Gedanken zum Nationalfeiertag

Österreich – aus der Ferne betrachtet

Ich feiere heuer den Nationalfeiertag in unserer Partnerdiözese Masan, deren 50. Geburtstag am kommenden Sonntag festlich begangen wird. Auf dem Weg hierher habe ich eine Diözese in Vietnam besucht, mit der wir seit einigen Jahren stärker in Kontakt stehen. Österreich einmal aus der Distanz zu sehen bringt mir einige Gedanken, die ich teilen möchte.

Uns geht es gut, sehr gut.
Ich weiß, wie sehr ich selbst gefährdet bin zu murren. Was denn nicht alles schiefgeht und was denn nicht alles anders zu machen sei und was denn alles nicht in Ordnung ist. Es tut gut, die weite Welt und die Lebensumstände anderer wahrzunehmen und wenigstens ein wenig mitzuerleben – damit ist so manches in einem anderen Licht zu sehen. Ich hoffe, dass ich mir diesen Weit- und Überblick in meinem Dienst bewahre. Wenn ich das so und nicht anders niedergeschrieben habe, verniedliche ich keine der Fragestellungen, die wir uns in Österreich zu stellen haben. Denn: Wir haben Probleme. Ich möchte mich und jene, die in Österreich in der Gesellschaft im Kleinen und im Großen eine Verantwortung tragen, aber ermuntern, nach vorne zu schauen und nicht vor Angst zu erstarren; es gilt aus dem Vertrauen auf Gott zu sagen: „Das Beste kommt noch!“ Ich meine nämlich auch wahrzunehmen, dass es vielen angesichts der persönlichen Situation, in der sie sich befinden, an Perspektiven mangelt und es daher einfach und logisch erscheint, sich auf sich selbst und das Seine zurückzuziehen.
In der Bibel gibt es die schöne Erzählung davon, dass Abraham von Gott angesprochen wird, in seinem hohen Alter, in dem eigentlich das Leben zu Ende geht, aufzubrechen. Gott hat ihm in seiner Kinder- und damit Trostlosigkeit eine Vision geschenkt. Abraham brach auf und wurde zum Stammvater vieler. Glaube an Gott gibt in Vietnam den Christen Perspektive – trotz allem – und lässt sie das Wenige teilen, das sie haben. Glaube an Gott weiß sich angesichts der wirtschaftlichen Entwicklungen in Südkorea herausgefordert, an die Wurzeln zu gehen und sich für die Anderen im Dienst am Nächsten einzusetzen: nicht wegschauen, sondern hingehen war die Devise nach dem Koreakrieg, und so wurde etwa die Lepra mit Erfolg bekämpft. Dieses Leben, diese gelebte Caritas ist auch heute ein Grund, wieso die Katholiken großes Ansehen in der ganzen Gesellschaft genießen.


Gehen wir aufeinander zu.

Beide Länder, die ich in diesen Tagen besuche, tragen Narben aus der jüngeren Geschichte. Weil Menschen meinten, sie müssten sich und ihre Ideologie durchsetzen, sind die Spuren der früheren Teilung Vietnams nach wie vor zu sehen, wird in Korea nach wie vor eine Demarkationslinie als Waffenstillstandslinie strengstens bewacht, und trennt damit ein Volk in Nord und Süd.
Hören wir nicht auf, wirklich aufeinander zuzugehen, damit Leben auch weiterhin möglich wird. Leben nämlich entsteht nicht dort, wo ich mich fernhalte von Anderen. Leben wird dort, wo Liebe gelebt wird. Was ich immer wieder aufgrund der Ereignisse in den letzten Monaten gesagt, gepredigt und geschrieben habe: Hören wir einander zu, nicht nur deswegen, weil wir eine Antwort geben, sondern weil wir einander verstehen wollen.
Gehen wir daher auch mit Worten achtsam um – im engsten Kreis genauso wie bei Verantwortungsträgern in der Politik. Worte haben nämlich auch die Eigenschaft, Realität zu schaffen und nicht nur zu beschreiben. Die erste Seite der Bibel gibt davon Zeugnis. Und: sprechen wir daher differenziert, weil die Wirklichkeit eben nicht bloß schwarz-weiß ist. Ich danke allen, die ihren Dienst an einem Gemeinwesen, egal ob Verein, Familie oder auch Gemeinde, Land, Bund und damit als „ministerium“ (Dienst) an allen und nicht bloß an Interessensgruppen so verstehen. Dies ist ungemein schwer, weil ein Höchstmaß an Liebesfähigkeit verlangt wird. Ich nehme wahr, dass manches aus dem Ruder gelaufen zu sein scheint: zu viel, zu laut, zu grob, zu unachtsam, zu wenig andere als Menschen in der Würde achtend, ist da zu lesen und zu hören, virtuell und auf Papier.

In der Bibel hören wir, dass Gott sich nicht zu gut war, sondern auf die Menschen zugegangen ist in seinem Sohn; er ließ sie nicht allein in ihrem Unglück, er liebt sie, weil sie Menschen sind und wollte sie aus ihrem Elend befreien. Ja, unser Gott ist ein Gott der Armen, der Kleinen und der Schwachen.

Stehen wir zu unserem und leben wir unseren Glauben.
In einer Gesellschaft, in der das Christentum alles andere als die Mehrheit der Bevölkerung darstellt, wird einem erst richtig bewusst, welches Geschenk wir mit unserem Glauben, welches Geschenk wir damit haben, ihn frei ausüben zu dürfen. In Vietnam wird nach wie vor der Kirche manches in den Weg gelegt; in Korea haben sich die Katholiken unter den vielen kirchlichen Bekenntnissen und Religionen ebenso zu bewähren. In beiden Ländern stehen die Christen zu ihrem Glauben und bekennen ihn mit dem Leben: Tausende Jugendliche säumten auf ihren Motorrädern die buckligen Straßen, schwangen Kirchenfahnen, als sie das Kreuz für den Jugendtag Vietnams bei einem festlichen Gottesdienst empfingen. Tausende strömen wohl täglich zu einem der vielen Heiligtümer, die in Südkorea den bekannten heiligen Märtyrern gewidmet sind und gedenken dort der Abertausenden, die in den Christenverfolgungen des 18. und 19. Jahrhunderts umgekommen sind; sie beten dort auch für die Christen im Norden der koreanischen Halbinsel, die nur im Untergrund leben können.
In unserer Heimat erinnert uns viel an den Glauben an Christus. Wir haben es in der Hand, dass es nicht nur Kultur ist, sondern gelebte Beziehung, wie sie in Kirchen, Kapellen, Marterln, mit Kreuzen und in den Familien zum Ausdruck gebracht wird. Nicht Gebäude machen den Glauben aus, sondern „durchbetete“ Räume, in denen gefeiert wird.
Wer die Bibel bei Jesusworten aufschlägt, wird wohl in so manchem zu einem neuen Tun herausgefordert, die Bibel nennt es Bekehrung. Ja, bekehren wir uns zu einem lebendigen Glauben jenseits von bloßen Formeln und einer Rede über Traditionen. Bekehren wir uns zu einer Art des Miteinanders, die Barmherzigkeit erfahrbar werden lässt und ziehen wir uns nicht bloß auf das zurück, „was im Gesetz steht“. Denn jeder von uns hat selbst sicher schon eine Erfahrung der Barmherzigkeit gemacht, um leben zu können.

Ich bin stolz Österreicher sein zu dürfen. Ich bin stolz als Christ in diesem Österreich katholisch, das meint allumfassend, weltumspannend leben zu dürfen. Ich wünsche mir und uns einen gesegneten Nationalfeiertag!