instruiert werden – XXIX

29. Exkurs: leiten lernen V

2015: ich werde zum Bischof ernannt. Eine weitere, wiederum neue und ganz andere Erfahrung in dem, was „leiten in der Kirche“ heißt. Ich weiß, dass viele es nicht entsprechend auffassen, weil eben der „frame“ von „leiten“ im deutschen ein anderes Bild „erzeugt“: es ist mehr noch ein Dienst als vorher[1]. Interessant ist freilich, dass es hierzu – im Unterschied zur Priesterweihe[2] – keine Frage unter den Weiheversprechen gibt:

  • Bist du bereit, in dem Amt, das von den Aposteln auf uns gekommen ist und das wir dir heute durch Handauflegung übertragen, mit der Gnade des Heiligen Geistes bis zum Tod zu dienen?
  • Bist du bereit, das Evangelium Christi treu und unermüdlich zu verkünden?
  • Bist du bereit, das von den Aposteln überlieferte Glaubensgut, das immer und überall in der Kirche bewahrt wurde, rein und unverkürzt weiterzugeben?
  • Bist du bereit, am Aufbau der Kirche, des Leibes Christi, mitzuwirken und zusammen mit dem Bischofskollegium unter dem Nachfolger des heiligen Petrus stets ihre Einheit zu wahren?
  • Bist du bereit, dem Nachfolger des Apostels Petrus treuen Gehorsam zu erweisen?
  • Bist du bereit, zusammen mit deinen Mitarbeitern, den Presbytern und Diakonen, für das Volk Gottes wie ein guter Vater zu sorgen und es auf dem Weg des Heiles zu führen?
  • Bist du bereit, um des Herrn willen den Armen und den Heimatlosen und allen Notleidenden gütig zu begegnen und zu ihnen barmherzig zu sein?
  • Bist du bereit, den Verirrten als guter Hirte nachzugehen und sie zur Herde Christi zurückzuführen?
  • Bist du bereit, für das Heil des Volkes unablässig zum allmächtigen Gott zu beten und das hohepriesterliche Amt untadelig auszuüben?

Ich könnte davon ausgehen, dass hiermit das umschrieben wird, was „Leitung“ im Vollsinn meint, wenn in der Kirche davon die Rede ist[3]. Und gerade deshalb gilt: „leiten“ bedeutet „ermöglichen“, „befähigen“, „freilassen“ und nicht „herrschen“. Wenn ich die Diözese Graz-Seckau anschaue: 386 Pfarren, beinahe 800.000 Katholiken, rd. 16.500 km2, knapp 400 Priester [mit hohem Altersdurchschnitt] einige hundert Angestellte in Seelsorge und Verwaltung, direkt in der Diözese, ca. 1.500 in der diözesan Caritas, ca. 900 Religionslehrerinnen und und und … Das ist wohl für einen, der Theologie studiert hat, allein „nicht zu schaffen“. Weil wir Kirche sind und daher gerufen, den „Leib Christi“ im Heute darzustellen, weiß ich aber, dass wir an diesem Körper unterschiedliche Glieder haben und dann ein entsprechendes Zeugnis vor der Welt abgeben, wenn wir das Miteinander, das Gott in sich ist, hier möglichst gut untereinander leben. Meine Aufgabe ist es, dies zu ermöglichen, den Raum hierfür zu eröffnen und – als lebendiger Verweis auf den Auferstandenen – alles daran zu setzen, dass niemand von uns IHN aus dem Blick verliert. Das ist anspruchsvoll, zumal in einer Zeit wie der unsrigen, in der die Welt und damit auch die Kirche immer „komplexer“ werden.

„Herr Bischof, jetzt hauen Sie mal auf den Tisch“ – ein verfängliches Wort, das schön klingen mag, aber eigentlich in die Irre führt – so jedenfalls meine Erfahrung der ersten Jahre in meinem Dienst. Es geht vielmehr darum, immer neu jede und jeden darauf aufmerksam zu machen, was ihre bzw. seine ureigenste Berufung ist, nicht loszulassen von IHM. Gerade die COVID-Pandemie[4] hat mich hierfür so manches gelehrt: es wäre wirklich „teuflisch“[5], den eigenen Weg, die eigene Spiritualität als den Weg vorzugeben und genauso „teuflisch“, zu meinen immer der „erste“ sein zu müssen[6]. – Nebenbei: die Erfahrung hat mich mittlerweile schon auch gelehrt, dass diese Art sich selbst zu verstehen, mitunter nicht verstanden wird. Auch muss hier – kurz jedenfalls erwähnt werden – dass so manche sich vom „Hirten“ nichts sagen lassen – egal auf welchem Pol des „kirchlichen Verfassungsbogens“ sie angesiedelt werden. Wenn ich etwas für mich erneut und vertieft erkannt habe als Bischof, dann ist dies sicher: „Wir sind trotz jahrhundertelanger ‚Einwurzelung‘ des Christseins in unseren Breiten nach wie vor weit weg, von einem solchen Miteinander, von dem wie mir scheint Jesus ‚geträumt‘ hat, wenn er auf dem Weg zum Ölberg den Vater um die Einheit der Jünger und all derer, die durch sie an IHN glauben, gebeten hat: ‚Ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast‘.“ (Joh 17,20f.).

