der Menschen willen kann unser Feiern nicht gänzlich aufhören. Aber das stellvertretende Beten und Singen wird gerade in diesen Wochen neu vertieft: Wir sind eben nicht für uns selbst Christen, sondern als Getaufte hinein gesendet in diese Welt mit jener Botschaft, die Halt, Trost und Orientierung zu geben vermag – trotz all der Dunkelheit, in der sich so manche derzeit befinden, trotz der nach wie vor weltweit grassierenden Pandemie.

Kirche im Lockdown (?) – IX

Noch einmal zur Erinnerung: Ich will mit diesen Gedanken versuchen, Blicke zu weiten, da ich meine, dass es in so vielem in unserer Welt nicht bloß einen richtigen Weg gibt, sondern erst aus unterschiedlichen Blickwinkel eine Angelegenheit einigermaßen recht und umfassend gesehen werden kann. Erst dadurch wird meines Erachtens der Weg zur Zuversicht eröffnet. Leider ist es nun aber auch so, dass diese Fähigkeit zumal in krisenhaften Zeiten alles andere als üblich ist, auch wenn auch sehr notwendig wäre. Briefe und Petitionen, die da und dort in meinem (elektronischen) Postfach landen, sind beredte Zeugen dafür, dass sich Menschen klarerweise schwertun, ihre Überzeugungen hinterfragen zu lassen, wie auch immer diese aussehen. So ist die „Gefahr“ vorhanden, dass es eben nicht zu einem Austausch von Argumenten in einem Dialog kommt, sondern eher zu Auseinandersetzungen, in denen nichts anderes als Meinung und Gegenmeinung nebeneinander und unversöhnt ausgehalten werden müssen.

Es ist mir klar, dass Krisen enge Sichtweisen fördern – ich erinnere mich mit innerer Bewegtheit an eine Krisen-Schulung der Polizei, die für Pädagogen angeboten wurde, und von der einer unserer Erzieher im Bischöflichen Internat damals, als ich im Augustinum tätig war, erzählte. Ich merke aber auch, dass der Diskurs generell in der Gesellschaft schärfer geworden ist, die Foren in den sogenannten neuen sozialen Medien und die damit verbundenen (Meinungs-)Blasen, in denen man sich bewegt praktisch ohne anderen und Anderem zu begegnen, legen Zeugnis dafür ab. Die Zeiten sind unübersichtlicher geworden – nicht erst durch Corona. Um sich in komplexer werdenden Zeiten zurechtzufinden, in denen es keine einfachen Antworten und erst Recht nicht die Lösung auf alles und das recht schnell gibt, brauche ich aber Sicherheiten: markige Sprüche, in gewisser Art und Weise „lautes Bellen“ und Schreie – die dann wohl eher solche nach Hilfe sind und nicht gepflegter Meinungsaustausch – oder auch der Rückzug auf das Eigene und damit die eigenen Vorstellungen, die dann schnell Maß aller Dinge werden – all das ist nachvollziehbar, aber alles andere als förderlich dem Zusammenhalt.

In den letzten Wochen und Monaten sind daher gesellschaftliche Gruppen und deren Entfernung voneinander neben all den vielen Initiativen der Solidarität deutlicher sichtbar geworden. Die Haut so mancher ist dünnhäutiger – wohl auch deswegen, weil, zumindest im Gefühl, vielen der wirklich ersehnte Urlaub, wie man sich ihn gewünscht, abgegangen ist; so manche unter uns arbeiten seit geraumer Zeit an bzw. über der eigenen Leistungsgrenze, die täglich veröffentlichten Zahlen scheinen nach wie vor so manches an Hoffnungsschimmer am Horizont zu ersticken. Gerade in solchen Zeiten tut es mir gut, darum zu wissen, dass es Gott gibt, der nicht nur sagt, dass er alles in seinen Händen hält, sondern von dem ich glaubend bekenne, dass er selbst an Haut und Haaren in diesem Jesus von Nazareth das menschliche Sein in all seinen Höhen und Tiefen kennengelernt und erfahren hat – bis zum Tod am Kreuz. Anders ausgedrückt: im Gott der Christen wird deutlich, dass wir nicht allein sind, dass ER DA ist, bei uns und unser Weggeleit, nicht einer der von fern sich das Scheitern der Welt und der Menschen ansieht, sondern einer eben, der ganz das Schicksal mit uns Menschen teilt. Daher gilt: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters.“ (Phil 2,5-11)

Kirche im Lockdown (?) – VIII

Aufhorchen hat mich im Interview mit Kardinal Grech seine Interpretation der Begegnung Jesu mit der samaritanischen Frau am Jakobsbrunnen in Sychar. Ich selbst bin vor allem mit jungen Leuten in den vergangenen Jahren immer wieder an diesem Ort gewesen, der im heutigen Nablus in der Westbank lokalisiert wird. Ein alter orthodoxer Mönch hat uns empfangen: Mitten drin im Durcheinander Palästinas mit den täglichen Herausforderungen des Alltags – als wir einmal im von Mauern umgebenen Hof zusammensaßen und gemeinsam über die schwierige Situationen nachdachten, die Israel und Palästina anlangen wurde im naheliegenden Flüchtlingslager praktisch über die Straße gerade eine Art Familienfehde ausgetragen: die Waffen haben dazu nicht geschwiegen – hat er vor Jahrzehnten die Kirche wieder aufgebaut. Und damit hat er Hoffnung gestiftet und mit Mauern deutlich gemacht, dass der Durst nach Frieden hier gestillt werden kann – bei Jesus.

