instruiert werden – XXV

25. Exkurs: „leiten lernen“ I

Um das, wie ich persönlich mit „leiten“ umgehe leichter zu verstehen, scheint mir an dieser Stelle ein Exkurs vonnöten, der Erfahrungen sammelt, die mir zuteil wurden auf meinem persönlichen Weg des Verständnisses in der Kirche zu „leiten“.

Als Kaplan war ich zunächst in Hartberg eingesetzt. Der damalige Pfarrer August Janisch meinte in diesen Jahren dort einmal: „Weißt Du, ich glaube, dass ich von den ca. 10.000 Personen in der Pfarre 6.000 nach nunmehr 10 Jahren kenne. Und: mehr wird wohl nie möglich sein, weil es Zu- und Wegzüge gibt, weil Menschen sterben und geboren werden und weil es auch welche gibt, die sich einfach mit mir schwertun.“ So war es klar, dass wir gemeinsam nach Möglichkeiten suchten, Kirche vor Ort zu gestalten, was vor allem hieß, viele zum gemeinsamen Dienst anzuleiten und sie darin zu stärken[1]:

  • dies schien in den Dörfern am besten durch die Vorbeter zu geschehen, die praktisch Ansprechpartner waren für alles, was mit „Kirche“ zu tun hatte – die Aufgabe der Priester bestand darin, diese [wenn ich mich recht erinnere waren es mehr als 100 Personen] für ihren Dienst gut zu befähigen und darin zu stärken.
  • Pfarrgemeinde- und Wirtschaftsräte: auch in diese Gremien wurde ich gut eingeführt. Deren Bedeutung, unter jeweils anderen Aspekten das pfarrliche Leben im Blick zu haben mochte ich schon damals nicht missen.
  • LektorInnen und KommunionspenderInnen: unverzichtbar – nicht nur in der Liturgie, sondern auch wenn es darum ging, die Eucharistie Kranken und Alten nach Hause zu bringen. Geistliche Einkehr und Schulungen standen für diese Personengruppen auf der Priester Arbeitspapier.
  • Jene, die Religion unterrichteten: mit diesen – wohl an die 20 – gab es regelmäßige Treffen, hatten sie doch in der Schule praktisch zu allen Kindern und Jugendlichen der Pfarre und im Höheren Schulbereich auch darüber hinaus Kontakt. Ihre pädagogische Kompetenz – ich habe selbst auch die Jahre über unterrichtet war unbestritten.
  • In Bibel- und Dorfrunden sowie anderen Gesprächskreise und den sogenannten „Christenlehren“[2] wurde durch die Hauptamtlichen in der Seelsorge der Glaube vertieft und das Gespräch darüber mit den Menschen vor Ort gesucht.
  • Mit dem Vinzenzverein und denen, die sich bei ihm ehrenamtlich Engagierten wurde eine kleine und doch große helfende Anlaufstelle für alle in Not geschaffen. Sie zu bestärken und ihnen aufbauend zur Seite zu stehen: eine lohne Aufgabe für einen Seelsorger.
  • Das Engagement vieler in der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einsetzenden Fluchtbewegung war unter dem Pfarrer als „Hirte, der vorausging“, weit über die Grenzen hinaus bekannt.
  • Regelmäßige Dienstbesprechungen unter denen, die in der Kirche angestellt waren, standen auf meinem Spickzettel für den Dienst: wir versicherten uns gegenseitig uns in unseren je eigenen Stärken zu ergänzen.

Wenn ich es recht in Erinnerung habe: einige hundert Personen gab es in der Liste der „pfarrlich Engagierten“ – PfarrblattausträgerInnen genauso wie SchaukastengestalterInnen oder Caritas-HaussammlerInnen, Drittwelt-Engagement gab es genauso wie jene, die sich beim Kirchenputz beteiligten oder ihren Beitrag in der Firmvorbereitung bzw. beim Pfarrfest leisteten: Kirche zu leben geht nur im Miteinander – und ich bin sicher, ich habe jetzt in dieser Aufzählung vieles vergessen, wo wir als Kirche bei den Menschen präsent waren: die regelmäßigen gottesdienstlichen Feiern auch in den Dorfkapellen und Filialkirchen – bei weitem nicht nur Messen (!) wie etwa das Felder- und Maibeten usw. – vertieften in der Pfarre mit ihren rund 30 Dörfern das, was uns im Glauben zusammenhielt.

Nebenbemerkung: in manchen Passagen der Instruktion wie auch dem Kirchenrecht[3] klingt ein für mich nie erfahrenes Pfarrer-Bild durch: das „Kennen aller in der Herde“ war schon damals keine Erfahrung von mir – schlicht weil es nicht ging. Und die Situation anders zu gestalten, sprich kleinere Pfarren oder so[4], hielt ich nicht für sinnvoll, weil der Bezug zur „Pfarrkirche“ ein großer und gewichtiger war und auch – man soll das nicht unterschätzen – durch den großen „Pfarrfriedhof“ über den Tod (und darüber hinaus) diese Einheit, die irgendwann einmal gewachsen ist, erfahrbar gemacht hat. Das, was in can. 528 des Kirchenrechts[5] vom Pfarrer allgemein gesagt wird, muss eben auf die konkrete Situation adaptiert werden und in dem, was „seelsorglicher Eifer“ genannt wird, mit den persönlichen Fähigkeiten angereichert gemeinsam gelebt werden.[6] Ach ja: hier ist immer vom Dienst an den Anderen die Rede, weil Kirche eben das Miteinander derer ist, die sich zu Jesus Christus bekennen. Nicht zu vergessen war für mich schon damals, dass mein Dienst eben auch und vor allem darin bestand, etwa durch Vorbereitung und Feier der Sakramente sowie die oben schon angeführten Dienste die Einzelnen auf ihrem je eigenen Weg des Glaubens zu begleiten, dass auch sie immer mehr „Geschmack an Gott“ finden – auch wenn ich selbst die eine oder andere Form von Spiritualität selbst nicht teilte und lebte, ich hatte einen Dienst auszuüben: es geht ja nicht um mich, sondern um IHN.

