instruiert werden – XXVI

26. Exkurs: „leiten lernen“ II

Mit all den positiven Erfahrungen, die ich gestern geschildert habe[1] wechselte ich danach in das Aichfeld – eine auch in der Struktur ganz andere Situation von Kirche in derselben Diözese: Zunächst waren es 3, dann 5 Pfarren, die 2 bzw. 3 Priestern zur Sorge anvertraut waren. Ich trat dort an die Stelle von 2 Kaplänen; wenige Monate danach stirbt überraschend ein zwar pensionierter Priester in den Pfarren, der aber vieles an Seelsorge bis zuletzt lebte. Die positiven Hintergründe aus einer bei weitem mehr durch Landwirtschaft geprägten und dörflich organisierten Pfarre galt es in diese Situation zu übertragen, nicht „copy & paste“, sondern „Was will Gott von uns hier?“ Mein erstes Taufgespräch endete in einem Fiasko: nach etwa 20 Minuten stand der Vater des Täuflings auf und bat mich, das Taufgespräch zu beenden, das er für nicht sinnvoll erachte, wolle er doch nur, dass sein Kind getauft werde. Punkt. Die Erfahrung von Kirche eine ganz andere: mehr als 20% der Getauften waren ausgetreten; gab es in Hartberg praktisch nur Tauftermine, die festlich gestaltet waren und die Kirche daher auch voll – Erfahrung von Gemeinschaft (!), wurde hier eine andere Tradition gepflogen. Und: durch den Wegfall von Priestern – gegen Ende meiner Tätigkeit verließen dann auch die Kapuziner die Stadt – galt es die neuen Herausforderungen gemeinsam anzupacken. Alles andere als einfach, weil eben im Arbeitermilieu auch die Einstellung vermehrt anzutreffen war: „Wir zahlen ja für die Kirche, also hat die dann auch das zu machen, wenn wir was brauchen.“

Heute würde man modern wohl „Kirchenentwicklung“ sagen, was plötzlich angesagt war. Uns schien es daher wichtig, dass sich die Engagierten in den Pfarren mal kennenlernten, damit sie das Gefühl füreinander bekommen. – Interessant war schon: da gibt es zwar das Gebot der Nächstenliebe, doch wird dies unter Nachbarpfarren wirklich gelebt? Und es galt auch die Gottesdienste so zu ordnen, dass die kleineren und größeren Einheiten, die Pfarren und ihre Filialkirchen, entsprechend[2] gewürdigt werden. Die Debatten in den Liturgiekreisen und Pfarrgemeinderäten waren große, etwa: „8:30-Uhr-Messe am Sonntag ist zu früh für die Bauern, 09:00-Uhr-Messe ist zu spät für die Hausfrauen, 08:45 merkt sich niemand.“ Klar war uns: in jeder Gemeinde gilt es von Samstag Abend bis Sonntag Abend nach Möglichkeit wenigstens 1 Mal Eucharistie zu feiern … Mit der Bemerkung, dass auch der Priester eigentlich nur zu 1 Sonntagsmesse verpflichtet sei und es ihm egal sei, wohin er zunächst feiern geht, wurde das „Problem“ weg vom Priester hin zu den Gemeinden gelegt, die lernen mussten, einander zu lieben und nicht bloß auf sich selbst zu schauen[3]. In den Debatten wurde auch darauf geachtet, dass die großen weltkirchlichen Fragestellungen, die sofort auftauchen, hintengehalten werden, denn diese bringen uns in der konkreten Situation im Jetzt unserer Notwendigkeiten zunächst gar nichts. Es galt – und hier ist es gleich wie in Hartberg gewesen: Hierher hat uns Gott gestellt – wie leben wir mit den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, Pfarre und damit Kirche?

Mit der Zeit haben wir auf dem gemeinsamen Weg gelernt: als etwa zu den Pfarren Knittelfeld, Lind-Maßweg und Schönberg absehbar war – durch den Tod des nächsten Nachbarpfarrers – dass der Pfarrverband um St. Margarethen und Rachau erweitert wird, gab es eine Zusammenkunft aller Pfarrgemeinderäte. Das Zusammenleben der dann 3 Priester an 1 Ort in einer auch überschaubaren Entfernung zu den einzelnen Pfarrkirchen[4] und die Organisation des liturgischen Lebens verlangten zwar einiges von uns ab, doch das Miteinander derer zu stärken, die sich zu Christus bekennen, war alles andere als vergeblich. Ein Beispiel: Mittlerweile hatten wir auf gemeinsame Sitzungen aller Liturgiekreise umgestellt – das Pfarrheim in Knittelfeld war ideal ob seiner Größe für solche Anlässe: gemeinsam wurden liturgische Themen vertieft, in den einzelnen Pfarrgruppen wurden danach – auch ohne Priester – die spezifischen Fragen behandelt. Es galt die Messfeierordnung für einen bestimmten Sonntag zu finden, an dem nur der Pfarrer zu Hause war: „Soll ich nach Rachau gehen – eine der kleineren Pfarren mit durchschnittlich rund 20 Messbesuchern – oder soll ich die Messe am Vormittag in Knittelfeld mit durchschnittlich wohl 200 Personen feiern?“ Ein Knittelfelder Liturgiekreismitglied meinte schlicht: „Herr Pfarrer, bitte fahre in die Rachau – wir in Knittelfeld haben auch andere Möglichkeiten am Sonntag die Messe mitzufeiern, die in der Rachau aber nur 1“. – Als Priester haben wir uns die Zuständigkeiten territorial aufgeteilt: wenn es Pfarrgemeinderatssitzungen gab, um ein Beispiel zu nennen, war dann meist nur einer von uns dabei. Klar war uns: am nächsten Morgen musste das Frühstück nach den gemeinsam gebeteten Laudes genutzt werden, um einander gut zu informieren, was so los war. So konnte jeder auch von uns Anteil nehmen an dem, was die anderen gelebt haben. Auch wir als Priester „wuchsen“ zusammen – trotz der Herausforderungen, die nicht zu verachten waren.