In Israel wird mir selbst die Herausforderung je aufs Neue bewusst, was es wohl heißt, seit fast 2.000 Jahren ohne Tempel und damit den eigentlichen und einzig wahren Ort des Gebetes für Juden auszuhalten. – Gerade in diesen Wochen denke ich auch an viele, denen aufgrund der Situation von Not, Flucht, Vertreibung oder anderem die Möglichkeit des Mitfeierns von Gottesdiensten genommen ist. Die Entscheidung ist uns Bischöfen alles andere als leicht gefallen, jetzt während des 2. harten Lockdowns in Österreich auf „öffentliche“[1] Gottesdienste zu verzichten – Messen werden nach wie vor gefeiert – in kleinen Gruppen und mit vorheriger Anmeldung, wie es halt möglich ist – und dies daher noch bewusster stellvertretend für alle als zu Tagen, an denen die Kirchen voll sind [schon im Hebräerbrief (10,25) ist die Ermahnung niedergeschrieben, den Versammlungen nicht fern zu bleiben, was also darauf hindeutet, dass von Anfang an das Prinzip Stellvertretung gelebt wurde]. Diese Erfahrung hatte ich heuer auch schon während der Feiern in der Heiligen Woche: der große Dom – sinnenfälliges Zeichen für die Kirche von Graz-Seckau – und eine kleine Schar SängerInnen wie auch im Altarraum Mitfeiernde feiern in ihm für unsere ganze Diözese. Herausgeforderter Glaube!

Natürlich muss gesagt werden: gemeinschaftliche Feiern des Glaubens stärken und sind Not wendend, keine Frage. Die Begegnung und damit auch Gemeinschaft („Kommunion“) mit unserem Herrn in der Gestalt des Brotes[2] ist aber eben auch nur eine Form der Begegnung mit IHM – auch darauf macht Kardinal Grech unter Berufung auf den hl. Paul VI. im Interview aufmerksam. Wir begegnen IHM auch in Seinem Wort[3] – und damit Gewissenserforschung für mich: „Suche ich Seine Nähe in der Begegnung mit IHM in Seinem Wort? – und in all jenen, die Not leiden (vgl. Mt 25,31-46).


[1] Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die unterschiedlichen begriffliche Inhalte von „öffentlich“ hinweisen. In der „COVID-Notmaßnahmenverordnung“ ist ja prinzipiell das Verlassen der „eigenen 4 Wände“ nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt (§1 Abs 3e nennt unter anderem die „Befriedigung religiöser Grundbedürfnisse“); damit ist es erlaubt etwa Kirchen unter Wahrung bestimmter Sicherheitsauflagen (§2) zu besuchen – im juristischen Sinn sind Kirchengebäude „öffentliche Orte“, weil sie jederzeit von verschiedensten Menschen betreten werden dürfen. – Da es aber klar ist, dass größere Menschenansammlungen, die sich etwa durch die gemeinsame und zu einem bestimmten Termin vereinbarte Feier unwillkürlich ergeben, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren zu vermeiden sind, haben die gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften gesagt, dass sie für ihren Bereich für solcherart „öffentliche“ Gottesdienste während der Zeit des harten Lockdowns verzichten.

[2] Es ist schon interessant, dass vor etwas mehr als 100 Jahren ein Papst die Gläubigen zum oftmaligeren Empfang auffordern musste – bis zur Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil war der Kommunionempfang alles andere als üblich.

[3] Ich erinnere hier erneut an ein Wort des hl. Augustinus: „Sagt mir [..], was mehr wert ist: das Wort Gottes oder der Leib Christi? Wenn ihr die Wahrheit sprechen wollt, müsst ihr zustimmen, dass das Wort Gottes nicht geringer ist als der Leib Christi. Wenn wir alle Aufmerksamkeit aufwenden, damit nichts aus unseren Händen auf die Erde fällt, wenn uns der Leib Christi gereicht wird, dann müssen wir gleicherweise darauf achten, dass das Wort Gottes, das uns mitgeteilt wird, nicht aus unserem Herzen schwindet, weil wir in Gedanken und Worten mit anderem beschäftigt sind. Wer nachlässig das Wort Gottes aufnimmt, macht sich nicht weniger schuldig, als wer durch Nachlässigkeit den Leib Christi auf die Erde fallen lässt.“[ Augustinus, Sermo 300,2-3, PL 39,2319].
Paul VI, Mysterium Fidei, 40: „Diese Gegenwart wird ,’wirklich‘ genannt, nicht im ausschließenden Sinn, als ob die anderen nicht ,’wirklich‘ wären, sondern in einem hervorhebenden Sinn, weil sie wesentlich ist, wodurch der ganze und unversehrte Christus, Gott und Mensch, gegenwärtig wird.“
Papst Benedikt XVI. meint darüber hinaus nach der Bischofssynode über das Wort Gottes in seinem nachapostolischen Schreiben: „Die Sakramentalität des Wortes lässt sich so in Analogie zur Realpräsenz Christi unter den Gestalten des konsekrierten Brotes und Weines verstehen. Wenn wir zum Altar gehen und am eucharistischen Mahl teilnehmen, empfangen wir wirklich den Leib und das Blut Christi. Die Verkündigung des Wortes Gottes in der liturgischen Feier geschieht in der Einsicht, dass Christus selbst in ihr gegenwärtig ist und sich uns zuwendet, um aufgenommen zu werden“ (Verbum Domini, 56).

