13. step by step
Mit dem 7. Kapitel (42 – 61) erreiche ich nunmehr – erst! – jenen Teil der Instruktion, in dem verschiedenste Rechtsnormen in Erinnerung gerufen werden und der in so vielen Reaktionen negativ kritisiert wurde, als „Rückschritt vor das Zweite Vatikanische Konzil“ bezeichnet wurde etc. Ich werde mich im Folgenden – ähnlich wie schon bislang – konsequent aus dem Blickwinkel der „pastoralen Umkehr“ diesen zu nähern versuchen und ich hoffe, dass mir dies einigermaßen gelingen wird. Dieser Zugang ist genährt davon, dass ich zunächst mich „eins“ machen muss um einen anderen zu verstehen – vgl. das paulinische Wort 1Kor 9,22 wie auch die Tatsache, dass unser Herr und Gott sich ganz, mit Haut und Haaren, auf uns, die ganz Anderen eingelassen hat (vgl. Phil 2,5-11). Dies geschieht nicht aus dem Grund, die Meinung der Anderen bis aufs Letzte zu teilen, aber sehr wohl folgt diese Art dem jesuitischen Grundsatz, „die Meinung des anderen auf jede Art und Weise retten zu versuchen“ ehe sie beurteilt wird. Daher möchte ich noch einmal in Erinnerung rufen, dass die literarische Gattung „Instruktion“ zu beachten ist[1]. Hinzu kommt, dass rechtliche Anweisungen nie den Zweck haben, den Weg aufzuzeigen, der einzig und allein richtig ist, sondern lediglich die Leitschienen festmacht, um den befestigten Weg nicht zu verlassen. Auch Statuten und Dekrete haben nicht den Zweck alles und jedes, was an Fällen zu reglementieren denkbar möglich ist zu fassen: solche Schriftstücke geben einen Rahmen ab und markieren – vor allem für Streitfälle – die Grenzen einer Institution oder Organisation. Und: Normen wollen etwas „schützen“, Werte zum Beispiel – auch auf diese Inhalte hin sind sie zu sehen und zu lesen und von daher dann auch zu „verstehen“. Schließlich – und hier erinnere ich an die bereits zu Beginn dieser Serie gemachten Vorbemerkungen: ich habe bei meinen Bemerkungen keine konkreten Diözesen im Blick, auf die diese Instruktion – angeblich – eine Antwort ist, ganz einfach deswegen, weil mir die genauen Informationen hierzu fehlen, sondern mache – für mich jedenfalls sind es solche – „prinzipielle“ Gedankenerwägungen. Eigentlich sind all diese Vorbemerkungen Selbstverständlichkeiten, die aber angesichts unserer heutigen schnelllebigen Zeit, die mitunter einer großen „Empörungskultur“ Vorschub leistet – die sogenannten neuen „sozialen Medien“ eignen sich dafür hervorragend – nicht oft genug in Erinnerung gerufen werden können. Dass ich dabei immer wieder auch auf unseren Weg, den wir in der Diözese Graz-Seckau in den letzten Jahren gegangen sind, zurückblicke, ist der Selbstreflexion geschuldet, zu der uns dieses Dokument „von außen“ anleitet.
step by step sei vorzugehen: „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im missionarischen Sinn erfolgt daher in einem schrittweisen Prozess der Erneuerung der Strukturen und folglich in verschiedenen Weisen der Übertragung der Hirtensorge und der Beteiligung an ihrer Ausübung, die alle Glieder des Volkes Gottes einschließen.“[2] Und einige Zeilen weiter werden die vielen Bemühungen erneut gewürdigt, die gegangen werden, um die Strukturen in der Kirche vor Ort dem Heute anzupassen: es gehe ihnen „im Kern […] um die Notwendigkeit, Strukturen zu finden, die geeignet sind, in allen Teilen der christlichen Gemeinschaft die gemeinsame Berufung zur Verkündigung der Frohen Botschaft im Hinblick auf eine wirksamere Hirtensorge für das Volk Gottes, dessen „zentrales Element“ nur die Erreichbarkeit und Nähe sein können, anzufachen“[3]. Ein Moment solcher Bemühungen wird in einem Abschnitt dieses Kapitels mit „Pfarreizusammenschlüssen“ getitelt[4].
