Kirche im Lockdown (?) – IX

Noch einmal zur Erinnerung: Ich will mit diesen Gedanken versuchen, Blicke zu weiten, da ich meine, dass es in so vielem in unserer Welt nicht bloß einen richtigen Weg gibt, sondern erst aus unterschiedlichen Blickwinkel eine Angelegenheit einigermaßen recht und umfassend gesehen werden kann. Erst dadurch wird meines Erachtens der Weg zur Zuversicht eröffnet. Leider ist es nun aber auch so, dass diese Fähigkeit zumal in krisenhaften Zeiten alles andere als üblich ist, auch wenn auch sehr notwendig wäre. Briefe und Petitionen, die da und dort in meinem (elektronischen) Postfach landen, sind beredte Zeugen dafür, dass sich Menschen klarerweise schwertun, ihre Überzeugungen hinterfragen zu lassen, wie auch immer diese aussehen. So ist die „Gefahr“ vorhanden, dass es eben nicht zu einem Austausch von Argumenten in einem Dialog kommt, sondern eher zu Auseinandersetzungen, in denen nichts anderes als Meinung und Gegenmeinung nebeneinander und unversöhnt ausgehalten werden müssen.

Es ist mir klar, dass Krisen enge Sichtweisen fördern – ich erinnere mich mit innerer Bewegtheit an eine Krisen-Schulung der Polizei, die für Pädagogen angeboten wurde, und von der einer unserer Erzieher im Bischöflichen Internat damals, als ich im Augustinum tätig war, erzählte. Ich merke aber auch, dass der Diskurs generell in der Gesellschaft schärfer geworden ist, die Foren in den sogenannten neuen sozialen Medien und die damit verbundenen (Meinungs-)Blasen, in denen man sich bewegt praktisch ohne anderen und Anderem zu begegnen, legen Zeugnis dafür ab. Die Zeiten sind unübersichtlicher geworden – nicht erst durch Corona. Um sich in komplexer werdenden Zeiten zurechtzufinden, in denen es keine einfachen Antworten und erst Recht nicht die Lösung auf alles und das recht schnell gibt, brauche ich aber Sicherheiten: markige Sprüche, in gewisser Art und Weise „lautes Bellen“ und Schreie – die dann wohl eher solche nach Hilfe sind und nicht gepflegter Meinungsaustausch – oder auch der Rückzug auf das Eigene und damit die eigenen Vorstellungen, die dann schnell Maß aller Dinge werden – all das ist nachvollziehbar, aber alles andere als förderlich dem Zusammenhalt.

In den letzten Wochen und Monaten sind daher gesellschaftliche Gruppen und deren Entfernung voneinander neben all den vielen Initiativen der Solidarität deutlicher sichtbar geworden. Die Haut so mancher ist dünnhäutiger – wohl auch deswegen, weil, zumindest im Gefühl, vielen der wirklich ersehnte Urlaub, wie man sich ihn gewünscht, abgegangen ist; so manche unter uns arbeiten seit geraumer Zeit an bzw. über der eigenen Leistungsgrenze, die täglich veröffentlichten Zahlen scheinen nach wie vor so manches an Hoffnungsschimmer am Horizont zu ersticken. Gerade in solchen Zeiten tut es mir gut, darum zu wissen, dass es Gott gibt, der nicht nur sagt, dass er alles in seinen Händen hält, sondern von dem ich glaubend bekenne, dass er selbst an Haut und Haaren in diesem Jesus von Nazareth das menschliche Sein in all seinen Höhen und Tiefen kennengelernt und erfahren hat – bis zum Tod am Kreuz. Anders ausgedrückt: im Gott der Christen wird deutlich, dass wir nicht allein sind, dass ER DA ist, bei uns und unser Weggeleit, nicht einer der von fern sich das Scheitern der Welt und der Menschen ansieht, sondern einer eben, der ganz das Schicksal mit uns Menschen teilt. Daher gilt: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters.“ (Phil 2,5-11)