Kirche im Lockdown (?) – VII

Ich habe mich eine Zeitlang gefragt, ob ich wirklich eine private Übersetzung des Interviews mit Kardinal Grech an den Beginn meiner Blog-Einträge zum Lockdown im Herbst 2020 stellen soll. Und: ich habe mich gefragt, ob ich das ganze Interview bringen soll. Wie zu sehen: ich habe beides mit „ja“ beantwortet, weil ich sehe, wie wichtig gerade in einer Krisenzeit, in der alles fixiert ist und wie gebannt agiert, damit aber auch eingeschränktem Gesichts- und wohl auch Wahrnehmungsfeld. Ich habe dies immer wieder bei mir erfahren: in herausfordernden Situationen sind mitunter normalste Abläufe nicht mehr möglich. Der Kreis, in dem man denkt und sich bewegt, ist klein/er und mitunter sehr eng.

Gerade in solchen Herausforderungen tun Worte und Überlegungen „von außen“ gut, ist der erhobene Blick und nicht das bloße „um sich selbst Kreisen“ angesagt, so deutlich es auch wird, dass einem in der Krise eben das eigene Hemd näher ist als der Rock. So verstehe ich die Überlegungen des eben zum Kardinal erhobenen neuen Generalsekretärs der Bischofssynode. Und tatsächlich: er „öffnet“ meinen Blick – und hoffentlich auch den anderer in einer Zeit, in der alles rundherum „zu“ ist. Ob ich Kardinal Grech nun völlig zustimme oder nur teilweise tut dieser Art das Leben zu gestalten keinen Abbruch, denn: vielleicht gelingt es mir durch diese Worte meinen sprichwörtlichen Stand-Punkt zu verlassen, um dadurch zur selben Situationen einen etwas anderen Blickwinkel zu gewinnen, der mir vielleicht einen Schritt eröffnet, den ich – würde ich auf meinem Standpunkit beharren – nicht gesehen hätte. –

Und das gilt dann freilich auch für anderes: Auch das Wort der Heiligen Schrift erhebt mich eigentlich täglich aus dem „Trott“, aus dem „um mich herum kreisen“, weil es mich mit IHM in Berührung bringt und mich einlädt, alles mal „mit Seinen Augen“ anzuschauen. Nicht umsetzt lade ich nunmehr schon seit einem Jahr ein, ein Wort aus den Lesungen des jeweiligen Tages als „Wort zum Leben“ mit in den Alltag meines Seins zu nehmen. Dort nämlich erweist sich mein Christsein – auch am Ende der Zeiten (vgl. die Gerichtsrede im Evangelium von Matthäus im Kapitel 25 [Mt 25,31−46) wird gefragt, was ich aus dem Leben des Glaubens im wahrsten Sinn des Wortes gemacht habe. Klar: damit mir das selbst und uns allen als jene, die in der Nachfolge Jesu Christi stehen, in Erinnerung gerufen wird und wir uns je neu bewusst auf den Weg machen dazu, braucht es auch das Zusammenkommen als Kirche, eben als Gemeinschaft der Herausgerufenen, doch am Ende des Daseins geht es darum, ob ich der Schwester bzw. dem Bruder nahe war in ihren bzw. seinen Nöten. Dieser Gedanke kommt in mir gerade in diesen Tagen und Wochen immer wieder hoch, da da und dort Kirche beinahe reduziert wird auf die Feier von Gottesdiensten. Kirche ist mehr – daran habe ich in meinem Hirtenwort am Ende des 1. Lockdowns erinnert.

Mein Vorgänger im Amt, Bischof Egon Kapellari, war stets darum bemüht, die „Dinge zusammen zu halten“. Gerade in Extremsituationen kann es allzu leicht geschehen, dass man der Gefahr erliegt, gleichsam auf „eine Seite zu kippen“. Ich hoffe, dass wir in diesen Tagen als Kirche hier bei uns in der Steiermark deutlich machen, dass wir auf der Seite der Menschen stehen und mit ihnen auch durch diese dunkle Zeit gehen, auch wenn uns vieles an „Üblichem“ genommen ist.

Kirche im Lockdown (?) – VI

Der neue Generalsekretär der Bischofssynode Mario Grech hat Anfang Oktober der italienischen Zeitschrift „La civiltà cattolica“ ein Interview gegeben – Interviewpartner waren Antonio Spadaro und Simone Sereni (https://www.laciviltacattolica.it/articolo/la-chiesa-sulla-frontiera/). Ende Oktober erschien es auf Englisch (https://www.laciviltacattolica.com/bishop-mario-grech-an-interview-with-the-new-secretary-of-the-synod-of-bishops/). Im Interview nimmt der von Papst Franziskus zum Kardinal erhobene frühere Vorsitzende der Bischofskonferenz von Malta und Bischof der dortigen Diözese Gozo zu Fragen rund um die Kirche in der Zeit der Pandemie Stellung. Dies ist bedeutsam, um seine Gedanken zu verstehen, die uns mitten in der „2. Welle“ erneut bewegen. – Hier nun der 6.  und letzte Teil des Interviews.