Da keiner von uns sich gut auf wirtschaftliche Angelegenheiten verstand, hat der Pfarrer etwa einen Architekten gesucht und gefunden, der bereit war, ehrenamtlich alle kirchlichen Gebäude regelmäßig zu begutachten und den zuständigen Wirtschaftsräten seine Expertise zukommen zu lassen, sodass sie wussten, was in nächster Zeit anzugehen war[5]. Laien sind eben nicht „Laien“ im herkömmlichen Sinn, sondern als Glieder des Volkes Gottes tragen sie mit ihrer Expertise zum Aufbau der Gemeinden bei. Dass wir nach vielen Möglichkeiten gesucht haben, füreinander zu leben war klar, einige Beispiele:

  • Das Bildungswerk wurde von Knittelfels aus – auch ob der Ressourcen – für alle „gemanagt“ – nicht in jeder Pfarre musste es daher diesen Arbeitskreis geben.
  • Die kleinste Pfarre, Schönberg, hatte eine Zeitlang den größten Kirchenchor: hier waren praktisch alle beisammen, die sich engagierten. Wir ermunterten sie ihr Können auch in anderen Pfarren zur Mitgestaltung von Feiern zur Verfügung zu stellen, damit auch dort Chormusik – das war nicht allen möglich – erklingen kann.
  • Fronleichnam und andere größere Feste wurden kreativ untereinander und miteinander gefeiert – freilich mussten auch Abstriche an die „liturgische Höchstform“ da und dort gemacht werden, etwa wenn zwischen St. Margarethen und Rachau zunächst die Eucharistische Prozession gehalten und danach auf dem genau dazwischen liegenden Sportplatz abschließend Eucharistie gefeiert wurde.
  • Der Caritas-Kleiderladen wurde immer mehr zur Anlaufstelle für alle rundum liegenden Pfarren: er wurde professionell von Laien geführt.
  • Da wir zwischendurch mal erkannten, dass die pfarrlich Mitarbeitenden oft jene waren, die „zu kurz“ kamen, haben wir ein „Schöpferfest“[6] eingeführt und eine Werktagsmesse mit der Gelegenheit danach zusammenzusitzen, zu der wir ganz besonders die ehrenamtlich Engagierten eingeladen haben …

Erneut – und doch ganz anders: Pfarren sind zu leiten – der Dienst des/der Priester wurde durch die Notwendigkeiten, die sich ergeben haben, deutlicher zu dem, was er wirklich ist, nämlich zu dem, der auf Christus – sakramental – verweist, während das gesamte Volk Gottes in ihren je eigenen Aufgaben zum Aufbau des Leibes Christi beiträgt.

Ich bin unendlich dankbar für diese zweite priesterliche Erfahrung meines Wirkens – und finde genau das (!) auch hinter der sperrig-rechtlichen Sprache des Kirchenrechts wie auch der Instruktion wieder[7].

[1] https://krautwaschl.info/instruiert-werden-xxv/

[2] Auch die Zahl der regelmäßigen Kirchgänger galt es freilich hier einzubeziehen und Kriterien wie „Mindest-Zeitabstand zwischen zwei Sonntagsmesse“, Anzahl der Messfeiern für einen Priester etc.

[3] Auch wenn die Hingabe im Opfer Jesu Christi gefeiert wird, bedeutet dies keineswegs automatisch dass die KatholikInnen dies auch ins Leben automatisch umsetzen.

[4] Vereinfacht gesagt war die vom Wohnort in Knittelfeld weitest entfernte Pfarrkirche des dann 5er-Pfarrverbandes näher als die in der 1 Pfarre weitest entfernte Filialkirche der 1 Pfarre Hartberg.

[5] Interessant für mich in dieser Beziehung ist freilich ein anderes Detail: der Architekt war noch voll berufstätig. Die Kontakte zum Ordinariat waren daher erst in eine Form zu kleiden, die seine Dienstzeiten und die Dienstzeiten unserer kirchlichen Abteilungen abglichen. Ehrenamtliche zu fördern bedeutet eben auch für die Hauptamtlichen, ihren Dienst entsprechend anzupassen!

[6] „Schöpfer“ bedeutet im Dialekt auch: (schwer) arbeiten.

[7] Noch einmal: dass es eben in jeder Gemeinschaft um deren Organisation willen unterschiedliche Verantwortlichkeiten gibt und braucht, ist klar. Das erste und bedeutende aber ist das Miteinander derer, die diese Gemeinschaft bilden und nicht die einzelnen Zuständigkeiten. Leider wird dieser Blick allein schon aufgrund der literarischen Gattung einer Instruktion in den Hintergrund gerückt.