Kirche im Lockdown (?) – XI

In Zeiten wie diesen merken wir so manche Fliehkräfte in der Gesellschaft, von denen wir in guten Tagen eigentlich wenig bemerken. Ich denke an so manche Demonstrationen, an immer härter vorgetragene Kritiken an so manchen Maßnahmen, an offen zur Schau getragene Missachtung von Aufforderungen; ich entdecke solche Züge aber auch in verschiedenen Debatten, wenn da und dort Meinung auf Meinung prallt und keine/r gewillt ist, auf den anderen bzw. die andere zu hören. Hinzu kommen noch die Meinungsblasen, die durch die Algorithmen der sogenannten „sozialen Medien“ verstärkt werden, sodass sich so manche Menschen nur mehr unter ihresgleichen bewegen und daher nahezu immun werden, statt sich verantwortungsvoll auch mit anderen Argumenten auseinanderzusetzen – da das Leben ohnedies schon zu komplex ist läuft man dann sogar Gefahr, dies auch gar nicht mehr zu wollen, so „besessen“ ist man von der persönlichen Weltsicht, dass egal was gesprochen, gepostet oder auch überlegt wird, man nur mehr „angetrieben“ wird sich selbst und die eigene Meinung in den Vordergrund zu rücken.

Die Botschaft, für die wir als Christinnen und Christen stehen, ist genau hierfür eine, die dem Auseinander entgegenzuwirken hilft, ohne dass dabei das Eigene und die Identität der Einzelnen negiert wird: Schon auf dem Weg vom Abendmahlssaal zum Ölberg, vor Beginn des letzten entscheidenden irdischen Lebensabschnittes Jesu bittet dieser in einem langen Gebet Gott darum, dass all jene, die durch die Jünger an ihn glauben (werden), eins sein mögen: „Ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“ (Joh 17,20f.).

Diözese, Seelsorgeräume, Pfarren, kirchliche Einrichtungen und Gruppen bieten durch die gemeinsame Orientierung an IHM, dem Auferstandenen, Halt und Identifikation, von wo aus auch immer Einzelne dies wahrnehmen. Wo dazuzugehören bedeutet daher auch Einsamkeit vorzubeugen, auch wenn das Leben allein gestaltet werden muss – wie sonst wären die Einschaltzahlen bei streaming-Angeboten einzelner Gottesdienste zu erklären? Bei einem Telefonat mit einem Pfarrer während des 1. Lockdowns erzählte er mir, dass er Vorwürfen ausgesetzt sei, weil er nicht wie andere Gottesdienste ins Internet übertrage – er hatte eine für sich entsprechendere Art gewählt und daher sich mit Alleinstehenden via Telefon in Kontakt gesetzt: hier wird deutlich, wie sehr „unsere Pfarre“ zusammenschweißt, auch wenn äußerliches Leben nicht sehr sichtbar sein kann.

Gerade deswegen ist es bzw. muss es unser Anliegen sein, soziale Nähe trotz verordneter physischer Distanz zu leben – ob das Mascherl „Kirche“ draufsteht oder nicht ist nebensächlich. Ich hoffe, dass viele Einzelinitiativen wie auch die unserer kirchlichen Hilfseinrichtungen und -organisationen dies genauso deutlich machen wie die Nähe bei den Kranken in den Sakramenten und die Seelsorge, die in Spitälern und Pflegeheimen – unter diversen strengen Hygieneauflagen – ermöglicht wird.