kirchliche Filterblasen-Debatten

Hinterher ist man meistens gescheiter. Und erst recht, wenn man aus Distanz beobachtet. Das sind zwei Gedanken, die mich dazu veranlasst haben, so manches zu notieren, das sich in den letzten Wochen ereignet hat. Ich tue dies nicht unbedingt in der Art einer zeitlichen Rückschau, sondern eher „aus dem Bauch heraus“, nach verschiedenen Themen strukturiert – und hier in unregelmäßigen Abständen. Und: ich habe kurz vor Ende der strengen Ausgangsbestimmungen meine Gedanken zu schreiben begonnen …

Wenn jemand so wie ich Vertreter einer Institution ist, darf er sich nicht wundern, wenn in herausfordernde Situationen sich spezielle Fragestellungen dieser Organisation mitunter so in den Vordergrund drängen, dass das Große und Ganze beinahe aus dem Blick gerät. Es gibt auch so etwas wie eine „katholische Filterblase“, um einen Begriff aus der Welt der neuen sozialen Medien zu verwenden. Ich habe nicht schlecht gestaunt, welche prinzipiellen Fragestellungen von manchen in unserer Kirche der deutschsprachigen Welt gestellt werden können angesichts des „lockdowns“ und der damit verbundenen Beschränkungen, was die Feier von Gottesdiensten anlangt. Über die von den Verantwortungsträgern innerhalb kürzester Zeit in den verschiedenen Diözesen herausgegebenen Richtlinien zu den Möglichkeiten, unter den gegebenen Umständen den Glauben feiern bekennen zu können, wurde von so manchen der Stab gebrochen; da wurden mit der Sprache Bilder gezeichnet (Stichwort „Geistermessen“), da wurden Rückschritte vor das Zweite Vatikanische Konzil vermutet, da wurde eine die Klerikalisierung der Liturgie konstatiert usw. – mitunter wurde so getan, als ob Entscheidungen, die in der Krise schnell getroffen werden mussten, prinzipielle Richtung Entscheidungen und Strategien zum Ausdruck brächten. Ich hoffe, dass wir uns in ruhigeren Zeiten die hoffentlich dann auch etwas abgekühlten und emotionsfreien Argumente gut anschauen werden.[1]

Was sich allerdings – und das muss ich frei bekennen – nur sehr schwer nachvollziehen kann ist die Tatsache, dass solche Debatten – man verzeihe mir die Wortwahl – aus dem „elfenbeinernen Turm der Wissenschaft“ auf einer Metaebene zu einem Zeitpunkt zu führen begonnen wurden, als auch in unseren Landen noch nicht klar war, ob unser Gesundheitswesen alldem standhalten wird was unter Umständen auf uns zukommt. Um es verkürzt zu sagen: Da war nicht klar, ob wir genug Beatmungsgeräte in den Krankenhäusern haben – und manche machen sich Gedanken, ob die Kamera Einstellung bei der Übertragung der Gottesdienste nicht eine andere sein könnte, weil sie nur den Altarraum zeige. Noch einmal: wir müssen darüber sprechen – miteinander. Klar. Aber der Eindruck hat sich bei mir mitunter eingestellt, dass manche händeringend sich nach Arbeit gesehnt haben und daher wissenschaftliche Debatten anzetteln wollten.

Ich hätte mir durchaus erwartet, dass nicht bloß negativ kritische Zurufe mit den verbundenen Pauschalierungen – ich bin mir bewusst, dass auch ich dies hier mache, um meine Fragen deutlich zu machen – als Debattenbeiträge, sondern auch Lösungsvorschläge zu einer Zeit gegeben werden, die eine unmittelbare Umsetzung in kritischen Augenblicken ermöglicht hätte. Wenn – ich beziehe mich auf die Situation in Österreich – wir als Bischofskonferenz etwa für liturgische Fragen das österreichische liturgische Institut als „unsere“ Einrichtung bei allen Vorschlägen, was Richtlinien zur Gestaltung von Gottesdiensten anlangt, federführend herangezogen haben, dann scheint mir zumindest der rechte Weg eingeschlagen worden zu sein. Bessere – vor allem wenn mehr Zeit vorhanden gewesen wäre – hätte es wahrscheinlich auch geben können. Aber – wie in der Einleitung beschrieben: im Nachhinein weiß man immer alles besser.

[1] Unter anderem verweise ich auf so manche Überlegungen die in einer Online-Publikation des „Heiligen Dienst“ auf der Homepage des Österreichischen Liturgischen Instituts (5.5.2020): https://www.liturgie.at/pages/liturgieneu/publikationen/heiligerdienst/hldhefte/article/129663.html