instruiert werden – XVI

16. Seelsorgeräume

Das, was im Abschnitt VIIc. „pastorale Einheit“ (54-60) genannt wird, ist am ehesten dem gleichzusetzen, was wir in der Diözese Graz-Seckau als „Seelsorgeräume“[1] bezeichnen[2]. Da – wie unter 15. [https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xv] schon angedeutet – mit dieser Einteilung, die ab 1.9.2020 Platz greift, beinahe die bis Anfang der 1970er-Jahre geltende Dekanatsordnung „wiederhergestellt“ wird, sind die „Seelsorgeräume“ in unserer Diözese mit den meisten Inhalten auch an die Stelle der Dekanate getreten[3]. Inhaltlich wird hier erneut darauf verwiesen, dass diese Zusammenschlüsse von Pfarren „auch vom soziologischen Blickwinkel aus in möglichst homogener Weise definiert werden, damit eine wirkliche Gesamtpastoral in missionarischer Hinsicht verwirklicht werden kann“ (55)[4]. Daher – so die Instruktion unter 60: „Um das gemeinsame missionarische Handeln und die Seelsorge effektiver zur Geltung zu bringen, erscheint es angemessen, dass sich gemeinsame pastorale Dienste für bestimmte Bereiche (z. B. für die Katechese, die Caritas, die Jugend- oder Familienpastoral) für die Pfarreien des Zusammenschlusses mit der Teilnahme aller, die zum Volk Gottes gehören, d. h. der Kleriker, der Gottgeweihten, der Mitglieder des apostolischen Lebens und der Gläubigen, bilden.“

Es geht also darum, das Miteinander von Kirche – im speziellen eben hier als Miteinander von Pfarren und anderen Erfahrungsräumen von Kirche – „um ihrer Sendung“ willen zu gestalten. Durch Pastoralpläne, die wir in den Seelsorgeräumen zu erarbeiten erbitten, soll deutlich werden: weil wir in ein- und derselben „Gegend“ wohnen, wissen wir uns gemeinsam zu diesem und jenem herausgefordert und wollen nicht bloß nebeneinander leben, sondern gemeinsam Zeugnis geben, „leben mit einem, der lebt“[5], indem wir über den „eigenen Kirchturm“ hinausschauen. So soll etwa auch – wie es in unseren gesamtdiözesanen „strategischen Zielen“ zum Ausdruck gebracht wird – die Solidarität zwischen den einzelnen Pfarren, auch jene im Materiellen, gestärkt werden. In Hinkunft kommt dies daher auch dadurch zum Ausdruck, dass die Diözese das für die Pastoral angestellte Personal in gewisser Anzahl eben nicht mehr einzelnen Pfarren zur Verfügung stellt, sondern in die Seelsorgeräume sendet[6]. Zu diesen hauptamtlichen Personen gesellen sich vor Ort noch jene, die für die einzelnen kirchlichen Erfahrungsräume in ihrer Unterschiedlichkeit Ansprechpersonen sind. Ihrer aller Miteinander ist herausgefordert, dieses Personal dann entsprechend deren Charismen und Funktionen in geeigneter Weise so „zu verteilen“, dass die notwendigen Aufgaben in dem Maß erfüllt werden können, das möglich ist. Um es mit dem Zukunftsbild auszudrücken: „Wir brauchen Frauen und Männer, die ermöglichen und befähigen“[7], denn im Leib Christi, der die Kirche ist, gibt es unterschiedlichste Glieder und damit auch Charismen und Begabungen, die den ganzen Leib aufbauen (vgl. 1Kor12 oder auch Röm 12). Das gemeinsame missionarische Voranschreiten von Kirche ist eben nicht eines, das lediglich von 1 Person – etwa dem Pfarrer[8] – geprägt und „befohlen“ wird, sondern ein Vorangehen der „Herde mit ihrem Hirten“, wobei dieser – ich rufe Papst Franziskus in Erinnerung, der dies den italienischen Bischöfen in Erinnerung gerufen hat – mal der Herde voranzugehen hat, mal inmitten derselben geht, mal ihr hinterhergeht[9]. Damit wird deutlich: hier geht es nicht um ein „oben“ und „unten“, nicht darum, wer denn nun innerhalb der Kirche „51%“ und damit auf alle Fälle die Mehrheit hinter sich hat. Es ist ein gemeinsames Voranschreiten vonnöten, in dem – klarerweise – jede und jeder unterschiedliche Funktionen und damit auch Verantwortung innehat, jede und jeder aber sich Christus gegenüber verantwortlich weiß, der der einzige Herr seiner Kirche ist. Dies rechtlich entsprechend abzubilden ist ob der menschlichen Seite von Kirche [und  jeder Gesellschaft] zum Schutz vor [zu] großen Konflikten notwendig; diese rechtliche Klärung macht aber den Grund-Sinn der gemeinsamen Sendung und damit auch der gemeinsam getragenen Verantwortung nicht obsolet. Hinzu kommt – wohl auch aufgrund unserer Geschichte – ein waches (Un-)Rechtsbewusstsein unter vielen, das daher versucht ist bzw. scheint, Recht als den einzigen gangbaren Weg zu sehen statt die bedeutsame Tatsache ernst zu nehmen, dass Rechtssetzung, Normen immer bestimmte Werte schützen wollen.[10]