Spadaro-Sereni: Kehren wir nun zurück, um einen weiteren Horizont zu erwägen. Das Virus kennt keine Barrieren. Wenn individuelle und nationale Egoismen entstanden sind, ist macht dies deutlich, dass wir auf der Erde eine fundamentale menschliche Geschwisterlichkeit leben.

Grech: Diese Pandemie sollte uns zu einem neuen Verständnis der heutigen Gesellschaft führen und es uns ermöglichen, eine neues Bild von Kirche zu erkennen. Es wird gesagt, dass Geschichte ein Lehrer ist, der oft keine Schüler hat! Gerade wegen unserer Selbstsucht und Individualität haben wir ein selektives Gedächtnis. Wir löschen nicht nur die Schwierigkeiten, die wir verursachen, aus unserem Gedächtnis, sondern können auch unsere Nachbarn vergessen. Beispielsweise haben bei dieser Pandemie wirtschaftliche und finanzielle Überlegungen häufig Vorrang vor dem Gemeinwohl. Obwohl wir in unseren westlichen Ländern stolz darauf sind, in einer Demokratie zu leben, wird in der Praxis alles von denen angetrieben, die politische oder wirtschaftliche Macht besitzen. Stattdessen müssen wir die Geschwisterlichkeit wiederentdecken. Wenn man die mit der Bischofssynode verbundene Verantwortung übernimmt, denke ich, dass Synodalität und Geschwisterlichkeit zwei Begriffe sind, die aufeinander bezogen sind.

In welchem Sinn? Wird die Synodalität auch der Zivilgesellschaft vorgeschlagen?

Ein wesentliches Merkmal eines synodalen Prozesses in der Kirche ist der geschwisterliche Dialog. In seiner Rede zu Beginn der Synode über junge Menschen sagte Papst Franziskus: „Die Synode muss ein Akt des Dialogs sein, vor allem unter den Teilnehmern. Und die erste Frucht dieses Dialogs ist, dass jeder offen ist für Neues, um die eigene Meinung aufgrund dessen zu ändern, was er von den anderen gehört hat.“[1] Darüber hinaus bezog sich der Heilige Vater zu Beginn der Sonderversammlung der Synode für den Amazonas auf die „mystische Geschwisterlichkeit “[2] und betonte die Bedeutung einer brüderlichen Atmosphäre unter den Synodenvätern in der Aula, „die es hier drinnen geben muss“.[3]

Diese Kultur des „geschwisterlichen Dialogs“ kann allen Versammlungen – den politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen – helfen, Orte der Begegnung und nicht der Konfrontation zu werden. In einer Zeit wie der unsrigen, in der wir überzogene Souveränitätsansprüche der Staaten und eine Rückkehr zum Klassismus[4] erleben, könnten soziale Subjekte diesen „synodalen“ Ansatz neu bewerten, um einen Weg der Annäherung und eine gemeinsame Sichtweise zu ermöglichen. Wie Christoph Theobald argumentiert, kann dieser „geschwisterliche Dialog“ einen Weg zur Überwindung des „Kampfes zwischen Wettbewerbsinteressen“ eröffnen: „Nur ein reales und quasi-physisches Gefühl der ‚Geschwisterlichkeit‘ kann es ermöglichen, den sozialen Kampf zu überwinden und einen Zugang zu gewähren zu Verständnis und Zusammenhalt, wenn auch fragil und vorübergehend. Autorität wird hier in ‚Autorität der Geschwisterlichkeit‘ umgewandelt; eine Transformation, die eine geschwisterliche Autorität voraussetzt, die in der Lage ist, durch Interaktion das evangeliumsgemäße Gefühl der Geschwisterlichkeit – oder den ‚Geist der Geschwisterlichkeit‘ gemäß dem ersten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – zu wecken, während die Stürme der Geschichte es zu verschlucken drohen“[5]

In diesem sozialen Rahmen spiegeln sich die weitsichtigen Worte des Heiligen Vaters stark wider, als er sagte: „Eine synodale Kirche ist wie ein „für die Völker aufgestelltes Zeichen“ (vgl. Jes 11,12) in einer Welt, die – obwohl sie Beteiligung, Solidarität und Transparenz in der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten fordert – oft das Schicksal ganzer Völker den gierigen Händen begrenzter Machtgruppierungen überlässt. Als Kirche, die mit den Menschen „gemeinsam vorangeht“ und an den Mühen der Geschichte teilhat, hegen wir den Traum, dass die Wiederentdeckung der unverletzlichen Würde der Völker und des Dienstcharakters der Autorität auch der Zivilgesellschaft helfen kann, sich in Gerechtigkeit und Brüderlichkeit aufzubauen und so eine schönere und menschenwürdigere Welt zu schaffen für die Generationen, die nach uns kommen.“[6]

[1] Franziskus, Ansprache des Heiligen Vaters zu Beginn der Jugendsynode, 3.10.2018.