Wenn ich hierbei auf die in unserer „Kirchenentwicklung“ zurückgelegte Wegstrecke blicke, bin ich sehr, sehr dankbar: wie oft wir doch in irgendeiner Art und Weise mit den Gremien, die dem Bischof zur Seite gestellt sind, gearbeitet haben; wie sehr wir doch in vielen Arbeitsgruppen uns gemeinsam um die Erkenntnis des rechten Weges und der rechten Entscheidungen gemüht haben. Auch und gerade die kritischen Auseinandersetzungen – dankbar denke ich an die vielen regionalen Begegnungen zurück, die unter anderem mit den Priestern unserer Diözese jährlich durchgeführt wurden – möchte ich auf diesem Weg nicht missen! Instruktion 46 spricht davon: ich glaube behaupten zu können, dass wir uns hier auf einen guten Weg begeben haben: Prinzipielles wurde dort „gehört“ – man beachte die Wortwahl (!), konkrete Schritte der Umsetzung wurden in diversen Arbeitsgruppen erarbeitet und schließlich nach der einen oder anderen notwendigen „Schleife“ freigegeben. Wenn ich den Duktus des Dekretes ernstnehme, sind die Zwischentöne zu beachten: zumeist – und leider nicht dem Charakter einer exakten Instruktion folgend – wird hier von der rechtlichen Aufhebung bestehender Pfarren gesprochen, die gemeinsam eine neue Pfarre bilden. Nur einmal (47) ist davon die Rede, dass es auch eine einfache föderative Art des Zusammenschlusses geben kann. Wir haben uns – vereinfacht gesagt – von vornherein auf diesen Weg begeben, um die Eigenheiten des Lebens nicht zu negieren, wohl wissend, dass mit der Beibehaltung der einzelnen Pfarren eine Lösung für den – von der Instruktion im übrigen negativ kritisierten(!) – bürokratischen Verwaltungsaufwand zu finden sein wird: es ist einfach nicht praktikabel und möglich, dass – um ein Beispiel zu nennen, der Pfarrer etwa des Seelsorgeraumes Voitsberg mit 16 eingeständigen Pfarren bei allen Sitzungen der synodalen Gremien dabeisein und dann auch noch den Vorsitz der Sitzung führen kann. Dass wir hier in Graz-Seckau ohnedies schon seit geraumer Zeit im Pfarrgemeinderatsstatut viele Möglichkeiten anbieten, wie dies zu vereinfachen ist, hat uns auf diesem Weg geholfen. Die Schwierigkeiten ergeben sich „lediglich“ auf jenem Sektor, der aber staatskirchenrechtlich notwendig ist, dass in jeder kanonisch errichteten Pfarre ein Vermögensverwaltungsrat [bei uns: „Wirtschaftsrat“] existieren muss. Hier kreativ Lösungen zu suchen wird auch im Kapitel Xa der Instruktion aufgegriffen, wo zB. 104 die Möglichkeit eröffnet, dieselben Personen für mehrere Pfarren zu benennen usw.
Im Weiteren dieses Kapitels behandelt die Instruktion Fragestellungen, die unbedingt zu berücksichtigen sind, wenn Pfarren kanonisch aufgehoben und neue errichtet werden. Auch wenn dies bei uns nicht zutrifft: dass in einer Art Kirche zu leben, die vom Geist der Mission geprägt ist, die lebenden Ordensgemeinschaften oder andere Situationen, die für Pfarren gewisse Rechte haben, zu berücksichtigen sind, ist eigentlich selbstverständlich. Ich hoffe, dass wir in unserem gemeinsamen Suchen hier nicht allzu viele Fehler gemacht und nicht all zu sehr Rechte verschiedener Beteiligter übersehen haben. Schon die Logik allein macht deutlich: hier kann nicht einfach alles mit einem „Aufwaschen“, will man das Leben vor Ort ernstnehmen, erfolgen – andererseits gilt aber auch: wenn in einem gemeinsamen Suchprozess entsprechende Entscheidungen wohl vorbereitet und – die Betroffenen einbindend – getroffen werden, so sind diese sicher zu begründen und durchzuführen. Inwieweit dann Rekurse nach Rom, wie es sie immer wieder gibt, hinreichend alle (!) Überlegungen einschließen und zur Findung der Wahrheit beitragen sei an dieser Stelle sehr wohl hinterfragt: gibt es mitunter nicht Eigeninteressen, die zunächst – nimmt man das Evangelium ernst, für das man ja formal eintritt – unter „4 Augen“ (vgl. Mt 18,16ff.) zu besprechen sind. Und damit sind wir wieder mal beim Leben von „Umkehr“, zu der alle Glieder im Volk Gottes berufen sind: Wie bringen wir dann all (!) unsere Bedenken ein, damit die, die Entscheidungen zu treffen haben, dies auch geistvoll tun können?
