Aufhorchen hat mich im Interview mit Kardinal Grech seine Interpretation der Begegnung Jesu mit der samaritanischen Frau am Jakobsbrunnen in Sychar. Ich selbst bin vor allem mit jungen Leuten in den vergangenen Jahren immer wieder an diesem Ort gewesen, der im heutigen Nablus in der Westbank lokalisiert wird. Ein alter orthodoxer Mönch hat uns empfangen: Mitten drin im Durcheinander Palästinas mit den täglichen Herausforderungen des Alltags – als wir einmal im von Mauern umgebenen Hof zusammensaßen und gemeinsam über die schwierige Situationen nachdachten, die Israel und Palästina anlangen wurde im naheliegenden Flüchtlingslager praktisch über die Straße gerade eine Art Familienfehde ausgetragen: die Waffen haben dazu nicht geschwiegen – hat er vor Jahrzehnten die Kirche wieder aufgebaut. Und damit hat er Hoffnung gestiftet und mit Mauern deutlich gemacht, dass der Durst nach Frieden hier gestillt werden kann – bei Jesus.
In Israel wird mir selbst die Herausforderung je aufs Neue bewusst, was es wohl heißt, seit fast 2.000 Jahren ohne Tempel und damit den eigentlichen und einzig wahren Ort des Gebetes für Juden auszuhalten. – Gerade in diesen Wochen denke ich auch an viele, denen aufgrund der Situation von Not, Flucht, Vertreibung oder anderem die Möglichkeit des Mitfeierns von Gottesdiensten genommen ist. Die Entscheidung ist uns Bischöfen alles andere als leicht gefallen, jetzt während des 2. harten Lockdowns in Österreich auf „öffentliche“[1] Gottesdienste zu verzichten – Messen werden nach wie vor gefeiert – in kleinen Gruppen und mit vorheriger Anmeldung, wie es halt möglich ist – und dies daher noch bewusster stellvertretend für alle als zu Tagen, an denen die Kirchen voll sind [schon im Hebräerbrief (10,25) ist die Ermahnung niedergeschrieben, den Versammlungen nicht fern zu bleiben, was also darauf hindeutet, dass von Anfang an das Prinzip Stellvertretung gelebt wurde]. Diese Erfahrung hatte ich heuer auch schon während der Feiern in der Heiligen Woche: der große Dom – sinnenfälliges Zeichen für die Kirche von Graz-Seckau – und eine kleine Schar SängerInnen wie auch im Altarraum Mitfeiernde feiern in ihm für unsere ganze Diözese. Herausgeforderter Glaube!
Natürlich muss gesagt werden: gemeinschaftliche Feiern des Glaubens stärken und sind Not wendend, keine Frage. Die Begegnung und damit auch Gemeinschaft („Kommunion“) mit unserem Herrn in der Gestalt des Brotes[2] ist aber eben auch nur eine Form der Begegnung mit IHM – auch darauf macht Kardinal Grech unter Berufung auf den hl. Paul VI. im Interview aufmerksam. Wir begegnen IHM auch in Seinem Wort[3] – und damit Gewissenserforschung für mich: „Suche ich Seine Nähe in der Begegnung mit IHM in Seinem Wort? – und in all jenen, die Not leiden (vgl. Mt 25,31-46).
[1] Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die unterschiedlichen begriffliche Inhalte von „öffentlich“ hinweisen. In der „COVID-Notmaßnahmenverordnung“ ist ja prinzipiell das Verlassen der „eigenen 4 Wände“ nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt (§1 Abs 3e nennt unter anderem die „Befriedigung religiöser Grundbedürfnisse“); damit ist es erlaubt etwa Kirchen unter Wahrung bestimmter Sicherheitsauflagen (§2) zu besuchen – im juristischen Sinn sind Kirchengebäude „öffentliche Orte“, weil sie jederzeit von verschiedensten Menschen betreten werden dürfen. – Da es aber klar ist, dass größere Menschenansammlungen, die sich etwa durch die gemeinsame und zu einem bestimmten Termin vereinbarte Feier unwillkürlich ergeben, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren zu vermeiden sind, haben die gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften gesagt, dass sie für ihren Bereich für solcherart „öffentliche“ Gottesdienste während der Zeit des harten Lockdowns verzichten.
[2] Es ist schon interessant, dass vor etwas mehr als 100 Jahren ein Papst die Gläubigen zum oftmaligeren Empfang auffordern musste – bis zur Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil war der Kommunionempfang alles andere als üblich.
[3] Ich erinnere hier erneut an ein Wort des hl. Augustinus: „Sagt mir [..], was mehr wert ist: das Wort Gottes oder der Leib Christi? Wenn ihr die Wahrheit sprechen wollt, müsst ihr zustimmen, dass das Wort Gottes nicht geringer ist als der Leib Christi. Wenn wir alle Aufmerksamkeit aufwenden, damit nichts aus unseren Händen auf die Erde fällt, wenn uns der Leib Christi gereicht wird, dann müssen wir gleicherweise darauf achten, dass das Wort Gottes, das uns mitgeteilt wird, nicht aus unserem Herzen schwindet, weil wir in Gedanken und Worten mit anderem beschäftigt sind. Wer nachlässig das Wort Gottes aufnimmt, macht sich nicht weniger schuldig, als wer durch Nachlässigkeit den Leib Christi auf die Erde fallen lässt.“[ Augustinus, Sermo 300,2-3, PL 39,2319].
Paul VI, Mysterium Fidei, 40: „Diese Gegenwart wird ,’wirklich‘ genannt, nicht im ausschließenden Sinn, als ob die anderen nicht ,’wirklich‘ wären, sondern in einem hervorhebenden Sinn, weil sie wesentlich ist, wodurch der ganze und unversehrte Christus, Gott und Mensch, gegenwärtig wird.“
Papst Benedikt XVI. meint darüber hinaus nach der Bischofssynode über das Wort Gottes in seinem nachapostolischen Schreiben: „Die Sakramentalität des Wortes lässt sich so in Analogie zur Realpräsenz Christi unter den Gestalten des konsekrierten Brotes und Weines verstehen. Wenn wir zum Altar gehen und am eucharistischen Mahl teilnehmen, empfangen wir wirklich den Leib und das Blut Christi. Die Verkündigung des Wortes Gottes in der liturgischen Feier geschieht in der Einsicht, dass Christus selbst in ihr gegenwärtig ist und sich uns zuwendet, um aufgenommen zu werden“ (Verbum Domini, 56).