Das schrittweise Vorgehen bei diesem Prozess wird in der Instruktion hier erneut aufgenommen, da eben nicht „per Dekret“ oder „per Diözesan-Gesetz“ Pfarrer ihres Pfarr-Amtes enthoben werden können. Wir in der Steiermark haben den Weg gewählt, alle – betroffenen – Pfarrer darum zu bitten, auch deswegen, weil wir den Leiter des Seelsorgeraumes, im Idealfall ist er Pfarrer aller Pfarren des Raumes, nach dem Dekret der Bischofskonferenz auf eine gewisse Zeit (6 Jahre) bestellen[11]. Dass damit die Lenkungskompetenz der Diözesanleitung[12] nicht erleichtert wird, ist klar und sei – nicht nur am Rande erwähnt. Aber: es geht eben um die missionarische Dimension – und diese inhaltliche „Sendungsperspektive“ lässt sich, auch hier, nur schwer in rechtliche Vorschriften münzen, weil diese eben nicht Abbild des Lebens sind, sondern für das Beschreiten eines Weges lediglich dessen Leitplanken.

Schließlich – und ich beziehe mich hier auf 59: wir hatten für die synodale Struktur, aus der Kirche lebt, schon seit Jahren viele Möglichkeiten, diese zu realisieren: so etwa konnte für bislang bestehende Pfarrverbände auf verschiedene Weise das gemeinsame Vorangehen vor Ort geregelt werden: gemeinsamer Vorstand der PGR, gemeinsamer PGR [gebildet auf unterschiedliche Weise]. In jeder Pfarre war und bleibt es verständlich, einen pfarrlichen Vermögenswerwaltungsrat, bei uns eben „Wirtschaftsrat“ zu konstituieren.

[1] Die Vielfalt der Begriffe, die etwa in 52 beim „Dekanat“ und eben hier mit der Bezeichnung „pastorale Einheit“ deutlich wird, braucht jeweils zunächst die inhaltliche Abgleichung mit der Instruktion – denn was bei uns so bezeichnet wird, kann in einer anderen Diözese anders heißen; was in der Instruktion so bezeichnet und mit bestimmten Inhalten versehen ist, muss nicht automatisch bei uns gleich heißen u.ä.m.

[2] Abermals wird die Problematik deutlich, dass mitunter gesamtkirchliche Dokumente Gefahr laufen, missverstanden zu werden, weil sich regional unterschiedliche Begrifflichkeiten herauskristallisiert haben oder auch Formen kirchlichen Lebens, die mit derselben Begrifflichkeit unterschiedliche Inhalte verbinden. Gerade deswegen ist ehrliche und sachgemäßer Dialog zwischen den Beteiligten gefordert – „populistische“ Meinungsmache ist nicht entsprechend, wird m.E. aber auch in der Kirche – von mehreren Seiten (?) – angewendet – Kommunikation ist eben eine heikle Angelegenheit, will sie wirklich gelingen.

[3] Dass ich hier von den „meisten Inhalten“ spreche, hat den einfachen Grund: das Visitationswesen ist schon seit Jahrzehnten bei unser eher diözesan geregelt [erst jüngst wurde wieder ein Visitator ernannt]. Durch die modernen Mittel der elektronischen Datenverarbeitung ist es daher auch auf dieser Ebene mittlerweile interessanter, die Visitation der Bücher etc. durchzuführen – in unserer Diözese sind mittlerweile sowohl Buchhaltung wie auch Matrikenbücher (also die Personenstandsbücher, die die Pfarren zu führen haben) zentral im Netzwerk serviciert, sodass gegenseitige Vertretungen und Aushilfen optimal ermöglicht wären und auch sind. Dem Ordinarius sind für jeweils gewisse Bereiche daher seine Referenten „vor Ort“, die „Regionalkoordinatoren“ zur Seite gestellt, um in Zukunft ein möglichst professionelles Visitationswesen – am ehesten wohl mit der „internen Revision“ bei Betrieben zu vergleichen, angereichert um – vor allem bei der Bischöflichen [Pastoral-]Visitation – seelsorgliche Entwicklungsfragen. Ich hege die Hoffnung, dass mit der Zeit über dieses Instrument, das dem Bischof aufgegeben ist [can. 396 §1: dort ist von einer „jährlichen Visitation“ die Rede, die in unserer Diözese schlicht unmöglich ist] verbunden mit einem klugen eben neu aufzusetzenden Modus die Kirchenentwicklung in der Diözese Graz-Seckau in Hinkunft begleitet wird.