In einem einzigen Punkt (51) wird auch das Thema der Profanierung von Kirchen angesprochen. In unserer Diözese ist diese Frage in den letzten Jahren noch nicht so oft aufgetaucht, wiewohl wir herausgefordert waren, manches neu zu denken. Ich kann mich an die alte Pfarrkirche in Mitterdorf erinnern, die profaniert wurde, weil eine neue, größere, in unmittelbarer Nähe gebaut wurde; ich kann mich erinnern an die Kapuzinerkirche in Knittelfeld, die zwar nicht profaniert, wohl aber an die rumänisch-orthodoxe Kirchengemeinde übergeben wurde; ich erinnere mich an eine Kirche nahe Leoben, die mit großer Mühe und vielen Überlegungen „mehreren Zwecken“, um es vereinfacht zu sagen, zugeführt wurde, aber eben Kirche geblieben ist. Und für all diese Beispiele könnten wohl aus den letzten 20 Jahren noch weitere aus unserer Diözese benannt werden, bei denen alle Schritte beachtet wurden. Dass es im Zuge der demographischen Entwicklung – auch was die Mitgliederzahlen unserer Kirche anlangt – absehbar ist, dass wir uns in Hinkunft mehr auch den Fragen der (teilweisen) Umwidmung, der (teilweisen) Übergabe oder auch der Profanierung von Kirchen widmen werden müssen, vor allem in städtischen Regionen wie etwa Graz, liegt auf der Hand und war in der Kirchengeschichte immer an der Tagesordnung. Ich selbst war Pfarrer in Bruck an der Mur und musste feststellen, dass sich 9.000 Katholiken – mittlerweile sind es weniger – wohl auf Dauer nicht leisten werden können, 5 Kirchen zu erhalten. Gerade deswegen werden prinzipiell in der Diözesankommission für Liturgie derzeit Überlegungen angestellt, um verschiedene Varianten durchzuspielen, wie mit davon betroffenen Kirchen in Hinkunft geordnet und unter Einbeziehung der Gläubigen vor Ort umgegangen wird bzw. werden soll. Wenn der Zeitplan hält, werden die großen diözesanen Gremien diese Prinzipien im Herbst dieses Jahres beraten und beschließen, diesen Vorschlag mir zur Entscheidung vorlegen zu können.
Im jüngst – und nach der ursprünglichen Veröffentlichung dieses Beitrags am 8. August 2020 veröffentlichten – erschienen Leitartikel der „Herder Korrespondenz“ hat Lucas Wiegelmann m.E. voll recht ergänzt, sollte dies durch meine bisherigen Überlegungen noch nicht deutlich geworden sein: „Tatsächlich schränken gerade diese Kernpunkte der Instruktion bei Lichte betrachtet weniger den Handlungsspielraum irgendwelcher Laienmitarbeiter ein. Sie schmälern in erster Linie die Beinfreiheit des jeweiligen Diözesanbischofs. Die Autoren der Instruktion hatten ursprünglich nicht die Situation in Deutschland, sondern in den Vereinigten Staaten im Sinn, wo mancher Bischof speziell mit der Profanierung überzähliger Kirchengebäude äußerst schnell bei der Hand war, selbst dort, wo ehrenamtliches Engagement vor Ort längst eine Rettung des Gebäudes in greifbare Nähe gerückt hätte. Einem leichtfertigen Abschreiben von Kirchen, die im Finanzplan eines Bistums vielleicht nur als Kostenfaktor zu Buche schlagen, während sie für die Gläubigen gemeinschafts- und identitätsstiftend sind, schiebt die Instruktion einen Riegel vor. Ebenso wie einer allzu sorglosen Zusammenlegung traditionsreicher Pfarrgemeinden zu immer größer werdenden Verwaltungsverbünden. Natürlich sind Umgestaltungen von Pfarreigebieten vielfach sinnvoll, um auf den rasanten Wandel der kirchlichen Realitäten zu reagieren. Das enthebt die Bischöfe aber nicht der Verantwortung, jede einzelne Strukturentscheidung sorgfältig zu prüfen und spezifisch zu begründen. Das ist kein römischer Zentralismus, sondern das Mindeste, was zumal die Laien vor Ort erwarten können.“[5]
[1] Vgl. hierzu https://krautwaschl.info/instruiert-werden-i/
[2] Instruktion 42.
[3] ebd., 44.
[4] ebd., 46-51.
[5] Lucas Wiegelmann: Fürchtet euch nicht, in: HerKorr Nr. 9(2020), 4f.