[1] So heißt es etwa auch im Kirchenrecht can. 529 §2: „Der Pfarrer hat den eigenen Anteil der Laien an der Sendung der Kirche anzuerkennen und zu fördern und ihre Vereine, die für die Ziele der Religion eintreten, zu unterstützen. Er hat mit dem eigenen Bischof und mit dem Presbyterium der Diözese zusammenzuarbeiten und sich auch darum zu bemühen, daß die Gläubigen für die pfarrliche Gemeinschaft Sorge tragen, sich in gleicher Weise als Glieder sowohl der Diözese wie der Gesamtkirche fühlen und an Werken zur Förderung dieser Gemeinschaft teilhaben oder sie mittragen.“

[2] Früher waren darunter Katechismus-Lehrstunden in den Pfarren zu verstehen. Sie wurden auf andere Art in den Dörfern, wo sich Jugendliche projekthaft für ein Jahresthema zusammenfanden gleichsam zu einem „Dorffest“ umgebildet, bei dem die Ergebnisse der jungen Menschen den BewohnerInnen vorgestellt wurden.

[3] vgl. can 529 §1: „Um die Hirtenaufgabe sorgfältig wahrzunehmen, hat der Pfarrer darum bemüht zu sein, die seiner Sorge anvertrauten Gläubigen zu kennen; deshalb soll er die Familien besuchen, an den Sorgen, den Ängsten und vor allem an der Trauer der Gläubigen Anteil nehmen und sie im Herrn stärken, und wenn sie es in irgendwelchen Dingen fehlen lassen, soll er sie in kluger Weise wieder auf den rechten Weg bringen; mit hingebungsvoller Liebe soll er den Kranken, vor allem den Sterbenden zur Seite stehen, indem er sie sorgsam durch die Sakramente stärkt und ihre Seelen Gott anempfiehlt; er soll sich mit besonderer Aufmerksamkeit den Armen, Bedrängten, Einsamen, den aus ihrer Heimat Verbannten und ebenso denen zuwenden, die in besondere Schwierigkeiten geraten sind; auch soll er seine Aufgabe darin sehen, die Ehegatten und Eltern bei der Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten zu stützen und die Vertiefung eines christlichen Lebens in der Familie zu fördern.“

[4] Woher dann die zuständigen Priester kommen sollten, bleibt ja auch noch zu fragen.

[5] can. 528 §1: „Der Pfarrer ist verpflichtet, dafür zu sorgen, daß denen, die sich in der Pfarrei aufhalten, das Wort Gottes unverfälscht verkündigt wird; er hat deshalb dafür zu sorgen, daß die Laien in den Glaubenswahrheiten unterrichtet werden, besonders durch die Homilie an den Sonntagen und den gebotenen Feiertagen und durch die katechetische Unterweisung; er hat die Werke zu unterstützen, die den Geist des Evangeliums fördern, auch in bezug auf die soziale Gerechtigkeit; seine besondere Sorge hat der katholischen Erziehung der Kinder und Jugendlichen zu gelten; er hat sich mit aller Kraft, auch unter Beiziehung der Hilfe von Gläubigen, darum zu bemühen, daß die Botschaft des Evangeliums auch zu jenen gelangt, die religiös abständig geworden sind oder sich nicht zum wahren Glauben bekennen.“

can. 538 §2: „Der Pfarrer hat Sorge dafür zu tragen, daß die heiligste Eucharistie zum Mittelpunkt der pfarrlichen Gemeinschaft der Gläubigen wird; er hat sich darum zu bemühen, die Gläubigen durch eine ehrfürchtige Feier der Sakramente zu weiden, in besonderer Weise aber darum, daß sie häufig die Sakramente der heiligsten Eucharistie und der Buße empfangen; ebenso hat er darauf bedacht zu sein, daß sie auch in den Familien zur Verrichtung des Gebetes geführt werden sowie bewußt und tätig an der heiligen Liturgie teilnehmen, die der Pfarrer unter der Autorität des Diözesanbischofs in seiner Pfarrei leiten und überwachen muß, damit sich kein Mißbrauch einschleicht.“

[6] Das Kirchenrecht ist ja nicht das „Evangelium“, sondern macht deutlich, worum es prinzipiell zu gehen hat – weltweit und auch in der Steiermark sind die Situationen aber so unterschiedlich, dass es also darum geht – wie immer – den inneren Sinn der Bestimmungen zu erfassen und diese den Möglichkeiten entsprechend an die Situationen anzupassen.