[1] Bischof Klaus Hemmerle nahm 1978 bei einem internationalen Bischofstreffen dazu ausführlich Stellung. In dem mir als Manuskript vorliegenden Text unter dem Abschnitt „Das Motiv Gottes für die Gegenwart Jesu in der Hierarchie“ heißt es u.a.: „Die Einwände, die gegen die konstitutive Bedeutung der Hierarchie für die Kirche, gegen eine göttliche Vollmacht in ihren Amtsträgern erhoben werden, kulminieren in der einen Frage: Wenn Menschen durch ihre besondere Sendung und Vollmacht Jesus Christus an die anderen vermitteln, schieben sie sich dann nicht zwischen Jesus und die anderen, bleibt dann Jesus noch der einzige Mittler? Ich habe bei Chiara Lubich einen Satz gefunden, der die Antwort knapp zusammenfaßt: „Jesus ist der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen. Die Hierarchie ist nicht Mittlerin, sondern ist das Sakrament (d.h. das sichtbare Zeichen) der einzigen Mittlerschaft Jesu. Die Bischöfe manifestieren Jesus den Mittler.“ Sinn der Sendung von Menschen durch Jesus, damit sie seine Sendung weitertragen zu den Menschen, ist es also, daß sie gerade den sichtbar machen, welcher der einzige Mittler ist. Er, der einzige, bedient sich der Menschen, um den Menschen nur um so näher zu sein. Die Konsequenz heißt freilich: Nur dann, wenn wir durchsichtig sind für Jesus als den einzigen Mittler, wird er von den anderen als dieser einzige Mittler gesehen und verstanden. Es hängt also von unserer Weise, wie·wir die Mittlerschaft Jesu repräsentieren, entscheidend ab, ob und wie diese Mittlerschaft bei den Menschen „ankommt“. Freilich ist diese Abhängigkeit von unserem Verhalten nur die eine Seite. Entscheidender ist noch die andere. Er selber will uns nahe sein, und gerade weil er der einzige Mittler ist, vollbringt er diese Nähe unabhängig von uns, über unsere Kräfte und unser Wollen hinaus. Er, sein Geist, den er im Sakrament des ordo uns verleiht, konstituiert die Gültigkeit       des Zeichens, das wir sind. Er ist stärker in uns als wir.“

[2] Beachte Anm. 7 unter https://krautwaschl.info/instruiert-werden-i/, die ich hier großteils wiederhole: Die „erste Frage, die Kandidaten bei der Priesterweihe vom Bischof gestellt wird, [lautet] im deutschen Ritus [..]: „Bist du bereit, das Priesteramt als zuverlässiger Mitarbeiter des Bischofs auszuüben und so unter der Führung des Heiligen Geistes die Gemeinde des Herrn umsichtig zu leiten?“ Im Italienischen wiederum heißt es: „Vuoi esercitare per tutta la vita il ministero sacerdotale nel grado di presbitero, come fedele cooperatore dell’ordine dei vescovi nel servizio del popolo di Dio, sotto la guida dello Spirito Santo?“ Im lateinischen Urtext wird diese Frage aber so gestellt: „Vultis munus sacerdotii in gradu presbyterorum ut probi Episcoporum Ordinis cooperatores, in pascendo grege dominico, duce Spiritu Sancto, indesinenter explere?“ – Welch unterschiedliche Bilder doch hier entstehen, oder?

[3] vgl. hierzu den 19. Abschnitt: https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xix/.

[4] vgl. hierzu meine in diesem blog gegebenen „Tagebuch-Einträge“ https://krautwaschl.info/category/covid19.

[5] im Wortsinn von diabolos: „durcheinander bringen“.

[6] Franziskus an die italienischen Bischöfe am 23.5.2013: “Ja, Hirt sein bedeutet jeden Tag an die Gnade und die Kraft zu glauben, die vom Herrn kommt, trotz all unserer Schwäche, und die Verantwortung zu übernehmen, der Herde voran zu gehen, frei von Lasten die das gesunde apostolische Vorangehen behindern, und es bedeutet in der Leitung ohne Zögern unsere Stimme hörbar zu machen, sei es für die, die den Glauben angenommen haben, sei es für die, die „nicht aus diesem Stall“ sind (Joh 10:16). Wir sind gerufen, den Traum Gottes zu unserem zu machen, dessen Haus keine Ausschlüsse von Menschen oder Völkern kennt, wie es Jesaja prophetisch in der ersten Lesung angekündigt hat (Jes 2:2-5). Hirte sein bedeutet aber auch, sich darauf einzustellen inmitten der Herde und auch hinter ihr zu gehen: Fähig zu sein, die stille Geschichte dessen zu hören, der leidet und die Schritte derer zu stützen, die sich fürchten, sie zu machen; bereit, aufzurichten, zu ermutigen und neu Hoffnung zu schenken. Aus dem Teilen mit den Armen geht unser Glauben immer gestärkt hervor: Lassen wir also jede Form von Vermessenheit beiseite und knien wir vor denen nieder, die der Herr unserem Dienst anvertraut hat.” (http://w2.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2013/documents/papa-francesco_20130523_omelia-professio-fidei-cei.html)