[2] Franziskus, Evangelii gaudium, 92.

[3] Franziskus, Grußwort bei der Eröffnung der Bischofssynode für die Panamzonas-Region, 7.10.2019.

[4] Vorurteile oder Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder der sozialen Position.

[5] C. Theobald, Dialogo e autorità tra società e Chiesa, prolusione in occasione del «Dies academicus» della Facoltà teologica del Triveneto, 22.11.2018.

[6] Vgl. Franziskus, Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode, 17.10.2015.

Kirche im Lockdown (?) – V

Der neue Generalsekretär der Bischofssynode Mario Grech hat Anfang Oktober der italienischen Zeitschrift „La civiltà cattolica“ ein Interview gegeben – Interviewpartner waren Antonio Spadaro und Simone Sereni (https://www.laciviltacattolica.it/articolo/la-chiesa-sulla-frontiera/). Ende Oktober erschien es auf Englisch (https://www.laciviltacattolica.com/bishop-mario-grech-an-interview-with-the-new-secretary-of-the-synod-of-bishops/). Im Interview nimmt der von Papst Franziskus zum Kardinal erhobene frühere Vorsitzende der Bischofskonferenz von Malta und Bischof der dortigen Diözese Gozo zu Fragen rund um die Kirche in der Zeit der Pandemie Stellung. Dies ist bedeutsam, um seine Gedanken zu verstehen, die uns mitten in der „2. Welle“ erneut bewegen. – Hier nun der 5. Teil des Interviews.

Spadaro-Sereni: Wer sind die Diener der „Hauskirche“?

Grech: Für den heiligen Paul VI. wird das gemeinsame Priestertum in hervorragender Weise von den Ehegatten gelebt, die mit der Gnade des Sakraments der Ehe ausgestattet sind.[1] Eltern sind daher aufgrund dieses Sakraments auch die „liturgischen Diener“, die während der häuslichen Liturgie das Brot des Wortes brechen, mit ihm beten und somit die Weitergabe des Glaubens an ihre Kinder ermöglichen. Die Arbeit der Katecheten (Religionslehrer) ist bedeutsam, kann aber den Dienst der Familie nicht ersetzen. Die Familienliturgie ist es, die die Familienmitglieder veranlasst, sich aktiver und bewusster an der Liturgie der Pfarre zu beteiligen. All dies trägt dazu bei, den Übergang von der bloß klerikalen zur familiären Liturgie zu ermöglichen.

Glauben Sie, dass die Besonderheit dieses „Dienstes“ der Familie, der Ehegatten und der Ehebeziehung neben dem rein häuslichen Raum auch eine prophetische und missionarische Bedeutung für die gesamte Kirche und die Welt haben kann und sollte? In welcher Form zum Beispiel?

Obwohl die Kirche seit Jahrzehnten bekräftigt, dass die Familie Quelle pastoralen Handelns ist, befürchte ich, dass dies in vielerlei Hinsicht nur noch Teil der Rhetorik eines familiären pastoralen Dienstes ist. Viele sind immer noch nicht vom evangelisierenden Charisma der Familie überzeugt; Sie glauben nicht, dass die Familie eine „missionarische Kreativität“ hat. Es gibt viel zu entdecken und zu einzubeziehen. Ich persönlich hatte in meiner Diözese eine sehr anregende Erfahrung mit der Teilnahme von Paaren und Familien am Familienpastoraldienst. Einige Paare waren an der Ehevorbereitung beteiligt; andere begleiteten das Brautpaar in den ersten fünf Jahren ihrer Ehe.

Durch die Erfahrung in ihren eigenen Familien bereichert können Ehepartner nicht nur alltägliche Glaubenszeugnisse des Familienlebens austauschen, sondern auch eine neue theologisch-katechetische Sprache für die Verkündigung des Evangeliums an die Familie finden. Nach dem Vorbild der „Kirche, die hinausgeht“ muss die „Hauskirche“ darauf ausgerichtet sein, aus dem Zuhause herauszukommen. Daher muss sie auch in die Lage versetzt werden, ihre soziale und politische Verantwortung zu übernehmen. Wie Papst Franziskus betonte, hat Gott „der Familie nicht die Sorge um ein sich selbst genügendes »Zuhause« anvertraut, sondern das spannende Projekt, die Welt »heimisch« zu machen.“[2].

Die Familie ist „berufen, in der Gesellschaft, in der sie lebt, ihre Spuren zu hinterlassen, um andere Formen der Fruchtbarkeit zu entwickeln, welche die Liebe, von der sie selbst getragen wird, gleichsam ausdehnen.“[3] Eine Zusammenfassung all dessen findet sich im Abschlussdokument der Bischofssynode über die Familie, in der die Synodenväter geschrieben haben: „Die Familie konstituiert sich so als Subjekt pastoralen Handelns, über die ausdrückliche Verkündigung des Evangeliums und das Erbe vielfältiger Formen des Zeugnisses: die Solidarität gegenüber den Armen, die Offenheit für die Verschiedenheit der Personen, die Bewahrung der Schöpfung, die moralische und materielle Solidarität gegenüber den anderen Familien, vor allem den bedürftigsten, der Einsatz für die Förderung des Gemeinwohls, auch durch die Überwindung ungerechter sozialer Strukturen, ausgehend von der Umgebung, in der man lebt, indem Werke leiblicher und geistlicher Barmherzigkeit geübt werden..“[4]

[1] Paul VI, Generalaudienz 11.8.1976.

