Familienleben – Familien leben! Erste Gedanken zu „Amoris laetitia“

Ein Zeichen dafür, dass etwas lesenswert für mich ist, ist es, wenn ich mich nicht leicht stören lasse um es von Anfang bis zum Schluss zu lesen. Bei „Evangelii gaudium“ („Die Freude des Evangeliums“) ist es mir so gegangen und bei „Amoris laetitia“ („Die Freude der Liebe“). In einfacher Sprache schenkt uns Papst Franziskus in seinem postsynodalen Schreiben tiefe und schöne Einsichten in das, was Ehe und Familie ausmacht. Er schaut aber nicht nur auf diese, sondern benennt viele Situationen, die es im Zusammenleben der kleinsten Zelle von Gesellschaft und Kirche gibt. Er macht auch nicht davor Halt, zu sagen, dass es Unterschiede in Freuden und Sorgen von Familien weltweit gibt. Wen wundert’s, bin ich versucht zu sagen, wenn dieses Wort des Papstes am – vorläufigen – Ende eines über Jahre andauernden Prozesses in der katholischen Kirche weltweit steht. Mehrere Jahre hindurch standen Themenfelder im Bereich rund um Ehe und Familie an prioritärer Stelle kirchlichen Nachdenkens: nach der Ankündigung gab es weltweit Möglichkeit, Fragen zu beantworten – über 16.000 beteiligten sich in der Steiermark, wenn ich es recht in Erinnerung habe; gesammelt und verdichtet wurden diese in einer außerordentlichen Versammlung der Bischofssynode; nach einer weiteren „Runde der Überlegungen“ in der ganzen Welt und der Ordentlichen Versammlung der Synode und dem damit verbundenen intensiven Zuhören nunmehr das Wort des Papstes.

Ja, es ist eine Freue gewesen, das lange Dokument zu lesen. Und es würde sich wohl lohnen, bei dem einen oder anderen Kapitel länger zu verweilen und in die Tiefe zu gehen. Denn: das was uns das Evangelium und damit die christliche Botschaft lehrt, sehen alle in ihrem je eigenen Leben, von ihrem je eigenen Standpunkt aus und machen sich demzufolge auch von dort aus auf den Weg. „Indem ich daran erinnere, dass die Zeit mehr wert ist als der Raum, möchte ich erneut darauf hinweisen, dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen. Selbstverständlich ist in der Kirche eine Einheit der Lehre und der Praxis notwendig; das ist aber kein Hindernis dafür, dass verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre oder einiger Schlussfolgerungen, die aus ihr gezogen werden, weiterbestehen. Dies wird so lange ge-schehen, bis der Geist uns in die ganze Wahrheit führt (vgl. Joh 16,13), das heißt bis er uns vollkommen in das Geheimnis Christi einführt und wir alles mit seinem Blick sehen können.“ (AL 3) Als ich diese Überlegungen gleich zu Beginn der 300 Seiten gelesen habe, ahnte ich: „Hier spricht einer, dem die unverfälschte Botschaft der Kirche ein Anliegen ist und zugleich die Menschen wichtig sind, die auf dem Weg der Nachfolge gehen“.

Klar: das Schreiben wird wohl auch – vielleicht sogar bewusst – von manchen missverstanden werden wollen. All diese kann ich nur ermuntern und bitten, sich umfassend auf das einzulassen, was uns unser Papst hier vorlegt. All jene, die meinen, es hätte müssen das Eine oder Andere von dem, was vor allem in unserem Kulturkreis an Erwartungen in dieses Schreiben und die Synode gesetzt wurden, deutlicher geschrieben werden, möchte ich nur einen anderen Abschnitt in Erinnerung rufen: „Wenn man die zahllosen Unterschiede der konkreten Situationen – wie jene, die wir vorhin erwähnten – berücksichtigt, kann man verstehen, dass man von der Synode oder von diesem Schreiben keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte. Es ist nur möglich, eine neue Ermutigung auszudrücken zu einer verantwortungsvollen persönlichen und pastoralen Unterscheidung der je spezifischen Fälle. Und da „der Grad der Verantwortung […] nicht in allen Fällen gleich [ist]“, müsste diese Unterscheidung anerkennen, dass die Konsequenzen oder Wirkungen einer Norm nicht notwendig immer dieselben sein müssen.“ (AL 300)

Gerade diese „doppelte Orientierung“ macht Papst Franziskus für mich so „spannend“. Er ist ein Geschenk für unsere Kirche.

Hier kann der deutsche Text von „Amoris laetitia“ heruntergeladen werden.