Predigt am Fest des hl. Stephanus in Frauenberg bei Leibnitz 2020
- Am heutigen 2. Weihnachtstag geht es – auch wenn das Fest angesichts der weit verbreiteten Lieblichkeit, die ein Kind verbreitet, ums „Eingemachte“, wie man umgangssprachlich oft so sagt. Ja: es geht um die DNA des Evangeliums. Was genau geschieht hier, bei der Tötung des Heiligen Stephanus? Und was macht die Provokation aus, die zur Tötung des Stephanus führt. Und warum provoziert Stephanus ohne Unterlass? Worum geht es ihm?
- Stephanus war einer der sieben, die das Volk Gottes auswählte, als es zum ersten Mal zu einer Wachstumskrise der jungen Gemeinde kam. Er war, so sagt die Schrift, ein Mann des Wortes, der Begeisterung – „voll Gnade und Kraft“. Das erregt und erzürnt die Leute. Er selbst ist aber auch nicht gerade sanft: „Ihr Halsstarrigen“ faucht er ihnen entgegen. Er provoziert also: Kein Wunder, dass die Reaktion dann nicht auf sich warten lässt: „Als sie seine Rede hörten, waren sie aufs Äußerte über ihn empört und knirschten mit den Zähnen …“ Spätestens jetzt, hätte er aufhören können. Es wäre die Gelegenheit, sich zurückzuziehen. Aber er tut es nicht. Er redet weiter, er provoziert unerträglich. Warum tut er das?
- Wir hören im Evangelium: „Wenn sie euch aber ausliefern, macht euch keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt; denn es wird euch in jener Stunde eingegeben, was ihr sagen sollt“. Genau das passiert hier: Stephanus wählt nicht eine bestimmte Taktik, er „muss“ reden, er ist nicht politisch unterwegs, sondern erzählt, was er sieht. „Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen und rief: Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“. Das reicht, und auf einmal beschleunigt sich die Geschichte: „Da erhoben sie ein lautes Geschrei, hielten sich die Ohren zu, stürmten einmütig auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn.“ – Aber was ist es, dass darin so provoziert? Warum regt das die Juden so auf? Und kann das noch uns erreichen, ja, vielleicht sogar provozieren? Oder ist es so selbstverständlich normal für uns?
- Was sieht Stephanus? Er sieht Jesus, den Menschensohn, zur Rechten Gottes. Er sieht nicht einen Gott, der von oben sich um die Menschen kümmert, er sieht nicht einen einzigartigen, allmächtigen und herrlichen Gott, der sich der Menschen erbarmt – er sieht Gott, der den Menschen ihm ebenbürtig macht, der mit dem Menschen in derselben Wirklichkeit steht, der in eine gleichwürdige Beziehung tritt – und wo jetzt die Herrlichkeit im Zwischen liegt, eben in der Beziehung.
Herrlichkeit ist nicht mehr Gottes Größe, die den Menschen zum Sterben bringt, weil sie so hell leuchtet, dass der Mensch es nicht mehr aushält. Herrlichkeit – das ist jetzt die Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Nicht mehr ein Oben Gottes und ein Unten der Menschen, sondern eine Miteinander in derselben Herrlichkeit, auf Augenhöhe.
- Von daher ist Stephanus‘ Tod eine Spätkonsequenz von Weihnachten, denn: da wird Gott Mensch, und seitdem ist Mensch und Gott auf Augenhöhe, in Beziehung. Und seitdem geht es um die gleichwürdige Beziehung. Der Himmel ist offen, weil wir alle in diesem Himmel leben können: Mensch und Gott, Mensch und Mensch.
Und das provoziert. Denn wenn in den Beziehungen in der Kirche, in den Gemeinden, in den Beziehungen ein Oben-Unten ist, dann steckt darin eine tiefe Fehlinterpretation des Gottesverhältnisses, dann ist damit jene Grundprägung völlig unterboten und verfälscht, für die Stephanus gestorben ist. Sie entspricht in keiner Weise dem Evangelium vom Kind, von Weihnachten, von der Liebe, die den Menschen zur Rechten Gottes erhöht. - Die innere Gestalt der Kirche, die innere Prägung all dessen, was wir Kirche nennen, ist nur in dieser Provokation authentisch: in unserem Ursprung, in unserem Werden steht diese neue gleichwürdige partizipative Beziehung zu Gott. Und „Herrlichkeit“ meint genau jene Erfahrung des Zueinander, des Miteinander, der Gegenwart des Geistes zwischen uns.
Das ist unsere frohe Botschaft – das ist die Hoffnung auf Herrlichkeit zwischen uns, wie Paulus es formuliert: „Christus ist unter uns, die Hoffnung auf Herrlichkeit“ (Kol 1,27). - An dies zu erinnern und zu leben ist gerade angesichts so vieler Grenzen, die uns derzeit durch die Pandemie und damit ein kleines unscheinbares Ding gesetzt werden, mehr als nötig. Dies ist auch ernst zu nehmen angesichts des 3. Lockdowns in Österreich, der auch unser feierndes kirchliches Leben ab übermorgen erneut auf ein Mindestmaß reduzieren wird: denn in den kommenden Wochen gilt es erneut ernst zu machen mit dem „Wir sind auf du und du mit Gott!“ – und das fällt mitunter schwer, das wollen wir eher anderen zumuten, eventuell jenen, die ein Amt in der Kirche innehaben. Aber ER ist eben Gott. Und ER ist ein Gott mit uns.