[2] Franziskus, Generalaudienz, 16.9.2015.

[3] Franziskus, Amoris laetitia, 181.

[4] Abschlussbericht der Bischofssynode, 24.10.2015, 93.

Kirche im Lockdown (?) – IV

Der neue Generalsekretär der Bischofssynode Mario Grech hat Anfang Oktober der italienischen Zeitschrift „La civiltà cattolica“ ein Interview gegeben – Interviewpartner waren Antonio Spadaro und Simone Sereni (https://www.laciviltacattolica.it/articolo/la-chiesa-sulla-frontiera/). Ende Oktober erschien es auf Englisch (https://www.laciviltacattolica.com/bishop-mario-grech-an-interview-with-the-new-secretary-of-the-synod-of-bishops/). Im Interview nimmt der von Papst Franziskus zum Kardinal erhobene frühere Vorsitzende der Bischofskonferenz von Malta und Bischof der dortigen Diözese Gozo zu Fragen rund um die Kirche in der Zeit der Pandemie Stellung. Dies ist bedeutsam, um seine Gedanken zu verstehen, die uns mitten in der „2. Welle“ erneut bewegen. – Hier nun der 4. Teil des Interviews.

Spadaro-Sereni: Sie haben vorhin von einer „neuen Ekklesiologie“ gesprochen, die sich aus der erzwungenen Erfahrung des Lockwons ergibt. Was bedeutet diese Wiederentdeckung des Zuhause?

Grech: Es legt nahe, dass die Zukunft der Kirche hier liegt, nämlich darin, Hauskirche zu rehabilitieren und ihr mehr Raum zu geben – eine ‚Kirchen-.Familie‘, die aus einer Reihe von ‚Familien-Kirchen‘ besteht. Dies ist die begründete Voraussetzung für die Neuevangelisierung, die wir für so dringend erforderlich halten. Wir müssen Kirche in unseren Familien leben. Es gibt kein Gegenüber von ‚institutioneller Kirche‘ und ‚Hauskirche‘. Die große Gemeinschaft von Kirche besteht aus kleinen Kirchen, die sich in Häusern versammeln. Wenn Hauskirche versagt, kann Kirche nicht existieren. Wenn es keine Hauskirche gibt, hat die Kirche keine Zukunft! Die Hauskirche ist der Schlüssel, der Horizonte der Hoffnung öffnet!

In der Apostelgeschichte haben wir eine detaillierte Beschreibung der Hauskirche, der ‚domus ecclesiae‘: „Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Lauterkeit des Herzens“ (Apg 2,46). Im Alten Testament war das Zuhause der Ort, an dem Gott sich offenbarte und an dem die feierlichste Feier des jüdischen Glaubens, das Pessach, begangen wurde. Im Neuen Testament fand die Inkarnation in einem Haus statt, das Magnifikat und das Benediktus wurden in einem Haus gesungen, die erste Eucharistie fand in einem Haus statt, ebenso wie die Aussendung des Heiligen Geistes zu Pfingsten. In den ersten zwei Jahrhunderten versammelte sich die Kirche immer im Haus einer Familie.

In letzter Zeit wurde der Ausdruck „kleine Hauskirche“ oft mit einer reduktionistischen Note verwendet – vielleicht unfreiwillig … – Könnte dies dazu beigetragen haben, die kirchliche Dimension des Zuhause und der Familie zu schwächen, die für alle so leicht verständlich ist und die uns heute so offensichtlich erscheint?

Wir sind vielleicht immer noch in diesem Zustand, weil der Klerikalismus eine der Perversionen des priesterlichen Lebens und der Kirche ist, obwohl das Zweite Vatikanische Konzil die Vorstellung von der Familie als „Hauskirche“[1] wiedererlangt und die Lehre über das gemeinsame Priestertum[2] weiterentwickelt hat. In letzter Zeit habe ich genau diese Aussage in einem Artikel über die Familie gelesen. Die Theologie und der Wert der Seelsorge in der Familie als Hauskirche nahmen im vierten Jahrhundert, als die Sakralisierung von Priestern und Bischöfen stattfand, eine negative Wendung zum Nachteil des gemeinsamen Priestertums der Taufe, das allmählich an Wert verlor. Je weiter die Institutionalisierung der Kirche fortgeschritten ist, desto mehr nahm die Natur und das Charisma der Familie als Hauskirche ab.

Es ist nicht die Familie, die der Kirche untergeordnet ist, sondern die Kirche ist subsidiär der Familie zugeordnet. Da die Familie die grundlegende und dauerhafte Struktur der Kirche ist, sollte eine heilige und gottesdienstliche Dimension wiederhergestellt werden: domus ecclesiae. Der heilige Augustinus und der heilige Johannes Chrysostomus lehren im Gefolge des Judentums, dass die Familie eine Umgebung sein sollte, in der der Glaube gefeiert, über ihn meditiert und er gelebt werden kann. Es ist die Pflicht der Pfarre, der Familie zu helfen, eine Schule der Katechese und ein liturgischer Raum zu sein, da auf dem Küchentisch Brot geteilt werden kann.

