28. Exkurs: leiten lernen IV
Nach alledem, was sich da in Graz in dem vergangenen Tagen ereignet hat, konnte ich nicht einfach zur „innerkirchlichen Tagesordnung“ zurückkehren – es galt in mir selbst jene Bekehrung zu leben, die eben heißt, bei den Menschen zu sein, die bedrängt werden … Dennoch möchte ich heute meine unfertigen Gedanken weierspinnen…
Mit 2006 wurde ich gebeten, nach Graz zu wechseln. Es galt die Leitung des damaligen Bischöflichen Seminars zu übernehmen – Einrichtung und Rechtskörperschaft. Erneut eine ganz andere Herausforderung, hatte ich doch bislang wenig mit einer Bildungseinrichtung, erst recht mit einem Internat zu tun. Galt es in den bisherigen Wirkungsstätten der Pfarren unterschiedliche Menschen in verschiedensten Lebensphasen zu begleiten und auf IHN hin zu orientieren, musste dies nun mit Heranwachsenden und Lehr- bzw. Erziehungspersonal gelebt werden. Eine ganz andere Erfahrung von Kirche, keineswegs so liturgisch geprägt wie sich eben der Dienst von Priestern vielfach „abspielt“. Hinzu kam, dass angedacht war, dieses Haus zu einem Zentrum für die „formale Bildung“ unserer Diözese aus- und umzugestalten: die größte Baumaßnahme in der Geschichte der Diözese war zu managen. Darüber hinaus gab es für das, was an Seelsorge zu „leisten“ war ohnedies einen weiteren Priester, den Spiritual. Was heißt hier jene Art von „Leitung“ zu leben, die den Dienst am Volk Gottes durch den Priester deutlich macht?
Auch wenn so manches von mir zu unterzeichnen war, damit es Rechtskraft erlangt/e: Gott sei Dank gab es den vom Ordinariat für dieses große Vorhaben abgestellten Architekten, der alles im Blick hatte; Gott sei Dank gab es die Steuergruppe, die gemeinsam alles voran- und in rechte Ordnung gebracht hat. In vielen Bereichen bestand mein Dienst darin, die Orientierung nicht zu verlieren: „Was wollen wir eigentlich?“ Ob das nun jene Phase war, die zur Entscheidung geführt hat, das Seminar zum „Augustinum“ zu entwickeln oder auch die vielen „ups“ and „downs“ in der Phase der Realisierung des großen Projekts, das nunmehr – vom Kindergarten bis zur pädagogischen Hochschule, von einer Großküche bis hin zum Internat praktisch alle diözesan verwalteten formalen Bildungseinrichtungen beherbergt – und das Ganze eingebettet in einem Umfeld weiterer öffentlicher wie kirchlicher Bildungseinrichtungen: mehr als 5.000 Kinder und Jugendliche in einem Umkreis von weniger als 300 m tagaus, tagein: hier kann unser Sendungsauftrag gelebt werden!
Orientierung an IHM: dies steht auch am Beginn jener Institution, die der Kern dieses großen Hauses war: das Bischöfliche Kleine Seminar, bei uns „Knabenseminar“ genannt. Auch die Erzieherausbildung konnte ich nicht mein Eigen nennen: Gott sei Dank aber war ich als Regens eingebettet in ein Team, in dem wir miteinander Pädagogisches beratschlagten und auch Wege suchten, Neues zu wagen. Und dann kam die Missbrauchskrise – 2 Monate nachdem unser „Campus“ eröffnet wurde, schlug diese wie eine Bombe ein. Erneut war Orientierung gefordert – an IHM, damit uns die Anforderungen und die auch innerkirchlich mitunter geäußerten Verdächtigungen nicht aus der Bahn warfen und wir uns mehr und mehr als Einrichtung präsentieren lernten, in denen wir wirkliche und gute Wegbegleiter für Burschen – und nunmehr auch Mädchen – sein konnten und können.
Hätte ich in einem solchen Umfeld, in dem ich mich eigentlich nirgends wirklich auskannte, „Leitung“ falsch gelebt, wäre ich kläglich gescheitert, was nicht heißt, dass ich auch alles richtig gemacht habe. Indem ich mich aber gezwungen sah – um es am Beispiel der Leitung der umfangreichen Sanierungsmaßnahmen deutlich zu machen und an der Leitung des Internats im speziellen – mein spezifisches Sein als Priester einzubringen in das Miteinander der Profis, der „Laien“ war es mir möglich, Priester zu leben in einer ganz anderen als üblichen Gestalt von „Kirche“. Ja: es geht darum, im gemeinsam gelebten Kirche-Sein auf IHN transparent („Sakrament“ – „Zeichen“) zu werden, der in unserer Mitte uns den Weg weist. Dies für sich selbst ernst zu nehmen und je neu sich zu dieser Art des Lebens zu bekehren ist alles andere als einfach. Weit simpler wäre es, den „Chef“ im üblichen Sinn herauszukehren und so zu leben, was vielfach hinter negativer Kritik gegenüber Erfahrungen von „Leitung“ in Form von Vormundschaft, „Klassenunterschied“ u.ä.m. zu stecken scheint. Miteinander Kirche sein und dennoch – welch Zumutung eigentlich! – IHN, den Mittler schlechthin sakramental zu repräsentieren, an dem wir alle, mich eingeschlossen, uns auszurichten haben: Jede und jeder Getaufte ist bekanntlich in Seine Nachfolge gerufen. Auch als Priester kann und darf ich mich davon nicht ausnehmen.
Im Übrigen: wenn – das ist mir jedenfalls als Erfahrung zugewachsen in diesen fast 9 Jahren meines priesterlichen Dienstes – tatsächlich miteinander gelebt wird, dann ist die Frage nach „Wer darf jetzt wo unterschreiben?“ eigentlich keine und schon gar nicht die erste – ganz abgesehen davon, dass für die meisten alltäglichen Dinge die Profis der Laien in Buchhaltung und Geschäftsführung zuständig waren.