18. Hirtensorge ist orientiert auf das Miteinander christlicher Gemeinschaft
Wenn ich es recht sehe, wird der erste Satz des neuen Abschnitts VIII. (62-93) der Instruktion leicht missverstanden. Aus mehreren Gründen wie mir scheint: mit „riferimento fondamentale“ bzw. „grundlegender Bezugspunkt“ (62) kann nicht nur die einfache „Gleichung“ verstanden werden, dass etwa wer „Pfarre“ sagt auch „Pfarrer“ [denn Pfarrer gibt es nur für Pfarren] mitzudenken hat[1], sondern auch, dass alles auf den Pfarrer hin zu orientieren sei – oder eben, um es im Bild auszudrücken, nichts gelebt werden dürfe in der Pfarre ohne dass es „über den Schreibtisch des Pfarrers“ gewandert wäre.[2] Letzteres würde zu einem idealisierten und heillos überhöhten Priesterbild führen, das mit Fug und Recht „klerikal“ benannt werden kann und abzulehnen ist.[3]
Und gleich danach ist wieder einmal vom „leiten“ die Rede: die Aufgabe des Pfarrers in Gemeinschaft mit den anderen Priestern und des Bischofs bestehe darin, „die Pfarrei so zu leiten, dass sie ein überzeugendes Zeichen christlicher Gemeinschaft ist“ (62). Im englischen, französichen wie auch italienischen Text ist im selben Zusammenhang von „organisieren“ die Rede. Es geht also in de „Organisation [des Lebens] von Pfarre“ um ihre Sendung – noch dazu wenn in Lumen gentium 1 – interessanterweise wird hier nicht der Beginn zitiert [Anm. 83], sondern hingewiesen auf LG 26, wo vom Bischof die Rede ist[4] – die Kirche gleichsam als das Sakrament bezeichnet wird, „das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“. „Ziel“ also kirchlich-sakramentalen Lebens ist das Zeugnis lebendiger Gemeinschaft. Hirtensorge ist es demnach, communio zu stiften durch die Verkündigung des Wortes Gottes und die Feier der Sakramente und zur communio anzuleiten. – Nur auf diesem Hintergrund sind m.E. die nun folgenden Anmerkungen zum gemeinschaftlichen Lebensstil der Priester (63-65) zu verstehen: das, was für alle Getauften gilt haben die Amtsträger in der Kirche in irgendeiner Art und Weise auch selbst zu leben und dadurch zu bezeugen. Oder noch schärfer: nur so sind bzw. können sie wahre Hirten [sein]!?[5]
Ich werde auf unsere Situation zurück verworfen und stelle mir nun die Frage, wie denn dieses fundamentale aufeinander verwiesen Sein unter den Priestern wirklich gelebt wird. Oder anders herum: Wenn Priester in der Kirche mit dem speziellen Auftrag gesendet werden, im Dienst an der Gemeinschaft unter den Gläubigen zu wirken, sind sie nicht ohne dieses lebendige Zu- und Miteinander zu denken. Priester bin ich eben nicht für mich selbst, sondern – sakramental, zeichenhaft stelle ich eben Christus als das eigentliche Haupt der Kirche („in persona Christi capitis“) dar und Haupt ohne Körper ist nicht „denkbar“, soll es lebendig sein – nur in Bezug auf die Menschen, mit denen ich kraft Taufe und Firmung gemeinsam unterwegs bin. Für mich jedenfalls verbietet allein dieser Gedanke jede Form überheblichen – „klerikalen“ Denkens und Gehabes. Wir sind in der Kirche aufeinander verwiesen mit unseren verschiedenen Diensten und Aufgaben in ihr. Gemeinsam sind wir gesendet, weil Taufe und Firmung uns alle „auf Augenhöhe“ unterschiedslos Gott gegenübertreten lässt; das geweihte Dienstamt versinnbildlicht lediglich, dass es uns allen eben immer um die Ausrichtung auf Christus, auf Gott zu gehen hat. Nur insofern (!) kann dann von der Einteilung in Kleriker versus Laien gesprochen werden. Ich weiß: die Art und Weise, wie dies gelebt wurde und wohl auch wird, trübt genau jenes Zeichen ein, für das Priester stehen sollen.[6] Es ist wirklich herausfordernd: Miteinander unterwegs zu sein und gleichzeitig in diesem Miteinander darum zu wissen, etwa durch die Sakramentenspendung [aber eben nicht nur durch die Funktion] auch das Haupt der Kirche zu repräsentieren, das eben nicht „aus uns selbst“ ist. Ich hoffe für mich, dass ich im persönlichen Aneignen dieser meiner Lebens-Spannung nie nachlassen werde und nie glaube, das rechte Maß darin auf immer gefunden zu haben.
[1] Auf diesen inneren Zusammenhang verweist – ich habe es schon einmal angedeutet – das Büchlein über die Diözesanreformen in der Diözese Poitiers: Reinhard Feiter – Hadwig Müller(Hg.): Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof? Ermutigende Erfahrungen der Gemeindebildung in Poitiers, Ostfildern 32010.
[2] Ehrlich gesagt: Anmerkung 82, die diesen Satz zu erläutern versucht ist nicht wirklich erhellend und klärend, noch dazu, wenn – in einer Instruktion [!], die eigentlich rechtliche Klarheit schaffen soll – auch noch gesagt wird, „je nach Kontext, in dem er in der vorliegenden Instruktion unter Berücksichtigung der kodikarischen Normen verwendet wird, hat der Begriff „Moderator“ verschiedene Bedeutungen“.
[3] vgl. u.a. https://www.katholisch.de/artikel/26411-nach-kritik-an-instruktion-ordensfrauen-staerken-deutsche-bischoefe (8.8.2020).
In die ähnliche Kerbe „Klerikalismus“ schlägt auch die Pfarrer-Initiative: https://www.katholisch.de/artikel/26428-monarchischer-klerikalismus-pfarrer-kritisieren-vatikan-instruktion (8.8.2020).
[4] vgl. aber das eben Gesagte zu Anmerkung 82 der Instruktion.
[5] Dieser Gedanke wird – für unsere Breiten ist dies eher lächerlich [und in Kritiken wurde auf dieses Faktum auch hingewiesen] – bis zur Feststellung durchgespielt, dass bei Fehlen anderer Möglichkeiten der Priester auch bei seiner Herkunftsfamilie wohnen kann. – Ich gebe zu, dass ich hier wirklich in extremis versuche den Gedankengang der Instruktion zu verstehen, der Zusammenhang legt dies aber doch nahe.
[6] In seinem neuesten Buch macht Wunibald Müller deutlich auf die Folgen verdunkelt gelebter Ideale aufmerkam: Verbrechen und kein Ende?: Notwendige Konsequenzen aus der Missbrauchskrise, Würzburg 2020. Und mit ihm ist berechtigter Weise die Frage zu stellen, was denn nun strukturell unserer Kirche dazu verhelfen kann (und muss), dass das Aufleuchten von communio nicht durch Sünde, Missbrauch jedweder Art von Amtsträgern verdunkelt wird?