[4] Nichts anderes ist bei uns geschehen, als wir mit den Verantwortlichen vor Ort gemeinsam versucht haben, diese territorialen Umschreibungen zu definieren: „Welche Pfarren gehören zu welchem Seelsorgeraum?“ In diesen Prozess waren freilich – zu unterschiedlichen Zeitpunkten – auch die diözesanen Gremien eingebunden, die gehört wurden.

[5] Bewusst sei hier ein geflügeltes Wort des verstorbenen Bischofs von Aachen Klaus Hemmerle aufgegriffen.

[6] Dies sind Priester, Diakone – zumeist ist dieser Dienst ehrenamtlich, nur einige von ihnen sind kirchliche Angestellte, Pfarrsekretärinnen, Pastoralreferentinnen u.ä.m.

[7] Zukunftsbild der Diözese Graz-Seckau, II/7 [https://www.katholische-kirche-steiermark.at/dl/rKMtJmoJKnMJqx4KJKJmMJOKk/Zukunftsbild_2019_Ansicht.pdf, 7.8.2020] – die dort auffindbare Fassung ist nicht jene Letztfassung, die im Gesamtgefüge des Entwicklungsprozesses beständig in Begrifflichkeit usw. adaptiert wird, was deren prinzipielle inhaltliche Ausrichtung nicht tangiert.

[8] Und – verzeihen Sie – „machen wir uns nichts vor“: es kommt auch vor, dass eben nicht der Pfarrer – eben auch, weil dieser krank oder schon gebrechlich ist – andere de facto dann in die Rolle dessen schlüpfen, der die Grundverantwortung für die Sendung der Kirche für diese Gemeinschaft trägt.

[9] Franziskus an die italienischen Bischöfe am 23.5.2013: „Ja, Hirt sein bedeutet jeden Tag an die Gnade und die Kraft zu glauben, die vom Herrn kommt, trotz all unserer Schwäche, und die Verantwortung zu übernehmen, der Herde voran zu gehen, frei von Lasten die das gesunde apostolische Vorangehen behindern, und es bedeutet in der Leitung ohne Zögern unsere Stimme hörbar zu machen, sei es für die, die den Glauben angenommen haben, sei es für die, die „nicht aus diesem Stall“ sind (Joh 10:16). Wir sind gerufen, den Traum Gottes zu unserem zu machen, dessen Haus keine Ausschlüsse von Menschen oder Völkern kennt, wie es Jesaja prophetisch in der ersten Lesung angekündigt hat (Jes 2:2-5). Hirte sein bedeutet aber auch, sich darauf einzustellen inmitten der Herde und auch hinter ihr zu gehen: Fähig zu sein, die stille Geschichte dessen zu hören, der leidet und die Schritte derer zu stützen, die sich fürchten, sie zu machen; bereit, aufzurichten, zu ermutigen und neu Hoffnung zu schenken. Aus dem Teilen mit den Armen geht unser Glauben immer gestärkt hervor: Lassen wir also jede Form von Vermessenheit beiseite und knien wir vor denen nieder, die der Herr unserem Dienst anvertraut hat.“ (http://w2.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2013/documents/papa-francesco_20130523_omelia-professio-fidei-cei.html 7.8.2020)

[10] Der Umgang etwa mit den Gesetzen und Verordnungen in der COVID-Krise scheinen mir hierfür Erweis zu sein: nicht der Inhalt und damit das, was Eigenverantwortung im besten Sinn des Wortes meint, stehen im Vordergrund, sondern eher die Frage: „Was darf ich (nicht)? – und damit auch: „Wieso darf man dort das und hier dasselbe nicht?“ Klar ist freilich auch, dass – und hier nehmen wir uns nicht aus: Vorschriften, die es einzuhalten gilt, sind auch zu begründen und nicht bloß zu veröffentlichen. Ergänzend muss auch dazu gesagt werden, dass wir in einer durchaus komplexen Gesellschaft leben und daher oft auch und sofort -zog Gegenargumente geltend gemacht werden um sich selbst „frei“ zu spielen und zu fühlen, sich nicht an Normen und Gesetzmäßigkeiten halten zu müssen. Dieser Lebensstil ist nichts Neues: ich erinnere mich noch gut daran, dass mein Vater unmittelbar nach der Einführung der Gurtenpflicht für die Fahrer eines PKW – weil er dies nicht wollte – alles daransetzte und sich aus irgendwelchen Gründen bestätigen ließ, dass er Gurte nicht anlegen muss.

[11] vgl. can. 522.

[12] Erneut sei auf die Spannung hingewiesen, dass der Dienst des Pfarrers zwar einer „unter der Autorität“ des Bischofs ist, doch die Kompetenzen dieser Autorität Pfarrern gegenüber nicht geklärt sind und sich inhaltlich etwa mit der prinzipiellen Regel der Ernennung auf „unbegrenzte Zeit“ spießt.