[1] Zweites Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium (LG), 11; Apostolicam Actuositatem (AA), 11.

[2] Vgl. LG 10.

Kirche im Lockdown (?) – III

Der neue Generalsekretär der Bischofssynode Mario Grech hat Anfang Oktober der italienischen Zeitschrift „La civiltà cattolica“ ein Interview gegeben – Interviewpartner waren Antonio Spadaro und Simone Sereni (https://www.laciviltacattolica.it/articolo/la-chiesa-sulla-frontiera/). Ende Oktober erschien es auf Englisch (https://www.laciviltacattolica.com/bishop-mario-grech-an-interview-with-the-new-secretary-of-the-synod-of-bishops/). Im Interview nimmt der von Papst Franziskus zum Kardinal erhobene frühere Vorsitzende der Bischofskonferenz von Malta und Bischof der dortigen Diözese Gozo zu Fragen rund um die Kirche in der Zeit der Pandemie Stellung. Dies ist bedeutsam, um seine Gedanken zu verstehen, die uns mitten in der „2. Welle“ erneut bewegen. – Hier nun der 3. Teil des Interviews.

Spadaro-Sereni: Spirituelle Armut und das Fehlen einer echten Begegnung mit dem Evangelium haben viele Auswirkungen …

Grech: Bestimmt. Und man kann Jesus nicht wirklich begegnen, ohne sich Seinem Wort zu verpflichten. In Bezug auf den Dienst hier ein Gedanke: Haben nicht die Ärzte und Krankenschwestern, die ihr Leben riskiert haben, um in der Nähe der Kranken zu bleiben, die Krankenstationen in andere ‚Kathedralen‘ verwandelt? Der Dienst an anderen in ihrer täglichen Arbeit, geplagt von den Anforderungen des Gesundheitsnotstands, war für Christen eine wirksame Möglichkeit, ihren Glauben zu bekennen, – hier spiegelte sich eine in der heutigen Welt gegenwärtige Kirche wider und nicht länger eine von den Straßen zurückgezogene ‚Sakristei-Kirche‘ oder eine, die bloß die Sakristei auf die Straße projiziert.

Dieser Dienst kann also ein Weg der Evangelisierung sein?

Das Brechen des eucharistischen Brotes und des Wortes Gottes kann nicht geschehen, ohne mit denen, die keines haben, das Brot zu brechen. Das ist Diakonie. Die Armen sind theologisch das Antlitz Christi. Ohne die Armen verliert man den Kontakt zur Realität. So wie ein Ort zum Gebet in der Pfarre notwendig ist, ist die Anwesenheit der Suppenküche im weiteren Sinne des Wortes wichtig. Diakonie oder der Dienst der Evangelisierung dort, wo soziale Bedürfnisse bestehen, ist eine konstitutive Dimension des Seins der Kirche, ihrer Mission.

So wie die Kirche von Natur aus missionarisch ist, so fließt aus genau dieser missionarischen Natur Liebe für unsere Nächsten, Mitgefühl, das in der Lage ist, andere zu verstehen, zu unterstützen und zu fördern. Der beste Weg, christliche Liebe zu erfahren, ist der Dienst des Dienens. Viele Menschen fühlen sich von der Kirche angezogen, nicht weil sie am Katechismusunterricht teilgenommen haben, sondern weil sie Anteil hatten an einer bedeutungsvollen Erfahrung des Dienstes. Dieser Weg der Evangelisierung ist in der gegenwärtigen ‚Ära des Wandels‘ von grundlegender Bedeutung, wie der Heilige Vater in seiner Ansprache an die Kurie im Jahr 2019 feststellte: „Das Christentum ist keine dominante Größe mehr“[1].

Der Glaube ist in der Tat keine offensichtliche Voraussetzung mehr für das Zusammenleben. Der Mangel an Glauben oder noch deutlicher der Tod Gottes ist eine andere Form der Pandemie, bei der Menschen sterben. Ich erinnere mich an Dostojewskis paradoxe Aussage in seinem Brief an Fonvizin: „Wenn mir jemand zeigen würde, dass Christus außerhalb der Wahrheit ist und es sich tatsächlich herausstellt, dass die Wahrheit außerhalb von Christus ist, würde ich lieber bei Christus bleiben als bei der Wahrheit.” Der Dienst offenbart die Wahrheit, die Christus eigen ist.

Das gemeinsame Brotteilen zu Hause während der Zeit des Lockdowns schließlich hat auch ein Licht auf das eucharistische und kirchliche Leben geworfen, das im täglichen Leben vieler Familien erfahren wird. Können wir sagen, dass das Zuhause wieder Kirche ist, einschließlich „Kirche“ im liturgischen Sinne?

