Kirche im Lockdown (?) – XII

In Zeiten des Lockdowns wird auch so manches Defizitäre in einer Gesellschaft deutlich. So etwa zählen viele in der älteren Generation zu jenen, die aufgrund der zunehmenden Digitalisierung unter Umständen auf der Verliererstraße landen. Doch trifft die Tatsache der „Digitalisierungsverlierer“ wohl auch so manch andere – weil etwa Kinder durch die Digitalisierung Wesentliches in ihrem Aufwachsen durch physisches Miteinander nicht erfahren.

Auch wenn wir als Kirche in den letzten Monaten einen wahren „Digitalisierungsschub“ hingelegt haben – vor einiger Zeit hätte ich mir noch nicht zu träumen gewagt, dass wir die Vollversammlung der Bischofskonferenz oder auch Diözesan- und Priesterrat im virtuellen Raum abhalten können würden – so darf nicht vergessen werden, dass gerade das „physische Zu- und Miteinander“ wesentlich ist für die Gemeinschaft derer, die „dem Herrn gehören“ (Wortsinn des Begriffs ‚Kirche‘). Gerade deswegen schmerzt es, dass unser Feiern in seiner Größe derzeit auf ein Minimum reduziert ist. Interessant freilich ist es für mich, dass zumeist darauf vergessen wird, dass viele unserer offiziellen kirchlichen Liturgien eigentlich tagaus, -ein jenseits der Öffentlichkeit begangen werden: In meinen 30 Jahren seit der Priesterweihe habe ich nur selten das Gebet der Kirche, das Stundengebet, in größeren Gemeinschaften gefeiert. Wir sind – und um diese Erweiterung unseres Denkens geht es mir mit diesen Gedanken – nicht nur meist auf Gottesdienste beschränkt, wenn wir an „Kirche“ denken, sondern dabei wieder auf die Feier der Eucharistie, die Messe. Ich weiß: das eine ist gegen das andere nicht auszuspielen, aber wenn das Zweite Vatikanische Konzil einmal von der Liturgie, ein anderes Mal von der Eucharistie sagt, sie sei Quelle und Höhepunkt allen kirchlichen Tuns[1], dann wird damit eben auch das Gesamtgefüge von Kirche angedeutet. Denn weder „Quelle“ noch „Höhepunkt“ kann für sich allein leben: Eine Quelle, die nicht einem Bach oder einem Fluss Wasser zuführt, verkommt zu einem stinkenden Tümpel – so auch die Feier der Kirche, wenn sie nicht der Sendung dient[2]. Und will ich einen Höhepunkt erleben, braucht es notwendigerweise einen Anweg dorthin, sonst ist die Rede von einem Höhepunkt unwahr – oder anders: erst dann, wenn ich mein Christsein im Alltag lebe, erst dann, wenn wir uns ganz und gar auf Gott hin im Gebet orientiert erfahren und wissen, werden wir das große Geschenk dessen einigermaßen in rechter Weise erkennen, der von sich gesagt hat: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt“ (Joh 6,51).


[1] Lumen gentium (Kirchenkonstitution) 11 spricht von der Eucharistie, Sacrosanctum Concilium (Liturgiekonstitution) 10: die Liturgie ist „der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt“.

[2] Interessant ist hier für mich zu erwähnen, dass sich die deutsche Bezeichnung „Messe“ wohl von den letzten Worten der Feier herleiten lässt, die im Lateinischen heißen: „Ite missa est“ und damit die Sendungsperspektive in den Blick nehmen: im Leben hat sich das zu bewähren, was wir gefeiert haben. Messe lebt aus der liebenden Lebenshingabe Jesu, damit wir ihm gleich handeln.