Das schien mir sehr klar zu sein. Und diejenigen, die in dieser Zeit, als die Familie keine Gelegenheit hatte, an der Eucharistie teilzunehmen, die Gelegenheit nicht nutzten, um Familien bei der Entwicklung ihres eigenen Potenzials zu helfen, verpassten eine goldene Gelegenheit. Auf der anderen Seite gab es einige Familien, die sich in dieser Zeit der Einschränkungen von sich aus als „kreativ in der Liebe“ erwiesen haben. Dies wurde etwa deutlich in der Art und Weise, wie Eltern ihre Kinder in Form von homeschooling begleiteten, älteren Menschen geholfen haben, Einsamkeit den Kampf ansagten, dem Gebet Raum gaben und für die Ärmsten verfügbar waren. Möge die Gnade des Herrn diese schönen Beispiele vervielfachen, sodass die Schönheit der Berufung und die Charismen, die in allen Familien verborgen sind, wieder entdeckt werden.

[1] http://www.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2019/december/documents/papa-francesco_20191221_curia-romana.html

Kirche im Lockdown (?) – II

Der neue Generalsekretär der Bischofssynode Mario Grech hat Anfang Oktober der italienischen Zeitschrift „La civiltà cattolica“ ein Interview gegeben – Interviewpartner waren Antonio Spadaro und Simone Sereni (https://www.laciviltacattolica.it/articolo/la-chiesa-sulla-frontiera/). Ende Oktober erschien es auf Englisch (https://www.laciviltacattolica.com/bishop-mario-grech-an-interview-with-the-new-secretary-of-the-synod-of-bishops/). Im Interview nimmt der von Papst Franziskus zum Kardinal erhobene frühere Vorsitzende der Bischofskonferenz von Malta und Bischof der dortigen Diözese Gozo zu Fragen rund um die Kirche in der Zeit der Pandemie Stellung. Dies ist bedeutsam, um seine Gedanken zu verstehen, die uns mitten in der „2. Welle“ erneut bewegen. – Hier nun der 2. Teil des Interviews.

Spadaro-Sereni: Welche Aspekte kirchlichen Lebens sind in dieser Zeit ans Licht getreten?

Grech: Wir haben eine neue Ekklesiologie, vielleicht sogar eine neue Theologie und unseren Dienst „neu“ entdeckt. Es ist Zeit, notwendige Entscheidungen zu treffen, um auf diesem neuen Verständnis des Dienstes aufzubauen. Es würde Selbstmord gleichen, wenn wir nach der Pandemie zu denselben pastoralen Methoden zurückkehren, die wir bisher praktiziert haben. Wir geben enorme Energie aus, um die säkulare Gesellschaft zu bekehren, aber es ist wichtiger, uns zu bekehren, um jene pastorale Umkehr zu erreichen, von der Papst Franziskus oft spricht.

Ich finde es merkwürdig, dass sich viele Menschen darüber beschwert haben, dass sie in der Kirche keine Kommunion empfangen und Beerdigungen feiern können, aber weit weniger haben sich Sorgen darüber gemacht, wie sie sich mit Gott und den Nächsten versöhnen, wie sie auf das Wort Gottes hören und es feiern und wie sie ein Leben im Dienst gestalten können.

Es gilt es zu hoffen, dass diese Krise, deren Auswirkungen uns noch lange begleiten werden, für uns als Kirche in Bezug auf das Wort Gottes ein günstiger Moment ist, um das Evangelium wieder in den Mittelpunkt unseres Lebens und Dienstes zu rücken. Viele sind immer noch „Analphabeten des Evangeliums“.

 

In diesem Zusammenhang haben von „geistigen Armut“ gesprochen: Was ist deren Natur und was sind Ihrer Meinung nach die offensichtlichsten Ursachen für diese Armut?

Es ist nicht zu leugnen, dass die Eucharistie die Quelle und der Gipfel des christlichen Lebens ist oder, wie andere lieber sagen, der Gipfel und die Quelle des Lebens der Kirche und der Gläubigen[1]; es ist ebenso wahr, dass „jede liturgische Feier […] in vorzüglichem Sinn heilige Handlung [ist], deren Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß erreicht“[2]. Aber die Eucharistie ist nicht die einzige Möglichkeit, dass der Christ das Geheimnis erfahren und dem Herrn Jesus begegnen kann. Paul VI. beobachtete dies gut, als er schrieb, dass in der Eucharistie die Gegenwart Christi nicht im ausschließenden Sinn ‚real‘ ist, als ob die anderen nicht ‚real wären[3]

Daher ist es besorgniserregend, dass sich jemand außerhalb des Kontextes der Eucharistie oder der Anbetung gleichsam ‚verloren‘ fühlt, da dies eine Unkenntnis anderer Arten der Begegnung mit dem Mysterium deutlich macht. Dies weist nicht nur auf einen gewissen geistigen Analphabetismus hin, sondern ist auch ein Beweis für die Unzulänglichkeit der gegenwärtigen pastoralen Praxis. Es ist sehr wahrscheinlich, dass unsere pastorale Tätigkeit in der jüngeren Vergangenheit versucht hat, zu den Sakramenten und nicht durch die Sakramente zum christlichen Leben zu führen.

[1] Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Konstitution Sacrosanctum Concilium (SC), 10.

[2] SC 7.

[3] Paul VI, Mysterium Fidei, 40: „Diese Gegenwart wird ,,wirklich“ genannt, nicht im ausschließenden Sinn, als ob die anderen nicht ,,wirklich“ wären, sondern in einem hervorhebenden Sinn, weil sie wesentlich ist, wodurch der ganze und unversehrte Christus, Gott und Mensch, gegenwärtig wird.“